Entscheidungsdatum: 12.01.2011
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 26. April 2010 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Der Angeklagte trägt die Kosten seiner Revision und die der Nebenklägerin hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen.
– Von Rechts wegen –
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie macht insbesondere geltend, das Landgericht habe rechtsfehlerhaft einen minder schweren Fall der besonders schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB angenommen und zudem die Untergrenze des § 177 Abs. 2 StGB bei der Strafrahmenbestimmung als nicht beachtlich angesehen. Der Angeklagte beanstandet mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision die Nichtannahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB. Beide Revisionen bleiben ohne Erfolg.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Nebenklägerin bat den mit maximal 2 ‰ alkoholisierten Angeklagten, den sie als Nachbarn vom Sehen her kannte, am Morgen des 7. November 2009 in ihre Wohnung. Nach einer zunächst freundlichen Unterhaltung wollte der Angeklagte von der Nebenklägerin Geld. Die Nebenklägerin erklärte, dass sie kein Geld habe. Daraufhin schlug ihr der Angeklagte mit einem Schlagring ein- bis zweimal ins Gesicht, "um seinen Frust über sein trostloses Leben abzureagieren". Als er die Nebenklägerin dann ängstlich und hilflos sah, wollte er mit ihr geschlechtlich verkehren. Er verlangte von ihr, an ihm den Oralverkehr auszuüben. Unter dem Eindruck der Gewalthandlungen kam sie der Aufforderung nach, wobei ihr der Oralverkehr so starke Übelkeit verursachte, dass sie sich auf der Toilette übergeben musste. Nach ihrer Rückkehr verlangte der Angeklagte vaginalen Geschlechtsverkehr. Als sie sich weigerte, schlug er ihr mit seinem Schlagring erneut mehrfach ins Gesicht und gegen den Kopf. Es gelang ihm jedoch nicht, mit seinem erigierten Penis in die Scheide der sich vehement wehrenden Nebenklägerin einzudringen. Die Nebenklägerin konnte den Angeklagten trotz ihrer Verletzungen, unter anderem einer stark blutenden Kopfplatzwunde, mit den Füßen wegstoßen und – um Hilfe schreiend – ins Treppenhaus fliehen. Der Angeklagte flüchtete aus dem Fenster. Als er bemerkte, dass er seinen Ausweis am Tatort vergessen hatte, stellte er sich selbst bei der Polizei.
Das Landgericht hat einen minder schweren Fall der besonders schweren Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB angenommen. Im Rahmen der Gesamtwürdigung hat es maßgebend strafmildernd berücksichtigt das umfängliche von Reue getragene Geständnis des zur Tatzeit 24-jährigen, nicht vorbestraften Angeklagten, das der Nebenklägerin eine Aussage in der Hauptverhandlung erspart habe, seine Entschuldigung, verbunden mit einem Schmerzensgeldangebot von 1.000 Euro, seine alkoholbedingte Enthemmung, seine Strafempfindlichkeit als Erstverbüßer und seine Selbststellung bei den Ermittlungsbehörden. Strafschärfend hat es ausdrücklich die psychischen Auswirkungen der Tat und die gegenüber der Nebenklägerin aufgewendete Tatintensität gewertet, deren Vertrauen und Gastfreundschaft der Angeklagte überdies missbraucht habe. Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, dass bei dem zugrunde zu legenden minder schweren Fall des § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB die Untergrenze des § 177 Abs. 2 StGB "nicht zu beachten" sei, da die zuvor genannten Umstände in ihrer Gesamtheit auch die Regelwirkung dieser Vorschrift entfallen ließen.
2. Die Revision der Staatsanwaltschaft deckt letztlich keinen durchgreifenden Rechtsfehler bei der Strafrahmenwahl und der Strafzumessung auf.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf Grund der Hauptverhandlung die wesentlichen be- und entlastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und gegeneinander abzuwägen. Das Revisionsgericht kann nach ständiger Rechtsprechung nur eingreifen, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen wird oder sich die verhängte Strafe von ihrer Bestimmung eines gerechten Schuldausgleichs so weit löst, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 mwN).
a) Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des Landgerichts revisionsrechtlich hinzunehmen. Entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin ist die tatrichterliche Gesamtwürdigung bei der Bestimmung des Strafrahmens nicht lückenhaft. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe hat das Landgericht die von der Revision vermisste Erörterung der Verletzung mehrerer Strafgesetze (neben der Vergewaltigung zugleich gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz) nicht außer Acht gelassen. Im Rahmen der rechtlichen Würdigung führt die Strafkammer die Verwendung des Schlagrings – eine Verurteilung erfolgte nicht, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren insoweit gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellt hatte – und dessen besondere Gefährlichkeit an. Der Senat schließt aus, dass ihr diese Umstände bei der Strafzumessung aus dem Blick geraten sein könnten. Gleiches gilt hinsichtlich der physischen Verletzungsfolgen, die das Landgericht im Einzelnen festgestellt und auch im Lichte möglicher Spätfolgen erörtert hat.
b) Ebenso liegt eine von der Revision beanstandete fehlerhafte Gewichtung der Strafzumessungserwägungen bei der Strafrahmenwahl nicht vor. Die Beschwerdeführerin nimmt lediglich eine eigene stärkere Gewichtung der hohen Gewaltkomponente und der besonderen Intensität der erzwungenen sexuellen Handlungen vor; Rechtsfehler bei der Annahme eines minder schweren Falls zeigt sie indes nicht auf.
c) Nicht zu Unrecht rügt die Beschwerdeführerin allerdings, dass das Landgericht die Untergrenze des § 177 Abs. 2 StGB ohne nähere Begründung als unbeachtlich angesehen hat. Für den Wegfall der Regelwirkung dieser Vorschrift genügt nicht die bloße Bezugnahme auf die Erwägungen, die zur Annahme eines minder schweren Falls nach § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB geführt haben. Das Tatgericht muss sich vielmehr mit dem systematischen Zusammenhang zwischen dem Qualifikationstatbestand des § 177 Abs. 4 StGB, der eine Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 2 Satz 1, 2 Nr. 1 StGB nicht erfordert, und dem Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB auseinandersetzen. Eine Entkräftung der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB kommt nur bei ganz außergewöhnlichen – hier nicht gegebenen – Milderungsgesichtspunkten in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2003 – 3 StR 60/03, NStZ 2004, 32 f.; Urteil vom 7. März 2000 – 5 StR 30/00, NStZ 2000, 419).
Insoweit in Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts schließt der Senat jedoch angesichts der verhängten Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten aus, dass sich der Rechtsfehler auf die konkrete Straffindung ausgewirkt hat. Die Strafe orientiert sich weder an einer Ober- noch an einer Untergrenze des Strafrahmens, so dass die fehlerhafte Annahme der Strafrahmenuntergrenze des § 177 Abs. 5 Halbsatz 2 StGB (ein Jahr Freiheitsstrafe) im Vergleich zu der richtigerweise anzuwendenden Untergrenze des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB (zwei Jahre Freiheitsstrafe) ohne Belang ist.
3. Die Revision des Angeklagten ist gleichfalls unbegründet. Seine Verfahrensrüge dringt aus den vom Generalbundesanwalt genannten Gründen ebenso wenig durch wie die Sachrüge. Das Landgericht hat namentlich aufgrund der motorischen Fähigkeiten des Angeklagten sowie seines aufrecht erhaltenen Orientierungs- und Erinnerungsvermögens bei einer errechneten Blutalkoholkonzentration von maximal 2 ‰ zur Tatzeit rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB verneint.
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