Entscheidungsdatum: 07.07.2011
1. Hat der Betriebsrat bzw. sein Vorsitzender die vom Arbeitgeber angekündigte Übergabe eines Anhörungsschreibens zur Kündigung außerhalb des Betriebs nicht abgelehnt, ist sein Stellvertreter nach § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG zur Entgegennahme berechtigt, wenn das Anhörungsschreiben dem Betriebsratsvorsitzenden mangels Anwesenheit nicht ausgehändigt werden kann.
2. Bei einer betriebsübergreifenden Betriebsänderung ersetzt gemäß § 125 Abs. 2 InsO ein vom Insolvenzverwalter mit dem Gesamtbetriebsrat abgeschlossener Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahmen der örtlichen Betriebsräte nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG zu den vom Insolvenzverwalter beabsichtigten Massenentlassungen.
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 9. Februar 2010 - 1 Sa 586/09 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.
Die Klägerin war seit Februar 2006 in L in einem von 47 Modefachgeschäften der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Verkäuferin gegen eine monatliche Vergütung iHv. 1.234,02 Euro brutto. Mit Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 1. November 2008 (- 100 IN 128/08 -) wurde über das Vermögen der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet und die Eigenverwaltung der Insolvenzmasse unter der Aufsicht eines Sachwalters angeordnet. Zu ihrer wirtschaftlichen Sanierung plante die Beklagte ua. die Schließung von Filialen. Am 12. November 2008 lud der Vorsitzende des bei der Beklagten gebildeten Gesamtbetriebsrats in Abstimmung mit der Beklagten die Betriebsratsvorsitzenden der Filialen und ihre Stellvertreter zu einer Betriebsräteversammlung am 17. November 2008 nach H ein. Als Tagesordnungspunkte waren ua. Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen vorgesehen. Außerdem wurde im Einladungsschreiben die Übergabe der Anhörungen zu den Kündigungen durch die Beklagte angekündigt. Der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale der Beklagten in L nahm an der Betriebsräteversammlung nicht teil.
Am 17. November 2008 kam in H zwischen dem Gesamtbetriebsrat und der Beklagten mit Zustimmung des Sachwalters ein Interessenausgleich zustande. Dieser sah ua. die Schließung der Filiale der Beklagten in L vor. Die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden sollte, waren in dem Interessenausgleich namentlich bezeichnet. Die für die Filiale der Beklagten in L erstellte Namensliste enthält die Namen aller dort Beschäftigten. In § 6 Ziffer 3 des Interessenausgleichs heißt es:
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„Die Arbeitgeberin hat den Gesamtbetriebsrat und die Betriebsräte im Rahmen der Interessenausgleichsverhandlungen im Sinne des § 17 Abs. 2 KSchG unterrichtet. Diese Vereinbarung ersetzt zugleich die erforderliche und abschließende Stellungnahme des Betriebsrates gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Mit Unterzeichnung dieser Vereinbarung wird bestätigt, dass das Konsultationsverfahren insoweit für die im Interessenausgleich beschriebene Maßnahme abgeschlossen ist.“ |
Da der Betriebsratsvorsitzende der Filiale L nicht zur Betriebsräteversammlung in H erschienen war, händigte dort die Beklagte durch ihre Teamleiterin Personal das Anhörungsschreiben zu den beabsichtigten Kündigungen der in ihrer Filiale in L Beschäftigten und weitere Unterlagen der anwesenden Stellvertreterin des Betriebsratsvorsitzenden aus. Diese quittierte mit ihrer Unterschrift die Entgegennahme für den Betriebsrat der Filiale L. Die Beklagte zeigte mit einem am nachfolgenden Tag bei der Agentur für Arbeit in L eingegangenen Schreiben vom 20. November 2008 die beabsichtigte Entlassung der in ihrer Filiale in L Beschäftigten an. Ihrer Anzeige fügte sie den am 17. November 2008 mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommenen Interessenausgleich bei. Mit einem Schreiben vom 24. November 2008 teilte der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale L der Beklagten mit, der Betriebsrat nehme die Kündigungen zur Kenntnis. Wann die Beklagte dieses Schreiben erhalten hat, steht nicht fest. Nach dem Eingang des Bescheids der Agentur für Arbeit vom 24. November 2008 kündigte die Beklagte ihr Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit zwei inhaltsgleichen Schreiben vom 26. November 2008 ordentlich zum 28. Februar 2009, wobei ein Schreiben der Klägerin am 27. November 2008 übergeben worden und das andere Schreiben der Klägerin am 28. November 2008 mit der Post zugegangen ist.
