Entscheidungsdatum: 14.02.2017
I
Die Antragsteller wenden sich mit ihrem Eilantrag gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Umbau der 110-, 220- und 380-kV-Höchstspannungsfreileitung von W. nach L., Bauleitnummer 4166, im Planfeststellungsabschnitt vom Pkt. G. bis zur Umspannanlage L..
Zur Erhöhung der Transportkapazität soll das bestehende Übertragungsnetz in Teilabschnitten auf 380 kV umgestellt werden. Zu diesem Zweck beantragte die Beigeladene die Feststellung des Plans zur Umbeseilung der bestehenden Hochspannungsmasten. Sie sind derzeit auf den beiden oberen Traversen mit zwei 110 kV-Stromkreisen und auf der unteren Traverse mit zwei 220 kV-Stromkreisen beseilt. Künftig soll auf den oberen beiden Traversen beidseitig je ein 380 kV-Stromkreis im Viererbündel betrieben werden. Auf der unteren Traverse soll die 220 kV-Leitung im Zweierbündel erhalten bleiben, aber nur noch mit 110 kV betrieben werden. Außerdem soll ein Mast im Bereich der Umspannanlage (UA) L. neu errichtet werden. Die Antragsgegnerin stellte den Plan mit Beschluss vom 6. Oktober 2016 fest.
Die Antragsteller sind zu je 1/2 Miteigentümer eines mit einem Wohngebäude bebauten Grundstücks. Sie haben das Gebäude 1974 errichtet und bezogen. Nach dem im Jahre 1976 in Kraft getretenen Bebauungsplan Nr. 286 "Katholische Kirche H." der Stadt O. liegt das Grundstück in einem allgemeinen Wohngebiet. Das Gebäude liegt fast vollständig innerhalb des Schutzstreifens der planfestgestellten Freileitung mit einem Abstand zwischen 25 und 30 m zur Trassenachse. Die Antragsteller begehren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss.
II
Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
Das Bundesverwaltungsgericht ist als Gericht der Hauptsache zuständig. Es entscheidet gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 3 EnLAG i.V.m. Nr. 18 der Anlage im ersten und letzten Rechtszug über den "Neubau Höchstspannungsleitung L. - W., Nennspannung 380 kV". Es ist deshalb auch das gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO für den vorläufigen Rechtsschutz zuständige Gericht.
Der Antrag ist unbegründet. Das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der gesetzlich vorgesehenen sofortigen Vollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses (§ 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG) überwiegt das Interesse der Antragsteller, den Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen. Bei summarischer Prüfung ist davon auszugehen, dass einige von den Antragstellern erhobene Einwände gegen den Planfeststellungsbeschluss nicht zu einem Erfolg in der Hauptsache führen werden. Denn insoweit ist eine Verletzung subjektiver Rechte der Antragsteller nicht zu erkennen, die zu einem Aufhebungsanspruch nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO oder zur Feststellung der Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses führen könnte (1.). Soweit der Ausgang des Hauptsacheverfahrens noch offen erscheint, geht die gebotene offene Interessenabwägung zu Lasten der Antragsteller aus (2.).
1. a) Soweit die Antragsteller geltend machen, dass ein gebotenes Raumordnungsverfahren nicht durchgeführt worden sei, ist der behauptete Verfahrensfehler nicht dargetan.
Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 ROG prüft die für Raumordnung zuständige Landesbehörde in einem Raumordnungsverfahren die Raumverträglichkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen im Sinne von § 1 RoV. Nach § 1 Satz 1 RoV soll für die in Satz 3 aufgelisteten Vorhaben ein Raumordnungsverfahren durchgeführt werden, wenn sie im Einzelfall raumbedeutsam sind und überörtliche Bedeutung haben. Unter Nr. 14 der Vorschrift ist die Errichtung von Hochspannungsfreileitungen mit einer Nennspannung von 110 kV oder mehr aufgelistet. Planfestgestellt ist hier - von der (nicht streitigen) Neuerrichtung eines Mastes im Bereich der UA L. abgesehen - die bloße Umbeseilung vorhandener Masten einer bestehenden 220/110 kV-Hochspannungsleitung zur Neuaufnahme von zwei 380 kV-Stromkreisen an Stelle der bisherigen zwei 220 kV-Stromkreise. Mit dem in § 1 Satz 3 Nr. 14 RoV verwendeten Begriff der "Errichtung" ist demgegenüber die erstmalige Herstellung neuer Freileitungen mitsamt des Mastgestänges gemeint (vgl. etwa Hermes, in: Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, 3. Aufl. 2015, § 43 Rn. 13). Daran fehlt es.
Soweit die Antragsteller darauf hinweisen, dass die Landesplanungsbehörde nach § 9 Abs. 1 NROG die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens für andere als die gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 ROG bestimmten raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen von überörtlicher Bedeutung vorsehen "kann", bleiben sie eine nähere Erläuterung schuldig, warum sich diese im Ermessen der Behörde stehende Möglichkeit zu einer Rechtspflicht verdichtet haben könnte. Der Hinweis auf die raumbedeutsamen Auswirkungen reicht hierfür nicht, zumal davon auszugehen ist, dass sich die Umweltauswirkungen der planfestgestellten Leitung nach den Annahmen der Planfeststellungsbehörde im Vergleich zur Bestandsleitung verringern, jedenfalls aber nicht wesentlich verändern werden.
b) Eine Verletzung subjektiver Rechte ist auch nicht zu erkennen, soweit die Antragsteller eine Verletzung zwingender Planungsvorgaben geltend machen.
