Entscheidungsdatum: 28.09.2017
1. Eine Krankheit im beihilferechtlichen Sinn liegt auch dann vor, wenn die auf Tatsachen gestützte konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung besteht und die schädigenden Folgen, die im Falle des Ausbruchs der Krankheit einträten, so schwer sind, dass die Behandlungsbedürftigkeit bereits vor Realisierung der Gefahr zu bejahen ist, weil der betreffenden Person bei wertender Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken.
2. Hinsichtlich des Risikos einer Erkrankung an Brustkrebs sind bei einer familiär vorbelasteten Person mit BRCA2-Genmutation neben der Wahrscheinlichkeit, innerhalb der üblichen Lebensspanne an Brustkrebs zu erkranken, in die Gesamtbetrachtung jedenfalls einzubeziehen das individuelle Risiko, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erkranken, sowie, ob Früherkennungsmaßnahmen vorhanden sind, die hinreichend sensitiv sind, um bei festgestellter Brustkrebserkrankung gute Heilungschancen zu bieten.
Die Beteiligten streiten um die anteilige Erstattung der Aufwendungen für eine vorsorgliche Brustdrüsenentfernung (prophylaktische Mastektomie) mit Implantatrekonstruktion im Rahmen der beamtenrechtlichen Beihilfegewährung.
Die 1975 geborene Klägerin ist beihilfeberechtigte Beamtin des Landes Hessen. Zwei ihrer Verwandten in direkter mütterlicher Linie waren an Brustkrebs erkrankt. Bei ihr besteht eine BRCA2-Genmutation. Wegen des erhöhten Risikos, an Brustkrebs zu erkranken, wurde sie als Hochrisikopatientin eingestuft. Ihr Ersuchen auf Übernahme der Kosten einer vorsorglichen operativen Brustdrüsenentfernung und nachfolgender Implantatrekonstruktion im Rahmen der beamtenrechtlichen Beihilfegewährung lehnte der beklagte Dienstherr ab. Auf ihre Klage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten antragsgemäß verpflichtet, die Aufwendungen, die der Klägerin im Rahmen der mittlerweile durchgeführten prophylaktischen Mastektomie entstanden sind, als beihilfefähig anzuerkennen.
Die hiergegen vom Beklagten eingelegte Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Beihilfeanspruch ergebe sich aus § 6 Abs. 1 HBeihVO. Der Krankheitsbegriff dieser Vorschrift sei im Lichte der Fürsorgepflicht des Dienstherrn nach Art. 33 Abs. 5 GG verfassungskonform auszulegen. Dies führe dazu, dass bei der Klägerin bereits das Vorhandensein der BRCA2-Genmutation als behandlungsbedürftige Krankheit anzusehen sei. Im Hinblick auf die Fürsorgepflicht dürften Leistungen für existenzielle Maßnahmen, für die im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung einen verfassungsunmittelbaren Leistungsanspruch annehme, nicht von der Beihilfegewährung ausgeschlossen werden. Die vorsorgliche Brustdrüsenentfernung sei für die Klägerin angesichts eines lebenslangen Risikos von unstrittig jedenfalls 80 %, an potenziell tödlich verlaufendem Brustkrebs zu erkranken, von existenzieller Bedeutung, weil dadurch das Erkrankungsrisiko auf unter 2 % gesenkt werden könne. Das Nichtvorliegen einer Funktionsbeeinträchtigung sei hier nicht entscheidungserheblich; das Kriterium werde als Korrektiv herangezogen, um gesundheitlich irrelevante Normabweichungen namentlich im kosmetischen Bereich aus dem Krankheitsbegriff auszuscheiden, worum es vorliegend nicht gehe.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte neben Verfahrensfehlern eine Verletzung der in Art. 33 Abs. 5 GG normierten Fürsorgepflicht des Dienstherrn sowie die Verkennung des Krankheitsbegriffs des § 6 HBeihVO. Das angefochtene Urteil überdehne die Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die nicht verlange, eine ohne Krankheit bestehende Notlage zu beseitigen. Vielmehr müsse der Dienstherr erst wegen der durch Krankheit entstandenen besonderen Belastungen eingreifen. Das Vorliegen einer (physischen oder psychischen) Funktionsbeeinträchtigung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts konstitutives Merkmal einer Krankheit. Dem Gesichtspunkt der Funktionsstörung komme für den Krankheitsbegriff auch eine erhöhte Bedeutung zu angesichts der durch die moderne Medizintechnik erweiterten Möglichkeiten der Diagnostik und des damit verbundenen Aufdeckens potentieller Erkrankungsrisiken und Normabweichungen, die nichts darüber besagten, ob sich diese Risiken jemals realisierten. Auch sage das statistische Lebenszeitrisiko nichts darüber aus, ob bei dem Betreffenden innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von wenigen Jahren mit einem Ausbruch der Krankheit zu rechnen sei. Schließlich sei die prophylaktische Mastektomie auch deshalb für die Klägerin nicht existenziell, weil es mit intensiven Früherkennungsmaßnahmen eine Behandlungsalternative gebe.
