Entscheidungsdatum: 16.05.2012
Allein die Tätigkeit als richterlicher Militärjustizbeamter während des Zweiten Weltkriegs an einem Feldkriegsgericht in den besetzten Gebieten rechtfertigt nicht die Annahme, dieser habe im Sinne des § 1 Abs. 4 des Ausgleichsleistungsgesetzes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet.
Die Klägerinnen begehren als Erbeserbinnen nach ihrem Vater Ausgleichsleistungen für den Verlust von Miteigentumsanteilen an mehreren in Berlin belegenen Grundstücken.
Ihr Rechtsvorgänger war als Rechtsanwalt und Notar tätig. Im Juli 1933 trat er in die SA (Motorstaffel) ein, in der er seit April 1935 den Rang eines Truppführers bekleidete. Im Mai 1937 trat er der NSDAP bei. Er wurde im Februar 1940 als Kriegsgerichtsrat z.V. in den Heeresjustizdienst beordert und bei dem Gericht der Gruppe XXI eingesetzt, das im Dezember 1941 durch Umbenennung des Stabes die Bezeichnung "Gericht des Armeeoberkommandos Norwegen" erhielt. In einer im Dezember 1943 erstellten Beurteilung wurde ihm u.a. attestiert, "die absolute Gewähr" zu bieten, "dass er sich jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetz
Im jeweils hälftigen Miteigentum des Rechtsvorgängers der Klägerinnen und seines Bruders standen sechs Grundstücke in Berlin. Deren Sequestration im Jahr 1947 wie auch die Wiederholung der Beschlagnahme im Jahr 1948 wurden u.a. damit begründet, dass der Rechtsvorgänger der Klägerinnen im Krieg als "Oberster Militärrichter für Fahnenfluchtfälle in Norwegen" fungiert habe und (daher einflussreiches) Mitglied der NSDAP gewesen sei. Aufgrund des Gesetzes vom 8. Februar 1949 "zur Einziehung von Vermögenswerten der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten" (VOBl für Groß-Berlin I S. 34) wurden die Grundstücke durch die Bekanntmachung des sogenannten "Demokratischen Magistrats von Groß-Berlin" vom 14. November 1949 "über weitere Einziehungen auf Grund des Gesetzes vom 8. Februar 1949 (Liste 3)" (VOBl für Groß-Berlin I S. 425) entschädigungslos eingezogen und in der Folge in Volkseigentum überführt.
Der Rechtsvorgänger der Klägerinnen wurde im Dezember 1949 vom Kriegstribunal der Truppen des sowjetischen Innenministeriums im Bezirk Nowgorod zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Nach Rückkehr in die Bundesrepublik war er als Notar tätig. Im Februar 1995 rehabilitierte ihn die Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation auf der Grundlage des russischen Gesetzes über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen.
Den Antrag der Klägerinnen auf Gewährung einer Ausgleichsleistung für die Entziehung der Grundstücke lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Rechtsvorgänger der Klägerinnen habe durch seine richterliche Tätigkeit dem nationalsozialistischen System erheblich Vorschub geleistet, so dass ein Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 des Ausgleichsleistungsgesetzes (AusglLeistG) vorliege.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Beklagten verpflichtet, den Klägerinnen eine Ausgleichsleistung für den Verlust des Eigentums an den Grundstücken nach Maßgabe des Ausgleichsleistungsgesetzes zu gewähren. Die Gewährung sei nicht nach § 1 Abs. 4 Alt. 1 und 3 AusglLeistG ausgeschlossen. Erkenntnisse über die Art und Weise der Ausübung der militärrichterlichen Tätigkeit lägen in Bezug auf den Rechtsvorgänger der Klägerinnen nicht vor. Es deute nichts darauf hin, dass weitere Aufklärungsbemühungen erfolgreich wären. § 1 Abs. 4 AusglLeistG begründe weder eine gesetzliche Vermutung zu Lasten des Betroffenen, noch lasse sich aus der Tätigkeit als Wehrmachtrichter im Wege des Anscheinsbeweises auf das Vorliegen eines Ausschlussgrundes schließen. Der Annahme einer tatsächlichen Vermutung eines erheblichen Vorschubleistens zugunsten des nationalsozialistischen Systems stehe entgegen, dass die Förderung der Eroberung fremden Territoriums keine spezifische Unterstützung des nationalsozialistischen Systems sei. Ebenso wenig lasse sich ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit tatsächlich vermuten. Einer solchen Vermutung stehe etwa die hohe Anzahl eingestellter Verfahren entgegen. Ebenso wenig komme dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile die Funktion einer Beweislastregel für den Fall der Unaufklärbarkeit der konkreten Tätigkeit eines auf besatzungshoheitlicher Grundlage enteigneten Wehrmachtrichters zu.
Der Beklagte stützt seine Revision auf einen Aufklärungsmangel sowie auf die Verletzung von § 1 Abs. 4 AusglLeistG. In verfahrensrechtlicher Hinsicht habe es das Verwaltungsgericht versäumt, alle ihm vernünftigerweise zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auszuschöpfen, Erkenntnisse über die wehrmachtrichterliche Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Klägerinnen zu gewinnen. Es habe sich ihm aufdrängen müssen, eine Auskunft des Bundesarchivs - Militärarchiv - einzuholen. Das Verwaltungsgericht habe zudem die Reichweite des § 1 Abs. 4 AusglLeistG verkannt, indem es die Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Klägerinnen als Wehrmachtrichter zu Unrecht nicht als Ausschlussgrund gewertet habe. Es sei tatsächlich zu vermuten, dass Wehrmachtrichter bei ihrer Tätigkeit in der Regel gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtstaatlichkeit verstoßen hätten. Eine Tätigkeit als Wehrmachtrichter begründe des Weiteren regelmäßig eine tatsächliche Vermutung dafür, dass durch diese Tätigkeit dem nationalsozialistischen Unrechtsystem erheblichen Vorschub geleistet worden ist. Die Wehrmachtgerichtsbarkeit sei als Teil der nationalsozialistischen (Unrechts-)Justiz ein tragender Pfeiler des nationalsozialistischen Unterdrückungs- und Verfolgungssystems gewesen. Dass kriegsgerichtliche Entscheidungen im Einzelfall auch rechtstaatlichen Kriterien entsprochen haben könnten, widerstreite der Annahme eines Ausschlussgrundes im Sinne des § 1 Abs. 4 AusglLeistG nicht.
