Entscheidungsdatum: 13.01.2010
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 26. August 2009 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Der mehrfach, jedoch nicht wegen Sexualstraftaten vorbestrafte 23 Jahre alte Angeklagte konsumiert bereits seit früher Jugend Alkohol und illegale Drogen. Er befand sich deshalb in der Vergangenheit schon zweimal über mehrere Monate in stationärer Therapie. Nach Beendigung der letzten Behandlung im April 2008 lebte der Angeklagte in einer sozialtherapeutisch betreuten Wohngemeinschaft und besuchte regelmäßig eine Suchtberatung. Bei ihm liegt nach Auffassung der sachverständig beratenen Strafkammer eine „psychische und Verhaltensstörung durch multiplen Substanzgebrauch, schädlicher Gebrauch“ (ICD 10 F 19.1) vor; sein Trinkverhalten ist als chronisches Alkoholmissbrauchsverhalten mit schädlichen Auswirkungen im psychischen, physischen und sozialen Bereich zu beschreiben und „der Störungsform des Alpha- und Betaalkoholismus (nach Jellinek)“ zuzuordnen; eine „komplette Ausprägungsform süchtiger Abhängigkeit“ lasse sich demgegenüber nicht belegen (UA S. 4).
b) Der Angeklagte lebte in einer betreuten Wohngemeinschaft gemeinsam mit der zur Tatzeit 17 Jahre alten Geschädigten und einer 16-jährigen weiteren Mitbewohnerin. In der Tatnacht drang der alkoholisierte Angeklagte in das Zimmer der Geschädigten ein und forderte sie zu sexuellen Handlungen auf. Weil sie dies ablehnte, drosselte er sie mit einem Gürtel und schlug ihren Kopf gegen die Zimmerwand. Dann nötigte er sie unter Einsatz des um ihren Hals gelegten Gürtels, ihm in sein Zimmer zu folgen. Dort drohte er ihr mit einem Elektroschockgerät. Nachdem er zunächst den Oralverkehr mit ihr erzwungen hatte, forderte er sie auf, vaginal mit ihm zu verkehren. Von diesem Vorhaben ließ er jedoch ab, als die Geschädigte auf die Gefahr der Entstehung einer Schwangerschaft hinwies. Stattdessen versuchte er mehrfach erfolglos, mit seinem nicht ausreichend erigierten Glied in den Anus des Mädchens einzudringen. Schließlich gelangte er durch Selbstbefriedigung zum Samenerguss.
c) Die Strafkammer nimmt eine erhebliche Verminderung der Hemmungsfähigkeit (§ 21 StGB) des Angeklagten aufgrund von Alkoholgenuss an. Sie stützt sich dabei zum einen auf die von ihm angegebenen Alkoholkonsummengen, die zu einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,15 ‰ geführt haben. Zum anderen begründet sie ihre Annahme mit Bekundungen der Zeugin über ihren Eindruck vom Angeklagten in der Tatnacht („der war voll auf Droge“, „völlig ausgerastet“, „übelst komisch“, „so hatte ich ihn noch nie erlebt“ - UA S. 49). Das Landgericht kommt indes zu dem Ergebnis, dass seine erheblich verminderte Schuldfähigkeit den Angeklagten nicht entlastet, „da er sehr wohl wusste …, dass er unter dem Einfluss von Alkohol aggressiv reagiert und zu Gewalthandlungen neigt.“ Bereits im Rahmen der letzten Begutachtung in einem anderen Strafverfahren, die ebenfalls durch den von der Strafkammer gehörten Sachverständigen vorgenommen worden war, sei „herausgearbeitet und vom Angeklagten so auch im Grunde bestätigt worden, dass der Grund für seine Gewalthandlungen in alkoholbedingter Enthemmung zu suchen sei“ (UA S. 48).
d) Eine Unterbringung nach § 64 StGB lehnt die Strafkammer gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen ab. Zwar könne „unter Umständen“ vom Vorliegen eines Hanges ausgegangen werden, wobei es sich aber um einen Grenzfall handele. Jedoch stünden hier neben der eigentlichen Entwöhnungsproblematik vorrangig sozio-rehabilitative Aspekte im Vordergrund, die besser in einer Betreuungsform außerhalb des Maßregelvollzuges zu therapieren seien.
2. Die Einwände der Revision gegen den Schuldspruch, insbesondere die tatrichterliche Beweiswürdigung, sowie die hierauf bezogene Verfahrensrüge sind offensichtlich unbegründet.