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Berufungsurteil.
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das angefochtene Urteil steht nicht in Einklang mit revisiblem Landesrecht (§ 191 Abs. 2 VwGO, § 127 Nr. 2 BRRG i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 2 BeamtStG; vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 5 C 32.12 - BVerwGE 148, 106 Rn. 8). Es verletzt § 6 der Hessischen Beihilfenverordnung (HBeihVO) vom 5. Dezember 2001 (GVBl. S. 482), für den hier maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. März 2015 - 5 C 9.14 - BVerwGE 151, 386 Rn. 8) zuletzt geändert durch die Zwölfte Verordnung zur Änderung der Hessischen Beihilfenverordnung vom 25. Juni 2012 (GVBl. S. 182). Entgegen der entscheidungstragenden Annahme des Verwaltungsgerichtshofs ist für die hier im Streit stehende Fallgruppe des erhöhten Erkrankungsrisikos eine verfassungskonforme Auslegung des einfachrechtlichen Krankheitsbegriffs im Lichte der in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten Fürsorgepflicht des Dienstherrn nicht geboten. Vielmehr ergibt bereits eine Auslegung des einfachen Verordnungsrechts, dass unter bestimmten engen Voraussetzungen ein Erkrankungsrisiko als Krankheit im beihilferechtlichen Sinn anzusehen ist. Weil der Verwaltungsgerichtshof die insoweit erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat, ist die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an ihn zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Damit bedarf es keiner Entscheidung über die vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensrügen.
Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 und § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 6 HBeihVO besteht ein Rechtsanspruch auf Beihilfe unter anderem für ambulante ärztliche Leistungen und stationäre Krankenhausleistungen, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Die Aufwendungen müssen "aus Anlass einer Krankheit" entstanden sein.
Für den Krankheitsbegriff im Sinne des § 6 Abs. 1 HBeihVO ist mangels einer eigenständigen Begriffsbestimmung in der Beihilfenverordnung grundsätzlich auf den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zurückzugreifen, wie er insbesondere in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelt worden ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Februar 1982 - 6 C 8.77 - BVerwGE 65, 87 <91> und vom 10. Oktober 2013 - 5 C 32.12 - BVerwGE 148, 106 Rn. 11 m.w.N.). Danach ist Krankheit ein regelwidriger Zustand des Körpers oder des Geistes, der der ärztlichen Behandlung bedarf oder - zugleich oder ausschließlich - Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat. Als regelwidrig ist ein Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der von der durch das Leitbild eines gesunden Menschen geprägten Norm abweicht. Dabei ist der Begriff der Gesundheit mit dem Zustand gleichzusetzen, der dem Einzelnen die Ausübung körperlicher oder geistiger Funktionen ermöglicht. Jemand ist krank, wenn er in seiner Körper- oder Geistesfunktion beeinträchtigt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 2013 - 5 C 32.12 - BVerwGE 148, 106 Rn. 11; BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 5/10 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 20 m.w.N.; Nitze, HBeihVO, Stand Juli 2015, § 6 Abs. 1 Anm. 2). An diesem Verständnis des Krankheitsbegriffs hält der Senat fest. Danach ist - neben anderen Voraussetzungen - grundsätzlich nur krank, wer in seinen körperlichen oder geistigen Funktionen beeinträchtigt ist. Das schließt es jedoch nicht aus, in bestimmten Konstellationen, in denen es - wie bei der nicht an Brustkrebs erkrankten Klägerin - (noch) an einer Funktionsbeeinträchtigung fehlt, ausnahmsweise bereits das Vorliegen einer Krankheit zu bejahen.