Mit ihrer am 8. Dezember 2008 beim Arbeitsgericht Leipzig eingegangenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 26. November 2008 geltend gemacht. Sie hat gemeint, die Beklagte habe den Betriebsrat vor den Kündigungen nicht ordnungsgemäß angehört. Der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale L sei nicht verhindert gewesen, das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 17. November 2008 zu den beabsichtigten Kündigungen entgegenzunehmen. Da die Stellvertreterin des Betriebsratsvorsitzenden der Filiale L am 17. November 2008 in H nicht zur Entgegennahme des Anhörungsschreibens berechtigt gewesen sei, sei die Frist von einer Woche, innerhalb der ein Betriebsrat dem Arbeitgeber Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung nach § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG mitteilen könne, nicht an diesem Tag in Gang gesetzt worden. Die Beklagte habe der Agentur für Arbeit die Massenentlassung nicht ordnungsgemäß angezeigt. Die Anzeige sei ohne die erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats der Filiale L erstattet worden. Der beigefügte, mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommene Interessenausgleich mit Namensliste habe die Stellungnahme des örtlichen Betriebsrats zu den beabsichtigten Entlassungen nicht ersetzt.
Die Klägerin hat beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 26. November 2008 nicht beendet worden ist. |
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, sie habe davon ausgehen dürfen, dass der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale L verhindert gewesen sei, an der Betriebsräteversammlung am 17. November 2008 in H teilzunehmen und entsprechend der Ankündigung im Einladungsschreiben ihr Anhörungsschreiben zu den beabsichtigten Kündigungen entgegenzunehmen. Der mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommene Interessenausgleich habe gemäß § 125 Abs. 2 InsO die nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG erforderliche Stellungnahme des Betriebsrats zu den beabsichtigten Entlassungen ersetzt. Der Gesamtbetriebsrat sei für den Abschluss des betriebsübergreifenden Interessenausgleichs zuständig gewesen und deshalb auch für die Stellungnahme gegenüber der Agentur für Arbeit im Rahmen der Massenentlassungsanzeige.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Die Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben sie deshalb zu Recht abgewiesen.
I. Die Kündigungsschutzklage ist zulässig. Allerdings erfasst der Wortlaut des Klageantrags mit der Formulierung „die ordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 26.11.2008“ nicht nur eine von der Beklagten an diesem Tag erklärte Kündigung. Damit wollte die Klägerin erkennbar dem Umstand Rechnung tragen, dass die Beklagte ihr das eine der beiden inhaltsgleichen Kündigungsschreiben vom 26. November 2008 am nachfolgenden Tag übergeben hat und ihr das andere Kündigungsschreiben vom 26. November 2008 am 28. November 2008 mit der Post zugestellt worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte mit den beiden inhaltsgleichen Kündigungsschreiben vom 26. November 2008 zwei rechtlich selbständige Kündigungen erklären wollte, liegen nicht vor. Die Beklagte hat nur einen auf die Erklärung einer einheitlichen Kündigung gerichteten Willen „doppelt verlautbart“ (vgl. BAG 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - BAGE 131, 155). Der Klageantrag der Klägerin kann interessengerecht so ausgelegt werden, dass er sich auf diese einheitliche Kündigung bezieht.
