Entscheidungsdatum: 17.08.2011
1. Auf die Revisionen der Angeklagten E. und Z. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 16. Dezember 2010 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit diese Angeklagten verurteilt worden sind.
2. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das genannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben. Die weitergehende Revision dieses Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten E. und A. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und zu Freiheitsstrafen von vier Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten Z. hat es wegen sexueller Nötigung verurteilt und unter Einbeziehung anderweitig verhängter Freiheitsstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt.
I.
Die Revisionen der Angeklagten E. und Z. greifen mit der Rüge einer Verletzung des § 338 Nr. 6 StPO durch. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 18. Juli 2011 hinsichtlich beider Rechtsmittel zutreffend ausgeführt:
„1. Die Revision macht erfolgreich geltend, dass vor der erneuten Vernehmung der Nebenklägerin am 30. Juni 2010 für den erfolgten Ausschluss der Öffentlichkeit ein neuer Gerichtsbeschluss gemäß §§ 174 Abs. 1 Satz 2, 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG erforderlich gewesen wäre, ein solcher jedoch nicht ergangen und verkündet worden ist und auch durch die Bezugnahme des Vorsitzenden auf den vorausgegangenen Ausschließungsbeschluss der Strafkammer vom 11. Juni 2010 nicht ersetzt werden konnte.
2. Die vom Landgericht getroffenen Entscheidungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit sind zwar nach § 171b Abs. 3 GVG insoweit unanfechtbar und deshalb der Revision entzogen (§ 336 Satz 2 StPO), als es sich um die in § 171b Abs. 1 Satz 1 GVG aufgeführten Voraussetzungen für den Ausschluss handelt. Doch kann in einem solchen Fall die Revision - wie hier - darauf gestützt werden, die Ausschließung der Öffentlichkeit sei nicht durch einen den Anforderungen des § 174 Abs. 1 GVG entsprechenden Beschluss gedeckt (vgl. BGH StV 1990, 10; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 171b GVG Rdnr. 12).
3. Die Strafkammer hat mit Beschluss vom 11. Juni 2010 die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung der Nebenklägerin gemäß §§ 174 Abs. 1 Satz 2, 171b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GVG ausgeschlossen. Zwar gilt ein Beschluss, der die Ausschließung der Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen anordnet, grundsätzlich bis zur Beendigung des Verfahrens und deckt auch den Öffentlichkeitsausschluss, wenn eine Vernehmung unterbrochen und an einem anderen Verhandlungstag fortgesetzt wird (vgl. BGH NStZ 1992, 447). Doch wenn derselbe Zeuge in der laufenden Hauptverhandlung nochmals unter Ausschluss der Öffentlichkeit vernommen werden soll, ist grundsätzlich gemäß §§ 171b, 174 Abs. 1 Satz 2 GVG ein neuer Gerichtsbeschluss erforderlich und mithin eine Anordnung des Vorsitzenden, in der auf einen vorausgegangenen Ausschließungsbeschluss Bezug genommen wird, nicht ausreichend (vgl. BGH NStZ 1992, 447; 2008, 476; 2009, 286, 287; NStZ-RR 2009, 213, 214).
