Entscheidungsdatum: 09.05.2012
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 27. Januar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Wirtschaftsstrafkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten der Untreue schuldig gesprochen. Gegen die Angeklagten B. , P. und W. hat es Geldstrafen, gegen den Angeklagten Dr. S. eine Freiheitsstrafe verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revisionen führen mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils; auf die ebenfalls erhobenen Verfahrensrügen kommt es daher nicht an.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Die Angeklagten Dr. S. , B. und W. vertraten seit 1994 als Rechtsanwälte – zunächst einzeln, später auch durch eine zu diesem Zweck mit dem weiteren Rechtsanwalt Dr. G. , einem Sozius des Angeklagten P. , gegründete Arbeitsgemeinschaft – eine große Zahl Geschädigter bei der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen, die sie daraus herleiteten, diese seien Opfer betrügerischer, kreditfinanzierter Immobilienverkäufe geworden. Die Angeklagten führten für die Geschädigten Vergleichsverhandlungen mit den Banken, die den Ankauf der Immobilien finanziert hatten, so auch mit der B. Bank in S. . Am 9. Oktober 1996 schloss die Arbeitsgemeinschaft für die geschädigten Darlehensnehmer einen Vergleich mit der B. Bank, in dem sich die Bank von ihren Kunden etwaige Schadenersatzansprüche gegen Mitarbeiter der D. Bank wegen der Bewilligung von Kreditmitteln trotz (behaupteter) Kenntnis von der betrügerischen Grundlage der Immobilienverkäufe abtreten ließ. Diese Ansprüche trat die B. Bank ihrerseits an eine Tochtergesellschaft ab.
Nachdem die B. Bank am 21. April 1997 die (weitere) Abtretung der von den Geschädigten an sie abgetretenen Ansprüche an den Angeklagten Dr. S. und an Dr. G. erklärt hatte, gründeten die Angeklagten und Dr. G. am 11. Dezember 1998 den "Verein der D. Bank Geschädigten Immobilien- und Campingplatzanleger e.V.", dessen Mitglieder sich aus den Kanzleien der Angeklagten rekrutierten und dessen Vorsitzende der Angeklagte Dr. S. und Dr. G. wurden. Der Verein sollte bei der gerichtlichen Geltendmachung der Schadenersatzansprüche als Kläger fungieren. Über die Möglichkeit der Klage hatten die Angeklagten zuvor Gespräche mit den Rechtsschutzversicherungen ihrer Mandanten geführt, die teilweise Deckungszusagen abgegeben bzw. Kostenvorschüsse gezahlt hatten.
Am 12. Februar 1999 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Vereins auf Veranlassung der Angeklagten ohne Wissen der Geschädigten, denen auch die Rückabtretung der Forderungen an den Angeklagten Dr. S. und an Dr. G. sowie die Vereinsgründung nicht bekannt waren, den Erlass eines Mahnbescheides gegen die D. Bank über knapp 30 Millionen DM, was der Summe der Einzelforderungen der insgesamt 3.063 Geschädigten entsprach. Nach Überleitung ins streitige Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt a. M. bestritt die D. Bank die Aktivlegitimation des Vereins und berief sich auf die Einrede der Verjährung. Daraufhin wurde am 23. Mai 2000 im Prozess auf Betreiben des Angeklagten Dr. S. und des Dr. G. zum einen ein Vertrag vorgelegt, mit dem jene die ursprünglich den Geschädigten zustehenden Forderungen in die Arbeitsgemeinschaft einbrachten, zum anderen ein Treuhandvertrag, mit dem die Arbeitsgemeinschaft die Forderungen zur gerichtlichen Geltendmachung an den Verein abtrat. Die Einreichung dieser – vordatierten – Verträge bei Gericht ist Gegenstand einer Verurteilung u.a. des Angeklagten Dr. S. wegen versuchten Betruges durch das Landgericht Bielefeld vom 31. Juli 2003.