II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 26. November 2008 nach Ablauf der in § 113 Satz 2 InsO geregelten Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende und damit zum 28. Februar 2009 aufgelöst worden. Für ein Insolvenzverfahren mit Eigenverwaltung gelten nach § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO grundsätzlich die gleichen Vorschriften wie für ein Regelinsolvenzverfahren und somit auch die Vorschriften für die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
1. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Kündigung nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, weil der Betriebsrat der Filiale L vor der Kündigung nicht ordnungsgemäß gehört worden ist.
a) Die Beklagte hat die Kündigung am 26. November 2008 erst nach Ablauf der Frist von einer Woche erklärt, innerhalb der der Betriebsrat der Filiale L gemäß § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG unter Angabe der Gründe Bedenken gegen die ordentliche Kündigung mitzuteilen hatte. Deshalb kann dahingestellt bleiben, wann das Schreiben vom 24. November 2008, mit dem der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale L mitgeteilt hat, dass der Betriebsrat die Kündigungen zur Kenntnis nimmt, der Beklagten zugegangen ist und ob es sich bei dieser Mitteilung um eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats zur Kündigungsabsicht der Beklagten gehandelt hat.
b) Ohne Erfolg rügt die Klägerin, die Stellvertreterin des Betriebsratsvorsitzenden der Filiale L sei am 17. November 2008 in H nicht zur Entgegennahme des Anhörungsschreibens berechtigt gewesen, so dass die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG an diesem Tag nicht in Gang gesetzt und damit nicht gemäß § 187 Abs. 1 BGB iVm. § 188 Abs. 2 BGB am Montag, dem 24. November 2008, abgelaufen sei. Allerdings ist der Stellvertreter des Betriebsratsvorsitzenden kein zweiter Vorsitzender, sondern tritt nur im Verhinderungsfall in dessen Rechtsposition ein (Kreft in Wlotzke/Preis/Kreft BetrVG 4. Aufl. § 26 Rn. 26; ErfK/Koch 11. Aufl. § 26 BetrVG Rn. 3; DFL/Maschmann 3. Aufl. § 26 BetrVG Rn. 4). Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG ist im Fall der Verhinderung des Vorsitzenden des Betriebsrats sein Stellvertreter zur Entgegennahme von Erklärungen, die dem Betriebsrat gegenüber abzugeben sind, berechtigt. Entgegen der Ansicht der Klägerin war der Vorsitzende des Betriebsrats der Filiale L im Sinne dieser Vorschrift verhindert, am 17. November 2008 in H das Anhörungsschreiben der Beklagten entgegenzunehmen. Deshalb ist das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 17. November 2008 dem Betriebsrat der Filiale L mit der Aushändigung an die Stellvertreterin des Betriebsratsvorsitzenden an diesem Tag zugegangen und die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gemäß § 187 Abs. 1 BGB iVm. § 188 Abs. 2 BGB am Montag, dem 24. November 2008, und damit vor der Kündigung vom 26. November 2008 abgelaufen. Eine unter Anwesenden übergebene, verkörperte Erklärung wird durch ihre Aushändigung an den Adressaten wirksam (BAG 4. November 2004 - 2 AZR 17/04 - AP BGB § 623 Nr. 3 = EzA BGB 2002 § 130 Nr. 4).
c) Die Worte „im Fall seiner Verhinderung“ in § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bringen zum Ausdruck, dass der Stellvertreter des Vorsitzenden zur Entgegennahme von dem Betriebsrat gegenüber abzugebenden Erklärungen nur berechtigt ist, wenn und solange der Vorsitzende selbst verhindert ist (vgl. BAG 27. Juni 1985 - 2 AZR 412/84 - BAGE 49, 136, 144; 28. Februar 1974 - 2 AZR 455/73 - BAGE 26, 27, 30). Für die Beurteilung, unter welchen Voraussetzungen der Betriebsratsvorsitzende verhindert ist, gelten die für die zeitweilige Verhinderung eines Betriebsratsmitglieds nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG maßgebenden Grundsätze entsprechend (vgl. Fitting 25. Aufl. § 26 Rn. 45; Kreft in Wlotzke/Preis/Kreft BetrVG 4. Aufl. § 26 Rn. 27; ErfK/Koch 11. Aufl. § 26 BetrVG Rn. 3; HWK/Reichold 4. Aufl. § 26 BetrVG Rn. 12).
