Entscheidungsdatum: 13.04.2017
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. September 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat den Angeklagten K. C. der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen und den Angeklagten Ka. C. der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Angeklagten K. C. hat es zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten und den Angeklagten Ka. C. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr - unter Strafaussetzung zur Bewährung - verurteilt. Ferner hat es mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zugunsten beider Angeklagter Kompensationsentscheidungen getroffen.
Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten jeweils die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
I.
Die Verfahrensrügen beider Angeklagter sind nicht näher ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
II.
Jedoch führt die von beiden Angeklagten erhobene Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Hintergrund der Anklagevorwürfe ist eine körperliche Auseinandersetzung zwischen den Angeklagten einerseits und den mit ihnen schon vor der Tat zerstrittenen Nebenklägern A. und H. Ce. andererseits. Zum Tatzeitpunkt wohnten alle vier Personen mit ihren Familien in demselben Häuserblock. Eingedenk des fortdauernden Streites gerieten am Tatabend, dem 27. Oktober 2013, zunächst der Angeklagte K. C. und der Nebenkläger H. Ce. bei einem zufälligen Treffen vor der Wohnung der Angeklagten aneinander und führten ein lautstarkes Streitgespräch, in dessen Verlauf der Angeklagte dem Nebenkläger ein etwa 15 cm langes Messer vorhielt, es aber eingeschüchtert wieder einsteckte, als der Nebenkläger ihm eine Ohrfeige versetzte und weitere Schläge androhte. Als kurz darauf auch der Nebenkläger A. Ce. in Begleitung seines Neffen, des Zeugen S. Ce. , am Ort des Geschehens erschien und die angespannte Stimmung bemerkte, blieb er zur Unterstützung des Nebenklägers H. Ce. vor dem Wohnblock.
Der Nebenkläger H. Ce. wollte nunmehr auch mit dem Angeklagten Ka. C. über den Anlass des Streits sprechen. Dieser erschien, von dem Mitangeklagten telefonisch benachrichtigt, vor dem Haus. K. C. hoffte nunmehr, einer Fortsetzung des Streits durch Flucht in den Hausflur entgehen zu können, wurde aber vom Nebenkläger H. Ce. zurückgehalten. Zwischen H. Ce. und dem hinzugekommenen Angeklagten Ka. C. entwickelte sich sogleich ein aggressives Streitgespräch, in dessen Verlauf der Angeklagte eine „dominante Körpersprache“ einsetzte und mit den Händen fuchtelte, woraufhin ihm H. Ce. - für den Angeklagten erkennbar „als Kommunikationsmittel und nicht als Einleitung zu weiteren Schlägen“ - eine Ohrfeige verabreichte. Um sich dafür zu revanchieren und H. Ce. „über eine legitime Abwehrmaßnahme hinaus“ zu verprügeln, attackierte ihn der Angeklagte Ka. C. , ohne jedoch eine Waffe einzusetzen. In der Absicht, in diese Prügelei „einzugreifen“, bewegte sich daraufhin der Nebenkläger A. Ce. auf die Prügelnden zu. Obwohl Ce. dabei eine Absicht, den Angeklagten Ka. C. anzugreifen, „nicht erkennen ließ“, zog der Angeklagte K. C. sein Messer und stach damit nach A. Ce. , wobei „ihm bewusst war, dass dies kein legitimes Verteidigungshandeln zu Gunsten des Angeklagten Ka. C. darstellte“. K. C. traf A. Ce. mit der Messerklinge in Höhe des Oberbauchs; der Nebenkläger, der eine lebensgefährliche Leberverletzung erlitt, zog sich zurück und ging hinter einer nahe gelegenen Hecke liegend in Deckung. Der Angeklagte K. C. verfolgte ihn noch einige Schritte, verzichtete jedoch auf weitere, ihm noch mögliche Attacken mit dem Messer, wobei er - zutreffend - annahm, der Nebenkläger werde den Messerstich überleben.
