Entscheidungsdatum: 19.10.2011
Anspruchsberechtigt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG sind auch natürliche Personen, die Anteilseigner einer Gesellschaft waren, welche ihrerseits an der Gesellschaft beteiligt war, deren Vermögen enteignet wurde, sofern der Wert der Anteilsrechte durch die Enteignung gemindert wurde.
Die Klägerinnen begehren als Erbinnen ihres Vaters Ausgleichsleistungen für den Verlust von Anteilsrechten an der E. W. m.b.H. (im Folgenden: GmbH).
Gesellschafterin der GmbH war u.a. die F. P. oHG, an der der Großvater der Klägerinnen beteiligt war. Dieser verstarb im Jahre 1944 und wurde von seinem Sohn, dem Vater der Klägerinnen, beerbt. Die oHG wurde noch im gleichen Jahr in eine Kommanditgesellschaft, die F. P. KG (im Folgenden: KG), umgewandelt, in die der Vater der Klägerinnen als Kommanditist eintrat.
Im Frühjahr 1948 wurden das gesamte Betriebsvermögen wie auch das sonstige Vermögen der GmbH in Umsetzung der SMAD-Befehle Nr. 124, Nr. 64 und Nr. 167 enteignet. Im Juli 1948 wurde die GmbH im Handelsregister als Eigentümerin gelöscht und statt ihrer "Eigentum des Volkes" eingetragen.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 1995 lehnte das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen einen Antrag des Vaters der Klägerinnen auf Rückübertragung von Anteilen an der GmbH ab. Darin führte es aus, durch die Enteignung der GmbH seien mittelbar auch die Gesellschafteranteile enteignet worden. Zugleich wies es darauf hin, dass ein Anspruch auf etwaige Ausgleichsleistungen durch die Entscheidung nicht berührt werde und der Antrag als Antrag auf Ausgleichsleistungen weiterbearbeitet werde.
Mit Bescheid vom 6. Mai 2008 lehnte es die Anträge der Klägerinnen, ihnen als Erbinnen ihres Vaters Ausgleichsleistungen für den Verlust von Anteilsrechten an dem ehemaligen Unternehmen der GmbH zu bewilligen, ab. Die hierauf erhobene Klage blieb ohne Erfolg.
Mit ihren Revisionen verfolgen die Klägerinnen ihr Begehren weiter. Sie machen geltend, ein Anspruch auf Gewährung von Ausgleichsleistungen folge, wenn nicht bereits aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG, so doch jedenfalls aus § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG. Dieser stelle den mittelbar Geschädigten dem unmittelbar Geschädigten gleich, ohne insoweit Einschränkungen vorzusehen.
Der Beklagte tritt den Revisionen entgegen.
Der Vertreter des Bundesinteresses hält das Urteil des Verwaltungsgerichts für zutreffend.
Die Revisionen der Klägerinnen sind begründet. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, Anteilseigner einer Gesellschaft, welche ihrerseits an einer auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage enteigneten Gesellschaft beteiligt war, könnten eine Ausgleichsleistung für den durch diese Enteignung bedingten Verlust des Wertes ihrer Anteilsrechte nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG nicht beanspruchen, verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) (1.). Da die Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts nicht ausreichen, um dem Senat eine abschließende Entscheidung über einen Anspruch der Klägerinnen als Erbinnen nach ihrem Vater auf Gewährung von Ausgleichsleistungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG zu ermöglichen, ist das angegriffene Urteil aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) (2.).
1. Die Klägerinnen sind als Erbinnen ihres Vaters, dessen Anteile an der KG ausweislich der Feststellungen des Verwaltungsgerichts durch die entschädigungslose Enteignung des Unternehmens der GmbH auf besatzungshoheitlicher Grundlage in ihrem Wert gemindert wurden, grundsätzlich anspruchsberechtigt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG erhalten natürliche Personen, die Vermögenswerte im Sinne des § 2 Abs. 2 VermG durch entschädigungslose Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage im Beitrittsgebiet verloren haben, oder ihre Erben oder Erbeserben eine Ausgleichsleistung nach Maßgabe dieses Gesetzes. Bei der Enteignung von Vermögen einer Gesellschaft liegt ein Eingriff auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage nach § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG vor, wenn diese zu einer Minderung des Wertes der Anteile an der Gesellschaft geführt hat.
