Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 15.09.2011


BVerwG 15.09.2011 - 5 B 23/11

Anspruch auf rechtliches Gehör; Ablehnung der beantragten Einholung weiterer Auskünfte; Nichtberücksichtigung von Beteiligtenvorbringen


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsdatum:
15.09.2011
Aktenzeichen:
5 B 23/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 10. Februar 2011, Az: OVG 5 B 6.07, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet. Die Revision ist nicht nach §§ 133, 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen. Denn die vom Kläger gerügte Ablehnung seiner in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge begründet keine entscheidungserhebliche Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO).

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1. Der Kläger wendet sich in der Sache dagegen, dass ihm wegen des Verdachts der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG keine Einbürgerungszusicherung erteilt wird. Nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts ist er seinem eigenen Bekunden zufolge seit 1988 Mitglied der "Islamischen Gesellschaft Milli Görüs e.V." (im Folgenden: IGMG) und seit Mai 1996 mit einer zweijährigen Unterbrechung Vorsteher von mit der IGMG verbundenen Moscheevereinen. Er bestreitet in seiner Funktion als Vorsitzender der Moscheevereine verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstützt zu haben. Im Berufungsverfahren hat er Beweiserhebung dazu beantragt, dass die früheren und gegenwärtigen Aktivitäten der von ihm geleiteten Vereine ausschließlich auf die religiöse Grundversorgung ihrer Mitglieder und auf die Integration der Kinder und Jugendlichen in Deutschland gerichtet gewesen sind. Ferner solle Beweis darüber erhoben werden, dass diese Moscheevereine nur im Bereich der religiösen Grundversorgung vertraglich an die Zentrale der IGMG gebunden sind, im Übrigen aber autonome Selbstverwaltung genießen.

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Soweit das Oberverwaltungsgericht diese Anträge abgelehnt hat, liegt im Ergebnis keine Verletzung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG vor. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen. Demnach muss das Gericht einem Beweisangebot nachgehen, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 1; BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006).

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Es bedarf hier keiner abschließenden Prüfung und Entscheidung, ob die vom Berufungsgericht in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebene Begründung für die Ablehnung der ersten beiden Beweisanträge prozessrechtlich tragfähig ist. Denn die unter Beweis gestellten Fragen waren aus der im Rahmen des Art. 103 Abs. 1 GG maßgeblichen Sicht des Berufungsgerichts nicht entscheidungserheblich. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung nicht darauf gestützt, dass bezogen auf die vom Kläger geleiteten lokalen Moscheevereine der begründete Verdacht der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestehe. Es hat auch die vom Kläger behauptete Selbstverwaltungsautonomie der zur IGMG gehörenden Moscheevereine nicht in Abrede gestellt. Vielmehr hat es die Ablehnung der Einbürgerung in erster Linie und seine Entscheidung selbstständig tragend auf die langjährige Mitgliedschaft des Klägers in der bundesweit tätigen IGMG gestützt und eine Unterstützung dieser als verfassungsfeindlich eingeordneten Vereinigung schon darin gesehen, dass er als Vereinsvorstand die religiöse Einflussnahme der IGMG begünstigt und damit die Position dieser verfassungsfeindlichen Organisation in der öffentlichen Wahrnehmung aufgewertet habe. Da das Berufungsgericht die mit den abgelehnten ersten beiden Anträgen unter Beweis gestellten Behauptungen seiner rechtlichen Würdigung nicht zugrunde gelegt hat, kann das Berufungsurteil auch nicht auf der Ablehnung dieser Beweisanträge beruhen.

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2. Eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO liegt auch nicht darin, dass das Oberverwaltungsgericht die beantragte Beweiserhebung zur Frage des Reformprozesses innerhalb der IGMG während der 90er Jahre nicht durchgeführt hat. Diese Frage war zwar auch aus der Sicht des Berufungsgerichts entscheidungserheblich. Es ist im Gegensatz zum Kläger nach Auswertung der ihm vorliegenden Erkenntnismittel davon ausgegangen, dass in der IGMG auch mit dem Hineinwachsen einer jüngeren Generation in die Führungsebene in den 90er Jahren keine grundlegende Abkehr von den antidemokratischen Doktrinen des Gründers der Milli-Görüs-Bewegung, Necmettin Erbakan, verbunden gewesen sei.

