Entscheidungsdatum: 09.11.2010
Der Ausgleich für eine in dem Ausschluss einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung liegende Härte ist bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen nicht in Anwendung des Vollstreckungsmodells, sondern bei der Bemessung der Strafe für die nunmehr abzuurteilende Tat vorzunehmen .
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 12. Mai 2010 im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung "unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Essen vom 20. Dezember 2007" zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Gesamtstrafenausspruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil die Strafkammer einen Härteausgleich für die wegen der Vollstreckung der Strafe nicht mehr mögliche Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit der Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 20 Euro aus der Verurteilung durch das Amtsgericht Essen vom 10. Juli 2007 mit nicht tragfähiger Begründung versagt hat. Der Ausgleich für eine in dem Ausschluss einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung liegende Härte ist bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen nicht in Anwendung des Vollstreckungsmodells, sondern bei der Bemessung der Strafe für die nunmehr abzuurteilende Tat vorzunehmen.
1. Grundgedanke der Vorschrift des § 55 StGB ist, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so dass der Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist, als wenn alle Taten in dem zuerst durchgeführten Verfahren abgeurteilt worden wären. Scheitert eine nach § 55 StGB an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung daran, dass die zunächst erkannte Strafe bereits vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, so erfordert eine darin liegende Härte einen angemessenen Ausgleich (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 - 2 StR 403/09, NStZ 2010, 386).
Die Strafkammer hat eine einen Härteausgleich erfordernde Benachteiligung des Angeklagten durch die nicht mehr mögliche Gesamtstrafenbildung mit der Geldstrafe aus der Verurteilung durch das Amtsgericht Essen vom 10. Juli 2007 deshalb verneint, weil sie wegen des Wegfalls der Zäsur durch die Verurteilung vom 10. Juli 2007 eine nachträgliche Gesamtstrafe mit der Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 20. Dezember 2007 gebildet hat. Dabei hat sie allerdings nicht bedacht, dass die Vollstreckung der zweijährigen Freiheitsstrafe im Urteil vom 20. Dezember 2007 zur Bewährung ausgesetzt worden war. Die nur infolge der Erledigung der früher verhängten Strafe zwingend vorzunehmende Gesamtstrafenbildung mit der Freiheitsstrafe von zwei Jahren aus dem Urteil vom 20. Dezember 2007 hat für den Angeklagten den Verlust der gewährten Strafaussetzung zur Bewährung zur Folge, die bei einer nachträglichen Gesamtstrafe unter Einbeziehung der an sich gesamtstrafenfähigen Geldstrafe aus der Verurteilung vom 10. Juli 2007 bestehen geblieben wäre. Hierin liegt ein besonderer Nachteil, welcher einen Härteausgleich erforderlich macht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 - 5 StR 478/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 18; Urteil vom 2. März 1994 - 2 StR 740/93).
2. Der danach gebotene Härteausgleich ist hier bei der Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe vorzunehmen.
a) Der Nachteil, der darin liegt, dass eine an sich mögliche nachträgliche Gesamtstrafenbildung nicht mehr in Betracht kommt, weil die frühere Strafe bereits vollstreckt oder anderweitig erledigt ist, ist nach der bisherigen Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs bei der Bemessung der neu zu erkennenden Strafe auszugleichen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1982 - 4 StR 75/82, BGHSt 31, 102, 103; vom 23. Januar 1985 - 1 StR 645/84, BGHSt 33, 131, 132; vom 23. Juni 1988 - 4 StR 169/88, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 1; Urteil vom 15. September 1988 - 4 StR 397/88, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 15; vom 2. Mai 1990 - 3 StR 59/89, NStZ 1990, 436; Beschluss vom 9. November 1995 - 4 StR 650/95, BGHSt 41, 310, 311; Urteil vom 30. April 1997 - 1 StR 105/97, BGHSt 43, 79, 80; Beschluss vom 8. Oktober 2003 - 2 StR 328/03, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 13; vom 16. September 2008 - 5 StR 408/08, NStZ-RR 2008, 370; vom 10. März 2009 - 5 StR 73/09, StV 2010, 240). Auf welche Weise der Tatrichter den Härteausgleich vornimmt, steht dabei in seinem Ermessen. Er kann von einer unter Heranziehung der bereits vollstreckten Strafe gebildeten "fiktiven Gesamtstrafe" ausgehen und diese um die vollstreckte Strafe mindern oder den Umstand, dass eine Gesamtstrafenbildung mit der früheren Strafe ausscheidet, unmittelbar bei der Festsetzung der neuen Strafe berücksichtigen. Erforderlich ist nur, dass er einen angemessenen Härteausgleich vornimmt und dies den Urteilsgründen zu entnehmen ist (vgl. nur BGH, Urteil vom 29. Juli 1982 - 4 StR 75/82, aaO; vom 23. Januar 1985 - 1 StR 645/84, aaO). Kann der Ausgleich ausnahmsweise nicht bei der Gesamtstrafenbildung erfolgen, ist der Nachteil bei der Bemessung der Einzelstrafe zu kompensieren (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1997 - 1 StR 105/97, aaO).
