Entscheidungsdatum: 19.01.2017
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 5. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Geschehen bei den Taten vom 3. September 2015 (Ziffer II. 1 der Urteilsgründe) und den Vorfällen vom 14. Juli 2015 und 19. September 2015 (Ziffer II. 2 der Urteilsgründe) aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der Beschuldigte befand sich in der Zeit vom 1. Oktober 2009 bis zum 6. Januar 2016 insgesamt 29-mal zur stationären Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dabei wurde bei ihm eine hebephrene Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert.
Am 3. September 2015 gegen 16.35 Uhr überstieg der Beschuldigte in S. an einem Mehrparteienwohnhaus die Brüstung eines Außenbalkons, der sich auf Höhe des Erdgeschosses befand, und entwendete eine dort abgelegte Kunststofftasche, die mit leeren Pfandflaschen aus Glas und Kunststoff gefüllt war. Anschließend lief er torkelnd auf einem Fußweg entlang und warf die Kunststofftasche über seine Schulter. Dabei verlor er mehrere Flaschen. Als ihm der Geschädigte J. entgegenkam, der mit einem elektrisch betriebenen Rollstuhl auf dem Radweg fuhr, schlug er diesem die Kunststofftasche gegen den Kopf. Was ihn hierzu bewog, konnte nicht festgestellt werden. Der Geschädigte erlitt durch den Schlag eine blutende Platzwunde am Kopf. Die daraufhin alarmierten Polizeibeamten trafen den Beschuldigten gegen 16.50 Uhr in einer Einfahrt auf dem Boden sitzend an. Als der Beschuldigte von dem Polizeibeamten PHK B. nach seinem Namen gefragt und aufgefordert wurde, sich auszuweisen, entgegnete er: „Den kriegt ihr nicht“. Anschließend beleidigte er PHK B. und weitere Polizeibeamte, die in der Nähe standen. Als PHK B. dem Beschuldigten daraufhin ankündigte, dass er ihn nun nach Ausweisdokumenten durchsuchen werde, spuckte der Beschuldigte in seine Richtung, traf ihn jedoch nicht. In der Folge drückte PHK B. den Kopf und den Oberkörper des Beschuldigten nach unten, um ein weiteres Spucken zu verhindern und eine Durchsuchung zu ermöglichen. Der Beschuldigte versuchte, sich aufzubäumen und sich durch gleichzeitiges Schlagen und Treten aus der Fixierung zu befreien. Daraufhin wurden ihm die Arme auf dem Rücken gefesselt. Während der anschließenden Durchsuchung nach Ausweispapieren trat und schlug der Beschuldigte aus sitzender Position um sich. Dass dabei einer der eingesetzten Polizeibeamten getroffen wurde, konnte nicht festgestellt werden. Bei der Verbringung in das Polizeifahrzeug versuchte der Beschuldigte nochmals, PHK B. zu treten, ohne ihn zu treffen. Eine dem Beschuldigten um 18.17 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Alkoholkonzentration von 1,73 Promille auf.
2. Das Landgericht hat den Schlag des Beschuldigten mit der gefüllten Kunststofftasche als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB und das Verhalten gegenüber den Polizeibeamten als versuchte Körperverletzung (§ 223 Abs. 2, § 23 Abs. 1, § 22 StGB) und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 1 StGB gewertet. Von der Verfolgung der Beleidigungen hat es nach § 154a Abs. 2 StPO abgesehen. Die Strafkammer ist im Anschluss an die Ausführungen des angehörten Sachverständigen davon ausgegangen, dass bei dem Beschuldigten eine hebephrene Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vorliege, die seine gesamte Persönlichkeit überformt habe. Er sei deshalb nicht „zu rationalem Kognitionsvermögen in der Lage“, weise anhaltende Störungen der Ich-Grenzen sowie der Ich-Funktionen auf und habe auch Defizite in Bezug auf moralisch-ethische Normvorstellungen. Darüber hinaus liege eine intellektuelle Grenzbegabung vor. Erschwerend komme eine anankastische und schizotype Persönlichkeitsstörung zum Tragen. Die Psychose habe sich bereits im jungen Erwachsenenalter entwickelt und sei mit einem „episodisch auftretenden Suchtmittelmissbrauch“ gepaart (UA 18). Zur Tatzeit seien die psychopathologischen Phänomene durch einen mittelschweren Alkoholrausch verstärkt worden. Die Kombination all dieser Elemente berechtige in der Summe zu der Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung (UA 19). Es sei davon auszugehen, dass bei dem Beschuldigten deshalb die Einsichts- und die Steuerungsfähigkeit aufgehoben gewesen seien (UA 20). Von ihm seien infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden. Die gefährliche Körperverletzung und die versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte seien zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen.
