Entscheidungsdatum: 05.06.2014
Nach dem gegenwärtig erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Molekulargenetik sind zur Nachvollziehbarkeit der Wahrscheinlichkeitsberechnung bei DNA-Vergleichsuntersuchungen, die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, im tatrichterlichen Urteil keine Ausführungen zur unabhängigen Vererblichkeit der untersuchten Merkmalsysteme erforderlich (in Fortführung zu BGH, 21. März 2013, 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212).
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 7. Mai 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Angeklagte.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu der Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass die Schwurgerichtskammer den Angeklagten nicht auch wegen eines tateinheitlich begangenen versuchten Tötungsdelikts verurteilt hat. Das Rechtsmittel des Angeklagten wendet sich mit mehreren Verfahrensbeanstandungen und der Sachrüge gegen die Verurteilung. Während die Revision der Staatsanwaltschaft begründet ist, bleibt das Rechtsmittel des Angeklagten ohne Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen gelangte der Angeklagte am 22. Oktober 2012 gegen 20.40 Uhr auf dem Rückweg von einer Gaststätte zu seiner Wohnung an die Fußgängerbrücke, die östlich der Abfahrt B. die Bundesautobahn A 10 überquert. Leicht enthemmt durch den vorangegangenen Alkoholgenuss verspürte der Angeklagte Lust, die gusseisernen Abdeckroste der an beiden Enden der Brücke befindlichen Regenwassergullys auf die Fahrbahnen der Bundesautobahn zu werfen. Er hob die Roste, welche jeweils eine Größe von 44 x 44 cm, eine Höhe von 6 cm und ein Gewicht von jeweils 41,5 kg aufwiesen, aus den Rahmen der Schächte, trug sie auf die Brücke und ließ sie auf die in östlicher und westlicher Richtung führenden Fahrbahnen fallen. Zwar unterquerte in diesen Augenblicken kein Fahrzeug die Brücke, sodass nicht zu befürchten war, dass ein fahrendes Fahrzeug von den schweren Eisenrosten getroffen wird. Jedoch handelte der Angeklagte gleichwohl in der Absicht, Unglücksfälle herbeizuführen. Er rechnete damit und wollte auch, dass Fahrzeuge, die über die flach auf den Fahrbahnen liegenden Roste fuhren, erhebliche Schäden nehmen. Er dachte allerdings nicht daran, Unfälle mit tödlichem Ausgang herbeizuführen.
Während einer der Gullyroste auf dem rechten Fahrstreifen der nach Osten führenden Richtungsfahrbahn auftraf und vermutlich schon durch den Aufprall in mehrere Teile zerbrach, blieb der andere Rost unbeschädigt auf dem linken Fahrstreifen der Gegenfahrbahn liegen. Der Fahrzeugverkehr auf der Bundesautobahn, dessen Geschwindigkeit an dieser Stelle erst ab 21.00 Uhr auf 100 km/h für Pkws und 60 km/h für Lkws beschränkt ist, war durch die in der Dunkelheit nicht rechtzeitig sichtbaren Hindernisse erheblich gefährdet. Der auf der nach Osten führenden Fahrbahn liegende Rost oder dessen Trümmerteile wurden von drei Pkws überrollt, was jeweils Schäden u.a. an der Bereifung der Fahrzeuge zur Folge hatte. Über den unzerbrochenen Abdeckrost auf der Gegenfahrbahn fuhren ebenfalls drei Pkws, wodurch bei zwei Fahrzeugen Reifen beschädigt wurden. Bei einem dieser Fahrzeuge platzte der rechte Vorderreifen, was dazu führte, dass der mit vier Personen besetzte Pkw auf den rechten Fahrstreifen der Fahrbahn schleuderte, ehe der Fahrer das Fahrzeug wieder unter Kontrolle bringen konnte und auf dem Standstreifen anhielt.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht den festgestellten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht nicht umfassend gewürdigt hat. Die Schwurgerichtskammer ist zwar davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei seinem Tun „auch Personenschäden billigend in Kauf nahm“, hat es jedoch versäumt, eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung nach §§ 22, 224 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 StGB zu prüfen (vgl. BGH, Urteil vom 14. Januar 2010 – 4 StR 450/09, insoweit in NStZ-RR 2010, 373 nicht abgedruckt).
