Entscheidungsdatum: 10.08.2011
I.
Dem vom Niedersächsischen Landtag eingesetzten 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss obliegt die Aufgabe, die Vorgänge um die Schachtanlage Asse II, in der unter anderem radioaktive Abfallstoffe gelagert sind, aufzuklären. Der Ausschuss beschloss, Beweis zu erheben durch die Beiziehung aller im Hessischen Hauptstaatsarchiv archivierten Akten, Schriftstücken und sonstigen Unterlagen, die im Zusammenhang mit Strafverfahren stehen, die in Bezug auf die Firmen ALKEM, NUKEM und Transnuklear geführt wurden. Dies lehnte der Beklagte im Wesentlichen unter Hinweis auf die Regelung der Archivbenutzung nach dem Hessischen Archivgesetz ab. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Verurteilung des Beklagten, alle Akten und Urkunden vorzulegen sowie alle elektronischen Dokumente zu übermitteln, die im Zusammenhang mit Strafverfahren stehen, die in Bezug auf die Firmen ALKEM, NUKEM und Transnuklear geführt wurden und die den Sachverhalt des Untersuchungsauftrags betreffen.
II.
Aufgrund der Rüge der Beklagten in dem Parallelverfahren BVerwG 6 A 1.11 entscheidet der Senat auch hier nach § 83 Satz 1 VwGO und § 17a Abs. 3 GVG vorab über den Rechtsweg und die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts.
Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten und die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts sind gegeben. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen zwei Ländern (§ 40 Abs. 1 Satz 1, § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
1. Die für die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung der Streitsache zwischen zwei Ländern vorausgesetzte Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs liegt vor. Insbesondere handelt es sich um eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Für die Abgrenzung eines verfassungsrechtlichen Streits zwischen Ländern, über den das Bundesverfassungsgericht zu befinden hat (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 GG, § 13 Nr. 8 BVerfGG), von einem nichtverfassungsrechtlichen Länderstreit ist maßgebend, inwieweit das streitige Rechtsverhältnis durch Verfassungsrecht oder durch einfaches Recht geprägt ist (vgl. Beschluss vom 5. Februar 1976 - BVerwG 7 A 1.76 - BVerwGE 50, 124 <130>; zum Bund-Länder-Streit vgl.: Beschluss vom 13. August 1999 - BVerwG 2 VR 1.99 - BVerwGE 109, 258 <259 f.> und Urteil vom 24. Juli 2008 - BVerwG 7 A 2.07 - Buchholz 451.171 § 9a AtG Nr. 2 Rn. 10; jeweils m.w.N.). Insoweit ist entscheidend, ob der Klageanspruch in dem verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen Ländern oder ob er in einem engeren Rechtsverhältnis wurzelt, das durch Normen des einfachen Rechts geprägt ist (vgl. BVerfG; Urteil vom 7. April 1976 - 2 BvH 1/75 - BVerfGE 42, 103 <113> und Beschluss vom 23. November 1982 - 2 BvH 1/79 - BVerfGE 62, 295 <313>; zum Bund-Länder-Streit vgl.: Urteil vom 24. Januar 2007 - BVerwG 3 A 2.05 - BVerwGE 129, 99 Rn. 15; BVerfG, Beschluss vom 7. Oktober 2003 - 2 BvG 1, 2/02 - BVerfGE 109, 1 <6>; jeweils m.w.N.). Auf die Vorstellung des Klägers von der Rechtsnatur des Streitverhältnisses kommt es nicht an (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. November 1982 a.a.O. S. 313). Gemessen an den vorstehenden Grundsätzen handelt es sich hier um eine nichtverfassungsrechtliche Streitigkeit. Der geltend gemachte Anspruch wurzelt nicht im verfassungsrechtlichen Grundverhältnis zwischen Ländern, sondern im einfachen öffentlichen Recht.
Die erstrebte Vorlage bzw. Übermittlung von Akten, Unterlagen und elektronischen Dokumenten durch den Beklagten soll Aufschluss über die Vorgänge im Zusammenhang mit der Schachtanlage Asse II geben. Sie dient der Erhebung von Beweisen durch den 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Niedersächsischen Landtages. Begehrt ein Untersuchungsausschuss eines Landesparlaments gegenüber einem anderen Land, dass ihm zum Zwecke der Beweiserhebung bestimmte Materialien zugänglich gemacht werden, kann er sich auf den allgemeinen Anspruch auf Gewährung von Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG stützen (vgl. Beschluss vom 13. August 1999 a.a.O. S. 268, zum Bund-Länder-Streit; Glauben, in: ders./Brocker, Das Recht der Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern, 2. Aufl. 2011, § 17 Rn. 13
Art. 35 GG sagt nichts über den Umfang der Verpflichtung zur Amtshilfe aus, insbesondere nichts darüber, inwieweit aus einfachem Recht oder dem Grundgesetz Schranken der Verpflichtung zum gegenseitigen Beistand herzuleiten sind (vgl. Urteile vom 8. April 1976 - BVerwG 2 C 15.74 - BVerwGE 50, 301 <310> und vom 12. Oktober 1971 - BVerwG 6 C 99.67 - BVerwGE 38, 336 <340>). Art. 35 GG erweist sich deshalb als eine auf das Grundsätzliche beschränkte Bestimmung, die im besonderen Maß der Ausfüllung durch das einfache Recht bedarf (vgl. Erbguth, in: Sachs
2. Das Bundesverwaltungsgericht ist sachlich zuständig und hat im ersten und letzten Rechtszug über den Antrag zu befinden (§ 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Die Vorschrift des § 50 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist eng auszulegen und soll von den allgemein geltenden Zuständigkeitsregeln u.a. nur solche Streitigkeiten ausnehmen, die in ihrer Eigenart gerade durch die Beziehung zwischen den Ländern geprägt sind und sich ihrem Gegenstand nach einem Vergleich mit landläufigen Verwaltungsstreitigkeiten entziehen. Dies trifft jedenfalls für Streitigkeiten zu, bei denen über die Abgrenzung der beiderseitigen Hoheitsbefugnisse und der Rechtsstellung zueinander zu entscheiden ist (vgl. Beschluss vom 13. August 1999 a.a.O. S. 261 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Beteiligten streiten darüber, ob und inwieweit der Beklagte verpflichtet ist, dem Beweisbeschluss uneingeschränkt nachzukommen. Diese Frage betrifft die Abgrenzung der beiderseitigen Hoheitsbefugnisse im Rahmen einer grundsätzlich zu leistenden Amtshilfe und begründet die sachliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts, ohne dem Verfahren seinen verwaltungsrechtlichen Charakter zu nehmen.