Entscheidungsdatum: 10.04.2014
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 16. Oktober 2013 wird verworfen.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren davon abgesehen, die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das - vom Generalbundesanwalt nicht vertretene - Rechtsmittel bleibt erfolglos.
I.
Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
1. Der nicht vorbestrafte jetzt 63 Jahre alte Beschuldigte lebt seit etwa 1989 obdachlos in L. . Seit vielen Jahren leidet er an einer mittlerweile chronisch gewordenen paranoiden Schizophrenie gemäß ICD-10 F 20.0 als führendem psychiatrischen Krankheitsbild und einem Alkoholabhängigkeits-syndrom gemäß ICD-10 F 10.2. Typische Symptome seiner Erkrankung sind ein halluzinatorisches Erleben, ausgeprägte formale Denkstörungen sowie Affektstörungen mit Reizbarkeit und Störungen der Impulskontrolle.
2. Im Jahr 2011 traf der Beschuldigte häufig auf die Zeugin S. W. , weil beide tagsüber in L. Passanten um Geld anbettelten. Am 4. April 2011 trat er der in seiner Nähe bettelnden Zeugin, die er vergeblich zum Weggehen aufgefordert hatte, mit seinem Turnschuh gegen das Kinn. Die Staatsanwaltschaft sah von einer Anklageerhebung ab und verwies die Zeugin auf den Privatklageweg. Am 29. Oktober 2011 packte der Beschuldigte die Zeugin an der Schulter, hielt sie fest und drückte sie gegen eine nahegelegene Hauswand. Die Zeugin war hiervon so überrascht und eingeschüchtert, dass sie trotz ihrer körperlichen Überlegenheit nicht in der Lage war, den nur 160 cm großen, stark alkoholisierten Beschuldigten abzuwehren. Der Beschuldigte küsste sie mehrfach auf den Mund, wobei er ihr auch seine Zunge in den Mund steckte. Die Zeugin versuchte dies abzuwenden, indem sie den Kopf wegdrehte, was ihr jedoch nicht gelang, weil der Beschuldigte ihren Kopf packte und zu sich drehte. Dann fasste der Beschuldigte der Zeugin mit einer Hand über der Kleidung an die Brust und drückte zu, so dass sie Schmerzen erlitt, während er sie mit der anderen Hand festhielt und weiter an die Hauswand drückte. Schließlich griff er der Zeugin mit einer Hand über der Kleidung in den Genitalbereich und drückte anschließend seinen Unterkörper in beischlafähnlichen Bewegungen gegen sie. Als die Zeugin um Hilfe rief und den Beschuldigten aufforderte von ihr abzulassen, lockerte er seinen Griff und es gelang ihr, sich ihm zu entwinden (Fall II.1).
Am 23. November 2012 warf der erheblich alkoholisierte Beschuldigte auf dem Theaterplatz in L. eine noch nicht geleerte Sektflasche mit einer seitlichen Ausholbewegung aus einer Entfernung von 7 bis 10 Metern in Richtung der Zeugen G. , Wi. und S. , die auf Parkbänken saßen und dort Bier tranken. Dabei nahm er billigend in Kauf, eine der Personen mit der Flasche zu verletzen. Der von dem Zeugen S. gewarnte Zeuge G. konnte mit einer schnellen Reaktion ausweichen, so dass ihn die Flasche knapp verfehlte (Fall II.2).
Am 23. März 2013 wurde der Beschuldigte an einer Straßenbahnhaltestelle von der Zeugin L. angesprochen, weil diese den Eindruck hatte, dass der stark betrunkene Beschuldigte hilfsbedürftig sei. Der Beschuldigte verkannte, dass ihm die Zeugin nur ihre Hilfe anbieten wollte und warf daraufhin ohne Wucht eine nahezu leere Glasflasche mit einem Volumen von 0,7 Liter nach ihr. Die Flasche traf die Zeugin am rechten Oberschenkel. Sie erlitt schnell wieder abklingende Schmerzen und eine vorübergehende Rötung (Fall II.4).
3. Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil der Zeugin W. vom 29. Oktober 2011 (Fall als sexuelle Nötigung gemäß § 177 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB, die Tat vom 23. November 2012 (Fall II.2) als versuchte gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, §§ 22, 23 StGB und die Tat vom 23. März 2013 (Fall II.4) als vorsätzliche Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB gewertet. Die vorsätzliche Körperverletzung im Fall II.4 sei jedoch nicht verfolgbar, weil es an dem erforderlichen Strafantrag fehle und die Staatsanwaltschaft ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht bejaht habe. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB lägen nicht vor. Zwar sei die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei allen Taten infolge der auf seine Erkrankung an einer paranoiden Schizophrenie zurückzuführenden Affektstörung und der jeweils hinzutretenden Alkoholisierung sicher aufgehoben gewesen, doch könne ihm die für eine Unterbringung erforderliche Gefahrenprognose nicht gestellt werden.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.
1. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der Hauptverhandlung oder nachträglich in der Revisionsbegründung bejaht hat oder wirksam bejahen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2011 - 5 StR 346/11, StraFo 2012, 67; Urteil vom 28. Oktober 1982 - 4 StR 472/82, BGHSt 31, 132, 133 f.; Beschluss vom 15. Januar 1975 - 3 StR 312/74, Rn. 2; Urteil vom 3. Juli 1964 - 2 StR 208/64, BGHSt 19, 377, 381). Da weitere verfolgbare Anlasstaten vorliegen, kommt dieser Frage keine entscheidungstragende Bedeutung zu.
2. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigende Gefährlichkeitsprognose verneint hat, halten rechtlicher Überprüfung stand.
a) Gestützt auf das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen ist das Landgericht zu der Einschätzung gelangt, dass bei dem dauerhaft an einer schizophrenen Psychose erkrankten Beschuldigten mit sexuellen Übergriffen, wie gegenüber der Zeugin W. im Fall II.1 allenfalls bei einer entsprechenden Vorbeziehung zu rechnen sei. Gegen die Wiederholung solcher Übergriffe spreche, dass der Beschuldigte grundsätzlich keinen Kontakt zu anderen Menschen suche, bislang nie sexuell auffällig geworden sei und auch gegenüber der Zeugin W. nach der Tat vom 29. Oktober 2011 keine Straftaten mehr begangen habe, obgleich er sich bis zu seiner Festnahme am 23. März 2013 mit ihr im selben Milieu bewegt habe. Unter diesen Umständen bestehe keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Annahme, dass der Beschuldigte künftig Sexualstraftaten wie im Fall II.1 begehen werde. Zudem bewege sich der Übergriff zum Nachteil der Zeugin W. im unteren (Grenz-)Bereich dessen, was als erhebliche Straftat im Sinne des § 63 StGB anzusehen sei.
Dagegen sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschuldigte aufgrund seines Zustandes wieder Aggressionsdelikte begehen werde, die den hier verfahrensgegenständlichen Flaschenwürfen entsprechen. Bei der Bewertung der Erheblichkeit dieser Delikte müsse aber berücksichtigt werden, dass es im Fall II.4 nur zu geringfügigen Verletzungen und im Fall II.2 letztlich zu keinerlei Verletzungen gekommen sei.
b) Diese Ausführungen lassen keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen.
aa) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist zeitlich unbefristet und für den Betroffenen daher besonders beschwerend. Sie darf deshalb nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76; Beschluss vom 13. Juli 2013 - 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37 mwN). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Dabei kann sich - wie in der Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten - eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits allein aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergeben, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271, 272 mwN). In der Rechtsprechung ist aber ebenfalls anerkannt, dass selbst Verbrechen in Ausnahmefällen, etwa wenn sie aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes von der Allgemeinheit als eher harmlos oder als nur belästigend wahrgenommen werden und überdies nur zu geringen Beeinträchtigungen des Tatopfers geführt haben, trotz ihres Deliktcharakters die in § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht zu begründen vermögen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 2005 - 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304; Urteil vom 14. Februar 2001 - 3 StR 455/00, Rn. 6). Dies gilt auch für zu erwartende Vergehen aus dem Bereich der vorsätzlichen Körperverletzungsdelikte (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2012 - 1 StR 176/12; Beschluss vom 14. Dezember 2011 - 5 StR 489/11).
bb) Diese Grundsätze hat das Landgericht bei seiner Entscheidung beachtet.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob der Auffassung des Landgerichts, die sexuelle Nötigung zum Nachteil der Zeugin W. (Fall II.1) liege im "unteren Grenzbereich" dessen, was noch als erhebliche Straftat im Sinne des § 63 StGB angesehen werden kann, zu folgen ist. Denn das Landgericht ist mit rechtsfehlerfreien Erwägungen davon ausgegangen, dass bei dem Beschuldigten keine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die künftige Begehung vergleichbarer Sexualdelikte besteht.
Soweit das Landgericht die von dem Beschuldigten mit "hoher Wahrscheinlichkeit" zu erwartenden Gewalt- und Aggressionsdelikte für nicht ausreichend erachtet hat, um eine Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen, ist dies aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dabei hat es seiner Beurteilung neben der für verfolgbar erachteten Anlasstat (Fall II.2) zutreffend auch die weiteren festgestellten Gewalttaten des Beschuldigten vom 4. April 2011 und 20. März 2013 (Fall II.4) zugrunde gelegt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. April 1995 - 4 StR 146/95, S. 4; vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2006 - 5 StR 514/05, NJW-RR 2006, 136 f.). Die mit Rücksicht auf die konkreten Tathandlungen und die ausgebliebenen (Fall II.2) oder nur geringen Verletzungsfolgen (Fall II.4) erfolgte Bewertung dieser Taten als nicht ausreichend erheblich ist rechtsfehlerfrei.
III.
Eine Entscheidung über eine Entschädigung des Beschuldigten nach § 8 StrEG hatte der Senat nicht zu treffen, weil er nicht selbst nach § 354 Abs. 1 StPO in der Sache entschieden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2008 - 3 StR 378/07, StraFo 2008, 266; Kunz, StrEG, 4. Aufl., § 8 Rn. 33) oder das Verfahren eingestellt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 1989 - 2 StR 564/88, BGHR StrEG § 6 Abs. 1 Nr. 2 Verfahrenshindernis 1). Eine sofortige Beschwerde gegen das landgerichtliche Unterlassen einer Entschädigungsentscheidung wurde nicht erhoben.
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