3. Indes hält der Rechtsfolgenausspruch der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat dem Angeklagten eine Strafmilderung aufgrund seiner erheblich verminderten Schuldfähigkeit mit rechtsfehlerhafter Begründung versagt. Zwar kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Strafrahmenverschiebung aufgrund verminderter Schuldfähigkeit abgelehnt werden, wenn der Täter schon früher unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist und deshalb wusste, dass er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt (vgl. BGHR StGB § 21 Vorverschulden 4; BGHSt 49, 239, 242). Dabei sind an die Vergleichbarkeit der unter Alkoholeinfluss begangenen Straftaten keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Es ist nicht erforderlich, dass der Täter zuvor bereits eine gleiche oder ähnliche Tat begangen hat. Entscheidend ist regelmäßig nicht die äußerliche Vergleichbarkeit der einzelnen Taten, sondern die nämliche Wurzel des jeweiligen deliktischen Verhaltens (BGHSt 49, 239, 243 m.w.N.). Indes kann die Versagung der Strafrahmenverschiebung nicht mit dem Hinweis auf frühere unter Alkoholeinfluss begangene Straftaten begründet werden, wenn die neue Tat im Hinblick auf ihre andersartige Anlage und Zielrichtung und den zugrunde liegenden strafrechtlich bedeutsamen Antrieb in gänzlich andere Richtung als die bisherigen Taten weist, sie also mit den bisherigen Bild der Delinquenz nicht in Einklang zu bringen ist, und mit der der Täter deshalb nicht rechnen konnte (vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3).
Der Angeklagte ist zwar bereits früher, soweit ersichtlich einmal, unter Alkoholeinfluss gewalttätig geworden. Er soll dabei dem Geschädigten mehrfach ins Gesicht geschlagen und gegen die Rippen getreten sowie unter dem Einfluss von Alkohol und Cannabis seine damalige Lebensgefährtin geschlagen, gewürgt und in den Arm gebissen haben. Indes weisen jener Fall und der vorliegende unterschiedliche charakteristische Besonderheiten auf. Wegen eines Delikts gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist der Angeklagte zuvor nicht bestraft worden. Auch deuten die Feststellungen nicht darauf hin, dass die situativen Verhältnisse des Einzelfalles das Risiko der Tatbegehung infolge der Alkoholisierung vorhersehbar signifikant erhöht hätten (vgl. BGHSt 49, 239, 243): Der Angeklagte trank bei sich zu Hause zunächst mit seiner anderen Mitbewohnerin, dann mit einem Freund; sein Verhältnis zu seinen beiden Mitbewohnerinnen war gut. Es bestanden weder eine intime Beziehung zur Geschädigten, noch Konflikte oder erkennbare sexuelle Spannungen innerhalb der Wohngemeinschaft, die vorhersehbar die Gefahr gewaltsamer sexueller Übergriffe des zudem massiv alkoholgefährdeten Angeklagten unter Alkoholeinfluss begründeten.
Die Frage, ob ein Hang im Sinne von § 64 StGB vorliegt, wird im angefochtenen Urteil nicht abschließend geklärt. Die in diesem Zusammenhang wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen veranlassen den Senat zu dem Hinweis, dass eine Alkoholabhängigkeit nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Hanges ist (vgl. BGHR StGB § 64 Hang 2 und § 64 Abs. 1 Hang 5). Denn hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass diese den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (BGH, Beschluss vom 18. August 1998 - 5 StR 363/98; Beschluss vom 18. Juli 2007 - 5 StR 279/07). Eine solche Neigung liegt bei dem festgestellten Alkoholmissbrauch des Angeklagten durchaus nahe. Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich auch nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB) oder andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung offensichtlich nicht vorliegen. Der Hinweis darauf, dass der Angeklagte besser in einer Betreuungsform außerhalb des Maßregelvollzugs zu behandeln wäre, vermag die Ablehnung der Unterbringung nach § 64 StGB auch eingedenk des eröffneten tatgerichtlichen Ermessens nicht zu rechtfertigen.
c) Nach alledem erscheinen auf Grund der bisherigen Feststellungen die Zubilligung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und eine Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB nahe liegend. Angesichts der bislang nicht näher aufgeklärten Motivlage und des Verhaltens und Erscheinungsbildes des Angeklagten bei der Tat bedarf es aber erneut der umfassenden Prüfung seiner Schuldfähigkeit mit Hilfe eines Sachverständigen (§ 246a StPO). Einzubeziehen ist - unter Umständen sogar im Hinblick auf eine jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossene Unterbringung nach § 63 StGB - die Frage, ob eine sonstige schwere seelische Störung oder eine krankhafte Alkoholüberempfindlichkeit des Angeklagten in Betracht kommt.
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