Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 15.10.2018


BVerwG 15.10.2018 - 6 A 8/18, 6 A 8/18 (6 A 3/16)

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
6. Senat
Entscheidungsdatum:
15.10.2018
Aktenzeichen:
6 A 8/18, 6 A 8/18 (6 A 3/16)
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2018:151018B6A8.18.0
Dokumenttyp:
Beschluss

Gründe

1

Der Senat hat mit Urteil vom 30. Mai 2018 - BVerwG 6 A 3.16 - die Klage der Klägerin, mit der sie sich gegen die von dem Bundesministerium des Innern ausgesprochene Verpflichtung zur Mitwirkung an Maßnahmen der strategischen Fernmeldeüberwachung des Bundesnachrichtendienstes sowie die Auswahl der tatsächlich zu überwachenden Übertragungswege durch den Bundesnachrichtendienst wendet, zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Anhörungsrüge der Klägerin.

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1. Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO, deren Verletzung nach § 152a VwGO gerügt werden kann, verpflichtet das Gericht, das Vorbringen jedes Verfahrensbeteiligten bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Der Gehörsanspruch verlangt jedoch nicht, dass das Gericht das gesamte Vorbringen der Beteiligten in den Gründen einer Entscheidung wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen hat. Vielmehr sind in der Entscheidung nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht nicht auf sämtliche Begründungselemente des Beteiligtenvorbringens eingegangen ist, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht berücksichtigt, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <209 f.>; Beschlüsse vom 21. Juni 2007 - 2 B 28.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 3 Rn. 6 und vom 21. März 2017 - 6 C 5.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:210317B6C5.17.0] - juris Rn. 2).

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Eine nach § 152a VwGO rügefähige Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs kann auch auf dem Erlass einer Überraschungsentscheidung beruhen. Ein Überraschungsurteil liegt nur vor, wenn das Gericht, das auf den Inhalt der beabsichtigten Entscheidung regelmäßig nicht vorab hinweisen muss, auf eine rechtliche Sichtweise oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013 - 6 C 9.12 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 180 Rn. 38 m.w.N.; Beschlüsse vom 29. Juni 2011 - 6 B 7.11 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 410 Rn. 8, vom 1. Juni 2015 - 9 B 61.14 - juris Rn. 18 und vom 18. Dezember 2017 - 6 B 52.17 [ECLI:DE:BVerwG:2017:181217B6B52.17.0] - juris Rn. 6). Im Anwaltsprozess ist Maßstab der gewissenhafte und kundige Prozessbevollmächtigte, der die vertretbaren Auffassungen in den Blick nimmt (stRspr, vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190> und vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.>; Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 [ECLI:DE:BVerfG:1998:rs19980714.1bvr164097] - BVerfGE 98, 218 <263>; BVerwG, Beschluss vom 23. Januar 2018 - 6 B 67.17 [ECLI:DE:BVerwG:2018:230118B6B67.17.0] - NJW 2018, 1896 Rn. 22).

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2. Nach diesen Maßstäben hat die Anhörungsrüge keinen Erfolg. Das Verfahren ist nicht fortzuführen, weil die Klägerin nicht aufgezeigt hat, dass das Urteil vom 30. Mai 2018 auf einem Gehörsverstoß beruht (§ 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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a) Die Klägerin macht geltend, das Gericht habe erstmals in den Urteilsgründen die Auffassung vertreten, die ihr per E-Mail übersandten "Statustabellen" des Bundesnachrichtendienstes seien Verwaltungsakte. Damit habe keiner der Beteiligten rechnen müssen. Sie habe vorgetragen, dass die "Statustabellen" nicht als Verwaltungsakte zu qualifizieren seien und der Bundesnachrichtendienst insoweit außerhalb seiner Zuständigkeit handele. Die Beklagte habe sich dieser Auffassung angeschlossen. Im Falle einer Qualifizierung als Verwaltungsakte habe sie schriftsätzlich um einen sachdienlichen Hinweis gebeten, auch um ihren in der Klageschrift angekündigten, auf Aufhebung der "Statustabellen" gerichteten Hilfsantrag unter Ziff. 2. b) stellen und weiter begründen zu können. Die Auffassung des Gerichts, die "Statustabellen" seien als Verwaltungsakte anzusehen, sei daher überraschend gewesen und habe ihrem Rechtsschutzbedürfnis nicht Rechnung getragen. Es sei ihr nicht um die Klärung der Vorfrage gegangen, ob der Bundesnachrichtendienst befugt gewesen sei, eine verbindliche Entscheidung über die Auswahl der zu überwachenden Übertragungswege zu treffen, sondern sie habe ein Interesse an der Aufhebung der "Statustabellen" gehabt, wenn sie rechtswidrig gewesen seien.

