Entscheidungsdatum: 23.02.2010
Ein nach dem Ende des Bewilligungszeitraumes gestellter Antrag auf Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 BAföG findet nach der Neufassung dieser Bestimmung durch das 17. BAföG-Änderungsgesetz vom 24. Juli 1995 (BGBl I S. 976) in Fällen einer abschließenden Entscheidung nach § 24 Abs. 2 oder 3 BAföG keine Berücksichtigung mehr. Die zu § 36 Abs. 1 Satz 1 BAföG (a.F.) ergangene Rechtsprechung (BVerwGE 55, 23; Buchholz 436.36 § 36 BAföG Nr. 11) ist durch die Neufassung überholt.
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung vorläufig gewährter Ausbildungsförderung und begehrt hierfür die Berücksichtigung von Vorausleistungen nach Ende des Bewilligungszeitraumes.
Der Kläger studierte seit dem Sommersemester 2001 an der Hochschule B. im Studiengang Architektur. Im August 2002 stellte der Kläger erstmals einen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für den Zeitraum Juli 2002 bis Februar 2003. Am selben Tag stellte er einen Aktualisierungsantrag nach § 24 Abs. 3 BAföG. Dem Kläger wurde für diesen Bewilligungszeitraum Ausbildungsförderung unter dem Vorbehalt der Rückforderung in Höhe von insgesamt 4 232 € gewährt.
Auf die Weiterförderungsanträge des Klägers wurde Ausbildungsförderung für den Zeitraum Juni 2004 bis August 2005 in Höhe von insgesamt 7 701 € und für den Zeitraum September 2005 bis Mai 2006 in Höhe von insgesamt 4 284 € zuerkannt. Die Bewilligung erfolgte jeweils unter dem Vorbehalt der Rückforderung gemäß § 24 Abs. 2 BAföG, da die für die Einkommensanrechnung maßgebenden Steuerbescheide des Vaters noch nicht vorlagen.
Mit Bescheid vom 29. November 2007 entschied der Beklagte aufgrund der Neufestsetzung des Einkommens des Vaters, der auf den vorgelegten Steuerbescheiden für die Jahre 2002 und 2003 beruhte, abschließend über den Bewilligungszeitraum Juli 2002 bis Februar 2003. Ausbildungsförderung wurde nicht bewilligt, weil der Betrag des anzurechnenden Einkommens den Gesamtbedarf des Klägers übersteige; gleichzeitig wurde eine Rückforderung in Höhe von 4 232 € festgesetzt. Mit Bescheiden vom 28. Dezember 2007 entschied der Beklagte abschließend über die Bewilligungszeiträume Juni 2004 bis August 2005 und September 2005 bis Mai 2006; für diese beiden Bewilligungszeiträume ergab sich aufgrund der Neufestsetzung des Einkommens des Vaters eine Gesamtrückforderung in Höhe von 11 985 €.
Gegen die Rückforderungsbescheide legte der Kläger Widerspruch ein und beantragte unter dem 27. Februar 2008 unter Hinweis auf die Insolvenz seines Vaters die Gewährung eines Härtefreibetrages nach § 25 Abs. 6 BAföG sowie hilfsweise die rückwirkende Bewilligung von Vorausleistungen nach § 36 BAföG. Sein Vater sei unterhaltsrechtlich nicht verpflichtet, den in den Bescheiden angerechneten Einkommensbetrag als Unterhalt zu leisten. Die Einschränkung des § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG sei verfassungswidrig, da die endgültigen Leistungsbescheide angesichts des Datums der endgültigen Steuerbescheide - zwingend - nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes ergangen seien und es eine mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zu vereinbarende Treuwidrigkeit darstelle, dem Kläger den Ablauf der Antragsfrist entgegenzuhalten.
