Entscheidungsdatum: 04.05.2011
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kiel vom 29. Oktober 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und das asservierte Tatmesser eingezogen. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen fühlte die 15 Jahre jüngere Ehefrau des 1956 in Stettin geborenen, nach einem Verkehrsunfall dauerhaft arbeitsunfähigen Angeklagten sich spätestens seit Herbst 2008 in ihrer Ehe unglücklich und versuchte seither, sich aus dieser zu lösen. Etwa im August 2009 lernte sie das spätere Tatopfer Sch. kennen und ging mit ihm eine Beziehung ein. Im November 2009 bezog sie eine „nur zwei Hausnummern“ von der gemeinsamen Wohnung entfernte eigene Wohnung. Der Angeklagte reagierte darauf sehr gekränkt. Zwei Tage nach ihrem Umzug besuchte er seine Ehefrau in deren neuer Wohnung. Es kam zwischen beiden zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Von den herbeigerufenen Polizeibeamten, die den Angeklagten zusammengekauert auf dem Bett der Ehefrau liegend vorfanden, ließ er sich freiwillig mitnehmen. Mit seinem Einverständnis wurde er in das Zentrum für integrative Psychiatrie in Kiel gebracht, dort etwa einen Monat lang stationär behandelt und schließlich mit der Diagnose einer „Störung der Impulskontrolle mit gewalttätigen Übergriffen vor dem Hintergrund von überwertigen Eifersuchtsideen“ (UA S. 10) in ambulante Weiterbehandlung entlassen. In der Folgezeit sah sich der Angeklagte gezwungen, die eheliche Wohnung zum 31. März 2010 aufzugeben.
Inzwischen beabsichtigte seine Ehefrau, gemeinsam mit ihren beiden jüngeren Kindern – der älteste Sohn befand sich in einem Internat – in das Haus von Sch. umzuziehen. Auf die Bemühungen des Angeklagten um klärende Gespräche ging sie immer weniger ein. Der Angeklagte entwickelte zunehmend die Vorstellung, dass Sch. es tatsächlich gar nicht auf seine Ehefrau, sondern – zumindest auch – auf seine 1994 geborene Tochter C. „abgesehen“ hätte (UA S. 11). Da die Sorgerechtssituation ungeklärt war und der Angeklagte seine Befürchtung mit seiner Ehefrau im Beisein von Sch. ausdiskutieren wollte, vereinbarte er telefonisch ein Treffen für den 28. März 2010 in der Wohnung der Ehefrau. Der Angeklagte begab sich mit Kuchen und einem Spielzeug für seinen jüngsten Sohn M. zu ihrer Wohnung. „Dabei führte er auch ein aus seiner Wohnung stammendes … einseitig geschliffenes Messer mit einer Gesamtlänge von ca. 33 cm, einer Klingenlänge von ca. 20 cm und einer maximalen Klingenbreite von 3 cm unter seiner Kleidung verborgen mit sich“ (UA S. 13). Ob er bereits zu diesem Zeitpunkt den Entschluss gefasst hatte, Sch. mit dem Messer zu töten oder auch nur zu verletzen, vermochte die Schwurgerichtskammer nicht sicher festzustellen.
Im Wohnzimmer der Ehefrau kam es zu einer Auseinandersetzung in teils angespannter Atmosphäre. Als sich die Stimmung erneut zu verschlechtern begann, brachte die Ehefrau ihren Sohn M. unter einem Vorwand aus dem Zimmer. Kurz nachdem sie das Zimmer verlassen hatte, vernahm sie „komische Geräusche“ und Schreie von Sch. aus dem Wohnzimmer. Sie begab sich unverzüglich zurück ins Wohnzimmer, wo sie den Angeklagten mit einem Messer auf der Couch stehend erblickte, während Sch. „halb sitzend, halb rücklings auf der Couch liegend versuchte, sich mit den Füßen gegen den Angeklagten zu wehren, und sich dabei den Bauch hielt“ (UA S. 14). Der Angeklagte hatte Sch. mit dem mitgebrachten Messer eine mindestens 25 cm tief in den Oberkörper eindringende kombinierte Schnitt-Stich-Verletzung zugefügt, in deren Folge es zu Verletzungen der Leber, des Dünndarms, der Milzvene und einer Nierenvene sowie der rechten Beckenschlagader kam. Darüber hinaus stach der Angeklagte Sch. in die linke Brustseite, was zu einer Verletzung der Lunge führte, und fügte ihm zwei weitere Stichverletzungen im Bereich der Extremitäten zu. Aufgrund der Verletzungen verstarb Sch. am folgenden Morgen im Krankenhaus.
