Entscheidungsdatum: 12.07.2016
I
Die Antragstellerin erhielt mit Bescheid vom 17. Juli 2008 eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Autohauses entsprechend den Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 33 "VEP Autohaus Weinberger-Chiemsee" der Antragsgegnerin. Der dem Bebauungsplan zugrunde liegende Durchführungsvertrag sah eine Fertigstellung des Vorhabens bis zum 30. September 2009, der Änderungsvertrag eine Fertigstellung bis zum 30. September 2013 vor. Die Geltungsdauer der Baugenehmigung wurde bis zum 14. August 2014 verlängert. Zu einer weiteren Verlängerung der Baugenehmigung um bis zu zwei Jahre versagte der Gemeinderat der Antragsgegnerin sein Einvernehmen.
Mit Bescheid vom 31. Juli 2014 verlängerte das Landratsamt Rosenheim die Geltungsdauer der Baugenehmigung bis zum 14. August 2016. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragsgegnerin Klage, deren aufschiebende Wirkung der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. September 2015 anordnete. Am 21. September 2015 trat die Satzung der Antragsgegnerin zur Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 33 "VEP Autohaus Weinberger-Chiemsee" in Kraft. Mit Urteil vom 1. März 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid vom 31. Juli 2014 aufgehoben. Dagegen hat die Antragstellerin die vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Revision eingelegt.
Am 2. Juni 2016 hat die Antragstellerin beim Bundesverwaltungsgericht um vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 7 VwGO nachgesucht. Sie beantragt, den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. September 2015 aufzuheben und den Antrag der Antragsgegnerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beigeladenen vom 31. Juli 2014 abzulehnen.
II
Der Antrag hat Erfolg.
Gemäß § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO kann jeder Beteiligte die Änderung oder Aufhebung eines Beschlusses über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wegen veränderter Umstände beantragen. Ob diese Voraussetzung hier erfüllt ist, kann dahinstehen. Denn gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache jederzeit von Amts wegen einen Beschluss über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ändern oder aufheben. Insoweit ist der Antrag der Antragstellerin gleichzeitig als Anregung an das Gericht zu verstehen, den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 15. September 2015 von Amts wegen zu ändern.
Das Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO dient nicht in der Art eines Rechtsmittelverfahrens der Überprüfung, ob die vorangegangene Entscheidung formell und materiell richtig ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 1988 - 7 C 88.87 - BVerwGE 80, 16 <17> = Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 48 S. 3). Es eröffnet dem Gericht der Hauptsache vielmehr den Raum für eine eigene Abwägungsentscheidung. Prüfungsmaßstab dafür ist allein, ob nach der jetzigen Sach- und Rechtslage die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage geboten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. August 2008 - 2 VR 1.08 - juris Rn. 5).
Die Interessenabwägung, die der Senat im Rahmen des § 80 Abs. 7 VwGO vorzunehmen hat, wird im vorliegenden Fall nicht durch die Erfolgsaussichten des Verfahrens der Hauptsache bestimmt, an denen sie sich regelmäßig in erster Linie auszurichten hat. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist offen, ob die Revision der Antragstellerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 1. März 2016 Erfolg haben wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision zugelassen, weil die Rechtssache nach seiner Auffassung in mehrfacher Hinsicht grundsätzliche Bedeutung hat. Wie seine Fragen zu beantworten sind, erschließt sich nicht bereits in einem ersten Zugriff, sondern bedarf sorgfältiger Prüfung. Dafür ist im Eilverfahren kein Raum.
Das nach § 80 Abs. 7 VwGO zu einer vorläufigen Entscheidung berufene Revisionsgericht muss deshalb eine vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens unabhängige Interessenabwägung durchführen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Juni 2007 - 6 VR 5.07 - Buchholz 310 § 80 VwGO Nr. 74 Rn. 15 f. m.w.N.). Diese Abwägung fällt hier zu Gunsten der Antragstellerin aus. Der Nachteil, den die Antragstellerin erlitte, wenn ihr Antrag abgelehnt würde, wiegt schwerer als der Nachteil, der mit dem Erfolg des Antrags für die Antragsgegnerin verbunden ist.
Die Geltungsdauer der Baugenehmigung ist bis zum 14. August 2016 befristet. Da bis zu diesem Zeitpunkt über die Revision der Antragstellerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 1. März 2016 nicht entschieden werden kann, ist die Antragstellerin zur Abwendung des Verlusts ihres Baurechts darauf angewiesen, dass der Senat im Eilverfahren zu ihren Gunsten entscheidet. Ohne Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs vom 15. September 2015 wäre es ihr nämlich verwehrt, durch den Beginn von Baumaßnahmen nach Art. 69 Abs. 1 Halbs. 1 BayBO das Erlöschen der Baugenehmigung zum 14. August 2016 zu verhindern. Denn nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs findet Art. 69 Abs. 1 Halbs. 2 BayBO über die Hemmung des Laufs der Frist bei Einlegung eines Rechtsbehelfs keine Anwendung, wenn das Ende der Geltungsdauer der Baugenehmigung - wie hier - durch einen datumsmäßig bezeichneten Termin begrenzt ist (VGH München, Beschluss vom 12. Januar 2000 - 2 ZB 97.1021 - BeckRS 2000, 24746 Rn. 3). Der Verlust des Baurechts wäre voraussichtlich endgültig, da die Antragsgegnerin den auf das Vorhaben der Antragstellerin zugeschnittenen vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 33 "VEP Autohaus Weinberger-Chiemsee" im September 2015 aufgehoben hat. Als Ausfluss des in Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, dient der vorläufige Rechtsschutz aber gerade dazu, irreparablen Entscheidungen nach Möglichkeit vorzubeugen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Juni 1973 - 1 BvL 39/69 und 14/72 - BVerfGE 35, 263 <274>).
Mit der Stattgabe des Antrags nach § 80 Abs. 7 VwGO sind vergleichbar schwer wiegende Nachteile für die Antragsgegnerin nicht verbunden. Stellt sich im Revisionsverfahren heraus, dass die Baugenehmigung, wie vom Verwaltungsgerichtshof entschieden, nicht bis zum 14. August 2016 hätte verlängert werden dürfen, wären etwaige Baumaßnahmen der Antragstellerin formell illegal und könnten, ihre materielle Illegalität vorausgesetzt, zum Anlass für ein bauaufsichtliches Einschreiten genommen werden, das auf die Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände gerichtet ist. Sollte die Antragstellerin bis zum 14. August 2016 mit Baumaßnahmen beginnen, würde die Antragsgegnerin zwar bis zur Entscheidung des Revisionsverfahrens im Unklaren bleiben, ob sie das Baugrundstück anderweitig verplanen kann, der Zeitraum der Ungewissheit, der nach der derzeitigen Geschäftslage des Senats nicht länger als zehn Monate dauern dürfte, ist ihr jedoch zuzumuten, nachdem sie die Untätigkeit der Antragstellerin über mehrere Jahre hingenommen hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO und die Festsetzung des Streitwertes auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.