Entscheidungsdatum: 08.06.2017
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 22. Juli 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Angeklagte oder einer der beiden gesondert Verfolgten E. Ö. und S. Ö. (vgl. Senatsbeschluss vom heutigen Tag - 4 StR 19/17) Anfang Juli 2013 im Besitz von zwölf Kilogramm Marihuana, das noch im Eigentum unbekannt gebliebener Betäubungsmittelhändler stand. Dieses Marihuana kam um den 11. Juli 2013 auf nicht genau feststellbare Weise abhanden. Entweder wurde es durch den Angeklagten oder einen der beiden gesondert Verfolgten unterschlagen, wobei die Verantwortung für den Verlust des Rauschgifts auf den Nebenkläger abgewälzt und von ihm eine entsprechende Ersatzmenge erpresst werden sollte (im Urteil wird diese Sachverhaltsvariante als „Sündenbocktheorie“ bezeichnet), oder das Marihuana wurde den Personen um den Angeklagten gestohlen, ohne dass der Nebenkläger hiermit etwas zu tun hatte.
Das Landgericht ist „zugunsten“ des Angeklagten und der gesondert Verfolgten E. Ö. und S. Ö. davon ausgegangen, dass das Marihuana gestohlen wurde und sie irrtümlich davon ausgingen, der Nebenkläger habe es entwendet (im Folgenden: Diebstahlsvariante).
Der Angeklagte und die beiden gesondert Verfolgten kamen überein, den Nebenkläger zu nötigen, die zwölf Kilogramm Marihuana „zurückzugeben“. Dabei gingen sie davon aus, dass der Nebenkläger hierzu nicht freiwillig bereit sein würde. Sie fassten daher den Entschluss, ihn durch Einsperren in einem Hinterzimmer der Teestube des S. Ö. und durch Bedrohung mit dem Tod, erforderlichenfalls auch unter Gewaltanwendung, zur Rückgabe des Rauschgifts zu zwingen. Vor dessen Herausgabe sollte der Nebenkläger nicht freigelassen werden. Der Angeklagte handelte dabei, um sich selbst oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern.
Am 16. Juli 2013 begab sich E. Ö. mit dem Nebenkläger in das Hinterzimmer der Teestube, wo sich tatplangemäß auch der Angeklagte und S. Ö. befanden. Hier warf E. Ö. dem Nebenkläger vor, dieser sei am 13. Juli 2013 bei ihm eingebrochen und habe zwölf Kilogramm Marihuana gestohlen; außer dem Nebenkläger habe niemand von dem Versteck gewusst. E. Ö. bedeutete dem Nebenkläger, er solle dies zugeben, vorher komme er „hier“ nicht raus. Der Nebenkläger stellte den Vorwurf in Abrede.
Die Forderung wurde von den Anwesenden wiederholt, und es wurde mehrfach damit gedroht, „jemanden“ anzurufen, der den Nebenkläger „fertig machen“ werde, so dass er seine Familie nicht wiedersehen werde. Der Nebenkläger äußerte die Vermutung, dass E. Ö. möglicherweise selbst für das Verschwinden des Marihuanas verantwortlich sei. Darauf schlug dieser ihm mit der flachen Hand auf den Mund, wodurch der Nebenkläger eine Platzwunde an der Lippe erlitt. Danach schlugen der Angeklagte und die beiden gesondert Verfolgten mit den Händen wiederholt auf den Nebenkläger ein.
Schließlich gelang dem Nebenkläger, der zwischenzeitlich von weiteren Personen bedroht, geschlagen und getreten worden war, in einem unbeobachteten Moment die Flucht.
II.
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Verurteilung des Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB und wegen versuchter räuberischer Erpressung gemäß §§ 253, 255, 22, 23 Abs. 1 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Soweit das Landgericht bezüglich der Tathintergründe keine sicheren Feststellungen getroffen, sondern insofern zwei unterschiedliche Geschehens-abläufe - zum einen die Diebstahls-, zum anderen die Sündenbockvariante - für möglich erachtet, indes seinem Urteil unter Heranziehung des Zweifelsgrundsatzes allein die Diebstahlsvariante zugrunde gelegt hat (UA 7), weist die Beweiswürdigung durchgreifende Lücken auf. Der Senat kann deshalb nicht überprüfen, ob bei Zugrundelegung der vom Landgericht als gleichermaßen möglich erachteten Sündenbockvariante als Tathintergrund eine für den Angeklagten günstigere Rechtsfolge eingetreten wäre.
1. a) Eine Strafbarkeit wegen erpresserischen Menschenraubes gemäß § 239a Abs. 1 StGB erfordert im sog. Zweipersonenverhältnis - wie hier - in subjektiver Hinsicht neben dem Vorsatz des Täters bezüglich der objektiven Tatbestandsmerkmale, dass er beim Entführen oder Sichbemächtigen des Opfers die Absicht hat, dessen Sorge um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. Dies setzt voraus, dass sich nach der Vorstellung des Täters die Bemächtigungssituation in gewissem Umfang stabilisieren und neben den Nötigungsmitteln des § 253 StGB eigenständige Bedeutung für die Durchsetzung der erpresserischen Forderung erlangen wird (vgl. BGH, Urteil vom 31. August 2006 - 3 StR 246/06, NStZ 2007, 32 f.; Beschlüsse vom 4. Dezember 2007 - 3 StR 459/07, NStZ-RR 2009, 16 f.; vom 22. November 1994 - GSSt 1/94, BGHSt 40, 350, 359). Darüber hinaus muss aus der Sicht des Täters zwischen der Entführungs- oder Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung ein solcher funktionaler und zeitlicher Zusammenhang hergestellt werden, dass dem Opfer die erstrebte Vermögensverfügung noch während der Dauer der Zwangslage abgenötigt werden soll; der Tatbestand ist deshalb nicht erfüllt, wenn die dem Opfer abgepresste Handlung erst nach der Freilassung erfolgen soll (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2007 - 4 StR 334/07, NStZ-RR 2008, 109 f.; vom 14. März 2007 - 2 StR 576/06, StV 2007, 354; vom 14. Mai 1996 - 4 StR 174/96, StV 1997, 302 f.).