Das Verwaltungsgericht hat die nach Zurückweisung des Widerspruchs erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Für die Einkommensberechnung habe der Beklagte zutreffend nach der verfassungsgemäßen Regelung des § 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 BAföG lediglich die positiven Einkünfte des Vaters des Klägers als nach § 11 Abs. 2 Satz 1 BAföG anzurechnendes Einkommen gewertet und auf dieser Grundlage das Einkommen sowie die für die drei Bewilligungszeiträume nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG zurückzufordernden Beträge von insgesamt 16 217 € berechnet. Die dabei aufgelösten Vorbehalte seien auch wegen eines Aktualisierungsantrages bzw. wegen nicht vorliegender Steuerbescheide nach § 24 Abs. 3 Satz 3 sowie Abs. 2 Satz 2 BAföG zu Recht ergangen.
Der Kläger könne sich demgegenüber auch nicht auf seinen Antrag auf Bewilligung von Vorausleistungen berufen, weil dieser Antrag gemäß § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes nicht mehr möglich gewesen sei. Nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers sei auch eine sogenannte Vorausleistungseinrede ausgeschlossen. Der Ausschluss des nachträglichen Antrages auf Vorausleistungen sei verfassungsgemäß und verstoße insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Regelung des § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG behandle zwar Auszubildende, die bereits im Bewilligungszeitraum glaubhaft machten, dass ihre Eltern den angerechneten Unterhaltsbetrag nicht leisteten, anders als Auszubildende, die einen entsprechenden Antrag erst danach stellten. Dieser Ausschluss nachträglicher Vorausleistungen sei aber verfassungsrechtlich unbedenklich, weil es der Grundkonzeption der Ausbildungsförderung entspreche, Mittel nicht für abgeschlossene Zeiträume zu leisten (§ 15 Abs. 1 BAföG). Für die Lastenverlagerung von den Eltern (nach Rückgriff durch die Behörde) auf den Auszubildenden bestehe jedoch ein sachlicher Grund, da es nach Abschluss des Bewilligungszeitraumes keiner Sozialleistungen in Form von Vorausleistungen mehr bedürfe, weil die Ausbildung insoweit nicht mehr gefährdet sei und eine Gefährdung durch die Rückzahlung anderweitig, z.B. durch Stundungen, vermieden werden könne. Es sei dem Auszubildenden daher zuzumuten, Auseinandersetzungen mit seinen Eltern über Unterhalt, der zu leisten gewesen wäre - auch wenn vielleicht kein zivilrechtlicher Anspruch mehr bestehe -, selbst auszutragen.
Auch der Härteantrag des Klägers nach § 25 Abs. 6 BAföG sei zu Recht nicht berücksichtigt worden, weil auch dieser Antrag nicht vor dem Ende der jeweiligen Bewilligungszeiträume gestellt worden sei. Aus den zur Vorausleistungseinrede dargelegten Gründen sei auch diese Frist verfassungsgemäß; das Ziel des § 25 Abs. 6 BAföG, eine Gefährdung der Ausbildung zu verhindern, sei nach dem Ende eines Bewilligungszeitraumes jedenfalls für diesen Zeitraum erreicht.
Mit seiner Sprungrevision verfolgt der Kläger sein Anfechtungsbegehren weiter; er rügt eine Verletzung des § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses bei dem Bundesverwaltungsgericht hält das angegriffene Urteil in Ergebnis und Begründung für zutreffend.
Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) entschieden, dass sich der Kläger gegenüber dem Begehren auf Rückforderung der ihm unter Vorbehalt gewährten Ausbildungsförderung nicht erstmals nach Ende des Bewilligungszeitraumes darauf berufen kann, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Vorausleistungen (§ 36 Abs. 1 BAföG) vorliegen (1.). Es hat auch im Ergebnis zutreffend abgelehnt, nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG zur Vermeidung unbilliger Härten hier einen weiteren Teil des anzurechnenden Einkommens des Vaters anrechnungsfrei zu stellen (2.).