Die Nebenklägerin wurde ausweislich des Sitzungsprotokolls am 18. Juni 2010 im Einvernehmen sämtlicher Verfahrensbeteiligter als Zeugin entlassen (PB S. 17). Damit ist ihre Vernehmung abgeschlossen gewesen und ihre nochmalige Vernehmung am 30. Juni 2010 in nichtöffentlicher Sitzung hat einen neuen Gerichtsbeschluss gemäß § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG erfordert. Ein solcher ist ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls vor der Vernehmung der Zeugin am 30. Juni 2010 nicht ergangen und nicht verkündet worden. In der Sitzungsniederschrift ist insoweit jeweils vermerkt: 'Die Öffentlichkeit wurde gemäß Beschluss der Kammer vom 11.06.2010, Anlage 3 zum Protokoll, für die Dauer der Vernehmung der Zeugin K. ausgeschlossen' (PB Bl. 20, 21). Das Protokoll ist im Hinblick auf die sonstige Protokollierung von Beschlüssen in diesem Punkt auch weder lückenhaft noch widersprüchlich (vgl. dazu BGH NStZ-RR 2009, 213, 214). Im Übrigen ist die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsgegenerklärung vom 25. Mai 2011 dem Vortrag des Beschwerdeführers nicht entgegengetreten, sondern hat ausgeführt, dass die Verfahrenstatsachen insoweit zutreffend wiedergegeben seien. Durch das Protokoll ist daher bewiesen (§ 274 Satz 1 StPO), dass vor der Vernehmung der Zeugin am 30. Juni 2010 der infolge ihrer zuvor angeordneten Entlassung zwingend vorgeschriebene Beschluss des Gerichts nach § 174 Abs. 1 Satz 2 GVG nicht ergangen, jedenfalls aber nicht verkündet worden ist.
5. Es liegt auch nicht die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannte Ausnahme von der Notwendigkeit eines erneuten Gerichtsbeschlusses vor (vgl. BGH StV 2008, 126, 127; NStZ 1992, 447). Danach kann ein solcher entbehrlich sein, wenn dem Protokoll zu entnehmen ist, dass die Entlassung des Zeugen sofort zurückgenommen wurde und die für den Ausschließungsbeschluss maßgebliche Interessenlage fortbestand, sodass sich die zusätzliche Anhörung zusammen mit der vorausgegangenen als eine einheitliche Vernehmung darstellt (BGH NStZ 1992, 447). So lag der Fall hier aufgrund des zeitlichen Abstands und der weiteren Beweisaufnahme zwischen den Vernehmungen ersichtlich nicht (die zu § 171b StGB ergangenen Entscheidungen - vgl. BGH StV 1990, 9 und 10 - betrafen jeweils anders gelagerte Sachverhalte).“
II.
Die Revision des Angeklagten A. ist zum Schuldspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat sich aufgrund der als glaubhaft bewerteten Aussage der Nebenklägerin und des - später freilich widerrufenen und teilweise wieder bestätigten - Geständnisses dieses Angeklagten davon überzeugt, dass der Angeklagte am 18. Januar 2010 dem Mitangeklagten E. gestattet hatte, zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs mit der 18 Jahre alten Nebenklägerin seine Wohnung zu nutzen und dass die drei Angeklagten in unterschiedlicher Beteiligung die junge Frau sexuell nötigten. Das Landgericht hat die Tathandlungen des Angeklagten A. , Kneten der nackten Brüste, Festhalten der Nebenklägerin auf dem Bett im Zusammenhang mit der Ausübung gewaltsam vollzogenen Geschlechtsverkehrs durch den Mitangeklagten E. und eigener vaginaler Verkehr mit der Nebenklägerin bis zum für ihn unüberwindbaren Widerstand der jungen Frau in vollem Einklang mit dem Geständnis festgestellt. Die Annahme mittäterschaftlicher Körperverletzung beruht auf einer nachvollziehbaren Bewertung fehlerfrei festgestellter, im Wesentlichen auf dem Geständnis aufbauender Umstände (UA S. 21, 37 bis 39). In Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalbundesanwalts ist deshalb auszuschließen, dass sich Fehler des Landgerichts bei der Würdigung der Glaubhaftigkeit der Aussage der Nebenklägerin auf die Entscheidung über den Schuldspruch hinsichtlich dieses Angeklagten ausgewirkt haben können.
