Entscheidungsdatum: 29.08.2018
1. Auf die Revision der Staatsanwalt wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 11. Dezember 2017 betreffend die Fälle 1, 3 und 4 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und mit Sichverschaffen kinderpornographischer Schriften (Fall 2), wegen Verbreitens (Fall 4) und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften (Fall 6) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Wegen zweier weiterer Tatvorwürfe (Fälle 1 und 3) hat es den Angeklagten freigesprochen. Allein hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt im tenorierten Umfang zur Aufhebung des Urteils.
I.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernten sich der Angeklagte und die Mutter der Nebenklägerin im Jahr 2004 als Wohnungsnachbarn kennen. Aus dem nachbarschaftlichen Verhältnis entwickelte sich eine enge und vertrauensvolle Freundschaft. Nach der Geburt der Nebenklägerin am 11. Juni 2011 unterstützte der Angeklagte die alleinerziehende Mutter in allen Lebenslagen. Er betreute und beaufsichtigte das Kind, wenn dessen Mutter beruflich verhindert war, jeweils für längere Zeit und übernahm „Verantwortung für das körperliche und psychische Wohl“ des Kindes.
Im Jahr 2014 machte der Angeklagte über das „Tor“-Netzwerk die Bekanntschaft des wegen Verdachts der bandenmäßigen Verbreitung kinderpornographischer Schriften gesondert verfolgten Zeugen G. . Bei Treffen, bei denen sie sich über ihre pädophilen Vorlieben austauschten, erzählte der Angeklagte auch von seinem „Patenkind“ und zeigte G. (strafrechtlich nicht relevante) Fotos der Nebenklägerin, die er mit seinem Smartphone gefertigt hatte. Da G. die Nebenklägerin „sehr süß“ fand, schickte der Angeklagte ihm auch zwischen den persönlichen Treffen solche Bilder von ihr.
2. Vor diesem Hintergrund war dem Angeklagten in der - unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen - Anklageschrift unter anderem vorgeworfen worden, die Nebenklägerin im Badezimmer der Wohnung ihrer Mutter (Fall 1 der Anklage) und auf einer öffentlichen Toilette (Fall 2 der Anklage) sexuell missbraucht zu haben. Dabei gefertigte Fotos habe er entsprechend seiner vorgefassten Absicht anschließend an den Zeugen G. weitergegeben (Fälle 3 und 4 der Anklage). In den Fällen 1 und 3 der Anklage hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Insoweit hat es folgende Feststellungen getroffen:
a) Im März 2016 säuberte der Angeklagte das Gesäß der Nebenklägerin im Badezimmer der Wohnung ihrer Mutter. Dazu nahm er das nach vorne gebeugte Kind mit dem Kopf voraus zwischen seine Beine und wischte mit Toilettenpapier an dessen nacktem Gesäß. Dabei fertigte er sieben Fotos von dem entblößten Hintern. Obwohl die damals fast fünfjährige Nebenklägerin sich nach dem Toilettengang regelmäßig selbständig und ohne fremde Hilfe säuberte, war es für das Landgericht „zugunsten des Angeklagten nicht auszuschließen“, dass die Nebenklägerin ihn insofern um Hilfe gebeten hatte (Fall 1).
b) Mit dem Bemerken, ihm seien beim Abwischen des Hinterns der Nebenklägerin ein „paar Bildchen gelungen“, zeigte der Angeklagte dem Zeugen G. bei einem Besuch an Pfingsten 2016 die im Badezimmer (Fall 1) und in der öffentlichen Toilette (Fall 2) aufgenommenen Fotos vom entblößten Gesäß seines „Patenkindes“. Auf Bitten des Zeugen G. überließ der Angeklagte ihm die Bilder auf einem USB-Stick (Fall 3 betrifft die im Badezimmer der Mutter der Nebenklägerin gefertigten Bilder, Fall 4 diejenigen, die in einer öffentlichen Toilette erstellt wurden).