Zwischen den Beteiligten steht dabei zu Recht nicht im Streit, dass der von dem Beklagten geltend gemachte Rückforderungsanspruch seine Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG findet und dem Kläger - bleiben der nach § 36 Abs. 1 BAföG gestellte Vorausleistungsantrag und der weiterhin gestellte Härteantrag nach § 25 Abs. 6 BAföG außer Betracht - die nach § 24 Abs. 2 und 3 BAföG unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährte Ausbildungsförderung nicht zustand. Die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung haben wegen des nach § 24 Abs. 1 und 3 BAföG anzurechnenden Einkommens seines Vaters an keinem Tage des Kalendermonats vorgelegen, für den sie gezahlt worden ist.
1. Der Kläger kann der Rückforderung der überzahlten Ausbildungsförderung nicht entgegenhalten, seine Eltern seien nicht bereit oder in der Lage, den in der abschließenden Entscheidung über die Bewilligung von Ausbildungsförderung angerechneten Unterhaltsbetrag zu leisten, so dass nach § 36 Abs. 1 BAföG zur Vermeidung einer Gefährdung seiner Ausbildung Ausbildungsförderung ohne Anrechnung dieses Betrages zu leisten (gewesen) sei (sog. Vorausleistungseinrede). Gegenüber der Festlegung eines (höheren) Unterhaltsbetrages der Eltern in der abschließenden Entscheidung nach § 24 Abs. 1 bis 3 BAföG und einer hieraus folgenden Rückforderung einer unter Vorbehalt gewährten Ausbildungsförderung kann nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes nicht geltend gemacht werden, es lägen die Voraussetzungen für Vorausleistungen vor, weil nach dem Ende des Bewilligungszeitraumes gestellte Vorausleistungsanträge "nicht zu berücksichtigen" sind.
1.1 Gemäß § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG (in der hier anzuwendenden Fassung des Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes vom 24. Juli 1995, BGBl I S. 976) werden nach Ende des Bewilligungszeitraumes gestellte Anträge auf Vorausleistungen "nicht berücksichtigt". Bereits dieser Gesetzeswortlaut schließt es aus, der Rückforderung der unter Vorbehalt geleisteten Ausbildungsförderung mit einem erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes - hier im Widerspruchsverfahren gegen den Rückforderungsbescheid - gestellten Vorausleistungsantrag entgegenzutreten. Die Formulierung, dass nach Ende des Bewilligungszeitraumes gestellte Anträge nicht "berücksichtigt" werden, zielt auf einen denkbar weiten Anwendungsbereich. Sie umfasst nicht nur die unmittelbare erstmalige Gewährung von Vorausleistungen, sondern auch die mittelbare Berücksichtigung eines nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes gestellten Antrages im ausbildungsförderungsrechtlichen Leistungsverhältnis (s. zur gleichlautenden Formulierung in § 24 Abs. 3 Satz 1 BAföG in der durch das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes geänderten Fassung auch Urteil vom 8. Juli 2004 - BVerwG 5 C 31.03 - BVerwGE 121, 245).
Infolge der Neufassung dieser Bestimmung kann an der zu § 36 Abs. 1 BAföG (a.F.) ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht festgehalten werden. Danach konnte ein Auszubildender, dem Ausbildungsförderung in Höhe seines vollen Bedarfs nach § 24 Abs. 3 Sätze 1 bis 3 BAföG unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet worden war, gegen einen aufgrund der abschließenden Entscheidung nach § 24 Abs. 3 Satz 4 BAföG nach dem Ablauf des Bewilligungszeitraumes ergangenen entsprechenden Rückforderungsbescheid mit Erfolg die Einrede geltend machen, ihm stehe die - nunmehr zurückgeforderte - Ausbildungsförderung als Vorausleistung nach § 36 BAföG zu, weil seine Ausbildung wegen der Nichtleistung des in der abschließenden Entscheidung angerechneten Unterhaltsbetrages seiner Eltern gefährdet sei (s. Urteile vom 27. Oktober 1977 - BVerwG 5 C 9.77 - BVerwGE 55, 23, vom 18. Oktober 1979 - BVerwG 5 C 64.77 - Buchholz 436.36 § 37 BAföG Nr. 11 und vom 16. Dezember 1992 - BVerwG 11 C 6.92 - BVerwGE 91, 306; Beschluss vom 10. November 1988 - 5 B 20.88 - Buchholz 436.36 § 36 BAföG Nr. 11).