b) Der 5. Strafsenat erachtet es nunmehr in Anknüpfung an seine Entscheidungen zum Härteausgleich bei lebenslanger Freiheitsstrafe (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - 5 StR 433/09, NStZ 2010, 385; vom 23. Juli 2008 - 5 StR 293/08, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 15; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Januar 2010 - 2 StR 403/09, NStZ 2010, 386; vom 9. Dezember 2008 - 4 StR 358/08, NStZ-RR 2009, 104) auch bei der Verhängung zeitiger Freiheitsstrafen für vorzugswürdig, die Kompensation des Nachteils in Anwendung des Vollstreckungsmodells vorzunehmen, weil die Verwirklichung des Härteausgleichs nicht an der Tatschuld als der maßgeblichen Grundlage für die Strafhöhe anknüpfe und die Transparenz hinsichtlich des gewährten Ausgleichs und der Straffestsetzung erhöht werde (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 - 5 StR 478/09, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Härteausgleich 18; vom 28. September 2010 - 5 StR 343/10).
c) Der Senat hält demgegenüber bei zeitiger Freiheitsstrafe daran fest, dass die Benachteiligung durch eine entgangene Gesamtstrafenbildung bei der Bemessung der nunmehr zu verhängenden Strafe auszugleichen ist. Bei dem Ausschluss einer an sich möglichen Gesamtstrafenbildung infolge der Vollstreckung der früheren Strafe handelt es sich um einen Nachteil, der aus der Anwendung zwingender strafzumessungsrechtlicher Vorschriften über die Gesamtstrafe resultiert und damit einen unmittelbaren Zusammenhang zum Vorgang der Strafzumessung aufweist. Er ist vom Tatrichter ebenso wie andere schuld-unabhängige Zumessungsfaktoren im Rahmen der Strafzumessung zu bewerten und kann systematisch stimmig bei der Festsetzung der Strafe berücksichtigt werden. Anders als bei der - mit der Strafzumessung nicht wesensmäßig zusammenhängenden - Kompensation der Konventions- und Rechtstaatswidrigkeit von Verfahrensverzögerungen, für welche der Große Senat für Strafsachen die Vollstreckungslösung entwickelt hat (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124), besteht für den Ausgleich der in einer nicht mehr möglichen Gesamtstrafenbildung liegenden Härte kein Grund, diesen aus dem Vorgang der Strafzumessung herauszulösen und durch die bezifferte Anrechnung auf die verhängte Strafe gesondert auszuweisen.
d) Durch die Entscheidungen des 5. Strafsenats vom 26. Januar und 28. September 2010 ist der Senat nicht gehindert, wie dargelegt zu entscheiden. Den Beschlüssen ist entscheidungstragend nicht zu entnehmen, dass der gebotene Härteausgleich ausschließlich in Anwendung des Vollstreckungsmodells und nicht jedenfalls auch - entsprechend der bisherigen einheitlichen Rechtsprechung aller Strafsenate des Bundesgerichtshofs - bei der Festsetzung der Strafe erfolgen darf. Für dieses Verständnis spricht im Übrigen, dass der 5. Strafsenat bislang davon abgesehen hat, ein Anfrageverfahren nach § 132 Abs. 3 GVG einzuleiten.
3. Der Ausspruch über die Gesamtstrafe bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Die zugehörigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben. Ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende tatsächliche Feststellungen bleiben möglich.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Bender