Entscheidungsdatum: 15.03.2018
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 10. März 2017, soweit es den Angeklagten H. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit versuchtem Sichverschaffen von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Nebenkläger mit seiner auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts gestützten Revision, mit der er auch die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts erstrebt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Der seinerzeit 18-jährige Angeklagte und die jugendlichen Mitangeklagten A. und G. beschlossen am 8. August 2016, den 17-jährigen Nebenkläger U. , bei dem der Angeklagte schon mehrmals Drogen gekauft hatte, Drogen und Geld wegzunehmen. Der Angeklagte verabredete ein Treffen mit dem Nebenkläger, um vorgeblich Drogen zu kaufen. Er bewaffnete sich mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von acht Zentimetern, A. mit einer Gehstockhülle aus Metall. G. führte einen Schlagstock mit sich, blieb allerdings vor dem Haus, in dem sich der Nebenkläger aufhielt, um „Schmiere zu stehen“. Die beiden anderen begaben sich zu der Wohnung. Als der Nebenkläger sah, dass der Angeklagte nicht allein kam, wurde er wütend und fuhr ihn an. Der Angeklagte beschloss, ihn so schnell wie möglich kampfunfähig zu machen, und stach ihm mit Wucht das mitgeführte Küchenmesser in den linken Oberkörperbereich zwischen Brust- und Bauchraum, wobei er den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf nahm. Durch den Stich wurden die Pleurahöhle und Äste der Körperhauptschlagader des Nebenklägers verletzt. Beides war akut lebensgefährlich und hätte bei fehlender Behandlung zum Tod geführt. Der Nebenkläger zeigte zunächst keine erkennbare Wirkung. Der Angeklagte drängte in die Wohnung und nahm in der Küche ein Messer mit 23 Zentimeter langer Klinge an sich, um damit dem Nebenkläger zu drohen und weiter auf ihn einzustechen. Dann ließ er es jedoch in dem Bewusstsein, weitere lebensgefährliche Stiche führen zu können, sinken und schließlich fallen. Es kam nun zu einem Gerangel mit dem Nebenkläger, den der Angeklagte nicht für tödlich verletzt hielt. Der Angeklagte fügte dem Nebenkläger sodann mit dem wieder zur Hand genommenen mitgebrachten kleineren Küchenmesser einige oberflächliche Verletzungen zu. Nachdem der Nebenkläger bei dem Gerangel die Oberhand gewonnen hatte, versetzte der Angeklagte ihm einen Stich über dem linken Schulterblatt, der zu einer oberflächlichen Hautdurchtrennung führte. Der Nebenkläger wehrte sich weiter, und der Angeklagte verlor das Messer. A. kam ihm zu Hilfe und schlug mit der Gehstockhülle auf den Nebenkläger ein. Unmittelbar danach erschien der Zeuge Z. mit einer Machete in der Wohnungstür und machte damit Stichbewegungen, um die Angreifer zu vertreiben. Der Angeklagte und A. entschlossen sich zu fliehen. Jetzt - frühestens aber gegen Ende des Kampfgeschehens - sah der Angeklagte erstmals, dass der Nebenkläger stark blutete. „Erst in diesem Moment kam ihm der Gedanke, der Nebenkläger könne möglicherweise doch tödlich verletzt sein“ (UA 13).
Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte seinen Tötungsvorsatz aufgab, als er das aus der Küche entnommene große Messer fallen ließ. Zu diesem Zeitpunkt habe er aufgrund der fortbestehenden Kampffähigkeit davon ausgehen können, dass der Nebenkläger nicht tödlich verletzt sei, und sei vom Versuch des (unbeendeten) Tötungsdelikts zurückgetreten. Die weiteren Verletzungen habe er dem Nebenkläger mit Körperverletzungsvorsatz zugefügt. Frühestens gegen Ende des Kampfgeschehens, also geraume Zeit danach, seien die ersten Anzeichen erkennbar geworden, dass der Nebenkläger schwerer verletzt sein könnte. Dass er zu einem späteren Zeitpunkt aufgrund des massiven Blutverlusts des Nebenklägers eine tödliche Verletzung für möglich gehalten habe, sei irrelevant (UA 35).
II.
Die Revision des Nebenklägers ist zulässig, soweit sie sich dagegen richtet, dass der Angeklagte nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts verurteilt worden ist. Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts nicht durchgreifen, führt die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Jugendkammer des Landgerichts.
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts weist, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat, keinen Rechtsfehler auf.
