Entscheidungsdatum: 24.10.2012
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. Mai 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den jugendlichen Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer rechtskräftigen Entscheidung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts provozierte und bedrängte der alkoholisierte Angeklagte, der am frühen Morgen des 5. November 2011 mit einer Gruppe Jugendlicher unterwegs war, gemeinsam mit dem Zeugen L. auf der Straße den Nebenkläger. Als dieser sich von seinen Verfolgern abwandte, stach der Angeklagte ihn mit bedingtem Tötungsvorsatz gezielt mit zwei Messerstichen in den linken Rückenbereich und verletzte ihn lebensgefährlich.
Der Angeklagte hatte sich in seiner ersten polizeilichen Vernehmung geständig eingelassen. In der Hauptverhandlung hat er sein Geständnis weitgehend widerrufen und versucht, den Verdacht auf den Zeugen L. zu lenken (UA S. 47, 49). Er hat zudem angegeben, „bei der Mordkommission noch sehr durch seinen vorherigen Alkoholkonsum beeinflusst gewesen zu sein“ (UA S. 52). Das Landgericht war nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, in der er auch von einigen seiner jugendlichen Begleiter belastet wurde, von der Glaubhaftigkeit seiner unmittelbar nach der Festnahme getätigten Angaben überzeugt.
Die Revision macht zutreffend geltend, dass das Landgericht nicht den erziehungsberechtigten Eltern des Angeklagten das ihnen von Amts wegen nach § 67 Abs. 1 JGG i.V.m. § 258 Abs. 2 und 3 StPO zu gewährende letzte Wort (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2002 – 5 StR 98/02, NStZ-RR 2002, 346 mwN) erteilt hat. Die Eltern des Angeklagten hatten zwar in der Hauptverhandlung am 30. April 2012 vor dem Angeklagten das „vorletzte“ Wort, jedoch ist nach dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme und den Bezugnahmen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf die Schlussvorträge am 9. Mai 2012 im letzten Hauptverhandlungstermin am 22. Mai 2012 nur noch dem Angeklagten das letzte Wort gewährt worden, nicht jedoch dessen anwesenden Eltern.
Der Verfahrensfehler führt entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts zur Aufhebung des Schuld- und Strafausspruchs. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass die Eltern des Angeklagten, die bei der geständigen Einlassung im Ermittlungsverfahren sogar anwesend gewesen waren, nach erneuter Beweisaufnahme Ausführungen zur Frage der Glaubhaftigkeit des widerrufenen Geständnisses und zu einer möglichen Selbstbelastungsmotivation ihres Sohnes getätigt hätten.
Auf die erhobene Sachrüge – insbesondere die Frage einer eventuell nicht ausschließbar verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge Alkoholkonsums, der freilich bei der Anwendung von Jugendstrafrecht hier möglicherweise kein großes Gewicht zukäme – kommt es für die revisionsrechtliche Überprüfung demnach nicht mehr an.
Basdorf Raum Schneider
Dölp Bellay