Entscheidungsdatum: 17.01.2019
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 14. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
I.
Das Landgericht hat die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Dagegen richtet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Der Beschuldigte, der seit 2013 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leidet, begab sich am Abend des 28. September 2017 mit seiner damaligen Lebensgefährtin P. zum Gleis 5 des D. er Hauptbahnhofs. Dort urinierte die alkoholisierte Frau P. in einem Wartehäuschen, während sich der Beschuldigte als Sichtschutz vor sie stellte. Der Zeuge G. , der hinzukam, sagte daraufhin zu ihr, „Entschuldigung, hier ist keine Toilette“. Es entwickelte sich nun ein Streitgespräch zwischen dem Zeugen G. und dem Beschuldigten, die sich beide deutlich erregten. Der Beschuldigte verließ den Bereich des Wartehäuschens und begab sich auf dessen andere Seite, wodurch sich die Distanz zum Zeugen vergrößerte. Er begann nun herumzuspringen und Kampfgeräusche von sich zu geben. Vom Zeugen G. unbemerkt zog er ein klappbares Jagdmesser mit 7 cm langer Klinge aus der Tasche. Der Zeuge G. fühlte sich durch das Herumspringen herausgefordert und ging auf den Beschuldigten zu, um ihm unvermittelt einen Schlag mit dem Arm zu versetzen. Der Beschuldigte schätzte die Situation zutreffend ein und stieß mit dem Messer in die linke Körperflanke des Zeugen, um den bevorstehenden körperlichen Angriff abzuwehren. Es konnte nicht sicher festgestellt werden, ob der Beschuldigte im Tatzeitpunkt unter akuten Symptomen seiner paranoid-halluzinatorischen Psychose litt. Ein psychotisches Erleben war jedenfalls nicht handlungsleitend.
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt, weil es bereits an einer rechtswidrigen Anlasstat fehle. Der Messerstich sei nach Maßgabe des Notwehrrechts gemäß § 32 StGB gerechtfertigt gewesen. Der Zeuge G. habe den Beschuldigten rechtswidrig angegriffen. Der Beschuldigte habe mit Verteidigungswillen gehandelt, dies selbst dann, wenn seine Psychose handlungsleitend gewesen wäre. Der Stich mit dem Jagdmesser sei zu seiner Verteidigung auch erforderlich gewesen. Ein vorheriges Androhen des Messereinsatzes sei nicht geeignet gewesen, den in Sekunden bevorstehenden Angriff abzuwehren, zumal der Beschuldigte davon ausgegangen sei, dass G. das Messer bereits wahrgenommen habe. Auf einen ungewissen Kampf habe er sich nicht einlassen müssen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen einer rechtswidrigen Anlasstat für eine Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus – einer zumindest rechtswidrig begangenen gefährlichen Körperverletzung – verneint hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Erwägungen zum Handeln des Beschuldigten in Notwehr sind in mehrfacher Hinsicht durchgreifend rechtlich bedenklich.
1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen gaben Anlass zu der Prüfung, ob der Beschuldigte den Angriff des Zeugen G. mitverschuldet hat, also ein Fall der Notwehrprovokation mit der Folge der Einschränkung des Notwehrrechts des Beschuldigten vorlag.
a) Für die Fälle der Notwehrprovokation ist zu unterscheiden: Eine Absichtsprovokation begeht, wer zielstrebig einen Angriff herausfordert, um den Gegner unter dem Deckmantel einer äußerlich gegebenen Notwehrlage an seinen Rechtsgütern zu verletzen. In einem solchen Fall ist dem Täter Notwehr – jedenfalls grundsätzlich – versagt, weil er rechtsmissbräuchlich handelt, indem er einen Verteidigungswillen vortäuscht, in Wirklichkeit aber angreifen will (BGH, Urteile vom 7. Juni 1983 – 4 StR 703/82, NJW 1983, 2267; vom 22. November 2000 – 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143; vom 12. Februar 2003 – 1 StR 403/02, NJW 2003, 1955, 1958; vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 20 jeweils mwN). Erfolgt die Provokation (nur) vorsätzlich, wird dem Täter das Notwehrrecht nicht vollständig und nicht zeitlich unbegrenzt genommen; es werden an ihn jedoch umso höhere Anforderungen im Hinblick auf die Vermeidung gefährlicher Konstellationen gestellt, je schwerer die rechtswidrige und vorwerfbare Provokation der Notwehrlage wiegt. Wer unter erschwerenden Umständen die Notwehrlage provoziert hat, muss unter Umständen auf eine sichere erfolgversprechende Verteidigung verzichten und das Risiko hinnehmen, dass ein minder gefährliches Abwehrmittel keine gleichwertigen Erfolgschancen hat (BGH, Urteil vom 26. Oktober 1993 – 5 StR 493/93, BGHSt 39, 374, 378 f.). Auch wenn der Täter den Angriff auf sich lediglich leichtfertig provoziert hat, darf er von seinem grundsätzlich gegebenen Notwehrrecht nicht bedenkenlos Gebrauch machen und sofort ein lebensgefährliches Mittel einsetzen. Er muss vielmehr dem Angriff nach Möglichkeit ausweichen und darf zur Trutzwehr mit einer lebensgefährlichen Waffe erst Zuflucht nehmen, nachdem er alle Möglichkeiten der Schutzwehr ausgenutzt hat; nur wenn sich ihm diese Möglichkeit nicht bietet, ist er zu der erforderlichen Verteidigung befugt (BGH, Beschlüsse vom 7. Juli 1987 – 4 StR 291/87, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 1; vom 17. Januar 1989 – 4 StR 2/89, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 4; vom 1. September 1993 – 3 StR 354/93, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 10; Urteile vom 18. August 1988 – 4 StR 297/88, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 3; vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 20 jeweils mwN).
Ein rechtlich gebotenes oder erlaubtes Tun führt hingegen nicht ohne weiteres zu Einschränkungen des Notwehrrechts, auch wenn der Täter wusste oder wissen musste, dass andere durch dieses Verhalten zu einem rechtwidrigen Angriff veranlasst werden könnten (BGH, Urteil vom 19. November 1992 – 4 StR 464/92, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 9; Beschlüsse vom 10. November 2010 – 2 StR 483/10, NStZ-RR 2011, 74, 75 und vom 26. Juni 2018 – 1 StR 208/18, StraFo 2019, 34, 35 jeweils mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine Notwehreinschränkung vielmehr voraus, dass die tatsächlich bestehende Notwehrlage durch ein rechtswidriges, jedenfalls aber sozialethisch zu missbilligendes Vorverhalten des Angegriffenen verursacht worden ist und zwischen diesem Vorverhalten und dem rechtswidrigen Angriff ein enger zeitlicher und räumlicher Zusammenhang besteht (BGH, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 StR 118/10, NStZ 2011, 82; Urteile vom 2. November 2005 – 2 StR 237/05, NStZ 2006, 332; vom 25. März 2014 – 1 StR 630/13, NStZ 2014, 451, 452; vom 3. Juni 2015 – 2 StR 473/14, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Verteidigung 22 jeweils mwN).
b) Das Landgericht hat, obwohl sich dies nach den Feststellungen aufgedrängt hätte, nicht geprüft, ob der Beschuldigte im oben dargelegten Sinne den Angriff des Zeugen G. provoziert hatte und sein Notwehrrecht deshalb eingeschränkt war. Dass sein – mit Kampfgeräuschen verbundenes – Herumspringen vor dem Zeugen G. in einer durch die vorausgegangene verbale Auseinandersetzung angespannten und aufgeheizten Situation einen Angriff des Zeugen herausfordern konnte und möglicherweise auch sollte, lag, auch mit Blick darauf, dass der Beschuldigte in dieser Situation sein Messer für den Zeugen unbemerkt zog, nahe. Selbst wenn der Beschuldigte den Angriff lediglich leichtfertig provoziert hätte, wäre zu prüfen gewesen, ob sein Verhalten angesichts der vorangegangenen Auseinandersetzung sozialethisch zu missbilligen war mit der Folge einer Einschränkung des Notwehrrechts. Die Frage einer Notwehrprovokation war deshalb erörterungsbedürftig.
2. Das Landgericht hat in diesem Zusammenhang auch einen Verteidigungswillen des Beschuldigten nicht mit Tatsachen belegt. Eine von Verteidigungswillen getragene Handlung des Beschuldigten ergibt sich lediglich aus dessen Einlassung, der das Landgericht aber in wesentlichen Teilen nicht gefolgt ist. Vielmehr hat es die im Widerspruch zu dieser Einlassung stehende Aussage des Zeugen G. insgesamt für glaubhaft befunden. Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Beschuldigte den Zeugen G. mehrfach gebeten habe, sich zu entfernen, erfolgte dies vor dem den Angriff auslösenden Verhalten des Beschuldigten.
3. Nicht mehr entscheidungserheblich ist deshalb, dass auch die Begründung des Landgerichts zur Frage der Erforderlichkeit des Messerstichs als Notwehrhandlung an durchgreifenden Rechtsfehlern leidet.
a) Das Landgericht hat schon keine ausreichenden Feststellungen zu den räumlichen Verhältnissen und zur genauen Kampflage zum Zeitpunkt des Angriffsbeginns – Beginn des Zugehens des Zeugen G. auf den herumspringenden Beschuldigten, um ihn zu schlagen – getroffen. Die Annahme, der sofortige Messereinsatz sei erforderlich gewesen, um den Angriff abzuwehren, kann demgemäß nicht nachgeprüft werden. Gegen die vom Landgericht angenommene Notwendigkeit eines sofortigen Messereinsatzes könnte etwa sprechen, dass zwischen dem Beschuldigten und dem Zeugen eine räumliche Distanz eingetreten war, was dem Beschuldigten das Androhen eines Messereinsatzes ermöglicht haben könnte, zumal er sich selbst dahin eingelassen hat, den Messereinsatz vorher angedroht zu haben.
b) Die Überzeugung des Landgerichts, der Beschuldigte sei davon ausgegangen, dass der Zeuge das Messer zum Zeitpunkt seines Zugehens auf ihn wahrgenommen hatte, wird von der Beweiswürdigung nicht getragen. Soweit das Landgericht zu dieser Frage der Einlassung des Beschuldigten gefolgt sein sollte, fehlt es hierfür an einer widerspruchsfreien Begründung. Denn im Urteil ist andererseits – der für glaubhaft erachteten Aussage des Zeugen folgend – festgestellt, dass der Beschuldigte das Messer vom Zeugen G. unbemerkt aus der Tasche zog.
4. Der neue Tatrichter wird sich daher nochmals im Sicherungsverfahren mit dem Vorliegen einer rechtswidrigen Anlasstat zu befassen haben. Sollte er dies bejahen, jedoch – wie im angefochtenen Urteil – einen Zusammenhang der Tat mit der psychischen Erkrankung des Beschuldigten nicht feststellen können und dessen Schuldfähigkeit bejahen, wird ggf. die Überleitung des Verfahrens ins Strafverfahren zu prüfen sein.
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