2. Die Annahme eines Rücktritts vom unbeendeten Tötungsversuch hält rechtlicher Nachprüfung hingegen nicht stand, weil das Landgericht die Möglichkeit einer sogenannten umgekehrten Korrektur des Rücktrittshorizonts nicht bedacht hat.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 mwN). Der sogenannte Rücktrittshorizont kann in engen Grenzen allerdings noch nachträglich korrigiert werden: Wenn der Täter, der nach der letzten Ausführungshandlung den Erfolgseintritt zunächst für möglich hält, unmittelbar darauf erkennt, dass er sich geirrt hat, kann er durch Abstandnahme von weiteren möglichen Ausführungshandlungen mit strafbefreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten (BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224). Rechnet der Täter zunächst nicht mit einem tödlichen Ausgang, ist auch eine sogenannte umgekehrte Korrektur des Rücktrittshorizontes möglich, wenn er unmittelbar darauf erkennt, dass er sich insoweit geirrt hat. In diesem Fall liegt ein beendeter Versuch vor. Dies gilt jedoch nur dann, wenn die Korrektur der Vorstellung des Täters bei fortbestehender Handlungsmöglichkeit sogleich nach der letzten Tathandlung in engstem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dieser erfolgt (BGH, Urteil vom 15. Juni 1988 - 2 StR 157/88, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 15; Urteil vom 18. August 1998 - 5 StR 189/98, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 12; Beschluss vom 6. Februar 2008 - 5 StR 590/07, StraFo 2008, 212; Beschluss vom 6. Oktober 2009 - 3 StR 384/09, NStZ 2010, 146; vgl. Lilie/Albrecht in LK, StGB, 12. Aufl., § 24 Rn. 179, 181).
Das Landgericht ist zwar mit tragfähigen Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte nach Ausführung des ersten Messerstichs mit der Ablage des Messers strafbefreiend von dem nach seiner Vorstellung zu diesem Zeitpunkt unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts zurücktrat und während des nachfolgenden Gerangels mit dem Nebenkläger von weiteren mit Tötungsvorsatz ausgeführten Angriffen absah. Mit der Frage, ob der festgestellte Wechsel des Vorstellungsbildes „gegen Ende des Kampfgeschehens“ - der Angeklagte hatte nunmehr den massiven Blutverlust beim Nebenkläger erkannt und hielt es zu diesem Zeitpunkt für möglich, den Nebenkläger doch tödlich verletzt zu haben - zu einer Korrektur des Rücktrittshorizonts und zum Vorliegen eines beendeten Versuchs geführt hat, hat sich das Landgericht nicht erkennbar auseinandergesetzt. Es hat lediglich pauschal darauf verwiesen, diese spätere Erkenntnis sei „irrelevant“, ohne dies zu begründen. Dies lässt besorgen, dass die Strafkammer dem nachträglichen Wechsel des Vorstellungsbildes des Angeklagten von vorneherein für die Rücktrittsfrage jede Bedeutung abgesprochen und die Möglichkeit einer nachträglichen - umgekehrten - Korrektur des Rücktrittshorizonts nicht in den Blick genommen hat. Der für die Annahme einer solchen Korrektur des Rücktrittshorizonts erforderliche zeitliche und räumliche Zusammenhang lag nach den Feststellungen des Landgerichts indes nahe, die Frage einer umgekehrten Korrektur des Rücktrittshorizonts war mithin erörterungsbedürftig.
Es ist zwar davon auszugehen, dass zwischen dem mit Tötungsvorsatz geführten Messerstich und dem Wechsel des Vorstellungsbildes gegen Ende der Kampfhandlungen ein gewisser zeitlicher Abstand lag. Feststellungen hierzu hat das Landgericht indes nicht getroffen, so dass schon aus diesem Grund nicht beurteilt werden kann, ob der zeitliche Ablauf des Geschehens eine Zäsur herbeiführte, die einer nachträglichen umgekehrten Korrektur des Rücktrittshorizonts und damit dem Vorliegen eines beendeten Versuchs entgegenstand. Hinzu kommt, dass es sich bis zum Ende des Kampfes um ein ohne wesentliche Zwischenakte ablaufendes, von demselben Handlungsziel, nämlich der beabsichtigten Wegnahme von Betäubungsmitteln, getragenes dynamisches Geschehen handelte, was wiederum für den geforderten engen Zusammenhang mit der Tötungshandlung sprechen könnte.
Mit alledem hat sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Der Erörterungsmangel führt zur Aufhebung des Urteils in seiner Gänze. Da eine Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts in Tateinheit mit den ausgeurteilten übrigen Taten stünde, werden diese, obwohl sie rechtsfehlerfrei festgestellt sind, von der Urteilsaufhebung mit erfasst (BGH, Urteil vom 7. März 1996 - 1 StR 688/95, NJW 1996, 2171, 2172 mwN; Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Urteil vom 10. September 2015 - 4 StR 151/15, NJW 2015, 3732, 3733).
3. Dass das Landgericht ein neues - durch Unterlassen begangenes - versuchtes Tötungsdelikt nicht erörtert hat, begründet keinen Verstoß gegen die Kognitionspflicht. Angesichts der Anwesenheit von ersichtlich hilfsbereiten Dritten vor Ort bestand zu dahingehenden Erörterungen kein Anlass.
4. Die nach § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils auch zugunsten des Angeklagten hat keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
5. Soweit sich die Revisionsbegründung gegen die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils richtet, fehlt es an der notwendigen rechtzeitigen Kostenbeschwerde.
Sost-Scheible |
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Roggenbuck |
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Quentin |
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Feilcke |
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