b) Die subjektiven Voraussetzungen eines erpresserischen Menschenraubes, namentlich zum funktionalen und zeitlichen Zusammenhang zwischen der Bemächtigungslage und der beabsichtigten Erpressung, sind im angefochtenen Urteil bei Zugrundelegung der Sündenbockvariante nicht beweiswürdigend belegt.
Zwar ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte - nach beiden Sachverhaltsvarianten - die „Herausgabe“ von zwölf Kilogramm Marihuana durch den Nebenkläger erstrebte und die Erpressung noch während der Bemächtigungslage vollendet werden sollte (UA 38 ff.). Auf welcher Tatsachengrundlage sich das Landgericht diese Überzeugung auch bei Zugrundelegung der Sündenbockvariante verschafft hat, erschließt sich indes aus dem Urteil nicht.
In Anbetracht der Feststellung des Landgerichts, dass der Nebenkläger selbst nicht mit Drogen handelte (UA 6), und des Umstands, dass dem Angeklagten bewusst war, dass der Nebenkläger - sollte er nur „Sündenbock“ gewesen sein - das Marihuana tatsächlich gar nicht an sich gebracht hatte, versteht es sich nicht von selbst, dass der Angeklagte die Vorstellung hatte, der Nebenkläger könne noch innerhalb der Bemächtigungslage die ganz erhebliche Menge von zwölf Kilogramm Marihuana bereitstellen. Nach den bisherigen Feststellungen ist zudem nichts dafür ersichtlich, dass der Angeklagte von einer Tätigkeit des Nebenklägers als Drogenhändler oder anderen Bezugsmöglichkeiten des Nebenklägers in dieser Größenordnung ausging.
Angesichts der vorgenannten Umstände, die eine zeitnahe Bereitstellung des Marihuanas durch den Nebenkläger als eher fernliegend erscheinen lassen, hätte es einer tragfähigen Beweiswürdigung bedurft, warum der Angeklagte ausgehend von der Sündenbockvariante gleichwohl die Herausgabe des Marihuanas noch während der Bemächtigungslage erstrebte. Hieran fehlt es.
2. Die subjektiven Voraussetzungen einer versuchten räuberischen Erpressung gemäß §§ 253, 255, 22, 23 Abs. 1 StGB sind bei Zugrundelegung der Sündenbockvariante ebenfalls nicht hinreichend mit Tatsachen belegt.
a) Eine räuberische Erpressung nach §§ 253, 255 StGB setzt in objektiver Hinsicht unter anderem einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigenden Handlung voraus (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 385/11, NStZ-RR 2012, 173, 175; Beschlüsse vom 25. Februar 2014 - 4 StR 544/13, NStZ 2014, 269; vom 21. März 2006 - 3 StR 3/06, NStZ 2006, 508). Dementsprechend muss im Falle des Versuchs der Tatentschluss des Täters darauf gerichtet sein, einen - ernsthaft und nicht nur zum Schein erstrebten (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 3; Beschluss vom 27. Juli 2004 - 3 StR 71/04, NStZ 2005, 155 f.; MüKoStGB/Sander, 2. Aufl., § 253 Rn. 30 f.) - Vorteil durch den Einsatz des Nötigungsmittels zu erlangen.
b) Mit den Voraussetzungen eines Tatentschlusses des Angeklagten zur Begehung einer räuberischen Erpressung hat sich die Strafkammer nicht auseinander gesetzt. Es erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht, was sich der Angeklagte zum finalen Zusammenhang zwischen den eingesetzten Nötigungsmitteln und der erstrebten Vermögensverfügung vorstellte, sofern der Nebenkläger nur als „Sündenbock“ dienen sollte.
So setzt sich das Urteil nicht hinreichend mit der - bei diesem Tathintergrund - naheliegenden Möglichkeit auseinander, dass der Angeklagte vom Nebenkläger gar nicht ernsthaft eine „Herausgabe“ des Marihuanas erstrebte, sondern ihm allein daran gelegen war, den Hintermännern einen Schuldigen für das Abhandenkommen der Betäubungsmittel zu präsentieren. Zwar ist das Landgericht - wie bereits ausgeführt - davon ausgegangen, dass der Angeklagte nach beiden Sachverhaltsvarianten die „Herausgabe“ von zwölf Kilogramm Marihuana durch den Nebenkläger erstrebte (UA 38 ff.); näher begründet und beweiswürdigend belegt wird dies jedoch nicht.
Überdies bleibt unklar, ob die Vorstellung des Angeklagten dahin ging, der Nebenkläger werde die ihm abverlangte Handlung noch unter dem Einfluss der eingesetzten Nötigungsmittel - und nicht etwa geraume Zeit später (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2017 - 4 StR 244/16, NJW 2017, 1891, 1893) - vornehmen. Vor dem Hintergrund, dass dem Angeklagten nach der Sündenbockvariante bekannt war, dass der Nebenkläger gar nicht über das Marihuana verfügte, hätte das Landgericht auch diese Annahme nachvollziehbar begründen und belegen müssen. Dies ist nicht erfolgt.
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung.
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