Entscheidungsdatum: 08.06.2011
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 31. Januar 2011 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Dresden zurückverwiesen.
Im Wiederaufnahmeverfahren hat das Landgericht Chemnitz das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 24. Juni 1994, durch das der Angeklagte wegen Mordes in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden war, aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen; zugleich hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Umfang der Aufhebung Erfolg; im Übrigen - die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten betreffend - ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Am 25. August 1993 erschoss der aus Vietnam stammende Angeklagte in der Wohnung eines Landsmannes zwei weitere Vietnamesen mit einer kurz zuvor erworbenen Pistole. Er feuerte aus unmittelbarer Nähe und in schneller Folge mehrfach auf die beiden von dem Angriff völlig überraschten Opfer. Beide verstarben noch am Tatort. Einen Tag später stellte sich der Angeklagte der Polizei.
Die Schwurgerichtskammer gelangt zu der Überzeugung, dass der Angeklagte die Taten aufgrund einer durch eine schizophrene Psychose hervorgerufenen Wahnvorstellung beging. Sein angegebenes Tatmotiv, die Getöteten hätten ein Schutzgeld von ihm erpressen wollen, beruhe auf einer wahnhaften Verkennung der Wirklichkeit; der Angeklagte habe sich auch in der Wohnung von den später Getöteten bedroht gefühlt. Sachverständig beraten kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass beim Angeklagten eine paranoide Psychose vorlag, die „tat- und tatzeitbezogen nicht nur zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, sondern im Wege der Nichtausschließbarkeit“ (UA S. 20) auch zu einer Aufhebung seiner Schuldfähigkeit im Tatzeitraum führte, und gelangt daher zu einem Freispruch des Angeklagten. Auf der Grundlage der Gutachten zweier psychiatrischer Sachverständiger sowie der Aussagen zweier sachverständiger Zeugen bejaht sie indes seine Gefährlichkeit für die Allgemeinheit, die eine Unterbringung gemäß § 63 StGB erfordere.
2. Soweit das Landgericht beweiswürdigend eine nicht ausschließbare völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit, möglicherweise sogar schon der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten (§ 20 StGB), jedenfalls aber eine erhebliche Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) annimmt, ist dies frei von Rechtsfehlern. Auch eingedenk des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO bleibt daher der Freispruch des Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen bestehen.
3. Indes war der Maßregelausspruch aufzuheben. Die Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Dies gilt ungeachtet des Gewichts der Anlasstaten auch im vorliegenden Fall, in dem der Betroffene wegen der von ihm im nicht ausschließbaren Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Tat bereits seit 17 Jahren inhaftiert ist. Den danach zu stellenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht hinreichend begründet. Wegen des immensen zeitlichen Abstands zu den Anlasstaten reicht hierfür der Charakter der Anlasstaten ausnahmsweise nicht aus. Das Landgericht hat sich darauf beschränkt, die Gefährlichkeitsbeurteilungen der beiden psychiatrischen Sachverständigen und der beiden sachverständigen Zeugen wiederzugeben, die seinen Schluss des Landgerichts zwar übereinstimmend stützen. Erforderlich wäre, die wesentlichen Anknüpfungs- und Befundtatsachen der Sachverständigenbewertung im Urteil so wiederzugeben, wie dies zum Verständnis der gutachtlichen Äußerungen und zur Beurteilung ihrer Schlüssigkeit erforderlich wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 5 StR 397/08; Urteil vom 19. Februar 2008 - 5 StR 599/07; BGH, Urteil vom 15. Januar 2003 - 5 StR 223/02, NStZ 2003, 307 f., Beschluss vom 8. April 2003 - 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232, jeweils mwN).
Die Schlussfolgerungen der Sachverständigen und sachverständigen Zeugen werden aus der Schilderung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten und insbesondere seines Verhaltens während der Haft nicht belegt. Dem Urteil ist lediglich Folgendes zu entnehmen: Während sein Vorleben vor der Tat, abgesehen von ehelichen Problemen, weitgehend unauffällig war, fiel er zu Beginn seiner Haftzeit durch Verstöße gegen die Hausordnung auf, denen jedoch damals keine psychotische Bedeutung beigemessen wurde. Ab 1996 zeigten sich „zunehmend Verhaltensauffälligkeiten“, weshalb er sich wiederholt in psychiatrischer Behandlung befand. In diesem Zusammenhang werden nur vom Angeklagten berichtete Körperbeeinflussungsphänomene geschildert. Nachdem er sich deswegen in der Zeit von August 1997 bis Januar 1998 im Haftkrankenhaus befunden hatte, in dem ein schizoaffektives Syndrom diagnostiziert wurde, trat zunächst eine Beruhigung der Symptomatik ein. Im Jahr 2001 kam es zu erneuten Symptomen der psychiatrischen Erkrankung. Ab dem Jahr 2008 führte sich der Angeklagte weitgehend unauffällig.
Abgesehen von den anfänglichen Verstößen gegen die Hausordnung, denen für die Gefährlichkeitsprognose jedenfalls kein auf der Hand liegendes Gewicht zukommt, werden keine konkreten Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten geschildert. Insbesondere finden sich keine Hinweise, auf aggressives oder gewalttätiges Verhalten des Angeklagten im Strafvollzug. Über den Zeitraum zwischen 2001 und 2008 macht das Urteil keinerlei konkrete Angaben. Inwieweit der Angeklagte eine psychiatrische Behandlung erfuhr, ist nur in unzureichendem Maße ersichtlich. Das Urteil macht auch keine Ausführungen dazu, ob dem Angeklagten Vollzugslockerungen gewährt wurden und wie diese gegebenenfalls verlaufen sind. Angesichts dieser Darlegungsmängel vermag der Senat die Gefahrenprognose des Landgerichts nicht nachzuvollziehen.
4. Der Maßregelausspruch ist daher mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben. Von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind die Feststellungen zum Geschehensablauf der rechtswidrigen Taten, die bestehen bleiben. Sie können durch ihnen nicht widersprechende Feststellungen ergänzt werden.
5. Mit der Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht entfällt der Ausspruch über den Ausschluss der Entschädigung; über die Verpflichtung zur Entschädigung ist in der verfahrensabschließenden Entscheidung zu befinden (§ 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG).
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