Entscheidungsdatum: 06.05.2014
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Juni 2013 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge und versuchtem Totschlag zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Der Beanstandung liegt im Wesentlichen folgendes Geschehen zugrunde:
In der Hauptverhandlung vom 7. März 2013 beantragte der Angeklagte die Entbindung seines Pflichtverteidigers, weil dieser die Verteidigung des Angeklagten durch Einwirken auf zwei Zeuginnen gegen dessen Willen eingeschränkt und damit das Vertrauensverhältnis schwerwiegend gestört habe. Mit außerhalb der Hauptverhandlung ergangenem und dem inhaftierten Angeklagten am 22. April 2013 formlos per Post übersandten Beschluss vom 19. April 2013 wies der Vorsitzende den Entpflichtungsantrag zurück. Die Vorwürfe des Angeklagten lägen neben der Sache, würden dem bisherigen Einsatz des Verteidigers nicht gerecht und stellten sich entsprechend einer durch den Verteidiger in anderem Zusammenhang gebrauchten Formulierung als „Theaterdonner" dar. Im nachfolgenden Hauptverhandlungstermin vom 25. April 2013 lehnte der Angeklagte den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er machte unter anderem geltend, dass der Vorsitzende im Zurückweisungsbeschluss das Wort „Theaterdonner" aufgegriffen und verwendet habe, als sei damit „glasklar erwiesen", dass der Verteidiger fair gearbeitet und ihn nicht seiner Rechte beraubt habe.
Die Schwurgerichtskammer verwarf den Befangenheitsantrag unter Mitwirkung des abgelehnten Vorsitzenden im Termin vom 13. Mai 2013 als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 und 3 StPO. Der Angeklagte habe weder ein Mittel zur Glaubhaftmachung noch einen geeigneten Ablehnungsgrund angegeben. Betreffend die Formulierung „Theaterdonner" habe er offengelassen, inwiefern hierdurch Zweifel an der Unvoreingenommenheit des abgelehnten Richters begründet seien. Das Gesuch ziele ersichtlich nicht auf das Ausscheiden des abgelehnten Richters ab, sondern ausschließlich auf die Entpflichtung des Verteidigers und erweise sich damit als Missbrauch des Instituts der Richterablehnung.
2. Die zulässig erhobene Verfahrensrüge führt zur Urteilsaufhebung. Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO ist gegeben. Bei dem angegriffenen Urteil wirkte ein Richter mit, nachdem ein gegen ihn gerichtetes Ablehnungsgesuch unter Verletzung des § 26a StPO in einer unter dem Aspekt des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vertretbaren Weise verworfen worden war.
a) Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts wäre das Gesuch des Angeklagten nicht schon mangels Glaubhaftmachung der Wahrung des Unverzüglichkeitserfordernisses nach § 26a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 26 Abs. 2 Satz 1 und § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO zu verwerfen gewesen. Denn der Glaubhaftmachung der zugrunde liegenden Tatsachen bedurfte es nicht, weil sich diese aus den Akten ergaben (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 1976 - 2 StR 527/76; siehe auch BGH, Beschluss vom 29. August 2006 - 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161, 162; KK-Scheuten, 7. Aufl., § 26 StPO Rn. 4). Die Ablehnung erfolgte auch rechtzeitig. Die Übersendung des Beschlusses vom 19. April 2013 wurde am 22. April 2013 ausgeführt und konnte den Angeklagten demgemäß frühestens am 23. April 2013 erreichen. Zwar kann es das Unverzüglichkeitsgebot in Anbetracht des anzulegenden strengen Maßstabs erfordern, das Gesuch schon während einer Verhandlungsunterbrechung zeitnah schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle anzubringen (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 344 f.; vom 5. April 1995 - 5 StR 681/94, BGHR StPO § 25 Abs. 2 Unverzüglich 4). Jedoch ist die im unmittelbar folgenden Hauptverhandlungstermin vom 25. April 2013 durchgeführte Antragstellung unter Anrechnung einer dem Angeklagten zuzubilligenden Überlegungsfrist hier als rechtzeitig anzusehen (vgl. auch BGH, Urteil vom 5. April 1995 - 5 StR 681/94, aaO).
b) Das Befangenheitsgesuch, das aus den vorgenannten Gründen auch hinsichtlich des Befangenheitsgrundes keine Glaubhaftmachung erforderte, hätte nicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO abgelehnt werden dürfen.
aa) Die Vorschrift des § 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StPO gestattet ausnahmsweise nur dann die Beteiligung des abgelehnten Richters an der Entscheidung über einen gegen ihn gestellten Befangenheitsantrag, wenn das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst von den Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist; hingegen darf der abgelehnte Richter über diese bloß formale Prüfung hinaus nicht an einer näheren inhaltlichen Untersuchung der Ablehnungsgründe auch unter dem Blickwinkel einer offensichtlichen Unbegründetheit mitwirken und sich auf diese Weise zum „Richter in eigener Sache" machen (vgl. BVerfG, NStZ-RR 2007, 275, 276 mwN; BGH, Beschlüsse vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 220; vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 15; vom 8. Juli 2009 - 1 StR 289/09, BGHR StPO § 26a Unzulässigkeit 19, jeweils mwN). Dabei muss die Auslegung des Ablehnungsgesuchs darauf ausgerichtet sein, es seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3410, 3412).