II.
Die Anordnung der Unterbringung muss aufgehoben werden, weil die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Beschuldigten und die daran anknüpfende Kriminalprognose revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht standhalten.
1. Die Wertung des Landgerichts, der Beschuldigte habe an einer hebephrenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sowie an einer anankastischen und einer schizotypen Persönlichkeitsstörung gelitten, ist nicht ausreichend belegt.
a) Beschränkt sich das Tatgericht - wie hier - darauf, der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit zu folgen, muss es die hierfür wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH, Urteil vom 23. November 2016 - 2 StR 108/16, Rn. 8; Beschluss vom 28. Januar 2016 - 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37 mwN).
b) Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Die Strafkammer gibt darin lediglich die Diagnosen des Sachverständigen wieder. Welche Anknüpfungs- und Befundtatsachen der Sachverständige seinen Diagnosen zugrunde gelegt hat, wird nicht mitgeteilt. Der Umstand, dass sich der Beschuldigte vielfach in psychiatrischen Krankenhäusern zur Behandlung befand und ihm dort die Diagnose einer hebephrenen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis gestellt wurde, deutet zwar auf eine gravierende Erkrankung in diesem Bereich hin, vermag aber eine konkrete Darlegung des Krankheitsbildes nicht zu ersetzen. Soweit in Bezug auf die „normative Einsichtsfähigkeit“ des Beschuldigten davon die Rede ist, dass er „vielfach unter Beweis gestellt habe, dass er diesbezüglich sehr schlecht ausgestattet sei“, bei Maßnahmen der Wiedereingliederungshilfe „krankheitsbedingt immer wieder dekompensiert“ sei und „mitunter ein aggressives Verhalten gezeigt“ (UA 4 und 18) habe, fehlt es an einer nachvollziehbaren Darstellung der in Bezug genommenen Vorfälle und deren Beleg.
2. Die Urteilsgründe lassen auch nicht deutlich werden, dass der die Annahme von Schuldunfähigkeit begründende Zustand auf einem länger andauernden Defekt beruht.
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 - 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschluss vom 16. Januar 2013 - 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN). Grundsätzlich verbietet sich daher die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn der Ausschluss oder die erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit nicht schon allein durch einen solchen, länger andauernden Defekt, sondern erst durch aktuell hinzutretenden Genuss berauschender Mittel, insbesondere Alkohol, herbeigeführt worden ist. In solchen Fällen kommt die Unterbringung nach § 63 StGB aber ausnahmsweise dann in Betracht, wenn der Täter in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist, an einer krankhaften Alkoholsucht leidet oder aufgrund eines psychischen Defektes alkoholsüchtig ist, der, ohne pathologisch zu sein, in seinem Schweregrad einer krankhaften seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichsteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2006 - 2 StR 430/06, NStZ-RR 2007, 73; Urteil vom 8. Januar 1999 - 2 StR 430/98, BGHSt 44, 338, 339 mwN). Ein Zustand im Sinne des § 63 StGB liegt aber - entsprechend obiger Rechtsprechung - auch dann vor, wenn der Täter an einer länger dauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juni 2016 - 4 StR 161/16, Rn. 11; Urteil vom 29. September 2015 - 1 StR 287/15, NJW 2016, 341 f., Beschluss vom 1. April 2014 - 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207 [Ls.], jew. mwN), wenn tragender Grund seines Zustandes mithin die länger andauernde krankhafte geistig-seelische Störung und die Alkoholisierung lediglich der auslösende Faktor war und ist (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 - 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374).
b) Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Die Strafkammer geht - wiederum dem Sachverständigen folgend - davon aus, dass bei dem Beschuldigten bei der Begehung der Anlasstaten eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung vorgelegen habe. Hierzu habe auch der festgestellte mittelschwere Rausch beigetragen. Eine durch einen Rausch mitverursachte tiefgreifende Bewusstseinsstörung ist aber in der Regel kein Zustand von längerer Dauer. Zur Einordnung der zeitstabilen Defekte (hebephrene Schizophrenie, anankastische und schizotype Persönlichkeitsstörung) unter ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Juli 2010 - 2 StR 278/10, Rn. 5 [hebephrene Schizophrenie als krankhafte seelische Störung im Sinne von § 20 StGB]), zu deren Auswirkung auf die Schuldfähigkeit unabhängig von der akuten Alkoholisierung (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1991 - 3 StR 69/91, NStZ 1991, 527, 528; Beschluss vom 12. November 2004 - 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 352), zu eventuellen Interdependenzen und zu einer möglichen Alkoholsucht des Angeklagten verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
3. Auch die Gefährlichkeitsprognose genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen.
a) Die für eine Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist nur dann gegeben, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 - 4 StR 277/15, NStZ-RR 2016, 77 [Ls]; Urteil vom 10. Dezember 2014 - 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73 mwN).
b) Eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung erheblicher Straftaten wird durch die Urteilsgründe nicht belegt. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, denen die Strafkammer auch insoweit gefolgt ist, werde der Beschuldigte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erneut straffällig werden, unter Umständen auch erheblich. Bei Impulsdurchbrüchen sei mit erheblichen Straftaten zu rechnen, etwa mit Taten vergleichbar der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten J. . Diesen Darlegungen lässt sich nicht entnehmen, unter welchen Bedingungen mit derartigen Impulsdurchbrüchen zu rechnen und wie groß die Gefahr einer Wiederholung in der Zukunft ist. Soweit die Strafkammer abschließend ausführt, dass für eine hohe Wiederholungswahrscheinlichkeit spreche, dass dem Übergriff auf den Geschädigten J. kein Streit vorausgegangen und auch ein sonstiger Anlass für diese Tat nicht erkennbar sei, fehlt dafür jeglicher Beleg. Schließlich hätte die Strafkammer auch in ihre Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Beschuldigte, als er am 14. Juli 2015 bei einem Ladendiebstahl gestellt wurde, zwar einen Fluchtversuch unternahm, dabei und danach aber keine Gewalt mehr anwandte.
4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den rechtswidrigen Anlasstaten vom 3. September 2015 (äußeres Tatgeschehen) und den Vorfällen vom 14. Juli 2015 und 19. September 2015 (objektives Geschehen) können bestehen bleiben. Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich. Es ist nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffen werden, die die Einweisung des Angeklagten in eine psychiatrische Anstalt gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf das Folgende hin:
a) Nach der gesetzlichen Konzeption kann die Anwendung des § 20 StGB nicht auf beide Alternativen gestützt werden. Erst wenn sich ergeben hat, dass der Täter in der konkreten Tatsituation einsichtsfähig war, kann sich die Frage nach seiner Steuerungsfähigkeit stellen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167, 168; Kaspar in SSW-StGB, 3. Aufl., § 20 Rn. 27 mwN).
b) Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Sollte der neue Tatrichter zu dem Ergebnis gelangen, dass von dem Beschuldigten in Zukunft (auch) Taten vergleichbar der Anlasstat zum Nachteil der eingesetzten Polizeibeamten zu erwarten sind, wird er bei deren Gewichtung in den Blick zu nehmen haben, dass Angriffe gegen Personen, die professionell mit derartigen Konfliktsituationen umgehen, dafür entsprechend geschult sind und in der konkreten Situation über besondere Hilfs- und Schutzmittel verfügen, möglicherweise weniger gefährlich sind. Bei der Beurteilung der versuchten Körperverletzung wird zu bedenken sein, dass wenig erfolgversprechend angelegte und deshalb leicht zu vereitelnde Versuche nur eine eingeschränkte Bedrohung für die betroffenen Rechtsgüter darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 - 4 StR 267/11, Rn. 20).
Sost-Scheible |
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Feilcke |
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