2. Die Ausführungen der Schwurgerichtskammer zur Verneinung eines bedingten Tötungsvorsatzes beim Angeklagten halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
a) Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fern liegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 26), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive, als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, aaO, mwN; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, aaO, vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände im Einzelfall – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).
b) Diesen Anforderungen werden die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes des Angeklagten verneint hat, nicht gerecht.
Es ist bereits zu besorgen, dass das Landgericht mit der Hervorhebung der „sehr hohen natürlichen Hemmschwelle“ bei der Tötung eines anderen Menschen diesem Gesichtspunkt eine Bedeutung beigemessen hat, die ihm nicht zukommt (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO Rn. 31 ff.).
Die Ausführungen zur Beweiswürdigung im angefochtenen Urteil lassen ferner nicht erkennen, ob die Schwurgerichtskammer es schon für nicht nachweisbar gehalten hat, dass der Angeklagte mit Gefahren für das Leben von Fahrzeuginsassen als Folge seines Tuns rechnete, oder sich nicht hat davon überzeugen können, dass der Angeklagte einen als möglich erkannten tödlichen Erfolg billigte oder sich zumindest um des erstrebten Zieles willen mit ihm abfand (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, aaO Rn. 27). Die erforderliche Gesamtschau aller in objektiver und subjektiver Hinsicht für das Tatgeschehen bedeutsamen Umstände hat das Landgericht weder zum kognitiven noch hinsichtlich des voluntativen Elements des bedingten Tötungsvorsatzes erkennbar vorgenommen. Soweit die Schwurgerichtskammer bei ihrer Beurteilung der von den Abdeckrosten oder ihren Trümmerteilen ausgehenden Gefahren für den Kraftfahrzeugverkehr maßgeblich darauf abgestellt hat, dass infolge des Überfahrens der Hindernisse tatsächlich keine Personenschäden eintraten, hat sie übersehen, dass aus der im konkreten Fall ausgebliebenen Realisierung einer Gefahr nicht ohne Weiteres auf das Ausmaß der Gefährdung geschlossen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, aaO). Auch die Höhe der an den Fahrzeugen jeweils entstandenen Sachschäden ist für die Einschätzung der mit dem Überfahren der Hindernisse verbundenen Risiken für Leib und Leben der Fahrzeuginsassen ohne jede Aussagekraft. Das Landgericht hätte in diesem Zusammenhang vielmehr unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten – wie etwa der Blickrichtung des Angeklagten bei den Abwürfen, der Beschaffenheit der gusseisernen Abdeckroste und deren Trümmerteile, des Verkehrsaufkommens auf der Bundesautobahn zur Tatzeit, der unter der Fußgängerbrücke gefahrenen Geschwindigkeiten, der beim Überfahren der Hindernisse drohenden Schäden insbesondere an den Reifen der Fahrzeuge und deren zu erwartenden Auswirkungen auf das Fahrverhalten der Fahrzeuge – eine Bewertung der Gefahrenlage, die von der vom Angeklagten bewusst geschaffenen Situation ausging, vornehmen und sich mit der Frage befassen müssen, ob sich aus der Perspektive des Angeklagten für jedermann die Möglichkeit von in ihrem Verlauf weder vorhersehbaren noch beherrschbaren Unfallgeschehen mit unkalkulierbaren Folgen auch für das Leben von Fahrzeuginsassen aufgedrängt hätte. Hierbei wäre auch zu berücksichtigen gewesen, dass das Überfahren des unzerbrochenen Rostes in einem Fall bei dem betroffenen Fahrzeug zum Platzen des rechten Vorderreifens mit einem anschließenden Schleudervorgang vom linken auf den rechten Fahrstreifen der Fahrbahn der Bundesautobahn führte, welchen das Landgericht als „Beinahe-Unfall“ mit konkreter Gefahr für Leib oder Leben der vier Insassen gewertet hat. Insgesamt entbehrt die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe als Folge seines Handelns zwar nicht näher umschriebene Personenschäden, nicht aber den Tod von Menschen billigend in Kauf genommen, einer tragfähigen Begründung.
III.
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Der Erörterung bedarf nur Folgendes:
Die Darstellung der Ergebnisse des DNA-Vergleichsgutachtens im angefochtenen Urteil begegnet keinen sachlich-rechtlichen Bedenken.
1. Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten „in erster Linie“ auf eine vom Landeskriminalamt durchgeführte vergleichende molekulargenetische Untersuchung von zwei jeweils an der Unterseite des unzerbrochenen Abdeckrostes gesicherten Abriebspuren gestützt. Zum Ergebnis des Gutachtens teilen die Urteilsgründe mit, dass das zelluläre Material aus den beiden Abriebspuren jeweils in allen 16 untersuchten PCR-Systemen mit dem DNA-Vergleichsmaterial vom Angeklagten übereinstimme, wobei die festgestellte Merkmalskombination in der deutschen Population nur ca. einmal unter 3,5 Quadrillionen Personen vorkomme. Zur getrennten Vererblichkeit der 16 untersuchten Merkmalsysteme verhalten sich die Urteilsausführungen nicht.
2. Diese Darstellung des DNA-Vergleichsgutachtens genügt den in sachlich-rechtlicher Hinsicht zu stellenden Anforderungen. Nach dem gegenwärtig erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Molekulargenetik sind – abweichend von der Bewertung in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – zur Nachvollziehbarkeit der Wahrscheinlichkeitsberechnung bei DNA-Vergleichsuntersuchungen, die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, keine Ausführungen zur genetischen Unabhängigkeit der untersuchten Merkmalsysteme im tatrichterlichen Urteil erforderlich.
a) Das Tatgericht hat in den Fällen, in denen es dem Gutachten eines Sachverständigen folgt, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachters so darzulegen, dass das Rechtsmittelgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 StR 270/13, NStZ-RR 2014, 115, 116; Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212 Rn. 12; Beschluss vom 19. August 1993 – 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291, 296 f.). Dabei dürfen die Anforderungen, welche das Tatgericht an das Gutachten zu stellen hat, nicht mit den sachlich-rechtlichen Anforderungen an den Inhalt der Urteilsgründe gleichgesetzt werden. Mögliche Fehlerquellen sind nur zu erörtern, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 StR 270/13, aaO; Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, aaO). Dies beeinträchtigt die Rechtsposition des Angeklagten nicht, da er etwaige Fehler des Sachverständigengutachtens sowohl in der Hauptverhandlung als auch mit der Verfahrensrüge im Revisionsverfahren geltend machen kann (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, aaO).
Für die Darstellung des Ergebnisses einer auf einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung beruhenden Wahrscheinlichkeitsberechnung ist danach in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für erforderlich gehalten worden, dass der Tatrichter mitteilt, wie viele Systeme untersucht wurden, ob diese unabhängig voneinander vererbbar sind (und mithin die Produktregel anwendbar ist), ob und inwieweit sich Übereinstimmungen in den untersuchten Systemen ergeben haben, mit welcher Wahrscheinlichkeit die festgestellte Merkmalskombination zu erwarten ist und, sofern der Angeklagte einer fremden Ethnie angehört, inwieweit dieser Umstand bei der Auswahl der Vergleichspopulation von Bedeutung war (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 – 3 StR 247/12, aaO, Rn. 13 mwN auch zur früheren Rspr.; Beschlüsse vom 16. April 2013 – 3 StR 67/13; vom 31. Juli 2013 – 4 StR 270/13, aaO). Soweit damit bislang stets ausdrückliche Ausführungen zur unabhängigen Vererbbarkeit der untersuchten Merkmalsysteme verlangt worden sind, hält der Senat hieran für die in der Praxis vorkommenden Regelfälle der DNA-Vergleichsuntersuchung, die keine Besonderheiten in der forensischen Fragestellung aufweisen, nicht fest.
b) Der Senat hat zu der Frage, ob bei den Merkmalsystemen, die in Deutschland von Rechtsmedizinischen Instituten, den Landeskriminalämtern und vom Bundeskriminalamt bei der vergleichenden DNA-Untersuchung von Tatortspuren üblicherweise eingesetzt werden, nach dem Stand der forensischen DNA-Analytik gewährleistet ist, dass sie unabhängig voneinander vererbt werden, gutachterliche Stellungnahmen der Sachverständigen Prof. Dr. vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums und Privat-dozentin Dr. vom Institut für Rechtsmedizin der Universität eingeholt. Unter Berücksichtigung der Ausführungen der beiden Sachverständigen in der Revisionshauptverhandlung ist von folgenden Gegebenheiten auszugehen:
aa) Die im Bereich der forensischen DNA-Analytik tätigen öffentlichen und privaten Einrichtungen orientieren sich bei der Auswahl der bei molekulargenetischen Vergleichsuntersuchungen zu verwendenden STR-Systeme an dem Format, das für die Einstellung von DNA-Identifizierungsmustern in die DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt und den diesbezüglichen automatisierten Informationsaustausch innerhalb der Europäischen Union (vgl. Art. 2 ff. des Beschlusses 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ABl. L 210 vom 6. August 2008, S. 1; Art. 1 und 3 des Ausführungsgesetzes zum Prümer Vertrag und zum Ratsbeschluss Prüm, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 zur Umsetzung des Beschlusses des Rates 2008/615/JI vom 23. Juni 2008, BGBl. I 2009, S. 2507) vorgesehen ist. Nach Errichtung der als Verbunddatei nach § 11 BKAG beim Bundeskriminalamt geführten DNA-Analyse-Datei im Jahr 1998 erstreckte sich die Speicherung in der Datei zunächst auf die Ergebnisse in den fünf STR-Systemen VWA, HUMTH01, SE33, D21S11 und FGA (FIBRA). Mit Entschließung des Rates vom 25. Juni 2001 über den Austausch von DNS-Analyseergebnissen (ABl. C 187 vom 3. Juli 2001, S. 1) wurde zur Erleichterung des Informationsaustauschs ein Europäischer Standardsatz (ESS) von DNA-Markern definiert, der – mit Ausnahme des Systems SE33 – die bis dahin für die DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt herangezogenen Systeme und darüber hinaus die STR-Systeme D3S1358, D8S1179 und D18S51 umfasste. Durch die weitere Ratsentschließung vom 30. November 2009 (Entschließung des Rates vom 30. November 2009 über den Austausch von DNS-Analyseergebnissen, ABl. C 296 vom 5. Dezember 2009, S. 1) erfolgte die Erweiterung des Europäischen Standardsatzes (ESS) von sieben auf insgesamt zwölf Merkmalsysteme unter Einbeziehung der STR-Systeme D1S1656, D2S441, D10S1248, D12S391 und D22S1045. Die Entschließungen des Rates vom 25. Juni 2001 und 30. November 2009 enthielten jeweils die Aufforderung an die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, bei der kriminaltechnischen DNA-Analyse zumindest die zum Europäischen Standardsatz gehörenden DNA-Marker zu verwenden. Zur Umsetzung der im Rahmen der Europäischen Union beschlossenen Empfehlungen wurde auf der 167. Tagung der AG Kripo am 15./16. September 2010 durch die Kriminalämter des Bundes und der Länder festgelegt, für die in der DNA-Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt zu speichernden DNA-Identifizierungsmuster die zwölf Merkmalsysteme des Europäischen Standardsatzes und zusätzlich das seit Errichtung der Datei berücksichtigte System SE33 heranzuziehen. Darüber hinaus sollen auch weitere routinemäßig untersuchte Merkmalsysteme obligatorisch in der DNA-Analyse-Datei gespeichert werden. Hierbei handelt es sich in der derzeitigen forensischen Praxis um drei STR-Systeme – D2S1338, D16S539 und D19S433 –, die in für die Untersuchungslabore kommerziell verfügbaren STR-Typisierungs-Kits mit enthalten sind, da sie in einer Reihe von europäischen Ländern in deren nationalen Datenbanken erfasst werden.