§ 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG beschränkt die Gewährung von Ausgleichsleistungen auf natürliche Personen und deren Erben oder Erbeserben. Anspruchsberechtigt als "natürliche Person" soll nur eine Person sein, die selbst Erben oder Erbeserben haben kann. Nicht originär ausgleichsleistungsberechtigt sind damit juristische Personen oder Personenhandelsgesellschaften (Urteil vom 14. Februar 2008 - BVerwG 5 C 16.07 - BVerwGE 130, 214 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 14, jeweils Rn. 15 ff.). Der Ausschluss juristischer Personen vom Anwendungsbereich des Ausgleichsleistungsgesetzes ist dem Lastenausgleichsrecht nachgebildet und entspricht der Natur des Ausgleichsleistungsrechts als Wiedergutmachungsrecht. Er verstößt weder gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz noch gegen das Sozialstaatsprinzip noch gegen das Rechtsstaatsprinzip (BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 - 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 2460/95, 1 BvR 2471/95 - BVerfGE 102, 254 <319 f.>; BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2008 a.a.O. jeweils Rn. 16 f.). Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber den ordnungspolitischen Zweck, die Rückgängigmachung von Enteignungen, der im Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes die Einbeziehung juristischer Personen in den Kreis der Anspruchsberechtigten rechtfertigte, infolge des Rückgabeausschlusses in § 1 Abs. 8 VermG als nicht zu erfüllen ansah (BTDrucks 12/4887 S. 37 f.).
§ 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG überträgt diese Grundsätze auf die Situation der Enteignung von Vermögen einer Gesellschaft. Anspruchsberechtigt sind auch in diesem Fall nur natürliche Personen; nicht anspruchsberechtigt ist hingegen die Gesellschaft, deren Vermögen enteignet wurde, als solche. Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist nicht auf natürliche Personen beschränkt, die Anteile an der unmittelbar geschädigten Gesellschaft besaßen, deren Wert durch die Enteignung gemindert wurde. Er erfasst auch natürliche Personen, die Anteilseigner einer Gesellschaft waren, welche ihrerseits an der Gesellschaft beteiligt war, deren Vermögen enteignet wurde, sofern der Wert der Anteilsrechte (bei Personenhandelsgesellschaften der Kapitalkonten) durch die Enteignung gemindert wurde. Durch das Merkmal der enteignungsbedingten Wertminderung ist das Erfordernis des personalen Bezuges zu dem enteigneten Gesellschaftsvermögen (vgl. BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. S. 319) gewahrt. Gerade in den Fällen einer Verflechtung familiengeführter Gesellschaften ist dieser personale Bezug regelmäßig nicht auf die unmittelbar geschädigte Gesellschaft beschränkt.
Dass der Wortlaut des § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG an eine enteignungsbedingte Minderung des Wertes der Anteile an "der" Gesellschaft anknüpft, zwingt nicht zu dem Schluss, leistungsberechtigt seien nur Inhaber von Anteilen an "dieser" Gesellschaft, nicht hingegen auch Anteilseigner anderer Gesellschaften, die an der Gesellschaft, deren Vermögen enteignet wurde, beteiligt sind.
Auch der Gesetzessystematik ist nicht zu entnehmen, dass es sich bei den Anteilsrechten um solche an der von der Enteignung unmittelbar betroffenen Gesellschaft handeln muss.
Ein derartiges Normverständnis wird zudem dem Gesetzeszweck nicht gerecht. Sowohl § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG als auch § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG tragen der mit dem Ausgleichsleistungsgesetz verbundenen Zielsetzung Rechnung, den Kreis der Anspruchsberechtigten grundsätzlich auf natürliche Personen zu beschränken und juristische Personen wie auch Personenhandelsgesellschaften von der Leistungsberechtigung auszunehmen. Dieser Zielsetzung liegt der im Sozialstaatsprinzip verankerte Gedanke der Wiedergutmachung für fremdes Unrecht zugrunde. Danach ist die Gewährung von Ausgleichsleistungen auf natürliche Personen zu konzentrieren, da soziale Gleichheit nur im Verhältnis der originären Grundrechtsträger untereinander, nicht aber zwischen diesen und den zur besseren Wahrnehmung gemeinsamer Interessen in der Form von juristischen Personen oder Personenhandelsgesellschaften gebildeten Rechtskonstrukten gefordert werden kann (BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. S. 319 = Rn. 272; BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2008 a.a.O.). Die Konzentration auf natürliche Personen gebietet es hingegen nicht, die Ausgleichsleistungsberechtigung in den von § 1 Abs. 2 AusglLeistG erfassten Fällen auf natürliche Personen zu beschränken, die an der unmittelbar geschädigten Gesellschaft direkt beteiligt sind. Von Ausgleichsleistungen stets ausgeschlossen bleiben danach alle juristischen Personen auch und gerade dann, wenn keine natürlichen Personen hinter ihnen stehen (wie beispielsweise im Fall einer Gebietskörperschaft), die als Anteilseigner direkt oder mittelbar einen personalen Vermögensverlust erlitten haben. Für Familienstiftungen und Familienvereine hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 Satz 4 AusglLeistG eine besondere Regelung geschaffen.