Der Krankheitsbegriff erfasst unter engen Voraussetzungen auch Fallgestaltungen, in denen ein erhebliches und schwerwiegendes Erkrankungsrisiko besteht. Der Wortlaut "Krankheit" und der hiermit verknüpfte mögliche Wortsinn als Grenze jeder Auslegung stehen diesem Verständnis nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob im allgemeinen Sprachgebrauch das Wort "krank" mit einer spürbaren Beeinträchtigung verbunden wird, so dass auch ein signifikant erhöhtes Krankheitsrisiko mangels aktueller Funktionsbeeinträchtigung noch nicht als "Krankheit" anzusehen wäre. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Wortlautauslegung ist der tradierte Fachsprachgebrauch, an dem sich Gesetz- und Verordnungsgeber orientiert haben. Danach ist es nicht ausgeschlossen, auch Fälle eines erheblichen Erkrankungsrisikos unter den Krankheitsbegriff zu fassen. Denn der Krankheitsbegriff ist - obgleich er einen tradierten Begriffskern enthält - nicht abschließend, sondern in dynamischer Weise für die Bewertung neuer Phänomene und die Zulassung von Ausnahmefällen offen. Sein inhaltliches Verständnis unterliegt durchaus Wandlungen, die mit der Entwicklung der Medizin und den daran anknüpfenden gesellschaftlichen Anschauungen von Krankheit verbunden sind (vgl. etwa Steege, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2017, § 27 Rn. 26 und 40; Nolte, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2017, § 27 SGB V Rn. 14a und 27). Hiervon geht auch der Gesetzgeber aus und hat deshalb für den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff bewusst auf eine gesetzliche Begriffsdefinition verzichtet (BT-Drs. 11/2237 S. 170).
Entscheidendes Gewicht für die Auslegung kommen Systematik, Sinn und Zweck des Krankheitsbegriffs sowie seiner historischen Entwicklung zu. Der Krankheitsbegriff ist ein rechtlicher Zweckbegriff, der von seiner Funktion geprägt wird, das durch ihn abgedeckte Risiko im Krankheitsbereich zu bestimmen und die Leistungspflicht auszulösen (vgl. Nolte, in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2017, § 27 SGB V Rn. 9). Demzufolge wird eine Krankheit unabhängig von einer Funktionsbeeinträchtigung auch dann angenommen, wenn eine anatomische Abweichung entstellend wirkt (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 2015 - B 3 KR 3/14 R - SozR 4-2500 § 33 Nr. 45 Rn. 19). Zudem werden auch Fälle eines bloßen Krankheitsverdachts erfasst, in denen nicht feststeht, ob objektiv tatsächlich eine Gesundheitsbeeinträchtigung zu besorgen ist (vgl. BSG, Urteile vom 1. Februar 1995 - 6 RKa 9/94 - SozR 3-2500 § 76 Nr. 2 <5> und vom 24. Juli 1985 - 9b RU 36/83 - NZA 1986, 343; Steege, in: Hauck/Noftz, SGB V, Stand September 2017, § 27 Rn. 48).
Darüber hinaus kann nach Auffassung des Bundessozialgerichts unter dem Gesichtspunkt der Behandlungsbedürftigkeit auch schon ein Erkrankungsrisiko die Leistungspflicht auslösen (vgl. hierzu Hauck, NJW 2016, 2695). Dies betrifft zunächst Fallgestaltungen, in denen bei einer bestehenden Grunderkrankung Behandlungsbedürftigkeit in Bezug auf das Risiko einer Verschlimmerung oder weiterer Folgeerkrankungen anzunehmen ist (vgl. BSG, Urteile vom 18. November 1969 - 3 RK 75/66 - BSGE 30, 151 <151>, vom 20. Oktober 1972 - 3 RK 93/71 - BSGE 35, 10 <13>, vom 16. November 1999 - B 1 KR 9/97 R - BSGE 85, 132 <137>, vom 19. Februar 2003 - B 1 KR 1/02 R - BSGE 90, 289 <290 f.> und vom 17. Februar 2010 - B 1 KR 10/09 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 18 Rn. 16).