aa) Eine zeitweilige Verhinderung im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG liegt vor, wenn das Betriebsratsmitglied vorübergehend aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Eine tatsächliche Verhinderung ist zB bei der auswärtigen Wahrnehmung des Erholungs- oder Bildungsurlaubs, bei Kuraufenthalten, Dienstreisen oder der Teilnahme an Schulungs- oder Bildungsveranstaltungen anzunehmen (vgl. Kreft in Wlotzke/Preis/Kreft BetrVG 4. Aufl. § 25 Rn. 10; Fitting 25. Aufl. § 25 Rn. 17; ErfK/Koch 11. Aufl. § 25 BetrVG Rn. 4; HWK/Reichold 4. Aufl. § 25 BetrVG Rn. 5; DFL/Maschmann 3. Aufl. § 25 BetrVG Rn. 3).
bb) Ist ein Betriebsratsvorsitzender aufgrund einer solchen Ortsabwesenheit tatsächlich verhindert, im Betrieb Erklärungen entgegenzunehmen, die dem Betriebsrat gegenüber abzugeben sind, zB ein Anhörungsschreiben des Arbeitgebers zu einer beabsichtigten Kündigung, ist gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG sein Stellvertreter zur Entgegennahme berechtigt. So verhält es sich aber auch, wenn dem Betriebsrat rechtzeitig angekündigt wird, wann und wo der Arbeitgeber ihm gegenüber außerhalb des Betriebs eine Erklärung abgeben will, die Entgegennahme dieser Erklärung des Arbeitgebers außerhalb des Betriebs vom Betriebsrat bzw. seinem Vorsitzenden nicht abgelehnt wird und der Betriebsratsvorsitzende die Erklärung des Arbeitgebers aufgrund Ortsabwesenheit nicht entgegennehmen kann. Auch in diesem Fall ist der Vorsitzende des Betriebsrats aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage und damit im Sinne von § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG verhindert, die Erklärung des Arbeitgebers entgegenzunehmen mit der Folge, dass sein Stellvertreter zur Entgegennahme berechtigt ist und eine schriftliche Erklärung dem Betriebsrat zugeht, wenn sie mit Einverständnis des Stellvertreters diesem außerhalb des Betriebs ausgehändigt wird.
2. Ohne Erfolg rügt die Klägerin, die Beklagte habe die Massenentlassung der Agentur für Arbeit nicht ordnungsgemäß angezeigt, weil sie ihrer Anzeige entgegen § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG keine Stellungnahme des Betriebsrats der Filiale L zu den Kündigungen beigefügt habe. Diese Stellungnahme hat der am 17. November 2008 zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommene Interessenausgleich gemäß § 270 Satz 2 InsO iVm. § 125 Abs. 2 InsO ersetzt.
a) Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG hat der Arbeitgeber bei nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KSchG der Agentur für Arbeit anzuzeigenden Entlassungen der schriftlichen Anzeige die Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen beizufügen. Die Pflicht zur Anzeige nach § 17 KSchG bei Massenentlassungen gilt auch für den Insolvenzverwalter (FK-InsO/Eisenbeis 5. Aufl. § 125 Rn. 26; Zwanziger Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung 4. Aufl. § 125 Rn. 112). Es kann wie in der bisherigen Rechtsprechung (vgl. BAG 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 38 = EzA KSchG § 17 Nr. 22; 29. November 2007 - 2 AZR 763/06 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 95 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 79; 13. Juli 2006 - 6 AZR 198/06 - Rn. 21, BAGE 119, 66; 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - Rn. 32, BAGE 117, 281) offenbleiben, ob Kündigungen, die der Arbeitgeber erklärt, ohne zuvor die nach § 17 Abs. 1 KSchG erforderliche Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß vorzunehmen, stets unwirksam sind (in diesem Sinne KR/Weigand 9. Aufl. § 17 KSchG Rn. 91; ErfK/Kiel 11. Aufl. § 17 KSchG Rn. 31; Mückl ArbR 2011, 238). In der Regel führen die Unterlassung der Massenentlassungsanzeige vor der Kündigung oder eine den Anforderungen des § 17 KSchG nicht genügende Anzeige allerdings dazu, dass die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht auflösen kann und deshalb der Kündigungsschutzklage stattzugeben ist (vgl. BAG 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - aaO).
b) Entgegen der Ansicht der Klägerin musste die Beklagte ihrer Massenentlassungsanzeige vom 21. November 2008 jedoch keine Stellungnahme des Betriebsrats der Filiale L zu den von ihr beabsichtigten Entlassungen beifügen. Es reichte aus, dass sie die Massenentlassungsanzeige unter Beifügung einer Ausfertigung des am 17. November 2008 zwischen ihr und dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommenen Interessenausgleichs erstattet hat. § 125 Abs. 2 InsO regelt, dass der Interessenausgleich nach § 125 Abs. 1 InsO die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt. In dem am 17. November 2008 zustande gekommenen Interessenausgleich waren die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden sollte, namentlich bezeichnet. Damit hat der der Massenentlassungsanzeige beigefügte Interessenausgleich die in § 125 Abs. 1 InsO genannte Voraussetzung einer namentlichen Bezeichnung der Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, erfüllt.
c) Allerdings regelt § 125 Abs. 2 InsO nicht ausdrücklich, dass auch ein mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommener Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt. Der Wortlaut des § 125 Abs. 2 InsO schließt dies jedoch auch nicht aus. Er spricht vielmehr für dieses Verständnis. Die Formulierung „Der Interessenausgleich nach Abs. 1 ersetzt …“ erfasst dem Wortlaut nach jeden qualifizierten Interessenausgleich mit Namensliste unabhängig davon, ob dieser mit dem Betriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommen ist.
d) Sinn und Zweck der Regelung in § 125 Abs. 2 InsO bestätigen dieses Verständnis. Die Vorschrift soll dem Insolvenzverwalter eine Erleichterung bei einer Massenentlassung bringen (Zwanziger Kommentar zum Arbeitsrecht der Insolvenzordnung 4. Aufl. § 125 Rn. 112). Sie dient der Beschleunigung des Verfahrens bei Massenentlassungen und lässt es deshalb ausreichen, dass der Insolvenzverwalter seiner schriftlichen Anzeige der Massenentlassung eine Ausfertigung des Interessenausgleichs mit Namensliste beifügt (Graf-Schlicker InsO 2. Aufl. § 125 Rn. 31). Die Norm bezweckt damit möglichst schnelle Sanierungen und will Verzögerungen bei der Abwicklung der Rechtsverhältnisse des Schuldners vermeiden (BT-Drucks. 12/2443 S. 149). Dieses Ziel der Vereinfachung und Beschleunigung würde aber bei betriebsübergreifenden Betriebsänderungen zur Sanierung des Unternehmens verfehlt, wenn ein mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommener Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG nicht ersetzen würde, sondern der Insolvenzverwalter trotz des mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommenen Interessenausgleichs mit Namensliste noch die Stellungnahmen der einzelnen Betriebsräte zu den beabsichtigten Entlassungen seiner Massenentlassungsanzeige beifügen müsste.
e) Auch die Gesetzessystematik gibt das Auslegungsergebnis vor.
aa) Gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Wird ein geplanter Personalabbau auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzepts durchgeführt und sind mehrere Betriebe von der Betriebsänderung betroffen, so dass das Verteilungsproblem nur auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats gelöst werden kann, ist dieser damit gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG für den Abschluss eines betriebsübergreifenden Interessenausgleichs mit Namensliste zuständig (vgl. BAG 8. Juni 1999 - 1 AZR 831/98 - BAGE 92, 11; 23. Oktober 2002 - 7 ABR 55/01 - AP BetrVG 1972 § 50 Nr. 26 = EzA BetrVG 2001 § 50 Nr. 1; Fitting 25. Aufl. § 50 Rn. 59). Aufgrund dieser Zuständigkeit ist es in einem solchen Fall konsequent, dass nicht die für den Abschluss des Interessenausgleichs und die Aufstellung der Namensliste nicht zuständigen örtlichen Betriebsräte gegenüber der Agentur für Arbeit jeweils zu den geplanten Entlassungen Stellung nehmen, sondern der mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommene Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahmen der einzelnen Betriebsräte nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt (so Mückl ArbR 2011, 238, 239; Niklas/Koehler NZA 2010, 913, 916; wohl auch Krieger/Ludwig NZA 2010, 919, 923, die jedoch anraten, vorsorglich den Gesamtbetriebsrat und den jeweiligen Betriebsrat zu beteiligen).