bb) Diesen Maßstäben wird der Zurückweisungsbeschluss der Schwurgerichtskammer nicht gerecht. Dem Befangenheitsgesuch ist die Besorgnis des Angeklagten zu entnehmen, dass der Vorsitzende das Vorbringen zur Beeinträchtigung seiner Verteidigungsinteressen durch den Pflichtverteidiger nicht ernst nehme („Theaterdonner") und sich deshalb vorschnell auf die Seite des Genannten gestellt habe. Damit hat er dessen Voreingenommenheit geltend gemacht, ohne dass weitere Ausführungen notwendig gewesen wären. Das durch ein Zitat belegte Ablehnungsgesuch konnte nicht als aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung des Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet angesehen werden. Denn es erforderte eine inhaltliche und keine rein formale Prüfung, ob die Aussage in der gewählten Formulierung aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochte (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06, aaO). Weil der abgelehnte Richter die Entscheidung selbst getroffen und damit eine inhaltliche Bewertung des Ablehnungsgesuchs in Nichtausschöpfung des Gesuchs versagt hat, ist der Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO in einer Weise überspannt worden, die im Blick auf die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar war (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - 5 StR 154/06, aaO). Daran vermag nichts zu ändern, dass das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters gemäß § 27 StPO wohl als unbegründet zu verwerfen gewesen wäre.
c) Die Voraussetzungen der zweiten Alternative des § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO waren gleichfalls nicht gegeben. Sie könnten allein dann erfüllt sein, wenn der Angeklagte ausschließlich verfahrensfremde Ziele verfolgt hätte. Dies kann anzunehmen sein, wenn mit haltloser Begründung versucht wird, das Institut der Richterablehnung als Druckmittel zur Durchsetzung genehmer oder zur Verhinderung unangenehmer Entscheidungen zu missbrauchen; die völlige Abwegigkeit der Ablehnungsgründe kann dabei die Sachfremdheit des angebrachten Gesuchs im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO indizieren (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2005 - 5 StR 180/05, aaO, S. 222; siehe auch BVerfG, NJW 2006, 3129, 3133). Davon kann hier angesichts nicht gänzlicher Unschlüssigkeit des Vorbringens des Angeklagten nicht ausgegangen werden.
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Für die neu durchzuführende Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die Verfahrensrüge Nr. 1, mit der geltend gemacht wird, dass die Ergebnisse der Durchsuchung des Ladenlokals des Angeklagten unverwertbar seien, hätte ungeachtet ihrer Zulässigkeit (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) keinen Erfolg gehabt. Mit Recht ist die Schwurgerichtskammer in ihrem Beschluss vom 15. Oktober 2013 davon ausgegangen, dass vor der durch den Angeklagten erteilten Zustimmung noch keine „Durchsuchung" im Sinne des Gesetzes stattgefunden hat. Der Polizeibeamte hat die Waffe beim (zulässigen) Durchqueren des Lokals nämlich lediglich erblickt, ohne irgendeine Maßnahme zu deren Auffinden getroffen zu haben. Die Feststellung der Schwurgerichtskammer, die Waffe habe in einem offenen Regalfach unter der Ladenkasse gelegen, deckt sich dabei mit dem Durchsuchungsbericht in Verbindung mit den vom Ladenlokal gefertigten Lichtbildern. Es kann deshalb offen bleiben, ob bei Annahme einer zunächst ohne richterliche Anordnung und ohne Zustimmung des Angeklagten erfolgten Durchsuchung ein Beweisverwertungsverbot abzulehnen gewesen wäre, wofür vor allem wegen der (nachträglich erteilten) Zustimmung des Angeklagten viel spricht.
b) Das neu entscheidende Tatgericht wird auch der Frage nachzugehen haben, ob sich der Angeklagte wegen vollendeten Mordes durch positives Tun strafbar gemacht hat. Das im angefochtenen Urteil festgestellte, indessen im Rahmen der Beweiswürdigung nicht näher erörterte fortbestehende erhebliche Interesse des Angeklagten an der Lebensgefährtin des Opfers, das sich auch in einem Anruf noch am Tattag dokumentiert hat (UA S. 7 f.), könnte die Annahme eines von vornherein geplanten Mordes aus niedrigen Beweggründen nahelegen, zumal andere Motive als eine durch den Angeklagten beabsichtigte Beseitigung des „Nebenbuhlers" nicht erkennbar sind. Das Verschlechterungsverbot aus § 358 Abs. 2 StPO stünde einer Verschärfung des Schuldspruchs dabei nicht entgegen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 123/14).
Sander Schneider Dölp
König Bellay