Die Klägerinnen verteidigen das Urteil des Verwaltungsgerichts.
Die Revision des Beklagten ist unbegründet.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass den Klägerinnen als Erbeserbinnen ihres Vaters Ausgleichsleistungen für die auf besatzungshoheitlicher Grundlage bewirkte entschädigungslose Enteignung der betreffenden Grundstücke zu gewähren sind.
Der Anspruch gründet auf § 1 Abs. 1 des Gesetzes über staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher oder besatzungshoheitlicher Grundlage, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können (Ausgleichsleistungsgesetz - AusglLeistG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. Juli 2004 (BGBl I S. 1665), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. März 2011 (BGBl I S. 450). Er ist nicht gemäß § 1 Abs. 4 Alt. 1 oder 3 AusglLeistG ausgeschlossen. Danach werden Leistungen nach diesem Gesetz unter anderem nicht gewährt, wenn der nach Absatz 1 Berechtigte oder derjenige, von dem er seine Rechte ableitet, gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen (1.) oder dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet hat (2.).
1. Ohne Verstoß gegen § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass den Klägerinnen Leistungen nach diesem Gesetz nicht wegen eines Verstoßes ihres Rechtvorgängers gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit (a) zu versagen sind. Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, an die das Bundesverwaltungsgericht gebunden ist, rechtfertigen es nicht, davon auszugehen, der Betroffene habe die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes durch die Art und Weise seiner Amtsausübung erfüllt (b). Ebenso wenig ist ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit tatsächlich zu vermuten (c).
a) Die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG gründen in dem Sittengesetz und den jeder Rechtsordnung vorgegebenen natürlichen Rechten des Einzelnen, die auch unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft fortgalten. Sie finden ihre Ausprägung insbesondere in den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten im Sinne des Art. 1 Abs. 2 GG und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Verwirklichung des Ausschlussgrundes setzt voraus, dass den Grundsätzen in erheblicher Weise zuwidergehandelt wird, wobei die Zuwiderhandlung einen gewissen Systembezug aufweisen muss. Für dessen Annahme genügt ein allgemeiner Zusammenhang mit dem Staats- und Gesellschaftssystem. Das Verhalten muss dem Betroffenen zurechenbar und vorwerfbar sein. Dieser muss wissentlich und willentlich an dem Verstoß gegen die genannten Grundsätze mitgewirkt haben. Die Annahme eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Verhalten durch die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus geltenden Gesetze oder durch obrigkeitliche Anordnungen oder Befehle, denen nach nationalsozialistischer Ideologie Gesetzesrang zuerkannt wurde, formal erlaubt oder von der Strafverfolgung ausgenommen war. Maßgeblich ist nicht die formale Gesetzmäßigkeit, sondern der materielle Unrechtscharakter des Verhaltens. Die Unwürdigkeitsklausel des § 1 Abs. 4 AusglLeistG verfolgt das Ziel, die Hauptverantwortlichen für die Unrechtsmaßnahmen bzw. deren Rechtsnachfolger von der Leistungsgewährung auszuschließen (Urteile vom 28. Februar 1963 - BVerwG 8 C 67.62 - BVerwGE 15, 336 <338 f.>, vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 38.05 - BVerwGE 128, 155 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 9, jeweils Rn. 35 und 37 ff. und - BVerwG 3 C 13.06 - ZOV 2007, 69 <72> sowie vom 29. September 2010 - BVerwG 5 C 16.09 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 21 Rn. 19 m.w.N.). Diese Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt.
b) Es gelangt im Rahmen der Würdigung des von ihm festgestellten Sachverhalts zu dem Ergebnis, dass Tatsachen, die auf eine individuelle Verwirklichung des Ausschlussgrundes des § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG in der Person des Rechtsvorgängers der Klägerinnen schließen ließen, nicht vorlägen (aa). An diese tatrichterlichen Feststellungen und deren Würdigung ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da insoweit zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht sind (bb).
aa) Ob das individuelle Verhalten des Berechtigten die Anforderungen an einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit erfüllt, ist im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles zu prüfen. Diese Würdigung ist vom Standpunkt eines mit den gesamten Verhältnissen vertrauten objektiven Beurteilers vorzunehmen und obliegt in erster Linie dem Tatsachengericht (Urteile vom 18. September 2009 - BVerwG 5 C 1.09 - BVerwGE 135, 1 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 19, jeweils Rn. 13 und 16 m.w.N. und vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 9.09 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 20 Rn. 11; Beschluss vom 30. September 2009 - BVerwG 5 B 38.09 - ZOV 2009, 316).