Angesichts des Risikos, im Falle des Unterliegens im Prozess für die Kosten der ohne Abstimmung mit den Anlegern erhobenen Klage einstehen zu müssen, schrieben die Angeklagten unter dem 3. Juli 2000 alle Geschädigten an, setzten sie von der Vereinsgründung und der Klageerhebung in Kenntnis und baten um Übersendung einer vorgefertigten Erklärung über die "Genehmigung" der Klage des Vereins gegen die D. Bank. Ein Teil der Angeschriebenen folgte dieser Aufforderung, andere reagierten nicht; konkrete Feststellungen zur Zahl der genehmigenden Geschädigten hat das Landgericht nicht getroffen.
Nachdem das Landgericht Frankfurt a. M. mit Urteil vom 19. September 2000 die Klage wegen fehlender materieller Rechtsinhaberschaft der B. Bank bei Abtretung der Ansprüche an den Angeklagten Dr. S. und an Dr. G. abgewiesen hatte, ließen die Angeklagten den Prozessbevollmächtigten des Vereins vollumfänglich Berufung einlegen. Mit Schreiben vom 15. Januar 2001 forderten sie die Geschädigten auf, eine Erklärung dazu abzugeben, ob die Berufung hinsichtlich des auf sie entfallenden Anteils der Klagesumme fortgeführt werden solle oder nicht; wie viele Geschädigte in welcher Weise auf dieses Schreiben reagierten, teilen die Urteilsgründe nicht mit.
Mit Schriftsatz vom 7. Januar 2002 nahm der Prozessbevollmächtigte des Vereins sodann die Berufung hinsichtlich eines Teilbetrages von etwa 7,5 Millionen Euro zurück; dies entsprach der Summe der Ansprüche derjenigen Geschädigten, die keine Genehmigung erklärt und deren Rechtsschutzversicherungen keine Kostendeckung zugesagt oder Vorschüsse gezahlt hatten.
Mit Beschluss vom 21. Mai 2004 schlug das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. einen Vergleich vor, nach dem die D. Bank zum Ausgleich der noch streitgegenständlichen Forderung 750.000 Euro zahlen sollte. In der Befürchtung, hinsichtlich des nicht mehr streitgegenständlichen Teils der Klagforderung endgültig die Kostenlast zu tragen, ließen die Angeklagten gegenüber dem Prozessvertreter der D. Bank eine "redaktionelle Änderung" durchsetzen, der zufolge die Vergleichssumme zum Ausgleich nicht nur für die noch verfahrensgegenständlichen, sondern für alle jemals mit der Klage geltend gemachten Forderungen dienen sollte. Auf Grundlage dieses Vergleichs – der am 23. Juli 2004 in der von den Angeklagten gewünschten Form geschlossen wurde – wollten diese sämtliche durch die Klage verursachten Kosten von der Vergleichssumme abziehen, insbesondere die von ihnen im Laufe des Verfahrens verauslagten Kosten.
Entsprechend diesem Vorhaben wurden auf einer Mitgliederversammlung des Vereins – dessen Regie durchgängig in der Hand der Angeklagten lag – am 22. September 2004 die Rückzahlung der durch die Angeklagten verauslagten Kosten und die Bezahlung der für den Verein tätig gewordenen Rechtsanwälte aus der Vergleichssumme beschlossen. Der Beschluss wurde in der Folgezeit durch Auszahlung an die Angeklagten und die Prozessbevollmächtigten beider Instanzen ausgeführt. Eine Abrechnung gegenüber den Geschädigten und eine Auskehrung der restlichen Vergleichssumme an diese erfolgte erst Ende 2009.
II.
Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagten habe eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den 1.538 Geschädigten, deren Schäden nach Teilrücknahme der Berufung noch Gegenstand des Zivilrechtsstreits vor dem Oberlandesgericht Frankfurt a. M. waren, ohne Rücksicht darauf getroffen, ob diese die von den Angeklagten erbetene "Genehmigung" erteilt oder deren Rechtsschutzversicherungen einen Kostenvorschuss gezahlt bzw. eine Deckungszusage abgegeben hätten. Dies begegnet auf Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen in mehrfacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Hinsichtlich derjenigen Geschädigten, die die mit Schreiben der Angeklagten vom 3. Juli 2000 erbetene "Genehmigung" nicht erteilten, deren Rechtsschutzversicherungen aber einen Kostenvorschuss zahlten bzw. eine Kostenzusage abgaben, hat das Landgericht die Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht der Angeklagten auf deren faktische Herrschaft über die Vermögensinteressen jener Geschädigten gestützt. Diese faktische Herrschaft hat es daraus abgeleitet, dass die Geschädigten "von der Kostenlast befreit waren" und "aus der etwa erfolgreichen Einklagung ihrer Forderung nur Vorteile haben" konnten (UA 48). Damit ist eine solche faktische Herrschaft indessen nicht hinreichend belegt. Ob und in welchem Umfang die Begründung von Vermögensbetreuungspflichten aus faktischen Gegebenheiten im Hinblick auf den Gewährleistungsgehalt von Art. 103 Abs. 2 GG nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2010 (2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170) überhaupt noch in Betracht kommt, bedarf daher im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
a) Dass aus der vom Landgericht allein angeführten Vorteilhaftigkeit der über den Verein als Kläger durchgeführten Geltendmachung von ursprünglich den Geschädigten zustehenden Schadenersatzansprüchen den Angeklagten eine besondere Möglichkeit erwuchs, auf das Vermögen der Geschädigten einzuwirken (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 1991 – 2 StR 24/91), ist nicht ersichtlich.
b) Auch im Übrigen tragen die Feststellungen bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände (vgl. Senatsbeschluss vom 7. November 1996 – 4 StR 423/96, NStZ 1997, 124) die Annahme einer faktischen Herrschaft der Angeklagten über die Vermögensinteressen jener Geschädigten nicht. Insbesondere folgt eine solche nicht daraus, dass die Angeklagten über den Geschädigten zustehende Schadenersatzansprüche hätten verfügen können.
aa) Für diejenigen Geschädigten, die den Immobilienkauf über die B. Bank finanziert hatten, ergibt sich aus den in diesem Zusammenhang mitgeteilten Gründen des gegen den Angeklagten Dr. S. ergangenen Urteils des Landgerichts Bielefeld vom 31. Juli 2003 wegen versuchten Betruges, dass die von der B. Bank am 21. April 1997 erklärte Abtretung der Ansprüche an den Angeklagten Dr. S. und an Dr. G. ins Leere ging, weil die B. Bank nach Abtretung an ihre Tochtergesellschaft nicht mehr Anspruchsinhaberin war. Die dortigen Feststellungen hat das Landgericht, das auf die Gründe des Urteils vom 31. Juli 2003 Bezug nimmt (z.B. UA 9), offenbar auch im hiesigen Verfahren zugrunde gelegt, wenngleich es an anderer Stelle von jenem Urteil abweichende Feststellungen getroffen hat. Danach ergibt sich aber zu keinem Zeitpunkt eine Anspruchsinhaberschaft der Angeklagten bzw. der Arbeitsgemeinschaft oder des Vereins, aus der sich die Möglichkeit der Einwirkung auf das Vermögen jener Geschädigten ableiten ließe.
bb) Eine solche Möglichkeit lässt sich den Feststellungen auch hinsichtlich derjenigen Geschädigten, die den Immobilienkauf durch andere Banken finanzierten, nicht entnehmen. Es geht aus den Urteilsgründen bereits nicht hervor, ob unter den 3.063 durch den Verein geltend gemachten Einzelforderungen überhaupt solche von Geschädigten waren, die Darlehen bei anderen Banken aufgenommen hatten; ebenso wenig hat das Landgericht Feststellungen dazu getroffen, ob auch diese Geschädigten im Rahmen von Vergleichen Schadenersatzansprüche gegen die D. Bank abgetreten haben oder ob sie deren Inhaber geblieben sind und diese Ansprüche – ggf. vertreten durch einen der Angeklagten oder die Arbeitsgemeinschaft – an diese oder den Verein abgetreten haben.
c) Eine andere Grundlage für eine Vermögensbetreuungspflicht der Angeklagten gegenüber denjenigen Geschädigten, die die erbetene "Genehmigung" nicht erteilten, deren Rechtsschutzversicherungen aber einen Kostenvorschuss zahlten bzw. eine Kostenzusage abgaben, ist durch die Urteilsgründe ebenfalls nicht belegt. Die Frage, ob sich aus der ursprünglichen Mandatierung oder aus einem durch die Rechtsschutzversicherung als Vertreterin des jeweiligen Geschädigten geschlossenen Anwaltsvertrag für die Angeklagten durch Rechtsgeschäft begründete Vermögensfürsorgepflichten ergaben, hat das Landgericht ausdrücklich offen gelassen und keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen. Eine Geschäftsführung ohne Auftrag begründet für sich genommen kein Treueverhältnis, das Grundlage für eine Verurteilung wegen Untreue bilden könnte (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1954 – 5 StR 556/54, LM Nr. 21 zu § 266 StGB).
