Entscheidungsdatum: 24.09.2014
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. November 2012 - 2 Sa 171/12 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des „equal pay“.
Der 1955 geborene Kläger ist seit dem 21. April 2008 bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, beschäftigt und seither einem Unternehmen des R-Konzerns als Stromableser überlassen.
Der zwischen den Parteien abgeschlossene Arbeitsvertrag vom 16. April 2008 enthält ua. folgende Regelungen:
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„1. Gegenstand und Bezugnahme auf Tarifvertrag |
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Die Rechte und Pflichten der Parteien dieses Arbeitsvertrages bestimmen sich nach den nachstehenden Regelungen sowie nach den zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP) geschlossenen Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung, derzeit bestehend aus Manteltarifvertrag (MTV), Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV), Entgelttarifvertrag (ETV) und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeschSiTV). |
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… |
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6. Vergütung |
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… |
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6.4 Zahlung |
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Die Vergütung wird nach Abzug der gesetzlichen Beiträge, wie Steuern und Sozialversicherung, monatlich bis spätestens zum 20. des Folgemonats auf ein vom Mitarbeiter anzugebendes Konto überwiesen. |
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…“ |
Im Arbeitsvertrag ist weiter in Nr. 14 vereinbart:
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„Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, sind ausgeschlossen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind; dies gilt nicht, wenn die in 1. genannten Tarifverträge eine abweichende Regelung enthalten. |
Unberührt hiervon bleiben Ansprüche aus unerlaubter Handlung. |
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Lehnt die Gegenpartei die Erfüllung des Anspruchs schriftlich ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von einem Monat nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von einem Monat nach Ablehnung oder Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird; dies gilt nicht, wenn die in 1. genannten Tarifverträge eine abweichende Regelung enthalten. |
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…“ |
Die Parteien trafen unter dem 26. April 2010 eine schriftliche, von der Beklagten vorformulierte „Zusatzvereinbarung“, die wie folgt lautet:
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„Zwischen den Vertragsparteien besteht Einigkeit, dass ab dem 01.01.2010 … auf das bestehende Arbeitsverhältnis die Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und den Einzelgewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbundes (CGB) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden. Diese bestehen derzeit aus Manteltarifvertrag (MTV), Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV), Entgelttarifvertrag (ETV) und Beschäftigungssicherungstarifvertrag (BeschSiTV). Der Tarifvertragspartner CGB tritt somit an die Stelle der unter Ziffer 1. des geschlossenen Arbeitsvertrages genannten Tarifvertragspartei Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften Zeitarbeit und PSA (CGZP). |
…“ |
Der Kläger machte, erstmals mit Schreiben vom 25. Februar 2011 rückwirkend ab Beginn des Arbeitsverhältnisses Zahlungsansprüche aufgrund des bei der Entleiherin geltenden Tarifvertrags erfolglos geltend.
Auf Anfrage des Klägers erteilte ihm die R AG mit Schreiben vom 16. August 2012 folgende Auskunft:
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„… |
in Erfüllung unserer Auskunftsverpflichtung gem. § 13 AÜG übersenden wir Ihnen nachfolgende Informationen: |
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Herr E war in der Zeit vom 21.04.2008 bis 01.07.2011 im Wege der Arbeitnehmerüberlassung als Stromableser bei der R GmbH eingesetzt. |
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Die Eingruppierung seiner Tätigkeit wäre zunächst in A 4 / Start nach Anlage 1 zum Vergütungstarifvertrag der Tarifgruppe RWE des AGWE vom 28.11.2011 erfolgt. |
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… |
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Die Grundvergütung wird 13mal je Jahr gezahlt, zudem gibt es eine Sonderzuwendung in Höhe von 363,00 EUR (Anlage 2 zum Vergütungstarifvertrag der Tarifgruppe RWE des AGWE vom 28.11.2011) einmalig je Jahr. |
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Die Spesen und Fahrtkosten werden entsprechend der individuellen Aufwendungen nach der gültigen Reisekostenregelung der RWE vergütet. |
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Die fiktive Gehaltsentwicklung von Herrn E entnehmen Sie bitte der Anlage 1 zum Vergütungstarifvertrag der Tarifgruppe RWE des AGWE vom 28.11.2011; der Verbleib in Start ist maximal zwei Jahre, in Basis und Erfahrungsstufen jeweils maximal drei Jahre vorgesehen.“ |
Mit der am 16. September 2011 eingereichten Klage hat der Kläger geltend gemacht, er habe angesichts der von ihm auszuübenden Tätigkeit Anspruch auf Vergütung als Stromableser nach der Vergütungsgruppe B 1 (anfangs abgesenkte Lohnstufe). Auf Ausschlussfristen könne sich die Beklagte nicht berufen.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 39.354,21 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen. |
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe nicht vorgetragen, warum er in die Vergütungsgruppe B 1 einzustufen sei. Er habe auch nicht dargelegt, weshalb er aus der abgesenkten Lohnstufe eine Höherstufung nach zwei Jahren nicht in die Basisstufe, sondern direkt in die Erfahrungsstufe beanspruchen könne. Im Übrigen seien die Ansprüche verfallen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Zahlungsansprüche in verminderter Höhe weiter.
