Entscheidungsdatum: 29.08.2012
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 6. Februar 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie erzielt mit der Beanstandung sachlichen Rechts den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts unterhielten der Angeklagte und die Nebenklägerin viereinhalb Jahre lang eine platonische Beziehung. Das änderte sich zunächst auch nicht, nachdem sie im März 2011 geheiratet hatten. Sie hatten vereinbart, dass die Ehe auf der im April 2011 stattfindenden Hochzeitreise in einem Hotel in der Türkei auch geschlechtlich vollzogen werden solle. Am ersten Tag des Hotelaufenthalts lehnte die Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr jedoch ab, weil sie Angst vor mit der Entjungferung womöglich verbundenen Schmerzen hatte. Den verärgert reagierenden Angeklagten vertröstete sie auf den nächsten Tag. Am darauf folgenden Abend tauschten die Eheleute Zärtlichkeiten aus. Abermals erwachte dann aber in der Nebenklägerin die Furcht vor etwaigen Schmerzen, weswegen sie den Angeklagten zurückwies. Der Angeklagte geriet in Wut und wollte sich nicht weiter „hinhalten“ lassen. Er warf die Nebenklägerin auf das Bett und vollzog gewaltsam den Geschlechtsverkehr an ihr, obwohl sie vor Schmerzen schrie (Tat 1: Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten).
Am 27. April 2011 forderte der Angeklagte die Nebenklägerin in der ehelichen Wohnung nach einem Streit beim Abendessen zum Oralverkehr auf, was sie ablehnte. Er setzte sich neben sie, zog ihren Kopf an den Haaren herab und penetrierte ihren Mund mit seinem erigierten Glied für einige Sekunden. Sie konnte sich befreien und drohte, laut zu schreien. Der Angeklagte packte sie an den Oberarmen und schüttelte sie. Außerdem schlug er ihr in den Nacken und zog sie an den Haaren. Die Nebenklägerin erlitt eine Verrenkung der Halswirbelsäule, eine Prellung des rechten Ellenbogens sowie Quetschungen der Nackenmuskulatur (Tat 2: Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten).
2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat hinsichtlich der Tat 1 rechtsfehlerhaft die Prüfung unterlassen, ob die Voraussetzungen des minder schweren Falls nach § 177 Abs. 5 Alt. 1 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) gegeben sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist es auch bei Erfüllung eines in § 177 Abs. 2 Satz 2 StGB aufgeführten Regelbeispiels nicht ausgeschlossen, die Tat als minder schweren Fall nach § 177 Abs. 5 StGB zu bewerten, sofern zugunsten des Angeklagten streitende Umstände außergewöhnlichen Umfangs vorliegen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 1999 – 3 StR 253/99, BGHR StGB § 177 Abs. 5 Strafrahmenwahl 1, und vom 13. April 2011 – 4 StR 100/11, StraFo 2011, 325 mwN). Eine Vielzahl sehr gewichtiger strafmildernder Umstände führt das Landgericht im Rahmen der – rechtsfehlerfreien – Ablehnung der Anwendung des Strafrahmens nach § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB auf (unter anderem: nicht bestrafter, in geordneten Verhältnissen lebender und geständiger junger Angeklagter, keinerlei Gewalt während der vorhergehenden mehrjährigen Beziehung, Entschuldigung, Bereitschaft zur Zahlung von Schmerzensgeld, Versprechen des ersten Geschlechtsverkehrs am Vortag und Eingehen auf Zärtlichkeiten durch die Nebenklägerin am Tattag, keine schweren Folgen für die Nebenklägerin und „unauffälliger“ Verlauf des weiteren Urlaubs; UA S. 22 f.). Bei dieser Sachlage drängt sich die Prüfung des § 177 Abs. 5 Alt. 1 StGB auf.
b) Auf die Tat 2 wendet das Landgericht den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB an. Angesichts der dafür gegebenen Begründung, die maßgebend auf bei dieser Tat – anders als bei Tat 1 – fehlende Entlastungsgründe abstellt (hier sei dem Angeklagten die Weigerung der Nebenklägerin von vornherein klar gewesen, UA S. 23), besorgt der Senat, dass sich das Landgericht den Blick auf die weiteren auch für diese Tat geltenden Milderungsgründe (spezifisch hinzukommend: sehr kurzzeitige und mit vergleichsweise geringer Gewalt durchgeführte Sexualstraftat, UA S. 23) und damit auf eine eigenständige Würdigung dieser Tat im Lichte der gesamten Strafzumessungstatsachen verstellt hat. Soweit das Landgericht die Tat als „Machtdemonstration“ und als „Bestrafung“ bewertet (UA S. 8 f., 23), findet dies in der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung im Übrigen keine Grundlage.
3. Der Senat vermag angesichts der Vielzahl und des Gewichts der für den Angeklagten sprechenden Umstände nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Würdigung niedrigere Einzelfreiheitsstrafen und eine geringere, aussetzungsfähige Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte. Die Feststellungen können bestehen bleiben, weil sie durch die Bewertungsfehler nicht berührt werden. Neue Feststellungen sind möglich, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass in die vorzunehmende Strafzumessung auch der Umstand einzustellen sein wird (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1996 – 2 StR 210/96, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Strafzumessung 13), dass der Angeklagte und die Nebenklägerin nach den gegenständlichen Taten von Mitte Mai bis Mitte Juni 2011 im Rahmen einer versuchten Versöhnung zusammengelebt haben, was nach den Feststellungen letztlich nicht tatbedingt, sondern daran scheiterte, dass der Angeklagte aus Sicht der Nebenklägerin „nicht bereit war, seine Vorstellungen von der Ehe zu ändern“ (UA S. 9 f.). Ferner wird es auch unter dem Aspekt des § 46a StGB darzulegen haben, wie die Nebenklägerin auf die Wiedergutmachungsbemühungen des Angeklagten reagiert hat.
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