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Mit diesem Vorbringen hat die Klägerin einen Gehörsverstoß in Gestalt eines Überraschungsurteils nicht aufgezeigt. Das Gericht hat in dem Urteil - anders als die Klägerin meint - nicht entschieden, dass es sich bei den von ihrem angekündigten Hilfsantrag erfassten "Statustabellen" um Verwaltungsakte handelt. Es hat in entscheidungserheblicher Weise allein über die Frage entschieden, ob dem Bundesnachrichtendienst für die Auswahl der Übertragungswege gegenüber dem verpflichteten Telekommunikationsunternehmen eine Verwaltungsaktsbefugnis zusteht. Mit dieser Entscheidung mussten die anwaltlich vertretenen Beteiligten rechnen. Zum einen ist die Frage der Kompetenz des Bundesnachrichtendienstes zur verbindlichen Auswahl der tatsächlich zu überwachenden Übertragungswege schriftsätzlich vor dem Hintergrund der Ein- oder Zweistufigkeit des Verfahrens diskutiert worden. Zum anderen hat das Gericht die Frage der daraus resultierenden Antragstellung - wie die Klägerin selbst einräumt - mit den Beteiligten einschließlich des Erfordernisses der Stellung des Hilfsantrags unter Ziff. 2. b) erörtert. Die Klägerin hat schließlich allein den im Urteil angeführten Klageantrag zu 2. gestellt und an ihrem angekündigten Hilfsantrag nicht mehr festgehalten. Dass die Klägerin die Erläuterungen des Gerichts - wie sie in der Rügebegründung darlegt - missverstanden hat, rechtfertigt nicht die Annahme einer Überraschungsentscheidung.

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b) Die Klägerin sieht des Weiteren einen Gehörsverstoß darin, dass das Gericht die ihr gegenüber ergangenen "Teilanordnungen" als selbstständige Verpflichtungsanordnungen und nicht als Bestandteil der auf § 5 G10 gestützten Beschränkungsanordnungen gewertet hat. Sie habe im Verfahren vorgetragen, die "Teilanordnungen" seien nichts anderes als eine auszugsweise Kopie der Beschränkungsanordnung, die dem verpflichteten Unternehmen nach § 10 Abs. 6 G10 mitzuteilen sei. Es handele sich bei den "Teilanordnungen" nicht um selbstständige Verwaltungsakte, die auf § 2 Abs. 1 Satz 3 G10 beruhten. Weder werde die Norm in den Verwaltungsvorgängen erwähnt noch hätten die Beteiligten diese Norm als Rechtsgrundlage schriftsätzlich erörtert. Das Gericht habe ihren Vortrag rechtsschutzverkürzend ausgelegt und demzufolge wesentliche Teile ihres die Rechtmäßigkeit der Beschränkungsanordnungen in Frage stellenden Vorbringens unberücksichtigt gelassen.

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Indes rechtfertigt auch diese Begründung nicht die Annahme eines Gehörsverstoßes. Entgegen ihrer Darstellung konnte die Klägerin zu der Frage des § 2 Abs. 1 Satz 3 G10 als Rechtsgrundlage für die Verpflichtungsanordnungen hinreichend Stellung nehmen. Anlass hierfür bestand zum einen, weil - anders als in der Rügebegründung von der Klägerin angeführt - die Norm als Grundlage für ihre Verpflichtung in den Verwaltungsvorgängen sowohl in den Anträgen des Bundesnachrichtendienstes als auch in der Begründung der Beschränkungsanordnungen erwähnt wird. Zum anderen hat die Beklagte bereits in ihrer Klageerwiderung vom 20. Februar 2017 auf S. 15 f. die Norm als Grundlage für die Verpflichtung der Klägerin zur Mitwirkung hervorgehoben. Darüber hinaus hat das Gericht die Beklagte mit Verfügung vom 3. Mai 2018 zur Erläuterung aufgefordert, welche Verhaltenspflichten der Klägerin nach § 2 Abs. 1 Satz 3 und 5 G10 durch die streitgegenständlichen "Teilanordnungen" auferlegt werden. Hierzu hat sich die Beklagte eingehend mit Schriftsatz vom 17. Mai 2018 geäußert, der der Klägerin zur Kenntnis gegeben worden ist. In der mündlichen Verhandlung ist die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten erörtert worden.

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Im Übrigen legt die Klägerin mit ihrem Vorbringen dar, dass aus ihrer Sicht das Gericht in der Sache fehlerhaft entschieden hat. Hieraus ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen Gehörsverstoß (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2014 - 6 PKH 10.13 - Buchholz 310 § 152a VwGO Nr. 14 Rn. 3).

10

c) Aus dem letztgenannten Grund muss auch die weitere Gehörsrüge erfolglos bleiben, mit der die Klägerin geltend macht, das Gericht habe sich in den Urteilsgründen nicht eingehend mit der Frage beschäftigt, ob die zugrunde liegenden Rechtsbestimmungen überhaupt verfassungsgemäß seien. Ausgehend von der für die Beurteilung einer Gehörsverletzung maßgebenden Rechtsauffassung des Gerichts gab der Vortrag der Klägerin im Klageverfahren keine Veranlassung zu weitergehenden Ausführungen im Urteil.

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3. Die Kostenentscheidung für das Anhörungsrügeverfahren folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.