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte ist nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, dem Kläger für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an ein Unternehmen des R-Konzerns das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährte (I.). Der Kläger musste keine Ausschlussfristen einhalten (II.). In welcher Höhe dem Kläger Differenzvergütung zusteht, kann der Senat aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden (III.). Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
I. Der Kläger hat für die streitgegenständliche Zeit der Überlassung an ein Unternehmen des R-Konzerns Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG. Eine nach § 9 Nr. 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Nr. 1 Arbeitsvertrag verweist auf wegen der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP unwirksame Tarifverträge. Die Zusatzvereinbarung vom 26. April 2010 könnte die Beklagte allenfalls für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 von der Pflicht zur Gleichbehandlung entbinden. Sie ist aber mit dem von der Beklagten gewollten Inhalt intransparent und nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam (vgl. BAG 13. März 2013 - 5 AZR 294/12 - Rn. 11 ff., 18).
II. Der Anspruch des Klägers auf gleiches Arbeitsentgelt ist nicht verfallen.
1. Der Kläger war nicht gehalten, Ausschlussfristen aus unwirksamen Tarifverträgen der CGZP oder aus den nicht wirksam in das Arbeitsverhältnis einbezogenen Tarifverträgen zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister e. V. (AMP) und Einzelgewerkschaften des Christlichen Gewerkschaftsbunds vom 15. März 2010 (fortan: AMP-TV 2010) einzuhalten. Derartige „tarifliche“ Ausschlussfristenregelungen sind auch nicht kraft Bezugnahme als Allgemeine Geschäftsbedingung Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden (vgl. BAG 13. März 2013 - 5 AZR 294/12 - Rn. 21 f.). Etwas anderes ergibt sich nicht aus Nr. 14 Arbeitsvertrag. Diese Klausel regelt lediglich eine mögliche Kollision von arbeitsvertraglicher und tarifvertraglicher Ausschlussfrist (BAG 19. Februar 2014 - 5 AZR 680/12 - Rn. 12).
2. Ob Nr. 14 Arbeitsvertrag eine eigenständige, bei Unwirksamkeit der in Bezug genommenen „Tarifverträge“ oder bei einer unwirksamen Bezugnahme auf Tarifverträge zum Tragen kommende vertragliche Ausschlussfristenregelung enthält, kann dahingestellt bleiben. Als solche würde sie einer AGB-Kontrolle nicht standhalten. Die Kürze der Fristen auf beiden Stufen benachteiligte den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. BAG 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - BAGE 115, 19; 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - BAGE 116, 66).
3. Die Ansprüche des Klägers sind nicht nach § 16 MTV BZA/DGB verfallen. Die Klausel erfasst (nur) Ansprüche, die nach Änderung der Bezugnahmeklausel fällig geworden sind. Die von der Beklagten intendierte Rückwirkung der Ausschlussfristenregelung wäre - als Vertragsbestandteil gedacht - nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil sie den Kläger durch die nachträgliche zeitliche Begrenzung eines bereits entstandenen Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligte (vgl. BAG 19. Februar 2014 - 5 AZR 1046/12 - Rn. 23; 19. Februar 2014 - 5 AZR 920/12 - Rn. 16 ff., 25).
