Entscheidungsdatum: 03.03.2016
1. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Detmold vom 10. Juli 2015 gewährt.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 10. Juli 2015 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision. Ferner beantragt er Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist. Der Wiedereinsetzungsantrag hat in vollem Umfang, die Revision des Angeklagten hat dagegen lediglich hinsichtlich der Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt Erfolg.
1. Dem Wiedereinsetzungsantrag ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 2. Februar 2016 dargelegten Gründen zu entsprechen.
2. Zur Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat der Generalbundesanwalt Folgendes ausgeführt:
„Die Ablehnung der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB [hält] rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat festgestellt, dass bei dem drogenabhängigen Angeklagten ein Hang zur Einnahme von berauschenden Mitteln im Übermaß vorliegt. Es hat gleichwohl von der Unterbringung abgesehen, weil sich ein symptomatischer Zusammenhang zwischen diesem Hang und den Taten nicht feststellen lasse. Der Angeklagte sei erst im Zusammenhang mit der ersten Tat wieder zum Konsum von Amphetamin und später auch Kokain gelangt. Der Drogenhandel habe in erster Linie zur Finanzierung seines gehobenen Lebensstandards gedient.
Damit hat das Landgericht zu hohe Anforderungen an die Annahme einer Symptomtat gestellt. Für die Bejahung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Tat und Hang im Sinne des § 64 StGB ist es ausreichend, dass der Hang - gegebenenfalls neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter die Tat begangen hat. Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise gegeben, wenn die Straftat unmittelbar oder - wie hier - mittelbar auch der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum dient (vgl. BGH 3 StR 38/08 und 275/08). Der Angeklagte hat ab der zweiten Tat die zur Befriedigung seiner Sucht erforderlichen Drogen auch mit dem Gewinn aus dem Drogenhandel finanziert (UA S. 13).
Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte nicht gefährlich im Sinne dieser Vorschrift ist oder keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, ihn durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt von seinem Hang zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB), sind nicht ersichtlich.
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.).“
Dem kann sich der Senat nicht verschließen. Zwar muss der für eine Anordnung nach § 64 StGB erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem Hang und der bzw. den Anlasstaten sicher feststehen (BGH, Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 572/13, juris Rn. 4) und es bedarf hierfür bei Taten, die nicht auf die Erlangung von Rauschmitteln selbst oder von Geld zu deren Beschaffung abzielten, besonderer, diese Feststellung begründender Umstände (BGH aaO, juris Rn. 6 mwN). Auch hält der Senat daran fest, dass es an einem solchen Zusammenhang fehlt, wenn die Taten allein zur Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 2008 – 5 StR 472/08, BGHR StGB § 64 Nichtanordnung 2) oder zur Gewinnerzielung bestimmt waren (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, juris Rn. 10, 18). Da der Angeklagte – abgesehen von einer Umschulung – seit mehreren Jahren arbeitslos ist und zuletzt Sozialleistungen bezog, kann der Senat indes nicht völlig ausschließen, dass die Taten – jedenfalls ab der Tat II. 2 der Urteilsgründe – nicht mehr ausschließlich der Finanzierung des Lebensbedarfs, sondern auch der seines Drogenkonsums dienten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2012 – 5 StR 545/12, juris Rn. 2).
3. Zu den weiteren Ausführungen des Revisionsführers – auch im Schriftsatz vom 18. Februar 2016 – bemerkt der Senat ergänzend zu den Darlegungen des Generalbundesanwalts in der Antragsschrift vom 2. Februar 2016:
Hinsichtlich der als Aufklärungsrüge erhobenen Verfahrensrüge war die Mitteilung der polizeilichen Aussagen der Zeugen zur Erfüllung der sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen schon deshalb unerlässlich, weil sie für die Prüfung von Bedeutung ist, ob sich dem Tatrichter die Vernehmung der Zeugen trotz des Geständnisses des Angeklagten und der zur Schätzung des Wirkstoffgehalts in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen (vgl. UA S. 10) aufgedrängt hat. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte in der tatrichterlichen Hauptverhandlung nicht nur die von seinem Verteidiger abgegebene Erklärung als „seine Einlassung“ bestätigt, sondern sich – wie sich nicht nur aus dem Revisionsvorbringen, sondern zudem aus dem Urteil ergibt (UA S. 9) – darüber hinaus selbst „ergänzend“ zur Sache geäußert hat. Aufgrund dessen bestehen – unter Berücksichtigung der Ausführungen des Generalbundesanwalts – ebenfalls keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass die Strafkammer in den Fällen II. 4 bis 6 keine Bewertungseinheit angenommen hat.
Soweit die Strafkammer dem Angeklagten auch hinsichtlich der Tat II. 3 der Urteilsgründe strafschärfend angelastet hat, dass er (auch) diese Tat „unter laufender Bewährung“ begangen hat (UA S. 14), trifft dies zwar ersichtlich nicht zu (vgl. UA S. 5 unten). Jedoch schließt der Senat im Hinblick darauf, dass die Bewährungsstrafe jedenfalls noch nicht erlassen war, aus, dass die schon angesichts der Menge (4 kg Amphetamin) maßvolle Einzelstrafe hierauf beruht. Ebenso schließt der Senat hinsichtlich der für die weiteren Taten verhängten – milden – Einzelstrafen, die in den Fällen II. 4 bis 6 der Urteilsgründe sogar unterhalb der gesetzlichen Strafrahmenuntergrenze liegen, aus, dass diese oder die Gesamtfreiheitsstrafe bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt geringer ausgefallen wären.
4. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass infolge der Aufhebung nur der die (Nicht-)Anordnung der Maßregel des § 64 StGB betreffenden Feststellung unter anderem bindend feststeht, dass der Angeklagte in den Fällen II. 1 bis 3 mit den jeweiligen Gesamtmengen Handel getrieben hat. Dies gilt auch im Fall II. 1 der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte 1 kg Amphetamin ankaufte, um es gewinnbringend weiterzuverkaufen. Denn damit war das unerlaubte Handeltreiben mit dieser nicht geringen Menge unabhängig davon bereits vollendet, dass er sich später entschloss, einen Teil dieser Betäubungsmittel selbst zu konsumieren.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender