Entscheidungsdatum: 23.05.2012
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 8. September 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall 5 der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition verurteilt worden ist, sowie im Strafausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Teilfreisprechung wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Zuhälterei, wegen vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition, wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Zuhälterei und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe unter Einbeziehung der Jugendstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Bergedorf vom 7. Dezember 2009 zu einer einheitlichen Jugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es die Einziehung sichergestellter Waffen und Munition sowie von Betäubungsmitteln angeordnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Schuldspruch im Fall 5 der Urteilsgründe beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft. Sie führt insoweit zur Urteilsaufhebung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat zu dem von der Revision der Staatsanwaltschaft allein noch betroffenen Fall 5 der Urteilsgründe folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Die Zeugen Fa. , K. und G. besichtigten Ende Mai 2010 vor dem Wohnhaus des K. einen Unfallschaden am VW Phaeton des G. . Sie standen am Fahrbahnrand an der Fahrerseite des Pkw, Fa. bei der Motorhaube, K. in der Mitte und G. in der Höhe des Kofferraums. In diesem Augenblick stoppte ein schwarzer Geländewagen in Höhe des Phaeton. Der Angeklagte saß auf der Rückbank hinter dem Fahrersitz. Gesteuert wurde das Fahrzeug von einem unbekannten Mittäter. Der Angeklagte gab durch das geöffnete Seitenfenster aus einer Entfernung von einem bis zwei Metern mit einer scharfen Waffe mehrere Schüsse auf die Zeugen ab. Er nahm dabei wenigstens die Tötung von Fa. und K. zumindest billigend in Kauf.
Bei der Schussabgabe oder kurz davor sprang Fa. in geduckter Haltung über die Motorhaube des Phaeton hinweg, lief eine Treppe zum tiefer gelegenen Eingang des Hauses hinunter und brachte sich so vor weiteren Schüssen in Sicherheit. K. und G. verblieben hingegen am Fahrzeug und duckten sich ab oder warfen sich auf den Boden. Ein Schuss traf die Rückleuchte des Phaeton, ein weiterer schlug in einer Höhe von 140 bis 143 cm im Bereich der B-Säule ein. Verletzt wurde niemand.
Der Angeklagte bemerkte, dass er nicht getroffen und dass sich K. vor dem Geländewagen abgeduckt hatte. Trotz freier Schussbahn auf kurze Distanz sah er von weiteren Schüssen ab. Unmittelbar nach der Schussabgabe fuhren der Angeklagte und sein Mittäter vom Tatort weg. Der gesamte Vorfall dauerte nur wenige Sekunden.
b) Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte vom unbeendeten Versuch des Mordes an den Zeugen K. und Fa. strafbefreiend nach § 24 StGB zurückgetreten sei. Weil sich das Geschehen nicht in Einzeltaten aufgliedern lasse, sei der Sachverhalt auch im Rahmen des Rücktritts einheitlich zu beurteilen; es sei daher nicht möglich, im Hinblick auf K. einen Rücktritt vom Versuch anzunehmen und im Hinblick auf Fa. einen Rücktritt zu verneinen (UA S. 48). Es hat den Angeklagten lediglich wegen Waffendelikten verurteilt.
2. Der Schuldspruch kann keinen Bestand haben. Das Landgericht hat einen Rücktritt vom (unbeendeten) Versuch des Mordes auch zum Nachteil des Zeugen Fa. angenommen, ohne insoweit die Rechtsfigur des fehlgeschlagenen Versuchs näher zu erörtern.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings die Annahme natürlicher Handlungseinheit. Schießt der Täter - wie hier - innerhalb weniger Sekunden ohne jegliche zeitliche Zäsur auf mehrere Personen, so ist trotz der Beeinträchtigung höchstpersönlicher Rechtsgüter eine Tat anzunehmen; denn eine Aufspaltung in selbständige Einzeltaten erschiene wegen des engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs willkürlich und gekünstelt (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2000 - 5 StR 323/00, NStZ-RR 2001, 82 mwN). Jedoch hat die Jugendkammer verkannt, dass dann nicht etwa ein einheitliches (versuchtes) Tötungsdelikt, sondern mehrere tateinheitlich verwirklichte (versuchte) Tötungsdelikte gegeben sind (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 211 Rn. 109 mwN). Es versteht sich von selbst, dass die Voraussetzungen des Rücktritts nach § 24 StGB unter solchen Vorzeichen hinsichtlich jedes im Versuchsstadium stecken gebliebenen Tötungsverbrechens gesondert zu prüfen sind.
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Zutreffend weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass die Annahme eines unbeendeten Versuchs und einer freiwilligen Aufgabe der Tat zwar hinsichtlich des Zeugen K. auf einer jedenfalls nicht durchgreifend rechtlich fehlerhaften Würdigung beruht, nicht aber hinsichtlich des Zeugen Fa. . Ausweislich der Urteilsfeststellungen hatte Fa. Verdacht geschöpft, war im Augenblick der Schussabgabe oder kurz zuvor über die Motorhaube des Phaeton gesprungen und hatte sich im Eingangsbereich des Wohnhauses in Sicherheit gebracht, weswegen ihn der Angeklagte im Falle weiteren Schießens nicht mehr zu treffen vermochte (UA S. 48). Damit war zwingend zu prüfen, ob hinsichtlich dieses Zeugen ein fehlgeschlagener Versuch gegeben ist, von dem der Angeklagte nicht mehr hätte zurücktreten können (vgl. Fischer, aaO, § 24 Rn. 7 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
b) Obwohl die Feststellungen namentlich zum Tötungsvorsatz und zur Heimtücke sowie betreffend die Waffendelikte an sich rechtsfehlerfrei getroffen sind, hebt der Senat das Urteil im allein angefochtenen Fall 5 insgesamt auf. Der durch die rechtsfehlerhafte Annahme umfassenden Rücktritts nicht beschwerte Angeklagte hatte keinen Anlass, mit seiner Revision den bislang getroffenen Feststellungen entgegenzutreten. Die Verteidigerin hat die Möglichkeit abweichender Feststellungen, die auch hinsichtlich des Zeugen Fa. keinen Fehlschlag belegen würden, in den Raum gestellt. Zudem sollen dem neu entscheidenden Tatgericht im Hinblick auf von der Staatsanwaltschaft beanstandete Schwächen und Unschärfen der Urteilsdarlegungen in sich stimmige Feststellungen auf der Grundlage einer neuen Beweiswürdigung ermöglicht werden.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des gesamten auf die Anwendung von Jugendstrafrecht gestützten Strafausspruchs nach sich. Die neu entscheidende Jugendkammer wird eingehend zu prüfen haben, ob auf die Taten des Angeklagten Jugendstrafrecht anzuwenden ist. Gegen die im angefochtenen Urteil vorgenommene Wertung (UA S. 51 ff.) kann sprechen, dass der Angeklagte, der sich vom Elternhaus gelöst hat, schon seit geraumer Zeit vor den verfahrensgegenständlichen Taten als Zuhälter tätig gewesen ist und im Rotlichtmilieu offensichtlich durchaus „seinen Mann gestanden hat“.
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