III. In welcher Höhe dem Kläger Ansprüche auf Differenzvergütung zustehen, kann der Senat wegen fehlender Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
1. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es unerheblich, ob die Entleiherin tatsächlich vergleichbare Stammarbeitnehmer beschäftigt. Wendet der Entleiher in seinem Betrieb ein allgemeines Entgeltschema an, kann auf die fiktive Eingruppierung des Leiharbeitnehmers in dieses Entgeltschema abgestellt werden. Maßstab ist in diesem Fall das Arbeitsentgelt, das der Leiharbeitnehmer erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit beim Entleiher eingestellt worden wäre. Das gebietet schon die unionsrechtskonforme Auslegung des § 10 Abs. 4 AÜG im Lichte des Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit . Es fehlt zudem jeglicher Anhaltspunkt, dass nach nationalem Recht der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt entfallen soll, wenn der Entleiher für eine bestimmte Tätigkeit nur noch Leih-, aber keine Stammarbeitnehmer mehr beschäftigt (BAG 19. Februar 2014 - 5 AZR 680/12 - Rn. 15).
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass - entsprechend der von der R AG erteilten Auskunft - im R-Konzern ein allgemeines Entgeltschema, nämlich die Tarifverträge der Tarifgruppe RWE, Anwendung findet. Maßgeblich ist damit das Entgelt, das der Kläger erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit bei der Entleiherin angestellt worden wäre.
2. Der Kläger kann sich für die Darlegung des Entgelts vergleichbarer Stammarbeitnehmer auf die Auskunft der R AG vom 16. August 2012 stützen, die diese - auch wenn nicht sie, sondern die R GmbH Entleiherin gewesen sein sollte - „zuständigkeitshalber“ erteilt hat. Die Auskunft ist ordnungsgemäß. Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger der R GmbH zur Arbeitsleistung überlassen war und die Auskunft von der R AG erteilt wurde. Denn § 13 AÜG hindert den Entleiher nicht, zur Erstellung und Bekanntgabe der Auskunft Hilfspersonen hinzuzuziehen, sofern diese über das für eine ordnungsgemäße Auskunft erforderliche Wissen verfügen (BAG 19. Februar 2014 - 5 AZR 1048/12 - Rn. 27 mwN).
3. Das Landesarbeitsgericht wird festzustellen haben, ob der Kläger als Stammarbeitnehmer die tariflichen Voraussetzungen einer Vergütung nach Vergütungsgruppe B 1 erfüllt hätte. Dabei kann sich der Kläger für die Darlegung des Entgelts vergleichbarer Stammarbeitnehmer auf die Auskunft der R AG vom 16. August 2012 insoweit stützen, als sie seine Tätigkeit und eine Eingruppierung in die Vergütungsgruppe A 4 betrifft.
4. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs nach § 10 Abs. 4 AÜG ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum anzustellen.
a) Zutreffend hat der Kläger als Ausgangspunkt für die Berechnung der Differenzvergütung zuletzt ein Monatsgehalt angesetzt.
Im erneuten Berufungsverfahren wird festzustellen sein, ob der Kläger für die bei der Entleiherin zu beanspruchende Monatsvergütung die dort geschuldete regelmäßige Arbeitszeit (§ 4 MTV RWE) erbracht bzw. durch gesetzliche Entgeltfortzahlungstatbestände „abgedeckt“ hat.
b) Hat der Kläger nach den von der Beklagten abgerechneten und damit streitlos gestellten Stunden Mehrarbeit iSv. § 5 MTV RWE geleistet - was bislang allerdings nicht ausreichend substantiiert dargelegt ist -, kann er dafür Differenzvergütung nach den tariflich vorgesehenen Regeln beanspruchen. Der Abgeltung von Mehrarbeit kann die Beklagte nicht den Vorrang von Freizeitausgleich (§ 5 Nr. 4 MTV RWE) entgegenhalten, wenn sie keinen Freizeitausgleich gewährt, sondern die Mehrarbeitsstunden - wenn auch zu niedrig - vergütet hat.
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Müller-Glöge |
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Laux |
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Biebl |
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Dittrich |
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Dombrowsky |