2. Die dem Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 StGB entnommene Strafe hält der - freilich eingeschränkten (vgl. BGH, Urteil vom 17. September 1980 - 2 StR 355/80, BGHSt 29, 319, 320; BGH, Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349) sachlichrechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte A. schon im Haftprüfungstermin am 29. April 2010 - mithin vor der am 7. Mai 2010 erfolgten Eröffnung des Hauptverfahrens - teilgeständige, sich in wesentlichen Punkten mit der Aussage der Nebenklägerin deckende Angaben über das Tatgeschehen gemacht hat (UA S. 37). Vor dem Hintergrund erheblicher Qualitätsmängel in der Aussage der Nebenklägerin (mangelnde Aussagekonstanz, nicht auszuschließende taktische Lügen), wäre es notwendig gewesen, diese frühen Angaben des Angeklagten dahingehend zu würdigen, ob sie hinsichtlich des Verbrechens gemäß § 177 Abs. 2 Nr. 2 StGB einen Aufklärungserfolg im Sinne des § 46b Abs. 1 Nr. 1 StGB bewirkt haben (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 46b Rn. 14).
b) Die Würdigung des in der Hauptverhandlung abgelegten Geständnisses weist Wertungsfehler zu Lasten des Angeklagten auf.
Schon die Bewertung als bloßes Teilgeständnis begegnet Bedenken, zumal sich der Angeklagte hinsichtlich des „Anpackens“ der Nebenklägerin über deren Aussage in der Hauptverhandlung hinaus selbst belastet hat (UA S. 21, 27, 30). Das Landgericht hat nicht ersichtlich erwogen, dass das Geständnis nach den UA S. 39 getroffenen Feststellungen wegen des Drucks der Mittäter gesteigerter Schuldeinsicht entsprungen und hinsichtlich der Mitangeklagten eine - auch jenseits des § 46b Abs. 1 StGB - gemäß § 46 StGB zu erwägende Aufklärungshilfe bewirkt haben könnte (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 46b Rn. 6).
c) Die Strafe muss deshalb hinsichtlich des Angeklagten A. neu bemessen werden. Dies hat auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen zu geschehen, die freilich um solche ergänzt werden können, die den bisher getroffenen Feststellungen nicht widersprechen.
III.
Zu der neu vorzunehmenden umfassenden Beweiswürdigung hinsichtlich der Angeklagten E. und Z. bemerkt der Senat:
Sollte das Geständnis des Angeklagten A. - nach neuerlicher kritischer Prüfung - mit als Grundlage der Beweisführung herangezogen werden können, lägen hinsichtlich der Aussage der Nebenklägerin die Voraussetzungen der Konstellation Aussage-gegen-Aussage nicht vor. Gleichwohl sind die Qualitätsmängel der Zeugenaussage der Nebenklägerin nicht lediglich - wie im angefochtenen Urteil - isoliert, sondern in einer Gesamtschau zu bewerten (vgl. Brause, NStZ 2007, 505, 512), in die freilich auch die die Aussage stützenden Umstände einzubeziehen sein werden.
Soweit erneut bewiesen werden sollte, dass die Nebenklägerin vor den sie bedrängenden Handlungen der Angeklagten einem Anrufer mitteilte, „sie müssten jetzt loslegen, sie wollten jetzt ficken“ (UA S. 13), wird angesichts des hierdurch eindeutig erklärten Einverständnisses mit nachfolgenden sexuellen Handlungen zu erwägen sein, dass bei der späteren ersten ablehnenden Äußerung der Nebenklägerin dem Angeklagten E. nicht - wie bisher angenommen - „spätestens“ klar geworden sein musste, dass es zu keinem freiwilligen Geschlechtsverkehr kommen werde. Der Zeitpunkt der Vorsatzbildung wird angesichts des zuvor ausdrücklich geäußerten Willens der Nebenklägerin zur Vornahme des Geschlechtsverkehrs näherer Prüfung und Bewertung bedürfen.
Die vom Tatgericht vorgenommenen Sachverhaltsannahmen zugunsten der Angeklagten ohne kritische Prüfung erschweren ersichtlich seine Beweisführung. Der Senat weist darauf hin, dass eine Wahrunterstellung nur veranlasst ist, soweit keine begründete Aussicht besteht, dass behauptete, die Angeklagten begünstigende Fallgestaltungen durch eine Beweisaufnahme ausgeschlossen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 27. April 2004 - 3 StR 112/04, NStZ 2004, 614, 615).
Raum Brause Schaal
Schneider Bellay