3. Das Landgericht hat den Angeklagten in den Fällen 1 und 3 aus rechtlichen Gründen freigesprochen.
Soweit ihm im Fall 1 der Anklage ein schwerer sexueller Missbrauch eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und mit Herstellen kinderpornographischer Schriften vorgeworfen war, fehle es an einer sexuellen Handlung im Sinne des § 184h StGB. Denn bei der nicht schon nach dem äußeren Erscheinungsbild sexualbezogenen Handlung könne „allein“ eine sexuelle Motivation die Berührungen nicht zu einer sexuellen Handlung qualifizieren; hinzukommen müsse vielmehr, dass die sexuelle Absicht in objektiv wahrnehmbarer Weise zum Ausdruck komme. Das aber sei nicht der Fall. Zudem fehle es an der nach § 184h StGB notwendigen Erheblichkeit.
Soweit dem Angeklagten im Fall 3 der Anklage das Verbreiten kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 1 StGB) vorgeworfen war, sei ein kinderpornographischer Charakter der im Badezimmer aufgenommenen Fotos nicht feststellbar.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Urteils im tenorierten Umfang.
1. Der Freispruch des Angeklagten in den Fällen 1 und 3 der Urteilsgründe hält schon deshalb der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil das Landgericht nicht erörtert hat, ob sich der Angeklagte durch das Fertigen und die Weitergabe der Lichtbilder nach § 201a Abs. 1 Nr. 1 und 3 StGB (in den Alternativen Herstellen und Zugänglichmachen) strafbar gemacht hat. Den für eine solche Verurteilung erforderlichen Strafantrag (§ 205 Abs. 1 StGB) hat die Mutter der Nebenklägerin im Rahmen ihrer polizeilichen Zeugenvernehmung am 21. Juni 2016 wirksam gestellt. Zudem hat die Vertreterin des Generalbundesanwalts in der Revisionshauptverhandlung das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Freispruchs in den Fällen 1 und 3 der Anklage sowie des Gesamtstrafenausspruchs. Die Aufhebung des Freispruchs im Fall 3 der Anklage bedingt zugleich die Aufhebung der an sich rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen Verbreitens kinderpornographischer Schriften (Fall 4 der Urteilsgründe). Zwar hat die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Teilfreispruch beschränkt. Da der Angeklagte aber - anders als noch in der Anklage beschrieben - die in den Fällen 1 und 2 erstellten Lichtbilder der Nebenklägerin dem Zeugen G. auf einem USB-Stick übergeben hat und damit nur eine Tat vorliegt, ist die Beschränkung unwirksam (BGH, Urteile vom 25. Juli 2002 - 4 StR 104/02; vom 21. November 2002 - 3 StR 296/02, NStZ 2003, 264, 265). Insoweit hat die Nachprüfung des Urteils auch keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklagten ergeben (§ 301 Abs. 1 StPO).
2. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
a) Die Ausführungen des Landgerichts in seiner rechtlichen Würdigung lassen besorgen, dass es bei der Beurteilung, ob im Fall 1 - und infolgedessen auch im Fall 3 - der Urteilsgründe eine sexuelle Handlung des Angeklagten vorliegt, von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.
An einem Kind mit Körperkontakt vorgenommene Handlungen sind sexuelle Handlungen, wenn diese bereits objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild die Sexualbezogenheit erkennen lassen. Daneben können aber auch sogenannte ambivalente Tätigkeiten, die für sich betrachtet nicht ohne Weiteres einen sexuellen Charakter aufweisen, tatbestandsmäßig sein. Insoweit ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalles kennt. Dazu gehören auch die Zielrichtung des Täters (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 4 StR 389/16) und seine sexuellen Absichten (BGH, Urteile vom 10. März 2016 - 3 StR 437/15, BGHSt 61, 173, 176; vom 21. September 2016 - 2 StR 558/15, NStZ 2017, 528). Der notwendige Sexualbezug kann sich mithin etwa aus der den Angeklagten leitenden Motivation ergeben, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen (BGH aaO).