bb) Die bis zu 16 genannten Merkmalsysteme werden bei molekulargenetischen Vergleichsuntersuchungen ohne Besonderheiten in der forensischen Fragestellung routinemäßig eingesetzt. Zu den Regelfällen der DNA-Analyse gehört insbesondere die Vergleichsuntersuchung von an Gegenständen gesicherten unspezifischen Tatortspuren. Lediglich in speziellen Fallkonstellationen – z.B. bei Mischspuren von Mitspurenverursachern verschiedenen Geschlechts bei Sexualdelikten oder bei schlechtem Spurenmaterial in Fällen der Exhumierung – besteht aus forensischer Sicht die Notwendigkeit, ergänzende molekulargenetische Untersuchungen durchzuführen, bei denen über die 16 genannten Merkmale hinaus weitere autosomale Merkmalsysteme oder DNA-Marker, die auf den Geschlechtschromosomen des menschlichen Genoms lokalisiert sind, zur Anwendung kommen.
cc) Die Unabhängigkeit der Vererbung von Merkmalen als genetische Voraussetzung zur Anwendung der Produktregel ist seit vielen Jahrzehnten etabliert und bildet in Verbindung mit den Gesetzmäßigkeiten des Hardy-Weinberg-Gleichgewichts die Grundlage aller biostatistischen Berechnungen zur Wahrscheinlichkeit von DNA-Identifizierungsmustern, die sich aus den Merkmalen verschiedener Genorte zusammensetzen (vgl. Peter Schneider/Anslinger/Eckert/Fimmers/Harald Schneider, NStZ 2013, 693, 694 f.). Die Unabhängigkeit der Vererblichkeit bei verschiedenen Merkmalsystemen hängt von deren Lokalisierung im menschlichen Genom ab. Genetische Merkmale, die auf verschiedenen Chromosomen des menschlichen Genoms liegen, werden unabhängig voneinander vererbt. Befinden sich zwei Genorte auf einem Chromosom, führt der Vorgang des chromosomalen Crossing-over bei der Entwicklung der Keimzellen dazu, dass die Allele der beiden Genorte auf einem elterlichen Chromosom getrennt werden können. Je nach Entfernung und Lage der Genorte auf dem Chromosom kann dies mit einer als Rekombinationsrate bezeichneten Wahrscheinlichkeit zwischen 0 % und 50 % geschehen. In einer Population, in der über mehrere Generationen eine ausreichend zufällige Partnerwahl stattgefunden hat, kann bei einer Rekombinationsrate von über 10 % zwischen zwei Genorten davon ausgegangen werden, dass das Vorkommen der Merkmale an beiden Genorten praktisch unabhängig ist, sodass die Multiplikation über die Merkmalshäufigkeiten an beiden Genorten nicht zu einer relevanten Abweichung führt (vgl. Peter Schneider/Anslinger/Eckert/Fimmers/Harald Schneider, aaO).