Das Verwaltungsgericht vermochte nicht festzustellen, dass der Rechtsvorgänger der Klägerinnen den Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG erfüllt hat. Es hat in diesem Zusammenhang insbesondere angenommen, die dienstliche Beurteilung des Rechtsvorgängers der Klägerinnen einschließlich der darin gewählten Formulierung, er biete die absolute Gewähr, dass er sich jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einsetze, sage nichts Greifbares aus. Nichts anderes folge aus seiner Dienstlaufbahn, seinem beruflichen Aufstieg und seiner Parteimitgliedschaft sowie aus der im Enteignungsverfahren wiedergegebenen Aussage, der Rechtsvorgänger der Klägerinnen sei "Oberster Militärrichter für Fahnenfluchtfälle in Norwegen" gewesen. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht deutlich gemacht, dass es davon ausgehe, dass jener in seiner Funktion als Kriegsrichter unter anderem mit der Bearbeitung von Fahnenfluchtdelikten befasst gewesen sei.
bb) Der Senat hat von den vorstehenden tatsächlichen Feststellungen und der darauf aufbauenden Würdigung auszugehen. Das Verwaltungsgericht hat nicht gegen allgemeine Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung verstoßen (1). Die Feststellungen und deren Würdigung entfalten gemäß § 137 Abs. 2 VwGO Bindungswirkung, weil der Beklagte insoweit keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben hat (2).
(1) Dem Bundesverwaltungsgericht ist es grundsätzlich versagt, die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch eine eigene Würdigung zu korrigieren oder gar zu ersetzen. Es ist insoweit darauf beschränkt zu überprüfen, ob die tatrichterliche Würdigung auf einem Rechtsirrtum beruht oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, verletzt (Beschluss vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - NVwZ-RR 1996, 359 <360>).
Gemessen an diesen Maßstäben wie auch an dem Zweck der Unwürdigkeitsklausel, die Hauptverantwortlichen von der Leistungsgewährung auszuschließen, ist die verwaltungsgerichtliche Sachverhaltswürdigung nicht zu beanstanden. Das Tatgericht hat seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen. Die unter aa) wiedergegebene Formulierung aus der dienstlichen Beurteilung allein zwingt nicht zu der Annahme, das rückhaltlose Sicheinsetzen für den nationalsozialistischen Staat sei denknotwendig mit der Begehung von Verstößen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verbunden gewesen. Mit der Würdigung, diese als üblich zu wertende Formulierung beinhalte nichts Greifbares, hat das Verwaltungsgericht in knapper Form deutlich gemacht, dass es sich zu einer entsprechenden Schlussfolgerung nicht in der Lage sah. Dass es bei der Überzeugungsbildung einzelne zum Prozessstoff gehörende Umstände außer Acht gelassen hätte, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist es revisionsgerichtlich zu beanstanden, dass es gleichsam im Rahmen einer Gesamtbeurteilung der Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Klägerinnen als richterlicher Militärjustizbeamter aus dem Umstand, dass über die Bearbeitung einzelner Verfahren nichts bekannt sei, auf die Nichterfüllung des Ausschlussgrundes geschlossen hat.
(2) Der Beklagte hat keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben.
(a) Soweit er eine Verletzung der Pflicht des Gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts mit der Begründung rügt, die Vorinstanz habe es versäumt zu ermitteln, ob sich bei dem Bundesarchiv - Militärarchiv - weitere Unterlagen befänden, die näheren Aufschluss über die Tätigkeit des Rechtsvorgängers der Klägerinnen gegeben hätten, rechtfertigt dies nicht die Annahme eines Verfahrensfehlers.
Nach § 86 Abs. 1 Halbs. 1 VwGO obliegt dem Tatsachengericht die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für den Rechtsstreit erforderlich ist (vgl. Urteil vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> = Buchholz 303 § 414 ZPO Nr. 1 S. 2 und Beschluss vom 2. Mai 2006 - BVerwG 6 B 53.05 - Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 206 Rn. 21). Dabei entscheidet das Tatsachengericht über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen (vgl. Beschluss vom 4. November 2008 - BVerwG 2 B 19.08 - Buchholz 301 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 370 Rn. 11 m.w.N.). Sind - wie hier - keine förmlichen Beweisanträge gestellt, überschreitet das Gericht die Grenzen seines Aufklärungsermessens nur, wenn es eine Sachverhaltsermittlung unterlässt, die sich nach den Umständen des Falles - auch nach dem Vorbringen der Beteiligten - von seinem Rechtsstandpunkt aus aufdrängen musste. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 28. Juli 2011 - BVerwG 2 C 28.10 - BVerwGE 140, 199 = Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 60 Rn. 24 f. und Beschlüsse vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265 S. 9 sowie vom 2. November 2007 - BVerwG 3 B 58.07 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 70 Rn. 7 jeweils m.w.N.). Insbesondere ist ein Verwaltungsgericht nicht verpflichtet, von sich aus ohne nähere Anhaltspunkte in Archiven allgemein nach Unterlagen zu forschen, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Streitgegenstand von Bedeutung sein könnten (vgl. Beschluss vom 24. Juli 1998 - BVerwG 8 B 22.98 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 292 S. 40). Daran gemessen war die von der Beklagten vermisste weitere Aufklärung nicht nach § 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO geboten, weil sie sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen musste.
Den von dem Beklagten aus den Archivbeständen übermittelten Personalaktenbestandteilen ließ sich nicht entnehmen, dass eine erneute und ggf. erweiterte Recherche weitere Aktenbestandteile, insbesondere auch Verfahrensakten, zu Tage fördern würde. Hiervon durfte das Verwaltungsgericht nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass ein Großteil der Wehrmachtsakten zerstört wurde und die Erfassung und Zuordnung des erhaltenen wehrmachtsgerichtlichen Aktenbestandes bei Weitem nicht abgeschlossen ist, ausgehen.