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Die Ablehnung der beantragten Einholung von weiteren Auskünften zu dieser Frage findet jedoch im vorliegenden Fall im Prozessrecht eine ausreichende Stütze. Es erscheint zwar zweifelhaft, ob der Beweisantrag mit der Begründung abgelehnt werden konnte, er ziele auf eine dem Beweis nicht zugängliche Wertung. Im klägerischen Beweisantrag ist bei der Formulierung des Beweisthemas ein dem Beweis zugänglicher Tatsachenkern durchaus erkennbar. Die Ablehnung des Beweisantrags wurde jedoch in prozessrechtlich letztlich tragfähiger Weise auch damit begründet, dass dem Gericht bereits Erkenntnisquellen des Landesamts für Verfassungsschutz und von Prof. Dr. S. vorliegen. Das Berufungsgericht hat vor der mündlichen Verhandlung mit Telefax vom 4. Februar 2011 auf die ihm vorliegenden Erkenntnismittel hingewiesen und die Einbeziehung der in erster Instanz vorgelegten Erkenntnisquellen angekündigt. Danach befanden sich bei den vom Gericht herangezogenen Erkenntnisquellen unter anderem die Verfassungsschutzberichte des zuständigen Landesamts für Verfassungsschutz von 2006 bis 2009 sowie zwei Veröffentlichungen und ein Gutachten von Prof. Dr. S. aus den Jahren 2004 und 2005.

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Liegen - wie hier - bereits amtliche Auskünfte und gutachterliche Stellungnahmen zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor, steht es analog § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO grundsätzlich im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es erneut amtliche oder sachverständige Auskünfte einholt. Dieses Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung einer weiteren Auskunft oder eines weiteren Gutachtens absieht, obwohl die Notwendigkeit dieser weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen (vgl. Beschlüsse vom 19. August 2010 - BVerwG 10 B 22.10, 10 PKH 11.10 - juris Rn. 11 und vom 12. Juni 1997 - BVerwG 11 B 13.97 - juris Rn. 5; Urteile vom 15. Oktober 1985 - BVerwG 9 C 3.85 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38 und vom 6. Februar 1985 - BVerwG 8 C 15.84 - BVerwGE 71, 38 <41> = Buchholz 303 § 414 ZPO Nr. 1).

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Der Kläger hat zwar eine erneute Auskunft des Landesamts für Verfassungsschutz und von Prof. Dr. S. beantragt. Er hat aber weder bei der Begründung dieses Beweisantrags im Berufungsverfahren noch in der Beschwerdebegründung aufgezeigt, dass die früheren Erkenntnisse unverwertbar oder mangelhaft wären oder welche weitergehenden neueren oder besseren Erkenntnisse von diesen Auskünften über die bereits eingeführten Stellungnahmen hinaus zu erwarten gewesen wären. Auch eine wesentliche Veränderung der Tatsachenlage, die möglicherweise Anlass zur Einholung weiterer Auskünfte hätte sein können, ist nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Denn der unter Beweis gestellte Kurswechsel der IGMG hat nach dem Vortrag des Klägers bereits Mitte der 90er Jahre stattgefunden, so dass die diesbezüglichen Vorgänge in den vorliegenden Stellungnahmen aus den Jahren 2004 bis 2009 dargestellt und gewürdigt werden konnten. Dass sich dem Berufungsgericht unter diesen Umständen die beantragte weitere Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen, ist weder ordnungsgemäß dargelegt noch erkennbar.

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3. Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht auch nicht dadurch den Anspruch des Klägers aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, dass es sein Vorbringen, dem verfassungsfreundlichen Flügel innerhalb der IGMG anzugehören, nicht berücksichtigt hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und die wesentlichen Gründe für ihre Entscheidung anzugeben (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3; BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 2009 - BVerwG 5 B 51.09 - juris Rn. 22).

10

Gemessen an diesen Anforderungen ergibt sich aus den Darlegungen des Klägers keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

11

Wie sich bereits aus dem Tatbestand des angegriffenen Urteils (UA S. 4) ergibt, hat das Berufungsgericht den Vortrag in der (vom Kläger nicht unterschriebenen) Anlage zum Schriftsatz vom 28. Januar 2011 durchaus zur Kenntnis genommen und dieses Vorbringen zutreffend dahingehend zusammengefasst, dass der Kläger sich für eine verfassungsfreundliche Entwicklung der IGMG einsetze. Es hat jedoch in den Entscheidungsgründen (UA S. 15 f.) im Rahmen der ihm nach § 108 Abs. 1 VwGO zustehenden tatrichterlichen Würdigung in vertretbarer Weise ausgeführt, dass es in dieser Einlassung des Klägers keine eindeutige Distanzierung von verfassungsfeindlichen Strömungen und kein glaubhaftes Bekenntnis zum Reformflügel innerhalb der IGMG sehe. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs liegt aber nicht vor, wenn das Gericht das zur Kenntnis genommene und in Erwägung gezogene Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lässt (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205 <216>). Der Einwand des Klägers schließlich, bei Zugrundelegen seiner Darstellung hätte das Oberverwaltungsgericht "keine Abwendung des Klägers von verfassungsfeindlichen Bestrebungen ... und damit eine gesteigerte einbürgerungsrechtliche Obliegenheit" fordern können, führt nicht auf einen Verfahrensverstoß durch Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern greift in Wahrheit die materiellrechtliche Sicht des Oberverwaltungsgerichts an.

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Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).