Das Landgericht hat die Tat – unter Bejahung des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke – als Mord gewertet. Sachverständig beraten ist es zur Annahme der vollen Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt.
2. Der Schuldspruch hat keinen Bestand. Die Feststellungen des Urteils zur unmittelbaren Tatsituation tragen nicht die Annahme des Tatbestandsmerkmals der Heimtücke.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt heimtückisch, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen, noch mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (BGH, Urteil vom 26. November 1986 – 3 StR 372/86, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 2 mwN). Arg- und Wehrlosigkeit können auch gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige Auseinandersetzung vorausgeht, das Tatopfer aber nicht mit einem erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit rechnet (BGH, Urteil vom 30. Mai 1996 – 4 StR 150/96, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 21 mwN).
b) Dass der Angriff Sch. „völlig unvermittelt“ (UA S. 32) traf, leitet die Strafkammer aus der Kürze des seit dem Verlassen des Zimmers durch die Zeugin Sa. verstrichenen Zeitraumes sowie daraus her, dass die Sitzposition Sch. s nach dem gegen ihn geführten Angriff mit derjenigen zum Zeitpunkt des Verlassens des Wohnzimmers durch die Zeugin „praktisch identisch“ war und keine Abwehrspuren an den Händen des Opfers festgestellt werden konnten. Während die Position von Täter und Opfer während der Tat auch durch die objektive Spurenlage belegt werden, beruhen die Feststellungen über die Kürze des seit dem Verlassen des Wohnzimmers durch die Zeugin Sa. verstrichenen Zeitraumes alleine auf deren mit ihrem Einverständnis in die Hauptverhandlung eingeführten Angaben gegenüber der Polizei. Da eine Befragung der Zeugin, die in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO Gebrauch gemacht hat, nicht möglich war, ist schon eine Stützung der Feststellungen auf ihre insoweit eher unpräzisen Angaben vor der Polizei problematisch (vgl. zur Problematik allgemein BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 5 StR 482/10 Rn. 11 mwN). Dies bedarf indes keiner Vertiefung, da die Feststellungen jedenfalls nicht die Annahme des erforderlichen Ausnutzungsbewusstseins tragen.
c) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist, dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt. Dafür ist erforderlich, dass er die Umstände, welche die Tötung zu einer heimtückischen machen, nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in dem Sinne in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst hat, dass ihm bewusst geworden ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH, Urteile vom 26. November 1986 und vom 30. Mai 1996 aaO; BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – 4 StR 491/04, NStZ 2005, 691 jeweils mwN). Dabei kann die Spontaneität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte (BGH, Urteil vom 13. August 1997 – 3 StR 189/97, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 26 mwN); psychische Ausnahmezustände können auch unterhalb der Schwelle des § 21 StGB der Annahme des Bewusstseins des Ausnutzens entgegenstehen (BGH, Urteil vom 13. Februar 2007 – 5 StR 508/06, NStZ 2007, 330).
Das Landgericht geht mit dem zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten gehörten Sachverständigen davon aus, dass der Angeklagte „sich zur Tatzeit angesichts des sich für ihn abzeichnenden endgültigen Verlustes seiner Ehefrau und möglicherweise auch seiner Kinder in einem Zustand affektiver Erregung befunden“ habe (UA S. 35). Im Zusammenhang mit der Beurteilung seiner Schuldfähigkeit berücksichtigt es auch, „dass der Angeklagte auf der Grundlage seiner narzisstischen Persönlichkeitszüge und der mit ihr verbundenen Kränkbarkeit, seiner erhöhten Erregbarkeit und seiner eingeschränkten Frustrationstoleranz eine gewisse Disposition aufwies, auf narzisstische Kränkungen impulsiv zu reagieren“ (UA S. 35). Schließlich stellt es in Rechnung, dass „zwischen dem Angeklagten und Sch. als dem den Bestand seiner Familie bedrohenden 'Nebenbuhler' zumindest von seiner Seite aus seit einiger Zeit eine konflikthafte Beziehung bestand, die sich in der Tatsituation durch die nicht auszuschließende erstmalige sichere Erkenntnis, dass seine Ehefrau mit ihren beiden jüngeren Kindern umgehend zu Sch. ziehen werde, erneut aktualisierte“ (UA S. 36). Zwar hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu erkennen; dies ist vielmehr Tatfrage (BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 aaO mwN). Es bedarf jedoch in der Regel der Darlegung gegenläufiger Beweisanzeichen, aus denen das Tatgericht folgert, dass der Täter trotz seiner Erregung die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Bewusstsein aufgenommen hat (BGH, Urteil vom 9. Februar 2000 – 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166).