(b) Soweit dem Vorbringen des Beklagten die Rüge entnommen werden könnte, das Verwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft versäumt, zwei sich im Bestand des Bundesarchivs - Militärarchiv - befindende näher bezeichnete Verfahrensakten, in denen der Rechtsvorgänger der Klägerinnen in Erscheinung trete, beizuziehen, kann er damit nicht gehört werden. Der Umstand des Vorhandenseins der beiden Akten wurde erstmals in der Revisionsinstanz vorgebracht. Es liegt keiner der Fälle vor, in denen das Revisionsgericht ausnahmsweise neues tatsächliches Vorbringen selbst würdigen kann (vgl. dazu Urteil vom 14. Dezember 2006 - BVerwG 3 C 36.05 - BVerwGE 127, 236 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 8 Rn.16 f.). Insbesondere ist der in Rede stehende Umstand nicht geeignet, eine Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 153 VwGO i.V.m. § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO zu begründen. Dies folgt schon daraus, dass nicht ersichtlich ist, dass die beiden Akten erst nach Abschluss der Tatsacheninstanz im Sinne des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO "aufgefunden" wurden. Dazu gehören u.a. solche Urkunden nicht, die sich in von öffentlichen Stellen geführten Archiven befinden (vgl. Urteil vom 14. Dezember 2006 a.a.O. Rn. 17). Der Beklagte zeigt nicht auf, dass das Auffinden der Akten in der Vorinstanz auch bei gehörigem Bemühen nicht möglich war (vgl. § 582 ZPO).
c) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, ein Verstoß des Rechtsvorgängers der Klägerinnen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit lasse sich nicht auf eine tatsächliche Vermutung stützen, ist revisionsgerichtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwar ist für eine solche Vermutung auch im Rahmen des § 1 Abs. 4 Alt. 3 AusglLeistG grundsätzlich Raum (aa). Nach dem gegenwärtigen Stand der militärgeschichtlichen Forschung ist jedoch eine entsprechende tatsächliche Vermutung in Bezug auf die Personengruppe, der der Rechtsvorgänger der Klägerinnen angehörte, nicht anzunehmen (bb).
aa) Die Beurteilung, ob aus der Wahrnehmung bestimmter Ämter oder Funktionen im Wege einer tatsächlichen Vermutung (Indizwirkung) auf die Verwirklichung eines Ausschlussgrundes des § 1 Abs. 4 AusglLeistG geschlossen werden kann, ist nicht nur eine der revisionsgerichtlichen Prüfung weitgehend entzogene tatsächliche Würdigung, sondern auch das Ergebnis einer rechtlichen Subsumtion, die vom Revisionsgericht anhand des in § 1 Abs. 4 AusglLeistG vorgegebenen rechtlichen Maßstabs zu überprüfen ist (stRspr, vgl. z.B. Urteil vom 18. September 2009 - BVerwG 5 C 1.09 - BVerwGE 135, 1 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 19 jeweils Rn. 21 m.w.N.).
Ebenso wie im Anwendungsbereich der dritten Alternative ist auch im Rahmen der ersten Alternative des § 1 Abs. 4 AusglLeistG grundsätzlich Raum für die Annahme einer tatsächlichen Vermutung. Der Ausschlussgrund eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ist in gleicher Weise wie derjenige des erheblichen Vorschubleistens im Sinne des § 1 Abs. 4 Alt. 3 AusglLeistG dadurch gekennzeichnet, dass sich die ihm zugrunde liegenden Handlungen aufgrund des Zeitablaufs oft nicht (mehr) nachweisen lassen. Ebenso wie in bestimmten Situationen aus zeithistorisch belegbaren Erkenntnissen und Erfahrungstatsachen auf ein erhebliches Vorschubleisten geschlossen werden kann, können entsprechende Erkenntnisse und Erfahrungstatsachen auch ein gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßendes Handeln indizieren (vgl. Urteil vom 28. Februar 2007 - BVerwG 3 C 38.05 - BVerwGE 128, 155 = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 9 jeweils Rn. 42).
Allerdings unterliegt die Annahme einer tatsächlichen Vermutung im Rahmen des § 1 Abs. 4 AusglLeistG engen Voraussetzungen. Dies folgt sowohl aus der Zweckrichtung der Unwürdigkeitsklausel, die abschließend diejenigen Gründe normiert, die der Gewährung einer Ausgleichsleistung zwingend entgegenstehen, als auch aus der mit der Anerkennung einer solchen Indizwirkung einhergehenden Umkehr der Feststellungslast. Ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit ist daher zu Lasten eines einzelnen Mitglieds einer Personengruppe nur dann tatsächlich zu vermuten, wenn im Rahmen einer Gesamtwürdigung des Geschehensablaufes aufgrund hinreichender zeithistorisch belegbarer Erkenntnisse und Erfahrungstatsachen mit der gebotenen Gewissheit anzunehmen ist, dass grundsätzlich jedes Mitglied dieser Personengruppe gegen die vorbezeichneten Grundsätze verstoßen hat. Der Einzelne hat die Möglichkeit, die tatsächliche Vermutung nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises zu erschüttern (vgl. Urteil vom 26. Februar 2009 - BVerwG 5 C 4.08 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 16 Rn. 24 m.w.N.).
bb) Gemessen daran scheidet die tatsächliche Vermutung eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit hier aus, da die hierfür erforderliche Typizität nicht feststellbar ist. Sie lässt sich mit der insoweit gebotenen Gewissheit nicht aus zeitgeschichtlichem Erfahrungswissen, wie es allgemein zugänglichen Quellen zuverlässig zu entnehmen ist, ableiten.
Der Rechtsvorgänger der Klägerinnen gehörte zur Gruppe der bei Feldkriegsgerichten des Heeres in den besetzten Gebieten eingesetzten richterlichen Militärjustizbeamten im Sinne des § 7 der Verordnung vom 17. August 1938 über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegsstrafverfahrensordnung - KStVO - RGBl 1939 S. 1457). Eine Gesamtwürdigung des von den Angehörigen dieser Gruppe anzuwendenden Kriegsstraf-, -strafverfahrens- und -gerichtsorganisationsrechts (1) im Lichte der feldkriegsgerichtlichen Straf- und Strafzumessungspraxis (2) und der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne Weiteres zugänglichen Erkenntnisse der militärgeschichtlichen Forschung (3) rechtfertigt nicht die Annahme, grundsätzlich jedes Mitglied dieser Personengruppe habe gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen (4).