Die behauptete Nichtbeachtung oder Nichtberücksichtigung von Zielen der Raumordnung ist nicht ersichtlich.
Die Antragsteller verlangen jedenfalls die Sätze 4 und 5 des Kapitels 4.2 Ziffer 07 des LROP zu beachten. Satz 4 sei dahin auszulegen, dass die Leitungstrasse bei vorhandenen Leitungen nur dann als Ziel der Raumordnung bzw. Vorranggebiet festgelegt sei, wenn der Leitungsbestand auf seine Eignung für den Ausbau und die Bündelung überprüft worden sei. Wenn die Überprüfung die Eignung ergeben habe, sei die Trasse bedarfsgerecht und raumverträglich weiterzuentwickeln. Nur für diesen Fall formuliere Satz 5 einen Vorrang des Ausbaus und der Bündelung vor dem Neubau. Dass die Zielfestlegungen den Ausbau und die Bündelung verbieten, wenn die Überprüfung unterblieben ist, behaupten selbst die Antragsteller nicht.
c) Mängel der nach § 43 Satz 4 EnWG gebotenen Abwägung, die offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sind (§§ 43 Satz 7, 43c EnWG i.V.m. § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG), sind bei summarischer Prüfung ebenfalls nicht ersichtlich.
aa) Das gilt zum einen für die von der Planfeststellungsbehörde durchgeführte Alternativenprüfung.
Die Antragsteller machen geltend, die Möglichkeit eines Ersatzneubaus in neuer Trasse sei vorschnell und auf der Grundlage einer fehlerhaften Gewichtung verworfen worden. Die Vorhabenträgerin habe lediglich eine angepasste Leitungsführung zur Umgehung des Siedlungsbereichs O.-H. ausdrücklich betrachtet. Vergleichbare Betrachtungen fehlten insbesondere für den Siedlungsbereich O.-V.. Selbst hinsichtlich der Umgehung von O.-H. lasse die Alternativenprüfung jegliche Auseinandersetzung mit den konkreten örtlichen Gegebenheiten vermissen. Stattdessen werde unterstellt, dass die beantragte Umbeseilung die geringsten Konflikte aufweise, was bezweifelt werden müsse. Ein wichtiges Argument der Vorhabenträgerin gegen eine Trassenverlagerung sei die dichte Besiedlung, die insbesondere einer Verlagerung der Leitungstrasse in Richtung H. und S. entgegenstehe. Ein Blick auf die Karte erhelle indes, dass beispielsweise der Abstand zwischen den geschlossenen Siedlungsräumen in H. und H. mehr als 1 000 m betrage. Insofern sei die von der Vorhabenträgerin verworfene Alternative daher mit geringeren Konflikten verbunden. Vergleichbares gelte für eine mögliche östliche Umgehung von V.. Die Alternativenprüfung der Planfeststellungsbehörde sei nicht in der Lage, die Fehler zu heilen. Sie vertiefe ihn vielmehr, weil sie der Vorbelastung des Trassenraums ein dominantes Gewicht beimesse.
Auch insoweit kann der Senat offen lassen, ob die von den Antragstellern als Alternative zum planfestgestellten Vorhaben (Umbeseilung der bestehenden Masten in der Bestandstrasse) angesprochene Möglichkeit eines Ersatzneubaus in anderer Trasse im Ergebnis auf ein anderes Projekt hinausliefe (BVerwG, Urteil vom 3. Mai 2013 - 9 A 16.12 - BVerwGE 146, 254 Rn. 85 m.w.N.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - Rn. 32) und die Planfeststellungsbehörde diese Möglichkeit bereits aus diesem Grund nicht näher prüfen musste. Gleiches gilt, soweit die Antragsteller den Standort der Umspannanlage L. in Frage stellen. Offen lassen kann der Senat ferner, inwieweit sich die angesprochenen Trassenalternativen auf die Rechtsstellung der Antragsteller überhaupt auswirken konnten. Denn die von der Planfeststellungsbehörde durchgeführte Alternativenprüfung leidet nicht unter den von den Antragstellern behaupteten Fehlern. Unberechtigt ist insbesondere ihr Vorwurf, der Planfeststellungsbeschluss habe der Vorbelastung des Trassenraums zu Unrecht ein dominantes Gewicht beigemessen. Wie bereits dargelegt, ist die Planfeststellungsbehörde wegen der Situationsgebundenheit der betroffenen Grundstücke nicht gehindert, an eine tatsächlich bestehende Vorbelastung anzuknüpfen (BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - Rn. 35). Denn das Bau- und Nutzungsverhalten der betroffenen Grundeigentümer haben sich ebenso wie die Verkehrsanschauung und der Verkehrswert auf das Vorhandensein der Bestandstrasse eingestellt. Die Planfeststellungsbehörde hat an die tatsächlich bestehende Vorbelastung angeknüpft. Dass sie sich gleichwohl mit der Eignung der Bestandstrasse auseinandergesetzt hat, räumen die Antragsteller selbst ein. Soweit sie unzutreffende Gewichtungen und falsche Bewertungen der von den Alternativtrassen ausgehenden Immissionsbelastungen geltend machen, bleibt ihr Vortrag pauschal und beruht durchgängig auf der Fehlvorstellung, dass der Planfeststellungsbeschluss zu Unrecht auf einen rechtlich nicht gesicherten Bestand abstelle. Die Beigeladene ist diesem Vortrag mit einer detaillierten Wiedergabe der maßgeblichen Erwägungen des Planfeststellungsbeschlusses entgegengetreten. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass der Planfeststellungsbeschluss dem Fortbestand bereits vorhandener Siedlungsannäherungen in der Abwägung ein anderes (geringeres) Gewicht beigemessen habe als der Entstehung neuer Belastungen. Abwägungsfehler lässt dies - wie dargestellt - nicht erkennen.