bb) In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (19. Juni 2007 - 2 AZR 304/06 - BAGE 123, 160) ist anerkannt, dass nicht nur in einem mit dem Betriebsrat, sondern auch in einem mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommenen Interessenausgleich die Arbeitnehmer im Sinne von § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG bezeichnet werden können, denen gekündigt werden soll (ebenso KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 703f; DFL/Kaiser 3. Aufl. § 1 KSchG Rn. 230, 234; ErfK/Oetker 11. Aufl. § 1 KSchG Rn. 360; Fitting 25. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 57; Ohlendorf/Salamon NZA 2006, 131, 132; Gaul BB 2004, 2686, 2687; aA Kittner/Däubler/Zwanziger/Deinert KSchR 8. Aufl. § 1 KSchG Rn. 715; Fischer BB 2004, 1001, 1003). Die Namensliste ist Teil des Interessenausgleichs (KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 703f). Eine nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG begründete originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zur Regelung einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit ist nicht auf eine Rahmenkompetenz beschränkt. Eine einheitliche mitbestimmungspflichtige Angelegenheit kann nicht aufgespalten werden in Teile, die in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fallen, und solche, für welche die örtlichen Betriebsräte zuständig sind (BAG 14. November 2006 - 1 ABR 4/06 - BAGE 120, 146). Ist der Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG aber für den Interessenausgleich und damit auch für die Aufstellung einer Namensliste mit dem Insolvenzverwalter zuständig, kann nur auf dieser Ebene geklärt werden, welche Arbeitnehmer entlassen und welche Arbeitnehmer in welchem Betrieb weiterbeschäftigt werden (vgl. KR/Griebeling 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 703f.). Eine (zusätzliche) Stellungnahme der örtlichen Betriebsräte gegenüber der Agentur für Arbeit zu den beabsichtigten Entlassungen wäre letztlich keine Stellungnahme zu den vom Insolvenzverwalter geplanten Entlassungen, sondern eine im Gesetz nicht vorgesehene Würdigung des mit dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommenen Interessenausgleichs mit Namensliste durch die örtlichen Betriebsräte.
f) Sinn und Zweck der Regelungen in § 17 KSchG stehen dem Auslegungsergebnis nicht entgegen.
aa) § 17 KSchG dient dem Schutz der Arbeitnehmer vor den Folgen von Massenentlassungen. Die Vorschrift zielt primär auf arbeitsmarktliche Maßnahmen, die von der Massenentlassung betroffene Arbeitnehmer letztlich vor Arbeitslosigkeit bewahren sollen (KR/Weigand 9. Aufl. § 17 KSchG Rn. 7). Der Agentur für Arbeit soll die Möglichkeit verschafft werden, rechtzeitig Maßnahmen zur Vermeidung oder wenigstens zur Verzögerung von Belastungen des Arbeitsmarktes einzuleiten und für anderweitige Beschäftigungen der Entlassenen zu sorgen (BAG 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 38 = EzA KSchG § 17 Nr. 22; 23. März 2006 - 2 AZR 343/05 - Rn. 30, BAGE 117, 281). Dazu ist mit Art. 2 der Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen - MERL (ABl. EG L 225 vom 12. August 1998 S. 16) und mit der Umsetzung dieser Bestimmung in nationales Recht den Arbeitnehmern als Gemeinschaft in § 17 KSchG ein kollektiv ausgestaltetes Recht auf Information und Konsultation eingeräumt worden (EuGH 16. Juli 2009 - C-12/08 - [Mono Car Styling] Rn. 42, Slg. 2009, I-6653; BAG 22. April 2010 - 6 AZR 948/08 - AP KSchG 1969 § 17 Nr. 38 = EzA KSchG § 17 Nr. 22).
