Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 21.06.2018


BGH 21.06.2018 - 4 StR 645/17

Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
21.06.2018
Aktenzeichen:
4 StR 645/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2018:210618B4STR645.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Bielefeld, 17. Juli 2017, Az: 20 KLs 10/17
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 17. Juli 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Schuldspruch, soweit der Angeklagte in den Fällen II.5 bis 7 der Urteilsgründe verurteilt worden ist, und

b) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in elf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die nicht ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und der am 5. Juli 1991 geborenen Tochter der Ehefrau des Angeklagten, der gegenüber der Angeklagte im Einvernehmen mit seiner Ehefrau Erziehungsaufgaben wahrnahm, im Zeitraum von Frühjahr 2001 bis zum 14. Geburtstag der Geschädigten am 5. Juli 2005 zu vielfältigen sexuellen Übergriffen des Angeklagten, von denen fünf näher konkretisierte Vorfälle der Verurteilung zugrunde liegen.

3

Im Juni 2007 kehrte die Geschädigte, die zwischenzeitlich bei ihrem Vater gelebt hatte, in den Haushalt ihrer Mutter und des Angeklagten zurück. Dabei hoffte sie, dass der Angeklagte, der ihr stets Aufmerksamkeit und Zuwendung, wenn auch um den Preis unerwünschter sexueller Handlungen, gezeigt hatte, sie vielleicht in Ruhe lassen würde, war aber notfalls bereit, ihn gewähren zu lassen. Aus ihrer Sicht hatte der Angeklagte die Macht, ihr durch Verbote, Strafen und die Nichtzuweisung von ihm verwalteter Finanzmittel das Leben schwer zu machen. Der Geschädigten und dem Angeklagten war aus der über Jahre gewonnenen Erfahrung bewusst, dass der Angeklagte am längeren Hebel saß. Der Angeklagte nutzte diese Machtverhältnisse aus, um die Geschädigte zur Duldung seiner Übergriffe zu bewegen.

4

In der Folgezeit kam es nach dem 16. und vor dem 18. Geburtstag der Geschädigten am 5. Juli 2009 erneut zu einer Vielzahl unterschiedlicher sexueller Handlungen zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten, darunter die elf abgeurteilten Taten. Im Vorfeld einer Klassenfahrt der Geschädigten im Oktober 2007 unternahm der Angeklagte unter dem Vorwand, der Geschädigten sexuelle Erfahrungen für einen möglichen sexuellen Kontakt mit einem Klassenkameraden zu vermitteln, den vergeblichen Versuch, mit dem Penis in die Scheide der Geschädigten einzudringen, und ließ sich anschließend von der Geschädigten mit der Hand befriedigen (Tat II.5 Fall 7 der Anklage). In mindestens zehn Fällen führte der Angeklagte anschließend den vaginalen Geschlechtsverkehr mit der Geschädigten aus (Taten II.5 Fälle 8 und 9 der Anklage, II.6 und 7). Der Angeklagte machte die Geschädigte zu keiner Zeit durch gezielte Drohungen, unmittelbare Belohnungen oder Versprechungen gefügig. Wenn sie sich weigerte - was nicht häufig vorkam - akzeptierte er dies vielmehr eine Zeitlang, reagierte aber verärgert. Er stellte sich dann bei Streitigkeiten nicht auf ihre Seite und verhängte Hausarrest oder andere Strafen. Zudem erhielt die Geschädigte die sonst üblichen Zuwendungen nicht mehr. Der Angeklagte begann jeweils schnell wieder, die Geschädigte zunächst flüchtig und dann intensiver zu berühren, was die Geschädigte seiner Erwartung entsprechend hinnahm, um seine Gunst wiederzuerlangen.

5

Auch nach der Volljährigkeit der Geschädigten kam es weiter regelmäßig zum Geschlechtsverkehr zwischen der Geschädigten und dem Angeklagten, der sein Verhältnis zur Geschädigten als feste Beziehung betrachtete und eifersüchtig reagierte, wenn sie Kontakt zu anderen Männern hatte. Nachdem ihre Mutter Anfang 2011 die Familie verlassen hatte, zog die Geschädigte, die sich fortan um ihre jüngeren Halbgeschwister und den Haushalt kümmerte, zu dem Angeklagten in das Elternschlafzimmer und führte innerhalb der eigenen Wohnung eine äußerlich eheähnliche Beziehung mit dem Angeklagten.

II.

6

Die Verurteilung wegen elf Taten des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Taten II.5 bis 7 der Urteilsgründe) hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Urteilsfeststellungen eine Tatbegehung jeweils unter Missbrauch einer mit dem Erziehungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit der Geschädigten nicht tragfähig belegen.