bb) Eine rechtsfehlerhafte Abwägung technischer Alternativen zu Lasten der Antragsteller ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Antragsteller beanstanden, technische Alternativen wie insbesondere die Möglichkeit des Einsatzes dickerer Leiterseile als naheliegendes und sich hier geradezu aufdrängendes Mittel zur Bewältigung der Schallschutzkonflikte, seien nicht betrachtet worden. Diese Kritik geht bereits deshalb ins Leere, weil die Verwendung dickerer Leiterseile nach den Angaben der Beigeladenen im vorliegenden Fall nicht möglich ist. Mit der Bemerkung, es sei bedauerlich, dass dies keinen Eingang in den Planfeststellungsbeschluss gefunden habe, machen die Antragsteller der Sache nach ein Ermittlungsdefizit geltend, das auf der Grundlage des Vortrags der Beigeladenen aber jedenfalls nicht kausal wäre.
cc) Schließlich lässt sich bei summarischer Prüfung auch eine fehlerhafte Abwägung der Eigentümerbelange der Antragsteller nicht ausmachen.
Dabei kann der Senat offen lassen, ob - wie die Beigeladene geltend macht - die bereits in das Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit für die Inanspruchnahme des Grundstücks der Antragsteller die Realisierung des planfestgestellten Vorhabens vollständig abdeckt, mit der Folge, dass eine enteignungsrechtliche Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses im Verhältnis zu den Antragstellern auszuschließen wäre. Denn für eine fehlerhafte Abwägung der Belange der Antragsteller spricht auch in der Sache nichts. Die von dem Vorhaben berührten Eigentümerbelange sind von der Planfeststellungsbehörde ermittelt und berücksichtigt worden, nur hat sie diese Belange im Rahmen der Abwägung gegenüber dem Vorhabeninteressen mit jedenfalls im Ergebnis sachlich tragfähigen Erwägungen zurückgestellt. Das führt nicht auf einen Abwägungsfehler.
2. Es erscheint bei summarischer Prüfung offen, ob der Planfeststellungsbeschluss im Hinblick auf die von der Leitung ausgehenden Immissionen rechtmäßig ist oder die Antragsteller in eigenen Rechten verletzt. Dies gilt insbesondere für die von der Leitung ausgehenden Lärmimmissionen.
Bei einer insoweit offenen Interessenabwägung überwiegen indes das öffentliche Interesse und das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses das Interesse der Antragsteller. Denn die von den Antragstellern beanstandeten Immissionen durch Lärm, elektromagnetische Felder oder die Bildung von Ozon und Stickstoff werden jedenfalls erst durch den Betrieb der Leitung verursacht. Nach dem Schreiben der Beigeladenen an den Antragsteller zu 2 vom 26. Januar 2017 sollen die Arbeiten für die Umbeseilung der o.g. Leitung am 13. Februar 2017 beginnen und im Dezember 2017 abgeschlossen sein. Ein erster Stromkreis in der 380 kV-Spannungsebene soll nach dem 26. Juni 2017 in Betrieb gehen. Angesichts der derzeitig absehbaren Terminslage des Senats wird eine Entscheidung in der Hauptsache bis zum Abschluss des Jahres 2017 erfolgen können. Der Antragsteller würde damit bei einem Erfolg in der Hauptsache allenfalls für einen überschaubaren Zeitraum mit gegebenenfalls rechtswidrigen, aber nicht gesundheitsgefährdenden Immissionen belastet. Dieses Interesse erscheint angesichts der offenen Interessenlage weniger bedeutsam als das vom Gesetzgeber in § 43e Abs. 1 Satz 1 EnWG anerkannte öffentliche Interesse an einem zügigen Ausbau von Höchstspannungsfreileitungen. Die Antragsteller haben auch keine vollendeten Tatsachen zu befürchten, da die Leitung auch nach einer Umbeseilung mit den Spannungsebenen 220/110 kV betrieben werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts stützt sich auf § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.