dd) Von den 16 routinemäßig bei der vergleichenden DNA-Untersuchung zur Anwendung kommenden Merkmalsystemen liegen die STR-Systeme D1S1656, D2S1338, D3S1358, FGA (FIBRA), SE33, D8S1179, D10S1248, HUMTH01, VWA, D16S539, D18S51, D19S433, D21S11 und D22S1045 auf jeweils unterschiedlichen Chromosomen des menschlichen Genoms und sind daher voneinander unabhängig vererbbar. Die Genorte der STR-Systeme D2S441 und D12S391 befinden sich jeweils mit den Systemen D2S1338 bzw. VWA auf einem Chromosom. Zu den Kopplungsverhältnissen zwischen diesen jeweils auf einem Chromosom lokalisierten Merkmalsystemen existieren belastbare wissenschaftliche Daten aus drei Studien (B. Budowle, J. Ge, R. Chakraborty, A.J. Eisenberg, R. Green, J. Mulero, R.T. Lagace, L. Hennessy: Population genetic analyses of the NGM STR loci. Int. J. Legal Med., (2011), 125, 101-109; K. Lewis O’Connor, C.R. Hill, P.M. Vallone, J.M. Butler, Linkage disequilibrium analysis of D12S391 and vWA in U.S. population and paternity samples, and Corrigendum to: Linkage disequilibrium analysis of D12S391 and vWA in U.S. population and paternity samples. Forensic Sci. Int. Genet. (2011) 5, 538-540 und 541-542; C. Phillips, D. Ballard, P. Gill, D. Syndercombe Court, A. Carracedo, M.V. Lareu. The recombination landscape around forensic STRs: Accurate measurement of genetic distances between syntenic STR pairs using HapMap high density SNP data. Forensic Sci. Int. Genet. (2012) 6, 354-365). Danach liegen die STR-Systeme D2S1338 und D2S441 mit einem Abstand von über 100 Millionen Basenpaaren auf dem langen bzw. kurzen Arm des Chromosoms 2 und weisen eine Rekombinationsrate von 50 % auf. Die Genorte der STR-Systeme VWA und D12S391 befinden sich mit einem Abstand von 6,36 Millionen Basenpaaren auf dem kurzen Arm des Chromosoms 12, wobei in den vorhandenen wissenschaftlichen Studien eine mittlere Rekombinationsrate von 12 % ermittelt worden ist. Damit ist auch für diese jeweils auf einem Chromosom lokalisierten Markerpaare die genetische Unabhängigkeit der Merkmale gesichert.
c) Aus den Darlegungen der beiden Sachverständigen Prof. Dr. und Dr. ergeben sich für die in sachlich-rechtlicher Hinsicht zu stellenden Anforderungen an die Darstellung vergleichender molekulargenetischer Untersuchungen im tatrichterlichen Urteil die folgenden Konsequenzen:
Nach dem gegenwärtig erreichten wissenschaftlichen Stand der forensischen Molekulargenetik ist die Durchführung von DNA-Vergleichsuntersuchungen soweit vereinheitlicht, dass in den Regelfällen, die keine Besonderheiten in den forensischen Fragestellungen aufweisen, standardmäßig bis zu 16 der oben genannten STR-Systeme Anwendung finden, deren genetische Unabhängigkeit wissenschaftlich gesichert ist. In diesen Fällen bedarf es im tatrichterlichen Urteil keiner Ausführungen zur unabhängigen Vererblichkeit der Merkmalsysteme. Etwas anderes gilt für die Fälle der ergänzenden DNA-Analyse, in welchen andere autosomale Markersysteme oder geschlechtsgebunden vererbliche DNA-Merkmale in die Untersuchung mit einbezogen werden. In diesen Ausnahmekonstellationen, in denen die Unabhängigkeit der weiteren autosomalen STR-Systeme im Einzelfall gesondert geprüft und die Besonderheiten der geschlechtsgebundenen Vererbung berücksichtigt werden müssen, ist der Tatrichter gehalten, im Urteil hierzu nähere Ausführungen zu machen.
d) Die oben zitierten Entscheidungen des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs, denen der erkennende Senat in der Vergangenheit gefolgt ist, stehen der dargelegten Entscheidung nicht entgegen. Da der Senat auf der Grundlage des in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Maßstabs für die sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darstellung von Sachverständigengutachten im tatrichterlichen Urteil lediglich eine im Tatsächlichen abweichende Bewertung des wissenschaftlichen Stands der DNA-Analyse vorgenommen hat, fehlt es an einer eine Rechtsfrage betreffenden Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 GVG.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender