Entscheidungsdatum: 20.04.2016
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29. September 2015 unter Aufrechterhaltung der zugehörigen Feststellungen im Ausspruch über die Einzelstrafe für die Tat 1 (Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung) sowie im Gesamtstrafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachbeschwerde gestützte und auf den Einzelstrafausspruch für die Tat 1 gemäß den Urteilsgründen sowie den Gesamtstrafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Das Landgericht hat zur vorbezeichneten Tat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte und die Nebenklägerin waren nach türkischem Ritus verheiratet. Im Zuge eines Streits Mitte des Monats Mai 2013 schlug der auch schon zuvor ihr gegenüber gewalttätige Angeklagte der Nebenklägerin ins Gesicht und beschimpfte sie. Er kündigte an, er werde an ihr den Analverkehr ausführen, weil sie das verdiene. Die Nebenklägerin widersetzte sich, weinte und versuchte, den Raum zu verlassen. Der Angeklagte zerrte sie ins Gästezimmer. Mehrfach brachte er zum Ausdruck, sie solle locker lassen, dann brauche er sie nicht zu schlagen; wenn sie sich wehre, tue es noch mehr weh. Die Nebenklägerin versuchte, sich zu befreien. Der Angeklagte hielt sie jedoch weiter fest, schlug auf sie ein und warf sie aufs Gästebett. Die Nebenklägerin versuchte mit aller Kraft, das Bett zu verlassen, und bat ihn, er solle aufhören. Der Angeklagte hielt sie weiter fest, zog ihr die Hose aus und drückte sie aufs Bett. Sie fiel mit dem Gesicht in das Kissen und verspürte Atemnot. Er drückte ihr mit großem Kraftaufwand die Beine auseinander und drang zunächst mit den Fingern und dann mit seinem erigierten Glied anal in sie ein. Er führte den Analverkehr ohne Kondom bis zum Samenerguss durch. Anschließend sagte er zur Nebenklägerin, für die zwei Minuten habe sie sich jetzt so gewehrt, und verließ den Raum. Der Nebenklägerin war übel. Sie fühlte sich durch die Tat erniedrigt. Auf der Toilette stellte sie eine anale Blutung fest. Sie hatte durch die Schläge und das Auseinanderdrücken ihrer Beine mehrere Tage Schmerzen am ganzen Körper.
Namentlich wegen dieser Tat leidet die Nebenklägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer mittelgradigen Depression. Sie kann nicht mehr allein leben, hat Schlafstörungen und empfindet bei körperlichen Berührungen Aggressivität. Seit Juli 2013 befindet sie sich in psychotherapeutischer Behandlung und musste mehrere Monate mit Antidepressiva sowie Schlafmitteln behandelt werden.
2. Das Landgericht hat die für die Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten dem Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen. Die Tat weiche in ihrem Unrechts- und Schuldgehalt wesentlich vom Regeltatbild des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB „nach unten ab“. Der Angeklagte und die Nebenklägerin hätten seit längerem eine intime Beziehung geführt. Vor der Tat sei es vier- bis fünfmal zum Analverkehr gekommen. Zwar habe die Nebenklägerin dabei jeweils zum Ausdruck gebracht, dass sie den Analverkehr nicht wolle, diese Sexualpraktik aber dann doch über sich ergehen lassen. Wegen dieses Verhaltens sei die Hemmschwelle des Angeklagten herabgesetzt worden, „noch einen Schritt weiter zu gehen“ und den Analverkehr nicht nur gegen den verbalen, sondern auch gegen den körperlichen Widerstand der Nebenklägerin durchzusetzen.
3. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Die Nichtanwendung des Strafrahmens des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB trotz Erfüllung eines Regelbeispiels nach § 177 Abs. 2 Satz 2 StGB begegnet nur dann keinen rechtlichen Bedenken, wenn nach einer Gesamtwürdigung der relevanten Strafzumessungstatsachen gewichtige Milderungsgründe hierfür streiten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 1998 – 1 StR 116/98, NStZ-RR 1998, 299; Urteil vom 25. Februar 2009 – 2 StR 554/08, NStZ-RR 2009, 203). Dies hat das Landgericht verkannt, indem es der durch die Verwirklichung des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB begründeten Regelwirkung lediglich die Erwägung zu einer womöglich verminderten „Hemmschwelle“ des Angeklagten gegenübergestellt hat. Es bestehen schon Bedenken, ob dieser Gesichtspunkt für sich genommen eine ausschlaggebende Entlastung des Angeklagten begründen könnte. Das bedarf jedoch keiner Entscheidung, weil die Tat ausweislich der Äußerung des Angeklagten, die Nebenklägerin „verdiene“ die Vergewaltigung, Bestrafungscharakter aufweist. Bereits dies schließt es aus, früher gepflogene, von der Nebenklägerin überdies stets abgelehnte Sexualpraktiken strafmildernd in Ansatz zu bringen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2007 – 3 StR 242/07, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 19). Darüber hinaus hat das Landgericht die weiteren den Angeklagten schwer belastenden Umstände (gewichtige Gewaltausübung, besondere Demütigung der Nebenklägerin, Durchführung des Analverkehrs bis zum Samenerguss, Traumatisierung der Nebenklägerin) nicht wie geboten im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt.
4. Der Senat kann nicht ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO), dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Wertung den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB angewendet und für Tat 1 eine höhere Einzelfreiheitsstrafe verhängt hätte. Der betroffene Einzel- und der Gesamtstrafausspruch können demnach keinen Bestand haben.
5. Da nur ein Wertungsfehler gegeben ist, können die rechtsfehlerfrei getroffenen zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind zulässig, sofern sie den bestehenden nicht widersprechen.
Sander König Berger
Bellay Feilcke