Dem steht nicht entgegen, dass sich der Wortlaut nicht ausdrücklich auch auf eine "Vorausleistungseinrede" bezieht. Denn im Ausbildungsförderungsrecht ist eine von einem zu berücksichtigenden Vorausleistungsantrag unabhängige, selbständige "Vorausleistungseinrede" nicht vorgesehen; die endgültige Entscheidung über unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistete Ausbildungsförderung richtet sich hinsichtlich der Einkommensanrechnung nach den §§ 20 ff. BAföG, an die dann die Rückzahlungspflicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BAföG anknüpft. Auch die nunmehr überholte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzte einen entsprechenden Antrag des Auszubildenden nach § 36 Abs. 1 BAföG (a.F.) voraus, die sogenannte "Vorausleistungseinrede" war der Sache nach die Berücksichtigung eines Vorausleistungsbegehrens nach § 36 Abs. 1 BAföG im Rahmen der Rückforderung unter Vorbehalt geleisteter Ausbildungsförderung.
Diese Auslegung des Wortlautes wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Der Wille des Gesetzgebers, mit der Ergänzung des § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 36 Abs. 1 BAföG a.F. die Grundlage zu entziehen, kommt in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfs (BTDrucks 13/1301 S. 12) hinreichend deutlich zum Ausdruck. Zwar wird zunächst an die nicht direkt auf die Rückforderungssituation übertragbare Erwägung angeknüpft, dass Vorausleistungen für abgelaufene Bewilligungszeiträume nicht "bewilligt" werden können, weil es nicht der Zielsetzung von Ausbildungsförderung entspreche, "Mittel für einen Zeitraum, der bereits abgeschlossen ist, rückwirkend zu leisten". Es wird dann aber ausdrücklich auch auf die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zugelassenen Einrede der Vorausleistung gegen die Rückforderung einer zunächst unter Vorbehalt geleisteten Förderung Bezug genommen und ausgeführt: "Die im Widerspruch zu den Grundsätzen des Ausbildungsförderungsrechts stehende Einräumung eines Vorausleistungsanspruchs bzw. der Einrede der Vorausleistung für abgelaufene Bewilligungszeiträume ist auch aus den von der Rechtsprechung herangezogenen Billigkeitserwägungen nicht geboten". Systematisch steht dies im Einklang mit dem Ausschluss der nachträglichen Aktualisierungseinrede (§ 24 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 BAföG), die der Gesetzgeber mit dem 12. BAföG-Änderungsgesetz vorgenommen hatte (s. dazu Urteil vom 8. Juli 2004 a.a.O.), und entspricht dem Zweck der Regelung, einer Gefährdung der Ausbildung entgegenzuwirken.
1.2 Unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) bestehen keine durchgreifenden Bedenken gegen den Ausschluss von erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes gestellten Vorausleistungsbegehren gegenüber der Rückforderung unter Vorbehalt gewährter Leistungen; eine verfassungskonforme Auslegung des § 36 Abs. 1 Halbs. 2 BAföG (n.F.) ist insoweit nicht geboten.
1.2.1 Art. 3 Abs. 1 GG ist vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 1985 - 1 BvR 1428/82 - BVerfGE 70, 230 <239 f. m.w.N.>). Dies ist hier nicht der Fall.
