Entscheidungsdatum: 20.07.2011
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 1. Februar 2011 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen und im Ausspruch über den Teilvorwegvollzug der Freiheitsstrafe vor der Maßregel aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, dessen Unterbringung in der Entziehungsanstalt angeordnet sowie den Vorwegvollzug von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe vor der Maßregel bestimmt. Die gegen das Urteil gerichtete Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen.
a) Am Tattag zogen der Angeklagte, sein Bruder und ein Freund „feiernd“ durch öffentliche Straßen in Dresden. Ein „Blödelspiel“, im Zuge dessen der Angeklagte seinen Bruder grob beleidigte und ihm von diesem „spaßeshalber“ zwei leichte Ohrfeigen gegeben wurden, schlug in Ernst um. Der Angeklagte geriet in Wut und beschimpfte seinen Bruder mit rüden Worten. Nach einer Schubserei fiel der Bruder zu Boden. Der Angeklagte trat ihn unter weiteren Beschimpfungen mehrmals gegen den Körper. Den Freund, der ihn wegziehen wollte, schob er beiseite. Er zog sein Kampfmesser, das er stets bei sich trug, beugte sich über seinen reglos am Boden liegenden Bruder und stieß ihm das Messer mit tödlicher Wirkung wuchtig ins Herz.
Nach der Tat war die Wut des Angeklagten „von einer Sekunde auf die andere verflogen und wich dem Schrecken darüber, was er gerade getan hatte“; er ging einige Schritte zurück und steckte das Messer in seine Jackentasche, wobei er rief „So ´ne Scheiße, so ´ne Scheiße, alles nur wegen mir. Ruft einen Notarzt!“ (UA S. 15). Er ging aufgeregt ein paar Schritte hin und her und sagte immer wieder sinngemäß, dass er seinen Bruder erstochen habe und dass das „so ´ne Scheiße“ sei (UA S. 16). Alle Rettungsbemühungen blieben erfolglos.
Der Angeklagte wies zur Tatzeit eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,28 ‰ auf. Im Blutserum wurden 10,5 ng/ml Metamfetamin, im Urin Abbauprodukte von Cannabis sowie Metamfetamin und Amfetamin festgestellt.
b) Das sachverständig beratene Landgericht hat eine durch die Drogenintoxikation bedingte Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB ausgeschlossen. Der Angeklagte sei an Alkohol und Drogen gewöhnt. Sein Verhalten vor, während und nach der Tat sei zielorientiert gewesen. Ausfallerscheinungen seien nicht aufgetreten. Zur Frage einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung hat es sich der „nachvollziehbaren und einleuchtenden“ Bewertung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, wonach die Annahme eines die Schuld einschränkenden Affekts „aufgrund der Gesamtwürdigung des bereits dargelegten Täterverhaltens vor, während und nach der Tat fernliegend“ sei (UA S. 34).
2. Entgegen der Auffassung der Revision tragen die Feststellungen den Schuldspruch wegen Totschlags. Namentlich ist die Schwurgerichtskammer rechtsfehlerfrei zur Annahme des Tötungsvorsatzes gelangt. Sie hat sich dabei ausreichend auch mit den Gesichtspunkten des Nachtatverhaltens des Angeklagten befasst, die der Vorsatzannahme unter Umständen entgegenstehen könnten.
3. Hingegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Die Schwurgerichtskammer hat sich mit der Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung vermindert gewesen ist, in einer Weise auseinandergesetzt, die rechtlicher Prüfung nicht standhält. Das angefochtene Urteil teilt die wesentlichen Grundlagen, an die die – für sie einleuchtenden – Schlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen, nicht in einer für die revisionsgerichtliche Überprüfung ausreichenden Weise mit (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 1987 – 4 StR 31/87, BGHR StGB § 20 Bewusstseinsstörung 3).
Den Feststellungen sind mehrere Umstände zu entnehmen, die für eine Affekttat sprechen können. So war die Beziehung des Angeklagten zu seinem Bruder nicht frei von Konflikten. Die Tat war durch einen elementaren Ablauf ohne Sicherungstendenzen auf zur Tatzeit noch belebten öffentlichen Straßen im Beisein des Freundes des Bruders geprägt, wobei der Tatanstoß und die Reaktion des Angeklagten in einem beträchtlichen Missverhältnis zueinander standen; hinzu kommen der im Urteil beschriebene abrupte Stimmungsumschwung des Angeklagten nach der Tat sowie dessen nicht unerhebliche Alkohol- und Drogenintoxikation (vgl. zum Ganzen etwa LK/Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 133 ff.; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 20 Rn. 32; je mwN).
Ob der psychiatrische Gutachter diese Umstände erwogen hat und weshalb er gleichwohl eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit sicher ausschließen zu können meinte, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Deshalb kann der Senat nicht prüfen, ob der Gutachter und ihm folgend die Schwurgerichtskammer die schwierige Frage, ob ein etwaiger Affekt das Gewicht einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung erlangt hat, im Wege der gebotenen Gesamtwürdigung (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 1. April 2009 – 2 StR 601/08, NStZ 2009, 571, 572, und vom 22. Januar 2004 – 4 StR 319/03, NStZ-RR 2004, 234, 235 mwN) rechtlich einwandfrei beantwortet hat. Dies und die Frage, ob die weiteren Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, bedürfen deshalb nochmaliger tatgerichtlicher Beurteilung. Der Senat schließt dabei aus, dass die neue Hauptverhandlung eine aufgehobene Schuldfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB) ergeben oder dessen Tötungsvorsatz in Frage stellen könnte.
Die Feststellungen können mit Ausnahme der zur Schuldfähigkeit getroffenen bestehen bleiben. Ansonsten sind neue Feststellungen zulässig, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
4. Der Maßregelausspruch ist rechtsfehlerfrei und kann daher bestehen bleiben. Allerdings zieht die Aufhebung des Strafausspruchs den Wegfall des angeordneten Teilvorwegvollzugs der Strafe nach sich. Im Hinblick auf die fortdauernde Untersuchungshaft wird er sich aufgrund der zwischenzeitlich weiter vollzogenen Untersuchungshaft wohl erübrigen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2010 – 5 StR 299/10).
Basdorf Raum Schaal
König Bellay