Des Weiteren hat das Bundessozialgericht - in vorliegendem Zusammenhang von besonderer Bedeutung - in zwei Urteilen, auf die Entscheidungen jüngeren Datums Bezug nehmen (vgl. BSG, Urteile vom 16. November 1999 - B 1 KR 9/97 R - BSGE 85, 132 und vom 17. Februar 2010 - B 1 KR 10/09 R - SozR 4-2500 § 27 Nr. 18 Rn. 16), für die Annahme einer Krankheit ein Erkrankungsrisiko auch ohne eine schon bestehende Grunderkrankung im Sinne einer aktuellen Funktionsbeeinträchtigung ausreichen lassen: Bei einer bestehenden Kieferanomalie ohne wesentliche Funktionsbeeinträchtigungen und unklarer weiterer Entwicklung während der Wachstumsphase war entscheidend, dass die Gefahr einer Verschlimmerung der Situation zwar nicht wahrscheinlich, andererseits aber auch "keine entfernte Möglichkeit" darstellte, die Entwicklung des Gebisses nur in bestimmten Phasen des Frühstadiums günstig beeinflusst werden konnte und bei rechtzeitiger Einleitung der Behandlung ein Behandlungserfolg gewährleistet erschien; maßgeblich war der Vergleich des Risikos einer unterbliebenen oder zu spät eingeleiteten Behandlung mit dem Ausmaß und der Schwere der Gefährdung (vgl. BSG, Urteil vom 23. Februar 1973 - 3 RK 82/72 - SozR Nr. 56 zu § 182 RVO). Im Fall einer medizinisch gesunden Versicherten, deren Sohn an einer erblich bedingten Augenerkrankung litt und bei der zu erwarten war, dass weitere Kinder ebenfalls krank geboren werden würden, hat das Bundessozialgericht die Verschreibung von Kontrazeptiva zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung befürwortet und dabei entscheidend darauf abgestellt, dass bei einer neuerlichen Schwangerschaft der Versicherten die Gefahr einer schwerwiegenden Schädigung ihres körperlichen oder geistig-seelischen Zustandes bestünde; die Erkrankung brauche nicht bereits vorzuliegen, es genüge die ernste Gefahr einer Erkrankung. Bis zum Eintritt der Krankheit abzuwarten, obwohl früheres ärztliches Eingreifen bessere und weniger aufwändige Möglichkeiten der Behandlung biete, sei weder vom Standpunkt der Versichertengemeinschaft zu verantworten noch der Versicherten zuzumuten (vgl. BSG, Urteil vom 13. Februar 1975 - 3 RK 68/73 - BSGE 39, 167 <170>).
Allen genannten Entscheidungen des Bundessozialgerichts liegt im Wesentlichen zugrunde, dass eine Krankheit vorliegen kann, wenn eine auf Tatsachen gestützte Prognose den künftigen Eintritt schwerwiegender Funktionsbeeinträchtigungen erwarten lässt, wobei eine sofortige Behandlung wirksam, eine erfolgversprechende Behandlung nach Eintritt der erwarteten Funktionsbeeinträchtigung jedoch nicht möglich oder in ihrem Ausgang zumindest ungewiss ist, und diese Ungewissheit es für den Betreffenden unzumutbar (und für die Versichertengemeinschaft nicht verantwortbar) macht, den Eintritt der Funktionsstörung abzuwarten. Ob und ggf. welche Folgerungen sich hieraus für den sozialversicherungsrechtlichen Krankheitsbegriff in allgemeiner Form ergeben, braucht der Senat nicht festzulegen und kann daher offenbleiben.
Für das Beihilferecht hat das Bundesverwaltungsgericht bereits in ähnlicher Weise entschieden, dass nach den besonderen Umständen des Einzelfalls schon die konkrete Gefahr einer künftigen Erkrankung ausreichend sein kann, um das Vorliegen einer Krankheit zu bejahen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1982 - 6 C 8.77 - BVerwGE 65, 87 <92>). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung und unter Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht zugrunde gelegten Merkmale, bei deren Vorhandensein schon einem Erkrankungsrisiko Krankheitswert zukommen kann, ergibt sich für das Beihilferecht Folgendes: Eine Krankheit im beihilferechtlichen Sinne liegt auch dann vor, wenn die auf Tatsachen gestützte konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsschädigung besteht und die schädigenden Folgen, die im Falle des Ausbruchs der Krankheit einträten, so schwer sind, dass die Behandlungsbedürftigkeit bereits vor Realisierung der Gefahr zu bejahen ist, weil der betreffenden Person bei wertender Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken.