7

a) Nach § 174 Abs. 1 Nr. 2 1. Alternative StGB wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person unter 18 Jahren, die ihm zur Erziehung anvertraut ist, unter Missbrauch einer mit dem Erziehungsverhältnis verbundenen Abhängigkeit vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen lässt. Die das Schutzalter von Schutzbefohlenen bis zum 18. Lebensjahr ausdehnende Vorschrift setzt über das Bestehen eines Obhutsverhältnisses hinaus die Feststellung voraus, dass die sexuellen Handlungen gerade unter Missbrauch einer aus dem festgestellten Obhutsverhältnis resultierenden Abhängigkeit des Schutzbefohlenen vorgenommen wurden (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 2017 - 5 StR 112/17, NStZ-RR 2017, 276, 277; Beschluss vom 17. Juni 1997 - 5 StR 232/97, NStZ-RR 1997, 293; Renzikowski in MK-StGB, 3. Aufl., § 174 Rn. 33; Hörnle in LK-StGB, 12. Aufl., § 174 Rn. 30). Ein Missbrauch der Abhängigkeit ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gegeben, wenn der Täter offen oder versteckt seine Macht und Überlegenheit in einer für den Jugendlichen erkennbar werdenden Weise als Mittel einsetzt, um sich diesen gefügig zu machen. Ausreichend ist aber auch, dass der Täter seine Macht gegenüber dem Schutzbefohlenen erkennt und die auf ihr beruhende Abhängigkeit zu sexuellen Handlungen ausnutzt, wobei der Zusammenhang des Abhängigkeitsverhältnisses mit den sexuellen Handlungen beiden Teilen bewusst sein muss (vgl. BGH, Urteile vom 4. April 1979 - 3 StR 98/79, BGHSt 28, 365, 367; vom 4. Mai 1982 - 1 StR 88/82, NStZ 1982, 329; vom 24. Oktober 1990 - 3 StR 257/90, NStZ 1991, 81, 82; vom 28. Januar 1992 - 1 StR 336/91, bei Miebach, NStZ 1993, 223; vom 23. Januar 1997 - 4 StR 591/96, BGHR StGB § 174 Abs. 1 Missbrauch 2; Beschluss vom 17. Juni 1997 - 5 StR 232/97 aaO; Urteil vom 11. Juli 2017 - 5 StR 112/17 aaO). Ob eine Abhängigkeit des Jugendlichen bestand und diese zur Tat ausgenutzt wurde, beurteilt sich mithin nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1982 aaO).

8

b) Der Sachverhaltsschilderung des angefochtenen Urteils ist der Missbrauch einer sich aus dem Erziehungsverhältnis ergebenden Abhängigkeit der Geschädigten bei Begehung der einzelnen Taten nicht hinreichend zu entnehmen.

9

Nach den Feststellungen übte der Angeklagte im Vorfeld der sexuellen Handlungen in keinem Fall Druck auf die Geschädigte aus, um sich diese jeweils gefügig zu machen. Die Strafkammer hat zwar pauschal festgestellt, dass der Angeklagte die bestehenden Machtverhältnisse nutzte, um die Geschädigte zur Duldung seiner Übergriffe zu bewegen, ohne dies jedoch einzelfallbezogen mit konkreten Umständen zu belegen. Ob und wie sich die mit dem Erziehungsverhältnis verbundene Abhängigkeit der Geschädigten in den abgeurteilten Fällen, die sich über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahren hinzogen und nur einen Teil der Sexualkontakte zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten darstellten, auf die jeweilige Vornahme der sexuellen Handlungen auswirkte, lassen die Urteilsgründe offen. Damit ist der für die Annahme eines Missbrauchs in objektiver und subjektiver Hinsicht erforderliche Zusammenhang zwischen Abhängigkeitsverhältnis einerseits und der jeweiligen Vornahme von sexuellen Handlungen andererseits nicht dargetan. Angesichts der Begleitumstände der ersten nach Vollendung des 16. Lebensjahres abgeurteilten Tat und vor dem Hintergrund des für die Zeit nach der Volljährigkeit der Geschädigten festgestellten Beziehungsgeschehens zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten ergibt sich ein jeweils tatbezogener Missbrauch der Abhängigkeit schließlich auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe.

10

c) Die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II.5 bis 7 der Urteilsgründe hat daher keinen Bestand. Dies entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

Sost-Scheible     

        

Cierniak     

        

Franke

        

Bender     

        

Quentin