2. Weil nach alledem eine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich derjenigen Geschädigten, deren Schäden noch in der Berufungsinstanz geltend gemacht wurden, ohne dass sie dies genehmigt hatten, nicht rechtsfehlerfrei festgestellt ist und das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, wie hoch deren Anteil an den 1.538 zuletzt noch "vertretenen" Geschädigten war, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, bei wie vielen Geschädigten das Landgericht von einer – grundsätzlich möglichen (vgl. Senatsurteil vom 11. November 1982 – 4 StR 406/82, NStZ 1983, 168) – rechtsgeschäftlich begründeten Vermögensbetreuungspflicht durch eine in der mit Schreiben vom 3. Juli 2000 erbetenen Genehmigung liegende Mandatierung ausgegangen ist. Damit fehlt es aber dem Schuldspruch insgesamt an einer tragfähigen Tatsachengrundlage; darauf, dass das Landgericht keine ausreichenden Feststellungen zum Inhalt des Anwaltsvertrages und damit zum Inhalt und zur Reichweite einer aus ihm resultierenden Vermögensbetreuungspflicht getroffen hat, kommt es daher nicht an.
III.
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Den Urteilsgründen lässt sich nicht hinreichend deutlich entnehmen, welches Verhalten der Angeklagten das Landgericht als tatbestandsmäßige Pflichtverletzung angesehen hat. Als Tathandlung kommt danach zum einen die Auszahlung an sich sowie an die Prozessvertreter und die anschließende Nichtabrechnung (z.B. UA 42, UA 48) in Betracht, wobei unklar ist, ob das Landgericht die Pflichtverletzung darin gesehen hat, dass überhaupt Abzüge von der Vergleichssumme vorgenommen wurden (so wohl UA 49), oder darin, dass die Angeklagten aus der Vergleichssumme die Kosten auch insoweit beglichen, als sie sie wegen der ohne Mandat erhobenen Klage selbst hätten tragen müssen (so wohl UA 48, UA 54). Zum anderen legen die Urteilsgründe nahe, dass das Landgericht bereits den Vergleichsschluss selbst als tatbestandsmäßige Pflichtverletzung angesehen hat (UA 19: "Sie [die Angeklagten] beabsichtigten, die an dem Berufungsverfahren letztlich noch teilnehmenden Mandanten dadurch zu schädigen, dass sich durch diese Regelung [den Vergleich] ihr Anteil an der Vergleichssumme […] entsprechend verminderte"). Auch soweit das Landgericht darauf abstellt, dass sich durch die von den Angeklagten veranlasste Änderung des Vergleichs die Vergleichsgebühr nach dem ursprünglichen Klagestreitwert und nicht nach dem infolge der Teilrücknahme der Berufung geringeren Streitwert gerichtet habe (UA 20), knüpft dies an eine bereits in dem Abschluss des Vergleichs liegende Pflichtverletzung an. Sofern der neue Tatrichter wiederum zur Annahme einer Vermögensbetreuungspflicht der Angeklagten gelangt, wird er konkrete Feststellungen zu ihrem Inhalt und Reichweite zu treffen und auf dieser Grundlage eine eindeutige Bestimmung der als tatbestandlich erachteten Pflichtverletzung vorzunehmen haben.
2. Bei der Feststellung eines auf einer etwaigen Pflichtverletzung beruhenden Schadens wird der neue Tatrichter die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170) zu beachten und bei Bestimmung des Schadens unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in den Blick zu nehmen haben, dass – die Feststellungen aus dem gegen den Angeklagten Dr. S. ergangenen Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 31. Juli 2003 als gegeben vorausgesetzt – diejenigen Geschädigten, die den Immobilienkauf über die B. Bank finanziert hatten, von der D. Bank überhaupt keinen Schadenersatz (mehr) hätten verlangen können.
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin