Entscheidungsdatum: 19.02.2013
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 13. Januar 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO unter Aufrechterhaltung der Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zum Liquiditätsstatus, zur Existenzgefährdung der A. GmbH und zum Vermögensnachteil sowie insgesamt zum Fall II.5 der Urteilsgründe – aufgehoben, soweit
a) die Angeklagte B. M. verurteilt worden ist,
b) der Angeklagte H. M. hinsichtlich der Fälle II.1 bis 10 der Urteilsgründe verurteilt ist, und
im Ausspruch über sämtliche Einzelstrafen und die Gesamtstrafen.
2. Die weitergehenden Revisionen werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten H. M. – unter Freisprechung im Übrigen – wegen Untreue in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit Bankrott und wegen versuchten Betruges zu einer zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Davon hat es vier Monate Freiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erkannt. Die Angeklagte B. M. hat das Landgericht wegen Untreue in sechs Fällen jeweils in Tateinheit mit Bankrott zu einer Gesamtgeldstrafe von 250 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt, von denen 60 Tagessätze als vollstreckt gelten. Die hiergegen gerichteten, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte H. M. faktischer Geschäftsführer der A. GmbH (nachfolgend A. GmbH), einer Tochtergesellschaft der von ihm gegründeten und maßgeblich bestimmten A. AG. Seine Mutter, die Angeklagte B. M. , war zwar formell bestellte Geschäftsführerin der A. GmbH, führte aber keine entsprechende Tätigkeit aus. Spätestens ab Juni 2003 befand sich die A. GmbH in einem Zustand konkreter Existenzgefährdung durch Liquiditätsverluste sowie drohender Zahlungsunfähigkeit. Ab diesem Zeitpunkt bis zum Verkauf der A. GmbH am 5. August 2003 entzog H. M. (Fälle II.1 bis 10), überwiegend gemeinschaftlich mit seiner Mutter (Fälle II.1 bis 3, 5 bis 8 sowie 10 unter teilweiser abweichender Bewertung der Konkurrenzen), der A. GmbH unter Geltendmachung „tatsächlich nicht oder nicht in dem Umfang bestehender Forderungen“ (UA S. 18) Gelder in Höhe von etwa 588.600 €. Hierdurch wurde die den Gläubigern zustehende Haftungsmasse verkürzt. Bereits zwei Wochen nach dem Verkauf der Gesellschaft stellte der neue Geschäftsführer einen Insolvenzantrag. Das Insolvenzverfahren wurde am 1. Oktober 2003 wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet.
2. Die Verurteilungen der Angeklagten wegen Untreue haben keinen Bestand. Die Begründung, mit der das Landgericht die Geldentnahmen aus der A. GmbH als pflichtwidrig bewertet und einen rechtswidrigen Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB bestimmt hat, begegnet durchgreifenden Bedenken.
a) Das Landgericht hat – ohne im Einzelnen die Gesellschafterverhältnisse der A. AG näher darzulegen – zugunsten der Angeklagten angenommen, dass die Entnahmen jeweils im Einverständnis mit der Konzernmutter erfolgten. Dennoch seien sie pflichtwidrig gewesen, weil sie die wirtschaftliche Existenz durch Liquiditätsverluste gefährdet hätten. Die konkrete Existenzgefährdung hat das Landgericht – ohne Feststellungen zum Vermögensstatus der A. GmbH zu treffen – allein aus dem tatsächlichen Geschehenslauf anhand einer Gesamtabwägung von Indizien (Insolvenzeintritt alsbald nach den Entnahmen, Verkauf der GmbH an einen „Firmenbestatter“, unberechtigte Zahlungsstockungen, wirtschaftliche Schwierigkeiten der A. GmbH und des Mutterkonzerns) festgestellt. Dabei hat es freilich berücksichtigt, dass in diesem Fall „keines der klassischen wirtschaftskriminalistischen Beweisanzeichen für eine konkrete Existenzgefährdung“ (UA S. 93), wie erfolglose Pfändungen oder sonstige Vollstreckungsversuche, vorgelegen hat. Mangels vollständiger Buchhaltungsunterlagen hat es von der Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Liquiditätsstatus der A. GmbH abgesehen. Zudem sah sich das Landgericht nicht gehalten, das von den Angeklagten „vorgelegte Zahlenmaterial“ weiter aufzuklären, weil aufgrund vorgenommener Manipulation an Belegen ein „nicht weiter überprüfbarer Auszug aus dem Gesamtbild einer bilanziellen Bewertung der wirtschaftlichen Situation der A. GmbH erkennbar gewesen“ (UA S. 99) wäre. Den Vermögensnachteil zu Lasten der GmbH hat die Wirtschaftsstrafkammer bei den einzelnen Taten in Höhe des jeweils entzogenen Betrages festgesetzt.
b) In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass einverständliche Entnahmen bereits erzielter Gewinne und die Zahlung von Gewinnvorschüssen für sich allein noch keinen rechtswidrigen Nachteil für die GmbH bedeuten, und zwar selbst dann nicht, wenn die entnommenen Beträge zu Tarnungszwecken falsch gebucht werden; hat jedoch eine an sich zulässige Gewinnentnahme schädliche Folgen, die über die durch die Entnahme bewirkte Vermögensminderung hinausreichen, kann sie als rechtswidriger Nachteil für die GmbH gewertet werden (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1988 – 3 StR 232/88, BGHSt 35, 333, 336 f.). Pflichtwidriges Handeln und ein rechtswidriger Nachteil sind anzunehmen, wenn das Stammkapital beeinträchtigt oder die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft in anderer Weise gefährdet wird (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 266 Rn. 96, 156 mwN), etwa weil der Gesellschaft ihre Produktionsgrundlagen entzogen würden oder ihre Liquidität gefährdet wäre (vgl. BGHSt aaO, S. 337 f., sowie BGH, Urteile vom 24. Oktober 1990 – 3 StR 16/90 – und vom 10. Juli 1996 – 3 StR 50/96, BGHR StGB § 266 Abs. 1 Nachteil 23 und 37, sowie vom 13. Mai 2004 – 5 StR 73/03, BGHSt 49, 147, 157 ff.).
aa) Der im Einzelnen in den Urteilsgründen dargelegte tatsächliche Geschehenslauf und die Gesamtabwägung aller Indizien sprechen zwar für eine „Aushöhlungsabsicht“ der Angeklagten und lassen den Eintritt einer Existenzgefährdung vermuten. Dass die A. GmbH sich jedoch bereits Anfang Juni 2003 in einem Zustand der Existenzgefährdung durch Liquiditätsverluste befunden hat und die Entnahmen sich nicht mehr im Bereich des Erlaubten bewegten, sondern einen rechtswidrigen Vermögensnachteil für die Gesellschaft bedeuteten, wird von den Feststellungen nicht genügend belegt. Insofern fehlt es an einer hinreichend konkreten Darstellung der Vermögenssituation der A. GmbH zum Zeitpunkt der (jeweiligen) Entnahmen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2006 – 5 StR 475/05, wistra 2006, 265).
bb) Zwar kann sich die Gefährdung der Existenz oder der Liquidität einer GmbH auch ohne Aufstellung einer Vermögensbilanz allein auf Grund eines tatsächlichen Geschehenslaufs feststellen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1988 – 3 StR 232/88, BGHSt 35, 333, 338; BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 4 StR 561/05, wistra 2006, 229, 230). Nach den bisherigen Feststellungen hat das Landgericht aber angenommen, dass bei der A. GmbH ab Juni 2003 noch Gelder „in erheblichem Umfang“ (UA S. 79) eingegangen sind. Zudem wies das einzige Firmenkonto am 31. Juli 2003 – und damit nach dem vom Landgericht angenommenen Zeitpunkt des Eintritts der Existenzgefährdung der GmbH – noch ein Bankguthaben von mindestens 70.000 € auf.
cc) Der tatsächliche Geschehenslauf kann daher vorliegend nicht allein die gebotenen konkreten Feststellungen zum Vermögensnachteil ersetzen. Der Senat verkennt nicht die sich aus den unvollständigen Buchhaltungsunterlagen ergebende Schwierigkeit, tatzeitbezogene Feststellungen zur Vermögenssituation der A. GmbH zu treffen. Dennoch darf die konkrete Ermittlung des Nachteils nicht aus der Erwägung heraus unterbleiben, dass sie mit praktischen Schwierigkeiten verbunden ist; verbleiben Unsicherheiten, ist vielmehr unter Beachtung des Zweifelssatzes der (Mindest-)Schaden im Wege der Schätzung zu ermitteln (BVerfGE 126, 170, 211 f.).