(1) Das von den Feldkriegsgerichten anzuwendende Straf- und Strafzumessungsrecht unterlag nicht erst mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs einem tiefgreifenden Wandel. Bereits mit dem Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom 28. Juni 1935 (RGBl I S. 839) war das Analogieverbot aufgehoben worden. Nach § 2 StGB wurde fortan bestraft, wer eine Tat beging, die das Gesetz für strafbar erklärte oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach dem gesunden Volksempfinden Bestrafung verdiente; fand auf die Tat kein bestimmtes Strafgesetz unmittelbar Anwendung, so wurde die Tat nach dem Gesetz bestraft, dessen Grundgedanke auf sie am besten zutraf. Das Militärstrafgesetzbuch vom 20. Juni 1872 (RGBl S. 174) wurde mehrfach den veränderten staats- und wehrrechtlichen Bestimmungen angepasst. Tatbestände wurden allgemeiner gefasst. Strafandrohungen wurden erhöht, soweit es die "Aufrechterhaltung der Manneszucht und die Sicherheit der Truppe" gebot. Mit der am 26. August 1939 in Kraft gesetzten Verordnung vom 17. August 1938 über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (Kriegssonderstrafrechtsverordnung - KSSVO - RGBl 1939 I S. 1455) wurden weitere Straftatbestände geschaffen, darunter die grundsätzlich mit der Todesstrafe zu ahndende so genannte "Zersetzung der Wehrkraft" nach § 5 KSSVO. Es folgten weitere Neuerungen, so die Einführung und spätere Anpassung des § 5a KSSVO, der die Möglichkeit der Überschreitung des regelmäßigen Strafrahmens vorsah und es so ermöglichte, "zur Aufrechterhaltung der Manneszucht" bei jedem Tatbestand auf die Todesstrafe zu erkennen, die Neufassung des § 6 KSSVO, der unter anderem die Straftatbestände der unerlaubten Entfernung und der Fahnenflucht regelte, und die Aufnahme des "gesunden Volksempfindens" als Abwägungskriterium auch in die Kriegssonderstrafrechtsverordnung. Infolge dieser Anpassungen stieg die Anzahl der Delikte, für die die Todesstrafe verhängt werden konnte, von drei im Jahr 1933 auf 46 im Jahr 1944.
Daneben wurde auch das Kriegsstrafverfahrensrecht wiederholt "den Kriegsnotwendigkeiten angepasst". An die Stelle der Militärstrafgerichtsordnung trat mit Wirkung ebenfalls vom 26. August 1939 die Kriegsstrafverfahrensordnung. Mit ihr ging eine "Vereinfachung" des Strafverfahrens einher. Das Recht zur Wahl oder Bestellung eines Verteidigers in "Kriegsverfahren" wurde gemäß § 49 Abs. 1 Satz 2 KStVO auf strafbare Handlungen beschränkt, die mit dem Tode bedroht waren; in den übrigen Verfahren wurde ein Verteidiger beigezogen, sofern es der Gerichtsherr für sachdienlich hielt.
Im Verlaufe des Krieges wuchs die Anzahl der Kriegsgerichte der Wehrmacht auf deutlich über 1 000 an (Messerschmidt/Wüllner, Die Wehrmachtjustiz im Dienste des Nationalsozialismus, 1987, S. 49). Die Anzahl der Richter belief sich zeitweise auf mehr als 3 000 (Wüllner, Die NS-Militärjustiz und das Elend der Geschichtsschreibung, 1991, S. 110). Der Bedarf an Wehrmachtrichtern wurde zunächst nach Möglichkeit durch Juristen gedeckt, die bereits im Ersten Weltkrieg als Kriegsrichter oder Frontoffiziere gedient hatten oder zu Reserveoffizieren ausgebildet worden waren. Mit dem wachsenden Bedarf an Wehrmachtrichtern im Verlaufe des Krieges wurden vor allem junge Assessoren verpflichtet, die teils freiwillig, teils unter Druck der Partei beigetreten waren (Thomas, Wehrmachtjustiz und Widerstandsbekämpfung, Diss. Baden-Baden 1990, S. 42 f.; Rass/Quadflieg, in: Kirschner
Als Gerichtsherr fungierte der jeweilige militärische Vorgesetzte des übergeordneten Truppenverbandes, was zwar der vordemokratischen preußisch-deutschen Militärtradition, nicht aber dem rechtsstaatlichen Gebot der Gewaltentrennung entsprach. Der Gerichtsherr war - jedenfalls außerhalb der Hauptverhandlung - Herr des Verfahrens. Er bestimmte, welcher Justizbeamte in welchem Verfahren die Verhandlungsleitung übernehmen sollte. Er war zugleich Strafverfolgungs- und -vollstreckungsbehörde. In seinen Aufgaben wurde er von den richterlichen Militärjustizbeamten unterstützt. Diese konnten daher sowohl als ermittelnde bzw. untersuchungsführende Beamte als auch als erkennende Richter tätig werden mit der Einschränkung, dass dem im Vorverfahren ermittelnden richterlichen Militärjustizbeamten die Tätigkeit in derselben Sache als Richter des Spruchgerichts verwehrt war. Die Gerichtsherren waren in der Regel für die Bestätigung von Urteilen der Kriegsgerichte zuständig, während das Aufhebungsrecht dem vorgesetzten Befehlshaber oblag.