bb) Dieser Zweck erfordert es nicht, dass nur ein örtlicher Betriebsrat als Arbeitnehmervertretung bzw. als Gemeinschaft von Arbeitnehmern verstanden wird und deshalb nur ein vom örtlichen Betriebsrat mit dem Insolvenzverwalter abgeschlossener Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG ersetzt. Das Argument der Klägerin, nur der örtliche Betriebsrat kenne die örtlichen arbeitsmarktpolitischen Besonderheiten und könne diese in seiner Stellungnahme einbringen, überzeugt nicht. Erforderliche Kenntnisse des Gesamtbetriebsrats über die betrieblichen und regionalen Verhältnisse sind entgegen der Ansicht der Klägerin dadurch gewährleistet, dass nach Maßgabe des § 47 Abs. 2 Satz 1 BetrVG jeder örtliche Betriebsrat in den Gesamtbetriebsrat mindestens ein Mitglied entsendet.
g) Die gebotene richtlinienkonforme Auslegung des § 125 Abs. 2 InsO und des § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG anhand des Wortlauts und des Zwecks der MERL gibt kein anderes Ergebnis vor.
aa) Die MERL enthält selbst keine Regelung, wonach der Anzeige der Massenentlassung eine Stellungnahme einer bestimmten Arbeitnehmervertretung beigefügt werden muss. Nach Art. 2 Abs. 1 MERL hat ein Arbeitgeber, der beabsichtigt, Massenentlassungen vorzunehmen, die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. Die Anzeige der Massenentlassung hat gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 3 MERL ua. alle zweckdienlichen Angaben über die beabsichtigte Massenentlassung und die Konsultationen der Arbeitnehmervertreter gemäß Art. 2 MERL zu enthalten.
bb) Der Senat ist nicht gehalten, dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Frage vorzulegen, ob Arbeitnehmervertreter iSd. MERL stets nur die Mitglieder des örtlichen Betriebsrats sind oder bei betriebsübergreifenden Massenentlassungen auch die Mitglieder des Gesamtbetriebsrats Arbeitnehmervertreter iSd. MERL sein können. Diese Frage bedarf keiner Beantwortung durch den Gerichtshof der Europäischen Union am Maßstab des Gemeinschaftsrechts (zur Vorlagepflicht vgl. BVerfG 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 - EzA KSchG § 17 Nr. 21). Die Frage, ob der Gesamtbetriebsrat oder der örtliche Betriebsrat für Konsultationen mit dem Arbeitgeber über beabsichtigte Massenentlassungen zuständig ist, betrifft nicht die Auslegung von Unionsrecht, sondern ausschließlich die Anwendung nationalen Rechts. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG aufgrund einer unterbliebenen Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union liegt nicht vor, wenn die unionsrechtliche Rechtslage klar ist und nur die Rechtslage nach nationalem Recht ungeklärt und umstritten ist (BVerfG 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 - aaO). Aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 10. September 2009 (- C-44/08 - [Akavan Erityisalojen Keskusliitto] Slg. 2009, I-8163) folgt nichts anderes. Diese Entscheidung betrifft die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Verpflichtung des Arbeitgebers besteht, mit Konsultationen zu beginnen. Zu der Frage, welche Arbeitnehmervertreter der Arbeitgeber rechtzeitig zu konsultieren hat, verhält sich die Entscheidung nicht.
cc) Das Argument der Klägerin, unter Betrieb im Sinne von § 17 KSchG sei bei richtlinienkonformer Auslegung der örtliche Betrieb zu verstehen, trägt nicht. Auf die Auslegung des Begriffs „Betrieb“ kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht an, sondern darauf, ob bei einer betriebsübergreifenden Massenentlassung der Gesamtbetriebsrat für die erforderlichen Konsultationen zuständig ist.
III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
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Fischermeier |
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Brühler |
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Spelge |
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D. Knauß |
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Wollensak |