Entscheidungsdatum: 17.03.2011
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juli 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der hiergegen gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch aufgrund der zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Das Rechtsmittel führt allerdings mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte den Nebenkläger mit zwei Bierflaschen aus Glas (0,33 I) auf den Hinterkopf, wobei eine Flasche zerbrach. Der Nebenkläger konnte den Angeklagten zunächst abdrängen. Der Angeklagte ging jedoch sofort wieder auf den Nebenkläger los. Mit dem scharfkantigen Hals der zerbrochenen Bierflasche schlug und stach er mehrfach in Richtung des Halses und des Kopfs des Nebenklägers. Er verursachte glattrandige Verletzungen im Bereich des linken Ohrs mit einer fast vollständigen Abtrennung des linken Ohrläppchens und mehrere, teils schlitzartige und in einem Fall bis ins Unterhautfettgewebe reichende glattrandige Verletzungen an der linken Halsseite, die nur wenige Zentimeter von der Halsschlagader bzw. der Halsvene entfernt waren; der Angriff war deswegen lebensbedrohend (UA S. 7, 14). Nur durch das Eingreifen weiterer Gäste und des Sicherheitsdienstes konnte er von weiteren Verletzungshandlungen abgehalten werden.
2. Die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des Zusammenwirkens einer alkoholischen Beeinflussung (maximale Blutalkoholkonzentration: 1,26 ‰), von Übermüdung und einer ängstlich gereizten Grundstimmung infolge von Nachstellungen und Provokationen von Seiten des Nebenklägers im Vorfeld sowie unmittelbar vor der Tat nicht ausschließbar erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei. Sie hat die Strafe dem in § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB normierten minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls sei dabei nur unter Berücksichtigung und Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB gerechtfertigt.
3. Der Strafausspruch hat aufgrund der Nichtabhandlung der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB keinen Bestand.
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten ungeachtet des festgestellten, für sich nicht massiven Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten und seine Freundin unmittelbar vor Tatbegehung (UA S. 6) angesichts des vorangegangenen nachhaltigen Nachstellungsverhaltens des Nebenklägers (UA S. 4 f.) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 213 Rn. 5 a.E. mN zur st. Rspr.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig gebietet (vgl. zu § 226 Abs. 2 StGB aF: BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 1991 – 5 StR 6/91, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 2; vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; siehe auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; ferner jeweils mwN: Fischer, aaO, § 224 Rn. 15; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 224 Rn. 15). Sofern der Erregungszustand über den in § 213 StGB umschriebenen hinausgeht und zu einer von dieser Vorschrift nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Verstoß gegen § 50 StGB eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1976 – 1 StR 482/76; Beschlüsse vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; vom 6. November 1985 – 2 StR 590/85, NStZ 1986, 115; vom 30. Juli 2008 – 2 StR 270/08, NStZ 2009, 91, 92; vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10).
b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Allerdings gehen die beiden Milderungsgründe nach §§ 213 und 21 StGB mit der durch die Provokation verursachten affektiven Erregung des Angeklagten auf dieselbe Wurzel zurück. Dies kann einer nochmaligen Strafrahmenmilderung entgegenstehen, obliegt aber der Prüfung des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10; Schneider in MK, § 213 Rn. 28 mwN; noch weiter einschränkend Jähnke in LK, 11. Aufl., § 213 Rn. 14).
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht eine nochmalige Strafrahmenverschiebung vorgenommen oder aus dem Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht sowie konsequent diesen Umstand und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des nur unwesentlich vorbelasteten Angeklagten bei der allgemeinen Strafzumessung zu seinen Gunsten bewertet hätte.
c) Das neue Tatgericht wird bei der erneuten Straffindung insbesondere im Blick auf die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB das gesamte relevante Vorverhalten des Nebenklägers und dessen Einfluss auf die Tatbegehung des Angeklagten umfassend aufzuklären und zudem erneut Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen.
Raum Schaal Schneider
König Bellay