Demgegenüber hat das Landgericht darauf abgestellt, dass „der objektive Betrachter der Handlung ... zwar alle objektiven Umstände des Einzelfalls, allerdings nicht die Motivation des Handelnden (kennt), es sei denn, dass diese in objektiv wahrnehmbarer Weise zum Ausdruck kommt“ (UA S. 10).
b) Dass die Handlung des Angeklagten tatsächlich von einer - auf seiner pädophilen Vorliebe beruhenden - sexuellen Motivation getragen war, hat das Landgericht schon wegen des „Fertigens eines Bildes“ als naheliegend bezeichnet. Dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken, da sich der Grund für das Fertigen der Lichtbilder für andere als der Befriedigung seiner pädophilen Vorlieben dienenden Zwecke jedenfalls nicht ohne weiteres erschließt. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund des Besitzes von mehr als 15.000 kinderpornographischen Bild- und Videodateien (Fall 6), die teilweise auch den „After des Kindes ... in sexuell aufreizender und unnatürlich geschlechtsbezogener Körperhaltung“ zeigen (UA S. 6). Vielmehr verweist der Generalbundesanwalt zutreffend auch darauf, dass die gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Bezug genommenen und damit der revisionsrechtlichen Prüfung zugänglichen Fotos (BGH, Urteil vom 15. Dezember 1999 - 2 StR 365/99, NStZ 2000, 307, 309 f.) weder am Anus der Nebenklägerin, die nach der Aussage ihrer Mutter schon längere Zeit vor der Tat in der Lage war, alleine auf die Toilette zu gehen und sich hinterher selbständig und ohne fremde Hilfe zu reinigen, noch am Toilettenpapier Verunreinigungen erkennen lassen, auf zwei Bildern neben dem nackten Gesäß auch die entblößte Vagina der Nebenklägerin in den Fokus genommen ist und auf einem der Bilder zudem zu sehen ist, dass der Angeklagte mit einem Finger auf die entblößten Schamlippen der Nebenklägerin zeigt.
Hinzu kommt, dass die Fotos von den Handlungen des Angeklagten an der Nebenklägerin in den Toiletten „sexy“ auf den Zeugen G. wirkten (UA S. 8). Dies legt nahe, dass ein objektiver Betrachter in Kenntnis aller Umstände des Einzelfalls den Handlungen des Angeklagten an der Nebenklägerin im Badezimmer der Wohnung ihrer Mutter schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach sexuellen Charakter beimessen würde. Auch der Umstand, dass der Angeklagte dem Zeugen G. sowohl die Fotoaufnahmen aus der öffentlichen Toilette als auch die aus dem Badezimmer mit dem Bemerken übergab, ihm seien beim Toilettengang mit der Nebenklägerin „ein paar Bildchen gelungen“ (UA S. 8), lässt den Schluss zu, dass der Angeklagte bei beiden fotographisch dokumentierten Vorgängen von derselben Motivation geleitet war, nämlich von einer sexuellen Absicht, wie sie das Landgericht für das Geschehen in der öffentlichen Toilette (Fall 2) entgegen der zu Fall 1 inhaltsgleichen Einlassung des Angeklagten festgestellt hat.
c) Nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB macht sich auch strafbar, wer kinderpornographische Schriften ausschließlich zum Eigenbedarf herstellt. Eine spätere Verbreitung ist seit der Einfügung der Nummer 3 durch das 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 21. Januar 2015 (BGBl. I S. 10) nicht mehr erforderlich (vgl. BT-Drucks. 18/2601, S. 30; MüKo-StGB/Hörnle, 3. Aufl., § 184b Rn. 30; SSW-StGB/Hilgendorf, 3. Aufl., § 184b Rn. 15).
d) Nach dem Schutzzweck des § 184b StGB ist dieser Straftatbestand nicht auf Fälle der Darstellung strafbewehrter sexueller Missbrauchstaten im Sinne der §§ 176 bis 176b StGB beschränkt. Denn das Merkmal „Erheblichkeit“ in § 184h Nr. 1 StGB ist nicht einheitlich am Maßstab des § 176 Abs. 1 StGB, sondern gemäß dem Wortlaut des § 184h Nr. 1 StGB „im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut“ zu bestimmen. Nachdem § 184b StGB aber schon mögliche Anreize für potenzielle Missbrauchstäter vermeiden soll, versagt der für § 176 StGB entwickelte Maßstab der „Erheblichkeit“ gerade in den Fällen, in denen es dort zum Beispiel auf die Intensität und Dauer einer Berührung ankommt; die Übernahme dieses Maßstabs würde den Zweck der Anreizvermeidung verkürzen (BGH, Urteil vom 11. Februar 2014 - 1 StR 485/13, BGHSt 59, 177, 182 f. mwN).
Mutzbauer |
|
Schneider |
|
Berger |
|
Mosbacher |
|
Köhler |
|