Gegenüberzustellen ist die Gruppe der Auszubildenden, bei denen das zu berücksichtigende Einkommen der Eltern im Bezugszeitraum (§ 24 Abs. 1 BAföG) feststeht und bei denen über die Höhe der Ausbildungsförderung und den von den Eltern zu leistenden Anrechnungsbetrag endgültig bis zum Ablauf des Bewilligungszeitraumes entschieden werden kann, und der Auszubildenden, bei denen wegen noch nicht vorliegender Steuerbescheide (§ 24 Abs. 2 BAföG) oder wegen eines Aktualisierungsantrages (§ 24 Abs. 3 BAföG) lediglich eine vorläufige Bewilligung in Betracht kommt und die endgültige Bewilligung unter abschließender, gegebenenfalls höherer Festsetzung des Anrechnungsbetrages (regelmäßig) erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes erfolgt. Während die erste Gruppe bei fehlender Bereitschaft der Eltern zur Zahlung des Anrechnungsbetrages und hieraus resultierender Gefährdung der Ausbildung einen Vorausleistungsantrag stellen kann, ist die zweite Gruppe von Vorausleistungen zwar nicht rechtlich, aber faktisch ausgeschlossen, wenn der endgültige Anrechnungsbetrag höher ist als bei den vorläufigen Leistungen. Die Mitglieder dieser Gruppe tragen das Risiko, dass die von ihnen selbst aufzubringenden Kosten für die Ausbildung höher sind als in der ersten Gruppe, weil im Ergebnis sie das "Ausfallrisiko" dafür tragen, dass ihre Eltern nicht den errechneten Unterhaltsbetrag leisten. Demgegenüber wird der ersten Gruppe - bei Ausbildungsgefährdung - dieses Ausfallrisiko durch die Vorausleistungen abgenommen und auf den Ausbildungsförderungsträger verlagert.
1.2.2 Soweit aus diesen tatsächlichen Wirkungen eine auch rechtlich beachtliche Ungleichbehandlung folgte, wäre diese nach Art und Gewicht durch hinreichende Unterschiede gerechtfertigt, die sich aus der Funktion der Ausbildungsförderung insgesamt und der besonderen Funktion der Vorausleistungen ergeben, in der aktuellen Ausbildungssituation eine Gefährdung der Ausbildung durch den Ausfall der festgesetzten Unterhaltsbeträge der Eltern abzuwenden.
Ausbildungsförderung soll Auszubildenden, denen die erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen, die Durchführung einer Ausbildung ermöglichen, ohne dass sie während der Ausbildung auf den Einsatz ihrer Arbeitskraft angewiesen sind (§ 1 BAföG). Sie ist indes nicht nur nachrangig im Verhältnis zu Einkommen und Vermögen der Auszubildenden; auch das bestimmte Freigrenzen übersteigende Einkommen der Eltern (sowie - hier nicht erheblich und zu vertiefen - indirekt der Ehegatten) ist anzurechnen. Bei typisierender Betrachtung geht das Ausbildungsförderungsgesetz davon aus, dass die Eltern zu der Ausbildung ihrer Kinder auch dann mit dem Anrechnungsbetrag beitragen, wenn dieser abweichend von unterhaltsrechtlichen Grundsätzen berechnet worden ist (zur Verfassungskonformität z.B. der Berechnung allein nach der Summe der positiven Einkünfte ohne einkommensartenübergreifenden Verlustausgleich s. etwa BVerfG, Beschluss vom 15. September 1986 - 1 BvR 363/86 - FamRZ 1987, 901), so dass in der Summe die ausgezahlte Ausbildungsförderung und die Anrechnungsbeträge der Eltern den berücksichtigungsfähigen aktuellen Bedarf des Auszubildenden decken.