dd) Es hätte deshalb – ungeachtet unvollständiger Buchhaltungsunterlagen – weiterer (Mindest-)Feststellungen dazu bedurft, ob und in welchem Umfang es im Tatzeitraum tatsächlich zu Liquidationsproblemen gekommen ist. Dass im Oktober 2003 das Insolvenzverfahren wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit eröffnet wurde, genügt für die Annahme einer Liquiditätsgefährdung bereits zu Beginn des Tatzeitraums nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 4 StR 561/05 aaO). Hingegen erscheint es nicht ausgeschlossen, dass sich anhand der Erkenntnisse aus dem zeitnah eröffneten Insolvenzverfahren (Mindest-)Feststellungen zur Vermögenssituation der A. GmbH und damit auch zu einer naheliegenden Existenzgefährdung treffen lassen.
c) Im Fall II.5 ist von der Wirtschaftsstrafkammer darüber hinaus nicht dargelegt worden, ob und in welcher Höhe die von der Konzernmutter an die A. GmbH – nicht ausschließbar – verkaufte Forderung gegenüber der Firma F. in ihrem Wert zum Zeitpunkt der Abtretung tatsächlich hinter ihrem Kaufpreis von 35.000 € zurückgeblieben ist und damit keinen kompensierenden Vermögenszuwachs dargestellt hat. Entsprechende Feststellungen zum tatsächlichen Wert der verkauften Forderung und damit zur Höhe eines etwaigen Vermögensnachteils hat das Landgericht nicht getroffen.
3. Die Feststellungen tragen auch nicht die Schuldsprüche wegen tateinheitlichen Bankrotts nach § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Fälle II.1 bis 10). Eine drohende Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 283 StGB ist im Tatzeitraum nicht hinreichend belegt.
a) Für die Prognose der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit ist auf den letzten Fälligkeitszeitpunkt aller Verbindlichkeiten abzustellen; je länger der Prognosezeitraum ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Zahlungsunfähigkeit sein; zu berücksichtigen ist die gesamte Entwicklung der Finanzlage, d. h. die fälligen und im Prognosezeitraum entstehenden Verbindlichkeiten, die zur Verfügung stehenden Mittel, Kreditmöglichkeiten und die Auftragsentwicklung (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., Vor § 283 StGB Rn. 11 mwN).
b) Für die Beurteilung der drohenden Zahlungsunfähigkeit erweist sich die – zwar generell mögliche – Heranziehung wirtschaftskriminalistischer Beweisanzeichen ohne jegliche (Mindest-)Feststellungen zu einem Liquiditätsstatus, d. h. zu kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten der A. GmbH und den zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden Mitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2009 – 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225, 2226), entsprechend den Darlegungen zur Untreue als unzureichend.
4. Die Aufhebung des Schuldspruchs in den Fällen II.1 bis 10 führt zum Wegfall der zugehörigen Einzelstrafen und der Gesamtstrafen. Der Schuldspruch hinsichtlich des Angeklagten H. M. im Fall II.12 ist rechtsfehlerfrei getroffen; der Senat hebt jedoch insoweit auch die verhängte Einzelstrafe auf, um dem neuen Tatgericht insgesamt eine stimmige Strafzumessung zu ermöglichen. Die Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zum Liquiditätsstatus, zur Existenzgefährdung der A. GmbH und zum Vermögensnachteil sowie insgesamt zum Fall II.5, die aufgehoben werden – sind ebenfalls rechtsfehlerfrei getroffen; sie können daher bestehen bleiben. Mit der getroffenen Kompensationsentscheidung hat es – bezogen auf den bisherigen Verfahrensablauf – sein Bewenden.
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin:
Das neue Tatgericht wird ausgehend von den im Insolvenzverfahren gewonnenen und von ihm als zuverlässig angesehenen Erkenntnissen zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und zur Überschuldung der Gesellschaft am 1. Oktober 2003 tatzeitbezogen sichere Mindestfeststellungen zu dem Beginn der konkreten Existenzgefährdung und der wirtschaftlichen Krise zu treffen haben. Dazu erscheint es vorliegend angezeigt, einen (Mindest-)Liquiditätsstatus – gegebenenfalls durch Beauftragung eines Sachverständigen – zu erstellen, in welchem die Barmittel sowie die kurzfristig liquidierbaren Vermögenswerte aller bestehenden und zu erwartenden Verbindlichkeiten entsprechend ihrer jeweiligen Fälligkeit gegenübergestellt werden (vgl. zur Feststellung einer tatsächlichen oder drohenden Zahlungsunfähigkeit BGH, Urteil vom 29. April 2010 – 3 StR 314/09, NJW 2010, 2894, 2898, Beschluss vom 30. August 2011 – 2 StR 652/10, NJW 2011, 3733, 3734).
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