(2) Die ganz überwiegend rigide Straf- und Strafzumessungspraxis der Feldkriegsgerichte in den besetzten Gebieten spiegelt sich in der Wehrmachtkriminalstatistik wider, die allerdings gravierende Mängel aufweist, welche zum einen auf Nachlässigkeit gründen und zum anderen auf kriegsbedingte Aktenverluste zurückgehen. In der militärgeschichtlichen Forschung wird davon ausgegangen, dass von den Kriegsparteien bis zu vier Millionen Verfahren durchgeführt wurden. Die Anzahl der durchgeführten Strafverfahren wird auf 2,4 bis 3 Millionen taxiert. In 50 % bis 60 % der Verfahren sollen Urteile gefällt oder Strafverfügungen erlassen worden sein, wobei etwa 800 000 bis 900 000 Urteilen ungefähr 500 000 bis 600 000 Strafverfügungen gegenübergestanden haben sollen. Die Freispruchsquote wird auf 8 % bis 10 % geschätzt. Hiernach wären etwa eineinhalb Millionen Personen verurteilt worden. Die Schätzungen hinsichtlich der Anzahl der gefällten Todesurteile sind uneinheitlich: Sie wird je nach Quelle mit 10 000 bis 50 000 überwiegend jedoch mit 30 000 angegeben. Allein die Anzahl der wegen Fahnenflucht ergangenen Todesurteile wird auf 20 000 bis 25 000 taxiert. Etwa 85 % der Todesurteile sollen von Heeresgerichten gefällt worden sein. Insgesamt wird die Anzahl der hingerichteten Angehörigen der Wehrmacht nebst Gefolge auf 20 000 bis 25 000 geschätzt (vgl. zum Ganzen: Kalmbach, Wehrmachtjustiz, 2012, S. 323; Messerschmidt/Wüllner, a.a.O. S. 51, 63 f., 67 - 70, 73 - 131; Wüllner, a.a.O. S. 77, 116, 160 - 70, 173, 202, 270 - 294 und 476; Seidler, Die Militärgerichtsbarkeit der Deutschen Wehrmacht 1939 - 1945, 1999, S. 27 und 41 - 44; Hennicke, Auszüge aus der Wehrmachtsstatistik, Zeitschrift für Militärgeschichte 1966, 438 <445>; Schnackenberg, "Ich wollte keine Heldentaten mehr vollbringen", 1997, S. 19 f.; Rass/Quadflieg, in: Wette/Perels
Die Strafpraxis der Feldkriegsgerichte war durch verschiedene Faktoren beeinflusst. So ließen die Auswirkungen des Krieges, die nationalsozialistische "Schädlingsmetaphorik" und der allgemeine Verlust an humanistischen Werten auch die Wehrmachtjustiz nicht unbeeindruckt. Gleiches galt für den verbreiteten und von Hitler aufgegriffenen Vorwurf, die zu nachsichtige Militärgerichtsbarkeit trage Schuld an der militärischen Niederlage des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg. Hinzu kam das tradierte Selbstverständnis der Militärgerichtsbarkeit, weniger als Bestrafungs- als vielmehr als Abschreckungsinstanz zu fungieren (Messerschmidt, Die Wehrmachtjustiz 1933 - 1945, 2005, S. 19 - 22; Schnackenberg, a.a.O. S. 64 - 71 und 79; Haase, BT, 14. WP, RA, 126. Sitzung vom 24. April 2002, Protokoll Nr. 126 S. 47; Garbe, in: Pirker/Wenninger
(3) Die Aufarbeitung der Rolle der Wehrmachtjustiz im Allgemeinen und der bei Feldkriegsgerichten in den besetzten Gebieten eingesetzten richterlichen Militärjustizbeamten im Besonderen ist bei Weitem nicht abgeschlossen. Dementsprechend kann eine Bewertung dieser Rolle nur auf dem gegenwärtigen Stand der militärgeschichtlichen Forschung gründen. Sie steht stets unter dem Vorbehalt, dass etwa die voranschreitende Zusammenführung von Personal- und Verfahrensakten bei dem Bundesarchiv - Militärarchiv - neue Erkenntnisse zu Tage fördert.
Die militärhistorische Forschung zeichnet ein heterogenes, vielschichtiges Bild der der richterlichen Militärjustizbeamten und ihrer Straf- und Strafzumessungspraxis. Einerseits wird ausgeführt, dass jene in der Masse und als organisatorische Gesamtheit mit dem Regime konform gegangen seien und sich in ihrer großen Mehrheit so verhalten hätten, wie es das nationalsozialistische Regime es von ihnen erwartet habe. Manche seien bestrebt gewesen, den Krieg mit rigiden Strafurteilen zu begleiten (Kalmbach, a.a.O. S. 323; Seidler, Fahnenflucht, 1993, S. 151). Für andere hätten Beförderungswünsche, Karrieresucht, aber auch die Sorge um die eigene Familie im Vordergrund ihres Handelns gestanden (Thomas, a.a.O. S. 48; Gribbohm, NJW 1988, 2842 <2845 f.>). Andererseits wird darauf hingewiesen, dass sich das Gros der richterlichen Militärjustizbeamten nicht als Nationalsozialisten, sondern als nationalkonservative Deutsche empfunden habe, die dem "Recht" verbunden und bereit gewesen seien, dem "Vaterland in schwerer Stunde zu dienen" (Thomas, a.a.O. S. 43; Wulfhorst, BT, 13. WP, RA, 31. Sitzung vom 29. November 1995, Protokoll Nr. 31 S. 87; Rass/Quadflieg, in: Wette/Perels
(4) Eine Auswertung der für jedermann ohne besondere Fachkunde aus allgemein zugänglichen Quellen zuverlässig zu entnehmenden zeitgeschichtlichen Erkenntnissen und Erfahrungstatsachen rechtfertigt derzeit nicht die Annahme einer tatsächlichen Vermutung, dass grundsätzlich jeder bei Feldkriegsgerichten in den besetzten Gebieten eingesetzte richterliche Militärjustizbeamte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen hat.
Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft bewirkte eine gleichsam zur Normalität gewordene Perversion nicht nur der Rechtsordnung, sondern auch des Rechtsdenkens und der Rechtsprechung. Diese spiegelte sich in oftmals drakonischen und übermäßigen Strafen und insbesondere in der exzessiven Verhängung der Todesstrafe durch die Kriegsgerichte wider. Zweifelsohne widersprach dieser Teil der Straf- und Strafzumessungspraxis in unerträglichem Maße den Grundsätzen der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit (BSG, Urteil vom 11. September 1991 - 9a RV 11/90 - BSGE 69, 211 <216 und 218>; BGH, Urteil vom 16. November 1995 - 5 StR 747/94 - BGHSt 41, 317 <326, 329 f. und 339>; Dietz, a.a.O. S. 485). Indes griffe es für die Annahme einer tatsächlichen Vermutung zu kurz, die Straf- und Strafzumessungspraxis der Feldkriegsgerichte in den besetzten Gebieten auf diese Aspekte zu reduzieren. Den Erkenntnissen der historischen Forschung ist auch zu entnehmen, dass neben Unrechtsurteilen auch rechtsstaatlich vertretbare Entscheidungen gefällt wurden und ein Teil der richterlichen Militärjustizbeamten - wenn auch eine Minderheit - bestrebt war, Unrecht zu vermeiden und Gerechtigkeit sowie Ausgewogenheit walten zu lassen. Allerdings fehlen hinreichend fundierte Erkenntnisse über die Größenordnung dieser Ausnahmen. Weder lässt sich mit der gebotenen Gewissheit feststellen, dass die Gruppe der die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit wahrenden richterlichen Militärjustizbeamten nur aus wenigen und im vorliegenden Zusammenhang zu vernachlässigenden Personen bestand, so dass von der Annahme einer tatsächlichen Vermutung eines Verstoßes gegen die betreffenden Grundsätze auszugehen wäre, noch ist mit gleicher Gewissheit auszuschließen, dass die Anzahl der betreffenden Personen eine Größenordnung erreichte, die der Annahme einer Regelhaftigkeit entgegenstünde. Der Zweck der Unwürdigkeitsklausel des § 1 Abs. 4 AusglLeistG, diejenigen, die die Hauptverantwortung für die Unrechtsmaßnahmen tragen bzw. deren Rechtsnachfolger, von der Leistungsgewährung auszuschließen, wie auch der Umstand, dass das Gesetz der zuständigen Behörde die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Ausschlussmerkmals zuweist, schließen es aus, auf dieser Grundlage von einer tatsächlichen Vermutung zu Lasten des Rechtsvorgängers der Klägerinnen auszugehen. Nichts anderes ergäbe sich im vorliegenden Fall, wenn statt der Maßstäbe der "tatsächlichen Vermutung" diejenigen des Anscheinsbeweises angelegt würden.
2. Ohne Verstoß gegen § 1 Abs. 4 Alt. 3 AusglLeistG ist das Verwaltungsgericht des Weiteren davon ausgegangen, dass der Gewährung einer Ausgleichsleistung auch ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems (a) nicht entgegensteht. Die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts vermögen die Annahme, der Rechtsvorgänger der Klägerinnen habe durch sein Handeln dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet, nicht zu stützen (b). Ebenso wenig ist ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems tatsächlich zu vermuten (c).
a) Die Annahme eines erheblichen Vorschubleistens erfordert in objektiver Hinsicht, dass nicht nur gelegentlich oder beiläufig, sondern mit einer gewissen Stetigkeit Handlungen vorgenommen wurden, die dazu geeignet waren, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, und dies auch zum Ergebnis hatten. Die unterstützende Tätigkeit muss sich auf spezifische Ziele und Bestrebungen des nationalsozialistischen Systems bezogen haben. In subjektiver Hinsicht muss die betreffende Person in dem Bewusstsein agiert haben, ihr Verhalten könne nicht ganz unbedeutend dafür sein, die Bedingungen für die Errichtung, die Entwicklung oder die Ausbreitung des nationalsozialistischen Systems zu verbessern oder Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken (stRspr, zuletzt Urteil vom 30. Juni 2010 - BVerwG 5 C 9.09 - Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 20 Rn. 9 f.). Von diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht ausgegangen.
b) Die Annahme des Verwaltungsgerichts, es sei nicht festzustellen, dass der Rechtsvorgänger der Klägerinnen in seiner Person einen Ausschlussgrund im Sinne des § 1 Abs. 4 Alt. 3 AusglLeistG verwirklicht habe, ist revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden.
Das Verwaltungsgericht hat insoweit allgemeine Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung nicht verletzt.
Es hat seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen. Der in der dienstlichen Beurteilung enthaltene Hinweis auf die Bereitschaft des Rechtsvorgängers der Klägerinnen, sich jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat einzusetzen, zwingt nicht zu der Annahme eines erheblichen Vorschubleistens. Dies hat das Verwaltungsgericht mit seiner Würdigung, diese als üblich zu wertende Formulierung beinhalte nichts Greifbares, in knapper Form zum Ausdruck gebracht.
Es ist davon auszugehen, dass das Verwaltungsgericht bei seiner Überzeugungsbildung auch die einfache Mitgliedschaft des Rechtsvorgängers der Klägerinnen in der NSDAP und dessen Rang als Truppführer in der Motorstaffel der SA berücksichtigt hat. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils hat es ausgeführt, jener sei seit 1933 Mitglied der SA/Motorstaffel gewesen und habe seit 1935 den Rang eines Truppführers bekleidet. Zudem sei er seit 1937 Mitglied der NSDAP gewesen. Dass die Tätigkeit in der Motorstaffel der SA in den Entscheidungsgründen nicht gesondert gewürdigt wurde, zwingt nicht zu einer abweichenden Wertung. Gleiches gilt, soweit das Verwaltungsgericht auch der einfachen Mitgliedschaft des Rechtsvorgängers der Klägerinnen in der NSDAP keine maßgebliche Bedeutung für die individuelle Verwirklichung des Ausschlussgrundes des § 1 Abs. 4 Alt. 3 AusglLeistG beigemessen hat.
Revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden ist es schließlich, dass das Verwaltungsgericht gleichsam im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch insoweit aus dem Umstand, dass über die Bearbeitung einzelner Verfahren durch den Rechtsvorgänger der Klägerinnen nichts bekannt sei, auf das Nichtvorliegen des Ausschlussgrundes geschlossen hat.
Der Senat ist an die hier in Rede stehenden tatsächlichen Feststellungen gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil der Beklagte insoweit aus den unter 1. b) bb) (2) dargelegten Gründen keine zulässigen und begründeten Revisionsrügen erhoben hat.
c) Im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht zudem angenommen, ein erhebliches Vorschubleisten des Rechtsvorgängers der Klägerinnen zugunsten des nationalsozialistischen Systems lasse sich nicht auf eine tatsächliche Vermutung stützen. Dass eine tatsächliche Vermutung grundsätzlich die Annahme eines Verstoßes gegen den Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG rechtfertigen kann, ist - wovon auch das Verwaltungsgericht erkennbar ausgegangen ist - in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Nach dem gegenwärtigen Stand der militärgeschichtlichen Forschung ist eine solche tatsächliche Vermutung jedoch in Bezug auf richterliche Militärjustizbeamte, die bei einem Feldkriegsgericht in den besetzten Gebieten Dienst leisteten, nicht anzunehmen.
Eine solche Anerkennung ist weder unter dem Gesichtspunkt, dass die richterlichen Militärjustizbeamten durch ihr Wirken die Eroberung des Gebiets fremder Staaten durch die Wehrmacht unterstützt hätten (aa) noch mit Blick darauf gerechtfertigt, dass ihre rigide Straf- und Strafzumessungspraxis maßgeblich dazu beigetragen hat, Widerstand gegen das nationalsozialistische System zu unterdrücken (bb).
(aa) Der Zweite Weltkrieg war ein von dem nationalsozialistischen Deutschland ausgelöster Eroberungs- und Vernichtungskrieg, mit dem sowohl machtpolitische als auch rassenideologische Ziele verfolgt wurden. Die Wehrmacht sah sich vor die Aufgabe gestellt, die ihr politisch vorgegebenen spezifisch nationalsozialistischen Ziele, darunter die Ausdehnung des "natürlichen Siedlungsraums des deutschen Volkes", militärisch zu realisieren. Wenngleich die an den Feldkriegsgerichten in den besetzten Gebieten Dienst leistenden richterlichen Militärjustizbeamten Teil der Wehrmacht waren, war die Ausübung ihres Amts nicht gerade auf die Unterstützung dieser spezifischen Ziele und Bestrebungen des nationalsozialistischen Systems gerichtet (vgl. zum Maßstab Urteil vom 17. März 2005 - BVerwG 3 C 20.04 - BVerwGE 123, 142 <146> = Buchholz 428.4 § 1 AusglLeistG Nr. 5 S. 11 unter Hinweis auf Urteil vom 9. Mai 1962 - BVerwG 5 C 99.61 - BVerwGE 14, 142 <144>). Hiervon ist auf der Grundlage des für jedermann ohne besondere Fachkunde aus allgemein zugänglichen Quellen zuverlässig zu entnehmenden zeitgeschichtlichen Erfahrungswissens auszugehen.
Aufgabe der Feldkriegsgerichte in den besetzten Gebieten war es, die so genannte "Manneszucht", d.h. die Disziplin der Soldaten, und damit den inneren Zusammenhalt der Truppe, die Schlagkraft und Sicherheit der Wehrmacht wie auch den Wehrwillen und die Wehrkraft der Bevölkerung zu erhalten und zu stärken (vgl. Nr. I. der Erläuterungen vom 17. August 1938 zur Verordnung über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz, abgedruckt bei Absolon, Das Wehrmachtstrafrecht im 2. Weltkrieg, 1958, S. 179; vgl. ferner Garbe, in: Pirker/Wenninger
(bb) Zweifelsohne hat die rigide Straf- und Strafzumessungspraxis der Feldkriegsgerichte in den besetzten Gebieten maßgeblich dazu beigetragen, als Widerstand gegen das System gewertete Verhaltensweisen innerhalb der Wehrmacht wie auch innerhalb der zivilen Strukturen in den besetzten Gebieten zu bekämpfen und zu unterbinden. Ein erhebliches Vorschubleisten zugunsten des nationalsozialistischen Systems ist gleichwohl auch insoweit nicht tatsächlich zu vermuten.
Zwar kann als gesicherte Erkenntnis der militärgeschichtlichen Forschung angesehen werden, dass sich das Gros der an den Feldkriegsgerichten des Heeres in den besetzten Gebieten eingesetzten richterlichen Militärjustizbeamten größtenteils durch das nationalsozialistische System hat instrumentalisieren lassen (Dietz, a.a.O. S. 492; Thomas, a.a.O. S. 194 f.; Rass/Quadflieg, in: Wette/Perels
Ebenso wie mit Blick auf den Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 Alt. 1 AusglLeistG lässt sich auf der Grundlage des allgemein zugänglichen zeitgeschichtlichen Erfahrungswissens gegenwärtig nicht mit der gebotenen Gewissheit bestimmen, wie groß der Anteil derjenigen richterlichen Militärjustizbeamten war, die es ablehnten, eine dem Nationalsozialismus und seinen Zielen dienende Rechtsprechung zu praktizieren. Das Fehlen verlässlicher Daten schließt daher auch die Annahme einer tatsächlichen Vermutung eines erheblichen Vorschubleistens durch an den Feldkriegsgerichten in den besetzten Gebieten eingesetzten richterlichen Militärjustizbeamten zugunsten des nationalsozialistischen Systems aus.