Diese Beschränkung lässt sich schließlich auch mit der Entstehungsgeschichte nicht begründen. Der Allgemeine Teil der Begründung des Entwurfs des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes stellt die Ausgleichsleistungsberechtigung von Anteilseignern in einen unmittelbaren Zusammenhang zu dem Ausschluss juristischer Personen von Ausgleichsleistungen (BTDrucks 12/4887 S. 30 f.), ohne insoweit eine Einschränkung zu formulieren. Die Begründung des Entwurfs des § 1 Abs. 1 AusglLeistG, der zufolge eine "Beschränkung auf die hinter den Kapitalgesellschaften stehenden natürlichen Personen" erforderlich sei, "um dem damals von den Enteignungen Betroffenen und von einer Restitution ausgeschlossenen Anteilseigner die Ausgleichsleistung zu gewähren", (BTDrucks 12/4887 S. 37) verdeutlicht, dass der Gesetzgeber von einem personalen Bezug der mittelbar geschädigten Anteilseigner zu der Gesellschaft, deren Vermögenswerte enteignet wurden, ausging. Dass er die Ausgleichsleistungsberechtigung im Falle einer mittelbaren Schädigung zugleich auf die Anteilseigner dieser Gesellschaft beschränkt wissen wollte, ist auch der Begründung des Entwurfs des § 1 Abs. 2 AusglLeistG nicht zu entnehmen. Der Hinweis, Absatz 2 stelle klar, dass auch mittelbare Enteignungen der Inhaber von Anteilsrechten nach diesem Gesetz auszugleichen sind, (BTDrucks 12/4887 S. 38) lässt eine Begrenzung des Kreises der Anspruchsberechtigten gerade nicht erkennen.
Die Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 2 Satz 1 AusglLeistG auf die mittelbar geschädigten Anteilseigner steht auch mit dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang. Danach ist es dem Gesetzgeber verboten, wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist hierbei nur anzunehmen, wenn die Verschiedenheit der gleich geregelten Sachverhalte so bedeutsam ist, dass ihre Gleichbehandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist (BVerfG, Beschluss vom 3. Dezember 1980 - 1 BvR 409/80 - BVerfGE 55, 261 <269> = juris Rn. 34). Im Bereich des Wiedergutmachungsrechts kommt dem Gesetzgeber ein besonders weites Beurteilungsermessen zu (BVerfG, Urteil vom 22. November 2000 a.a.O. S. 299).
Die Gleichbehandlung natürlicher Personen, deren Anteilsrechte durch die Enteignung gemindert wurden und die einen personalen Bezug zu dem geschädigten Eigentum aufweisen, mit natürlichen Personen, die unmittelbar an der Gesellschaft, deren Vermögen enteignet wurde, beteiligt waren, erweist sich nicht als mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise unvereinbar. Vielmehr gewährleistet das Differenzierungskriterium der Minderung des Wertes der Anteile (bei Personenhandelsgesellschaften der Kapitalkonten) eine auch im Lichte der sozialstaatlichen Prägung des Wiedergutmachungsrechts sachgerechte Beschränkung des Kreises der Ausgleichsleistungsberechtigten. Es ermöglicht zugleich eine Abgrenzung zu sonstigen Verflechtungen, bei denen ein personaler Bezug zu dem enteignungsbedingten Verlust von Vermögenswerten nicht (mehr) feststellbar ist.
2. Der Senat kann auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen nicht selbst abschließend entscheiden, ob sich das Urteil des Verwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig oder falsch darstellt (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die von diesem bislang festgestellten Tatsachen erlauben weder die Beurteilung, ob auch die weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung einer Ausgleichsleistung nach den §§ 1 ff. AusglLeistG erfüllt sind, noch ggf. deren Berechnung.
Der Rechtsstreit ist daher schon aus diesem Grunde zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Da insoweit schon aus Rechtsgründen eine erneute Tatsachenfeststellung und -würdigung vorzunehmen ist, kommt es auf die von den Revisionen erhobenen Verfahrensrügen nicht an.