Gemessen daran gilt für die vorliegende Fallgruppe des (genetisch bedingten) erhöhten Krankheitsrisikos, dass ein regelwidriger Körperzustand nicht allein aus dem Umstand des Bestehens einer Genmutation resultiert, sondern aus einem signifikant erhöhten Risiko folgt, an Brustkrebs zu erkranken (vgl. Huster/Harney, MedR 2016, 367 <368>). Dem Erkrankungsrisiko kommt Krankheitswert zu, wenn der betreffenden Person im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung nicht zuzumuten ist, dem Geschehen seinen Lauf zu lassen und sich auf die Inanspruchnahme von Früherkennungsmaßnahmen zu beschränken. Insoweit ist nicht nur das statistische Lebenszeitrisiko zu berücksichtigen, also die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der üblichen Lebensspanne an Brustkrebs zu erkranken, weil es den im jeweiligen Einzelfall gegebenen individuellen Verhältnissen nicht hinreichend Rechnung trägt. Um dies zu gewährleisten, sind zusätzlich jedenfalls folgende Aspekte im Rahmen einer maßgeblich unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten vorzunehmenden Risikobewertung in den Blick zu nehmen: Zum einen ist das individuelle Risiko einzubeziehen, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erkranken; in diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, ob die Brustkrebserkrankungen von Familienmitgliedern einer bestimmten Altersspanne zuzuordnen sind und in welchem Altersabstand sich die betreffende Person befindet, wobei angesichts der potenziellen Lebensbedrohlichkeit einer Brustkrebserkrankung ggf. ein angemessener Sicherheitsabstand einzustellen ist. Zum anderen ist zu prüfen, ob Früherkennungsmaßnahmen vorhanden sind, die hinreichend sensitiv sind, um bei festgestellter Brustkrebserkrankung gute Heilungschancen zu bieten. Denn dem Erkrankungsrisiko kommt umso eher Krankheitswert zu, je zeitnäher nach den Verhältnissen des Einzelfalls die Erkrankung selbst zu erwarten ist oder je weniger sensitiv Früherkennungsmaßnahmen bzw. je geringer oder weniger verlässlich die Heilungschancen einzuschätzen sind.
Aus Verfassungsrecht ergeben sich für die Bewertung des Risikos, bei vorhandener BRCA2-Genmutation und familiärer Vorbelastung an Brustkrebs zu erkranken, keine anderen Voraussetzungen, unter denen für eine Bewertung des Erkrankungsrisikos als Krankheit auf die vorgenannten Abwägungskriterien verzichtet werden könnte.
Es bedarf zunächst - wie dargelegt - keines Rückgriffs auf die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Fürsorgepflicht des Dienstherrn im Wege verfassungskonformer Auslegung beihilferechtlicher Vorschriften. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Fürsorgepflicht des Dienstherrn verlangte, in den Fällen der vorliegenden Art das Erkrankungsrisiko unter Verzicht (einzelner) der vorgenannten Abwägungskriterien als Krankheit einzustufen. Der vom Berufungsgericht angeführte Beschluss des Senats vom 18. Januar 2013 (- 5 B 44.12 - USK 2013, 145) ist im Übrigen auch nicht einschlägig. Gegenstand dieses Beschlusses waren die Grundsätze, nach denen sich bei bestehender Erkrankung die Vereinbarkeit eines Leistungsausschlusses im Beihilferecht mit höherrangigem Recht bemisst, während hier die Frage inmitten steht, ob und unter welchen Voraussetzungen bei fehlender Funktionsbeeinträchtigung überhaupt eine Krankheit im beihilferechtlichen Sinne vorliegt.
Soweit das Berufungsgericht ergänzend auch auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 (- 1 BvR 347/98 - BVerfGE 115, 25) verweist, der sich für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung mit (ausnahmsweise) anzunehmenden verfassungsunmittelbaren, über den Leistungskatalog der Krankenversicherung hinausgehenden Leistungsansprüchen befasst, ergibt sich unabhängig von der Frage ihrer Übertragbarkeit auf den Bereich der beamtenrechtlichen Beihilfegewährung aus dieser Rechtsprechung nichts für die vorliegende Fallgestaltung. Das Bundesverfassungsgericht bezieht seine Rechtsprechung ausdrücklich nur auf eine hier nicht gegebene "notstandsähnliche Situation", "in der ein erheblicher Zeitdruck für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist". Eine Übertragung dieser Rechtsprechung ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts selbst auf Erkrankungen, die wertungsmäßig mit lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankungen vergleichbar sind, von Verfassungs wegen nicht geboten (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 11. April 2017 - 1 BvR 452/17 - NJW 2017, 2096 <2097>). Davon abgesehen kann die in Bezug genommene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hier auch deshalb nicht herangezogen werden, weil sie das Vorliegen einer Krankheit voraussetzt.
Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat die erforderliche Gesamtabwägung nicht selbst vornehmen. So hat die Vorinstanz etwa zu der Frage, wie hoch sich das Risiko für die Klägerin ausnahm, innerhalb einer überschaubaren Zeitspanne an Brustkrebs zu erkranken, keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Deshalb ist die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen. Mit Blick auf die erneute Befassung des Berufungsgerichts weist der Senat darauf hin, dass dessen nicht näher begründete Feststellung, das Lebenszeitrisiko der Klägerin betrage "unstrittig jedenfalls 80 %", nicht mit dem Inhalt der Akten übereinstimmt, wonach bezogen auf die Klägerin Werte zwischen 70 und 85 % genannt sind, während in einem ihre Mutter betreffenden Arztbrief vom 10. November 2011 das Risiko mit "40 bis 70 %" angegeben wird.