Entscheidungsdatum: 14.12.2011
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 19. April 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen; es wird klargestellt, dass der Angeklagte der besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzladewaffe schuldig ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gemeinschaftlicher schwerer räuberischer Erpressung und Verstoßes gegen das Waffengesetz“ zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Seine gegen die Verurteilung gerichtete, auf die näher ausgeführte Sachbeschwerde und eine Verfahrensrüge gestützte Revision ist im Ergebnis unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Sowohl Schuld- als auch Rechtsfolgenausspruch halten revisionsgerichtlicher Überprüfung aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts stand.
1. Der erhobenen Verfahrensrüge, das Gericht habe zwei Zeugen, deren Aussagen es zum Nachteil des Angeklagten verwertet habe, nicht nach § 52 Abs. 3 StPO belehrt, bleibt der Erfolg versagt.
a) Nach bislang verbindlicher Rechtsprechung wäre es geboten gewesen, die Brüder P. und J. W. vor ihrer Zeugenvernehmung gemäß § 52 Abs. 3 StPO zu belehren. Ein Zeuge ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich aller Beschuldigter zur Verweigerung des Zeugnisses gemäß § 52 Abs. 1 StPO berechtigt und hierüber auch zu belehren, wenn sich ein einheitliches Verfahren gegen mehrere Beschuldigte richtet oder gerichtet hat und der Zeuge jedenfalls zu einem von ihnen in einem von § 52 Abs. 1 StPO erfassten Angehörigenverhältnis steht, sofern der Sachverhalt, zu dem er aussagen soll, auch seinen Angehörigen betrifft (vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Mai 1998 – 3 StR 566/97, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 12 mwN; BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 4). Unterbleibt die Belehrung gleichwohl, soll dies der nicht-angehörige Angeklagte grundsätzlich auch rügen können (vgl. BGH, Urteil vom 3. Februar 1955 – 4 StR 582/54, BGHSt 7, 194, 196).
Die Polizei hatte hier beide Zeugen der Beteiligung an der Tat des Beschwerdeführers verdächtigt und das Ermittlungsverfahren zugleich gegen sie und den Angeklagten geführt. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen sie Durchsuchungsbeschlüsse (§ 102 StPO) erwirkt und beide wie den Beschwerdeführer wegen derselben prozessualen Tat als Beschuldigte eingetragen. Damit war die notwendige, zumindest historische prozessuale Gemeinsamkeit gegeben, die das Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO der beiden früheren mitbeschuldigten Brüder auch in dem gegen den Beschwerdeführer geführten Verfahren begründete. Durch die spätere staatsanwaltschaftliche Einstellung des gegen die Zeugen gerichteten Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO wurde es nicht beseitigt:
Zwar ist anerkannt, dass eine zwischen dem angehörigen Zeugen und dem Angeklagten über einen vormals mitbeschuldigten Angehörigen bestehende Verbindung durch prozessuale Entwicklungen gelockert sein kann und deshalb eine Zubilligung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht mehr rechtfertigt; dies gilt namentlich nach Ableben des früheren Mitbeschuldigten (BGH, Urteil vom 13. Februar 1992 – 4 StR 638/91, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 7), nach dessen rechtskräftiger Verurteilung (BGH, Urteil vom 29. Oktober 1991 – 1 StR 334/90, BGHSt 38, 96, 100 ff.) oder rechtskräftigem Freispruch (BGH, Urteil vom 4. Mai 1993 – 1 StR 921/92, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 9) und nach erfolgter Verfahrenseinstellung gemäß § 154 StPO mit Blick auf eine rechtskräftige Verurteilung im Bezugsverfahren (BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 5 ff.). Dem steht die vorliegende Fallkonstellation angesichts der uneingeschränkten Möglichkeit für die Staatsanwaltschaft, ein nach § 170 Abs. 2 StPO eingestelltes Verfahren wegen eines nicht verjährten Tatvorwurfs wiederaufzugreifen (vgl. Graalmann-Scheerer in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 170 Rn. 50 mwN), jedoch nicht gleich (vgl. BGH, Beschluss vom 26. August 1997 – 1 StR 469/97, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 10; vgl. auch BGH, Urteil vom 27. Mai 1998 – 3 StR 31/98, BGHR StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3 Mitbeschuldigter 11; BGH, Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 6).
b) Das Urteil würde indes auf einem hieraus abzuleitenden Verfahrensfehler nicht beruhen (§ 337 StPO). Dies gilt für die Angaben des Zeugen P. W. bereits deshalb, weil er vor seiner Aussage über ein ihm zugebilligtes Auskunftsverweigerungsrecht (§ 55 StPO) belehrt worden war und dennoch ausgesagt hatte. Im Hinblick darauf ist nicht ersichtlich, inwiefern eine weitere Belehrung über ein darüber hinaus gegebenes Zeugnisverweigerungsrecht hier zu einem anderen Aussageverhalten oder einem anderen Beweisergebnis hätte führen können (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. Mai 1984 – 2 StR 233/84, NStZ 1984, 464).
Abgesehen davon ist hinsichtlich beider Zeugen – worauf auch der Generalbundesanwalt zu Recht abhebt – auszuschließen, dass ihr denkbares Schweigen für den Fall umfassender Belehrung nach § 52 Abs. 3 StPO mit der Folge eines Verwertungsverbots nach § 252 StPO die Beweislage zu Gunsten des Beschwerdeführers hätte verändern können. Zwar hat die Strafkammer im Rahmen ihrer Würdigung der Angaben des Hauptbelastungszeugen B. ausdrücklich auf eine Gesamtschau der sie bestätigenden Beweiszeichen abgestellt (UA S. 45/46). Im Rahmen dessen hat sie namentlich die Angaben beider Zeugen für die Frage berücksichtigt, ob der Beschwerdeführer Nutzer des am Tatort startbereit aufgefundenen und durch das Tatgericht nachvollziehbar als Fluchtfahrzeug bewerteten Pkw war (UA S. 42/43). Allerdings stützt sie Ihre Überzeugung betreffend die Nutzung des Fluchtfahrzeugs durch den Beschwerdeführer nicht allein und auch nicht etwa maßgeblich auf die Angaben beider Zeugen. Vielmehr hat der Beschwerdeführer selbst eingeräumt „in der fraglichen Zeit“ das Fahrzeug genutzt zu haben (UA S. 35, 42).
Ferner hat sich das Tatgericht mit beiden Zeugen als möglichen Alternativtätern auseinandergesetzt (UA S. 60). Als solche hat sie beide nicht etwa maßgeblich auf Grund ihrer Aussagen, sondern mit Blick auf die übrigen, gewichtigen Beweiszeichen rechtsfehlerfrei ausgeschlossen. Dass ein (denkbares) Schweigen beider Zeugen neben den sie entlastenden, den Beschwerdeführer hingegen nachhaltig belastenden Erkenntnissen – etwa aus der daktyloskopischen Spurenauswertung, der DNA-Analyse (UA S. 43 ff.) und dem Tatzeitalibi des P. W. (UA S. 61) – die Beweislage für den Angeklagten günstiger gestaltet hätte, lässt sich sicher ausschließen.
c) Es bedarf deshalb keiner Entscheidung, ob in den genannten Fällen – entgegen der dargestellten überkommenen Rechtsprechung – das Zeugnisverweigerungsrecht nur so lange Bestand haben kann, wie sich das Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung über das Verweigerungsrecht noch gegen einen angehörigen Angeklagten richtet und nicht – davon gelöst – lediglich als Rechtsreflex auch Nichtangehörige begünstigt (vgl. dazu bereits BGH, Urteil vom 29. Oktober 1991 – 1 StR 334/90, BGHSt 38, 96, 99 sowie Beschluss vom 30. April 2009 – 1 StR 745/08, BGHSt 54, 1, 4). Dafür spricht, dass das bislang der Rechtsprechung zugrunde liegende Verständnis vom Beschuldigtenbegriff im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO zu vom Gesetzeswortlaut nicht erzwungenen (Rogall in SK-StPO, 41. Lfg., § 52 Rn. 52; Otto, NStZ 1991, 220, 221), als Ursache von Zufälligkeiten im Verfahrensablauf aber unbefriedigenden und die Wahrheitsermittlung erheblich erschwerenden Konsequenzen führt (vgl. Basdorf in NJW-Festheft Tepperwien, 2010, S. 5, 6 f.; Fischer, JZ 1992, 570, 573). Eine mit dem allgemeinen Mitbeschuldigtenbegriff harmonierende Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO dürfte diese unsachgemäßen Ergebnisse bei gleich hohem Schutzniveau sowohl für den nicht angeklagten Angehörigen als auch den mit ihm verwandten Zeugen über § 55 StPO vermeiden.
2. Der Senat hat die Urteilsformel im Sinne von Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 260 Rn. 23 (keine Kennzeichnung der Mittäterschaft), 24 (genaue Bezeichnung des Waffendelikts), 25a (präzise Kennzeichnung der Qualifikation nach § 250 Abs. 2 StGB) klargestellt.
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