Entscheidungsdatum: 27.04.2010
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 15. April 2008 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt und ihn unter Einbeziehung der (in den Urteilsgründen nicht mitgeteilten) Einzelstrafen aus einer rechtskräftigen Verurteilung (zu zwei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe) zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten dringt mit einer Verfahrensrüge durch.
Die Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses ist erfüllt; bei den unrichtigen Angaben zur eröffneten Anklage in der schriftlichen Fassung handelt es sich, wie die Anhörung der beteiligten Richter eindeutig erweist, um ein Fassungsversehen.
Der auf Verletzung des § 247 StPO gestützten Verfahrensrüge gemäß § 338 Nr. 5 StPO ist nach dem Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 21. April 2010 – GSSt 1/09 – aufgrund des Anfrageverfahrens nach § 132 Abs. 2 GVG in dieser Sache der Erfolg nicht zu versagen, soweit die Revision die fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten während der Verhandlung über die Entlassung der gemäß § 247 Satz 2 StPO in seiner Abwesenheit zeugenschaftlich vernommenen Nebenklägerin beanstandet.
Die Rüge ist zulässig. Sie scheitert nicht an der mangelnden Beanstandung der in fortdauernder Abwesenheit des Angeklagten getroffenen Entlassungsentscheidung des Vorsitzenden nach § 238 Abs. 2 StPO; eine solche Beanstandung ist in dieser Fallgestaltung, wie sich aus der Entscheidung des Großen Senats eindeutig ergibt, keine Rügevoraussetzung. Nach der Entscheidung des Großen Senats musste der Revisionsführer auch nicht etwa konkreten Sachvortrag zu einer Beeinträchtigung seines Fragerechts infolge der mit der Rüge beanstandeten Verfahrensweise erbringen. Im Übrigen hält der Senat das Sachvorbringen der Revision zu der Verfahrensrüge nach dem Protokoll für erwiesen.
Im Einklang mit bisheriger Rechtsprechung (BGHR StPO § 247 Abwesenheit 1, 14, 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 23; BGH NStZ 2007, 352) sieht der Große Senat in der Verhandlung über die Entlassung eines in Abwesenheit des Angeklagten vernommenen Zeugen keinen Teil der Vernehmung im Sinne von § 247 StPO. Demgemäß begründet die hierbei fortdauernde Abwesenheit des Angeklagten regelmäßig – so auch hier – den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.
Die Entlassungsverhandlung war hier wesentlicher Teil der Hauptverhandlung; der Verfahrensfehler ist auch nicht geheilt worden. Der Angeklagte hat weder von sich aus im Rahmen seiner Unterrichtung über die Abwesenheitsvernehmung gemäß § 247 Satz 4 StPO noch etwa auf Befragen ausdrücklich erklärt, keine Fragen mehr an die Nebenklägerin stellen zu wollen.
Mithin ist die angefochtene Verurteilung aufzuheben. Angesichts anderweitiger rechtskräftiger Verurteilungen des Angeklagten könnte – namentlich zum Schutz der kindlichen Zeugin – im Benehmen mit Staatsanwaltschaft und Nebenklage eventuell bereits vor Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung eine Verfahrenserledigung nach § 154 Abs. 2 StPO erwogen werden.
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