Dies hat das Landgericht mit einem Umstand begründet, der als Grundlage für eine den Angeklagten nachteilige Schlussfolgerung ungeeignet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2001 – 5 StR 520/01, StV 2002, 235). Das vom Landgericht für eine gezielte Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit Sch. s maßgeblich herangezogene Beweisanzeichen ist, dass sich der Angeklagte dem 1,86 m großen und 122 kg schweren Tatopfer bei einer eigenen Körpergröße von 1,80 m und 73 kg Körpergewicht „nach eigenen Angaben körperlich unterlegen fühlte“ und „sich daher bei lebensnaher Betrachtung nur von einem unvermuteten Angriff Erfolg versprechen konnte“ (UA S. 33). Die Wahrnehmung einer eigenen körperlichen Unterlegenheit, die das Landgericht einer Einlassung zur Darstellung einer ganz anderen – seinen Feststellungen nicht zugrunde gelegten – Tatsituation entnommen hat, kann hier indes nicht als Grundlage der Schlussfolgerungen ausreichen, dass der Angeklagte trotz seiner aus dem Verlust seiner bisherigen Existenz und seinen besonderen Persönlichkeitsmerkmalen resultierenden Erregung die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände in sein Bewusstsein aufgenommen hat. Das Landgericht hat zudem bei seiner Vorgehensweise aus einer als widerlegt angesehenen, der Verteidigung dienenden Einlassung einen Umstand herangezogen, den es – hierzu in Widerspruch – belastend verwertet hat.
3. Darüber hinaus sind auch die Feststellungen rechtsfehlerhaft, mit denen das Landgericht einen die Schuldfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindernden Affekt ausschließt.
Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten geht das Landgericht – wie bereits dargelegt – davon aus, dass sich der Angeklagte bei der Tatbegehung in einem Zustand affektiver Erregung befunden habe. Gegen das Bestehen eines damit verbundenen und seine Schuldfähigkeit in relevantem Umfang einschränkenden Affekts spreche nach Ansicht des Sachverständigen – dem sich das Landgericht anschließt – indes, „dass der Angeklagte im Zusammenhang mit der Tatausführung eine von ihm getroffene Entscheidung im Wege eines geordneten Handelns umgesetzt habe, um ein eigenes Zeichen“ zu setzen (UA S. 35). Diese Annahme ist weder vor dem Hintergrund der Feststellungen des angefochtenen Urteils, noch vor demjenigen der Einlassung des Angeklagten nachvollziehbar. Der Umstand, dass der Angeklagte nach der Tat die Tatwaffe gereinigt und in die Küchenschublade gelegt hat, wird in diesem Zusammenhang als „systematisches Vertuschungsbemühen“ eingeschätzt (UA S. 35), das ganz erheblich gegen einen schwerwiegenden Affekt spreche. Das Landgericht setzt sich nicht damit auseinander, dass in der Reinigung der Tatwaffe in der Küche auch ein reflexhafter, instinkt- und emotionsgeleiteter Versuch der Herstellung des „status quo ante“ gelegen haben könnte. Schließlich wird auch die – rechtsfehlerhaft festgestellte – „heimtückische Vorgehensweise“ (UA S. 36) des Angeklagten bei der Tatausführung als gegen einen erheblich schuldmindernden Affekt sprechender Umstand herangezogen.
4. Das angeklagte Tatgeschehen bedarf damit umfassender neuer tatgerichtlicher Prüfung. Bei dieser wird insbesondere die Frage nochmals kritisch zu überprüfen sein, ob es nachweisbar ist, dass der Angeklagte das Tatmesser zu der Verabredung mitgebracht hat. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass für den Fall, dass Heimtücke wegen fehlender subjektiver Voraussetzungen zu verneinen wäre und die dies begründende psychische Verfassung des Angeklagten den Grad erheblich verminderter Schuldfähigkeit erreichte, bei einem Schuldspruch nur wegen Totschlags eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zur Vermeidung einer Doppelberücksichtigung desselben Umstands nach tatgerichtlichem Ermessen versagt werden kann.
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