Die Zielsetzung der gegenwärtigen Sicherung der Ausbildung prägt auch die Vorausleistungen nach § 36 Abs. 1 BAföG, die nicht schon dann gewährt werden, wenn die Eltern die Anrechnungsbeträge nicht zahlen; es muss vielmehr eine Gefährdung der Ausbildung hinzutreten, die auch nicht durch das Einkommen eines Ehegatten im Bewilligungszeitraum abgewendet werden kann. Die Vorausleistungen sind mithin keine Ausbildungsförderungsleistungen, auf die der Auszubildende nach den allgemeinen Regelungen über die Anrechnung von Einkommen und Vermögen einen Anspruch hat. Es sind "außerordentliche" Zusatzleistungen zur Abwendung der Gefahr eines Ausbildungsabbruchs infolge aktueller Mittellosigkeit.
In Bezug auf die von § 36 Abs. 1 BAföG bezweckte Sicherung der aktuellen Ausbildung befinden sich Auszubildende, deren Bedarf durch unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährte Leistungen gesichert ist, in einer anderen Situation als Auszubildende, deren Bedarf im Bewilligungszeitraum nicht (vollständig) durch Ausbildungsförderungsleistungen gedeckt ist und die diesen auch nicht durch den festgesetzten Unterhaltsbetrag decken können. Für den jeweiligen Bewilligungsabschnitt ist die Ausbildung für Auszubildende, denen nach § 24 Abs. 2 oder 3 BAföG Ausbildungsförderung unter dem Vorbehalt der Rückforderung gewährt worden ist, auch ohne Vorausleistungen gesichert. Da in den von § 17 Abs. 2 und 3 BAföG erfassten Fällen Ausbildungsförderung ganz oder teilweise als Darlehen gewährt wird, ist es auch kein Grundsatz des Ausbildungsförderungsrechts, dass lediglich einer endgültigen Leistungsgewährung als Zuschuss ausbildungssichernde Funktion zukomme.
Der bei Vorausleistungen erforderliche enge sachliche und zeitliche Zusammenhang mit der aktuellen Ausbildungssituation besteht nach Leistungsgewährung unter Vorbehalt bei einem nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes gestellten Vorausleistungsantrag auch sonst nicht mehr. Die Berücksichtigung der Vorausleistungseinrede wäre nicht geeignet, die Gefährdung einer Ausbildung abzuwenden. Die Rückforderung unter Vorbehalt geleisteter Ausbildungsförderung kann als solche eine noch nicht abgeschlossene Ausbildung nicht gefährden. Einer Ausbildungsgefährdung durch die Beitreibung des Rückforderungsbetrages (z.B. durch Aufrechnung nach § 19 BAföG) ist nicht durch eine Beschränkung der Rückforderung, sondern allein im Rahmen der Beitreibung (z.B. durch Stundung und Verzicht auf eine Aufrechnung) zu begegnen.
Die besondere Funktion der Vorausleistungen rechtfertigt es auch, wenn Auszubildende, bei denen sich erst im Rahmen der abschließenden Entscheidung über die Leistungsgewährung ergibt, dass die Eltern einen - erstmalig festgesetzten oder höheren - Unterhaltsbetrag nicht (vollständig) leisten, damit belastet werden, gegen ihre Eltern vorzugehen, und möglicherweise sogar im Ergebnis den ausbildungsförderungsrechtlich festgesetzten Unterhaltsbetrag selbst zu tragen haben, weil er unterhaltsrechtlich gegen die Eltern nicht durchsetzbar ist. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet (auch unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips und des Art. 12 Abs. 1 GG) nicht, den Auszubildenden von diesem Risiko freizustellen. Soweit der festgesetzte Unterhaltsbetrag gegenüber dem Unterhaltsverpflichteten nicht durchgesetzt werden kann, weil die ausbildungsförderungsrechtliche von der unterhaltsrechtlichen Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens abweicht, rechtfertigte dies bereits im Ansatz keine (zusätzlichen) Vorausleistungen; dies ist allenfalls (dazu 2.) im Rahmen des § 25 Abs. 6 BAföG zu berücksichtigen. Die Grenzen, die einer Geltendmachung von Unterhalt für die Vergangenheit gezogen sind, gebieten ebenfalls keine (zusätzlichen) Vorausleistungen. Nicht auszuschließen ist, dass ein Auszubildender einen erst bei der abschließenden Entscheidung festgesetzten (erhöhten) Unterhaltsbetrag der Eltern, den diese nicht freiwillig leisten, nach § 1613 Abs. 1 BGB für die Vergangenheit geltend machen kann (z.B. auf der Grundlage einer Unterhaltsvereinbarung, an deren Abschluss er einen Aktualisierungsantrag knüpft). Im Übrigen ist nicht zu vertiefen, welche Möglichkeiten § 1613 Abs. 2 BGB n.F. dem Auszubildenden eröffnet, die Erfüllung seines Unterhaltsanspruchs auch für die Vergangenheit in Bezug auf einen durch Abrechnung einer Leistungsgewährung unter Vorbehalt entstandenen Rückforderungsbetrag nachträglich durchzusetzen. Selbst wenn der Auszubildende den festgesetzten Unterhaltsbetrag nicht für die Vergangenheit durchsetzen könnte, bewirkte der Ausschluss der Vorausleistungseinrede eine Belastung, die bei gesicherter Ausbildung nicht unzumutbar und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
1.3 Der Kläger ist auch nicht so zu stellen, als habe er innerhalb des Bewilligungszeitraumes einen (vorsorglichen) Vorausleistungsantrag gestellt (s. dazu Urteil vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 5 C 13.09).
2. Die Rückforderung ist nicht deswegen (teilweise) rechtswidrig, weil bei der Berechnung des zu berücksichtigenden Einkommens des Vaters des Klägers nicht zur Vermeidung unbilliger Härte nach § 25 Abs. 6 BAföG ein weiterer Einkommensteil von der Anrechnung ausgenommen worden ist.
2.1 Der "Härteantrag" ist nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG "vor dem Ende des Bewilligungszeitraums" zu stellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 12. Juli 1979 - BVerwG 5 C 7.78 - BVerwGE 58, 200) kann ein Auszubildender zwar auch dann noch den Antrag stellen, einen weiteren Teil des Einkommens anrechnungsfrei zu stellen, wenn für ihn erst nach Vorliegen der Steuerbescheide seiner Eltern und der abschließenden Entscheidung des Förderungsträgers gemäß § 24 Abs. 3 Satz 4 BAföG die höhere Anrechnung des Elterneinkommens und die damit verbundene Rückforderung unter Vorbehalt geleisteter Ausbildungsförderung erkennbar wird. Nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes ist der Härtefreibetrag aber unverzüglich nach Kenntnis der Umstände geltend zu machen, die eine Rückforderung unter Vorbehalt bewilligter Förderungsleistungen erwarten lassen (Urteil vom 15. November 1990 - BVerwG 5 C 78.88 - BVerwGE 87, 103).
2.2 Das Verwaltungsgericht hat aus der zu § 24 Abs. 3 BAföG n.F. ergangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 8. Juli 2004 a.a.O.) und dem Zweck auch des § 25 Abs. 6 BAföG, einer Gefährdung der Ausbildung vorzubeugen, gefolgert, dass auch im Rahmen des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG nur innerhalb des Bewilligungszeitraumes gestellte Anträge zu berücksichtigen sind.
Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung, ob dem gefolgt werden kann. Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber den Wortlaut des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG insoweit gerade nicht in Reaktion auf die vorbezeichnete Rechtsprechung geändert hat; die Beschränkung auf Anträge im Bewilligungszeitraum war bereits durch das 2. BAföG-Änderungsgesetz vom 31. Juli 1974 (BGBl I S. 1649) eingefügt worden, "um den Einkommensbezieher zu veranlassen, Tatbestände klar und rechtzeitig vorzutragen, die die Gewährung eines Härtebetrages rechtfertigen" (BTDrucks 7/2098 S. 22). Diesem Zweck kann in Fällen, in denen das anzurechnende Einkommen erst nach dem Bewilligungszeitraum festgestellt wird, zumutbar nicht entsprochen werden. Die Erwägungen zur Verfassungsgemäßheit des Ausschlusses der nachträglichen Aktualisierungseinrede (Urteil vom 8. Juli 2004 a.a.O.) und eines Vorausleistungsantrages nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes in den Fällen des § 24 Abs. 2 oder 3 BAföG (dazu 1.) sind auf den Ausschluss eines Härteantrages nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes jedenfalls in den Fällen nicht unmittelbar übertragbar, in denen Art und Umfang des anzurechnenden Einkommens erst nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes festgestellt werden. Dagegen spricht auch der Zweck des § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG, als allgemeine Regelung unbillige Härten zu vermeiden (BVerfG, Beschlüsse vom 15. September 1986 - 1 BvR 363/86 - FamRZ 1987, 901 und vom 24. August 1989 - 1 BvR 1687/88 - juris) und insbesondere Fällen Rechnung zu tragen, in denen das Verlustausgleichsverbot (§ 21 Abs. 1 Satz 2 BAföG) zu einem ausbildungsförderungsrechtlichen Unterhaltsbetrag führt, der wegen atypischer Umstände unterhaltsrechtlich nicht durchgesetzt werden kann. Die (teilweise) Einkommensfreistellung in Fällen besonderer Härte (§ 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG) ist hiernach nicht bloß Ausdruck der Sozialleistungen gewährenden Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers; sie trägt auch dazu bei, dass die Typisierungen und Generalisierungen bei der Bestimmung des anzurechnenden Einkommens und insbesondere das Verlustausgleichsverbot des § 21 Abs. 1 BAföG für den Regelfall verfassungsrechtlich unbedenklich sind. Im Gegensatz zu dem Vorausleistungsantrag, bei dem es zur Sicherung der Ausbildung um die Gewährung zusätzlicher Leistungen geht, die nach allgemeinen Regelungen über die Anrechnung von Einkommen und Vermögen nicht zu gewähren wären, betrifft § 25 Abs. 6 BAföG unmittelbar die Leistungsberechnung selbst und damit die Frage, in welchem Umfange ein Auszubildender nach den §§ 21 ff. BAföG auf einen Unterhaltsbetrag der Eltern verwiesen werden kann.
2.3 Das Verwaltungsgericht hat jedenfalls im Ergebnis den Antrag nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG zu Recht nicht berücksichtigt. Denn der Kläger hat diesen Antrag nicht "unverzüglich" gestellt, nachdem für ihn erkennbar war, dass das Einkommen seines Vaters u.a. wegen des Ausschlusses des Verlustausgleichs zu einer höheren Anrechnung auf den Bedarf und damit zur Rückforderung der unter Vorbehalt geleisteten Ausbildungsförderung führen werde. Aufgrund der vom Verwaltungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen kann zwar nicht abschließend beurteilt werden, ob der Kläger, der nach eigenem Vorbringen um die erheblichen wirtschaftlichen Probleme seines Vaters wusste und zu dessen Unterstützung auch ein "Urlaubssemester" genommen hatte, schon vor der abschließenden Entscheidung hinreichenden Anlass hatte, einen Antrag nach § 25 Abs. 6 Satz 1 BAföG zu stellen. Spätestens mit der Bekanntgabe der vorliegend im Streit stehenden Bescheide hatte er aber Veranlassung, unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (Urteil vom 15. November 1990 a.a.O.; s.a. Urteil vom 21. November 1991 - BVerwG 5 C 32.87 - Buchholz 436.36 § 24 BAföG Nr. 18), einen entsprechenden Antrag zu stellen. Diesen Anforderungen genügt der erst unter dem 27. Februar 2008, also nicht innerhalb der Widerspruchsfrist gestellte Antrag, nicht. Umstände, bei deren Vorliegen zugunsten des Klägers von einem schuldhaften Zögern nicht gesprochen werden könnte, sind nicht ersichtlich oder vorgetragen.