Der Angeklagte Ka. C. hatte in der Zwischenzeit den Nebenkläger H. Ce. zu Boden gebracht und so die Oberhand über ihn gewonnen. Mit der einen Hand würgte er ihn, mit der anderen führte er seinen aus der Hose gezogenen Gürtel mit der Schnalle am losen Ende als Schlagwerkzeug und fügte dem Nebenkläger auf diese Weise mehrere Platzwunden, u.a. am Kopf, zu. K. C. kam hinzu und griff den Nebenkläger H. Ce. mit dem Messer an, der seinerseits bei der Abwehr des Angriffs eine Schnittwunde am Arm erlitt. Beide Nebenkläger wichen sodann zurück; die Angeklagten wurden von in der Zwischenzeit alarmierten Nachbarn zurückgehalten.
b) Das Landgericht hat den Stich des Angeklagten K. C. in den Bauch des Nebenklägers A. Ce. rechtlich als gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gewürdigt. Von dem (unbeendeten) Versuch eines Tötungsdelikts zum Nachteil dieses Nebenklägers sei der Angeklagte strafbefreiend zurückgetreten. Die Schnittwunde, die der Nebenkläger H. Ce. bei der Abwehr der Messerattacke des K. C. erlitten habe, erfülle (tatmehrheitlich) den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB. Der Angeklagte Ka. C. sei wegen der Schläge mit der Gürtelschnalle auf den Kopf des am Boden liegenden Nebenklägers H. Ce. ebenfalls gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4 StGB zu bestrafen.
2. Das Landgericht hat hinsichtlich des ersten Handlungsabschnitts (Messerstich des K. C. ) rechtsfehlerhaft den Rechtfertigungsgrund der Notwehr bzw. Nothilfe (§ 32 StGB) nicht erörtert. Die insoweit maßgeblichen Erwägungen kann der Senat daher lediglich den Feststellungen entnehmen, wonach der Angeklagte K. C. dem A. Ce. den Messerstich versetzte, als dieser in die Prügelei zwischen dem Angeklagten Ka. C. und dem Nebenkläger H. Ce. eingreifen wollte, dabei aber nicht hatte erkennen lassen, dass er den Ka. C. angreifen würde. Die insoweit getroffenen Feststellungen sind jedoch unzureichend, um eine für den Angeklagten K. C. bestehende Notwehr- bzw. Nothilfelage objektiv und subjektiv auszuschließen.
a) Das Landgericht hat keine Feststellungen zur objektiven „Kampflage“ und dazu getroffen, welche Absichten der Nebenkläger A. Ce. hatte, als er sich näherte, um in die zwischen dem Angeklagten Ka. C. und dem Nebenkläger H. Ce. stattfindende Auseinandersetzung einzugreifen. Dem Senat ist daher schon die Prüfung verwehrt, ob die Strafkammer von einem zutreffenden Begriff des gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs im Sinne des § 32 StGB ausgegangen ist. Vor dem Hintergrund der zum Geschehensverlauf getroffenen Feststellungen war dies insbesondere deshalb von Bedeutung, weil für die Gegenwärtigkeit des Angriffs nicht erst die Vornahme der Verletzungshandlung entscheidend ist, sondern bereits der Zeitpunkt der durch den bevorstehenden Angriff geschaffenen bedrohlichen Lage (vgl. dazu nur BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1991 - 2 StR 535/91, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5 mwN). Wegen der lückenhaften Feststellungen kann der Senat auch nicht prüfen, ob an das Merkmal der erforderlichen Verteidigung ein zutreffender rechtlicher Maßstab angelegt worden ist. Denn der Rahmen der erforderlichen Verteidigung wird von den gesamten Umständen der objektiven Kampflage bestimmt, namentlich vom konkreten Ablauf von Angriff und Abwehr, von Stärke und Gefährlichkeit des Angreifers und den Verteidigungsmöglichkeiten des Angegriffenen (vgl. nur BGH, Urteile vom 28. Februar 1989 - 1 StR 741/88, NJW 1989, 3027; vom 19. November 1992 - 4 StR 464/92, BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 9; Beschluss vom 5. November 1982 - 3 StR 375/82, NStZ 1983, 117; SSW-StGB/Rosenau, 3. Aufl., § 32 Rn. 26 mwN). Maßgebend sind insoweit ferner die Absichten des Angreifers und die von ihm ausgehende Gefahr einer Rechtsgutsverletzung (BGH, Urteil vom 24. November 2016 - 4 StR 235/16 mwN). Im Hinblick darauf, dass zu den Einzelheiten der Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten Ka. C. und dem Nebenkläger H. Ce. und deren körperlichen Verhältnissen konkrete Feststellungen ebenso fehlen wie zur Vorstellung des Nebenklägers A. Ce. über die konkrete Art und Weise des von ihm beabsichtigten Eingreifens, erweist sich die zusammenfassende Bewertung der Strafkammer, bei dem Messerstich habe es sich nicht um ein „legitimes Verteidigungshandeln“ zu Gunsten des Mitangeklagten Ka. C. gehandelt, als nicht tragfähig.
b) Auch wenn objektiv ein Angriff durch den Nebenkläger A. Ce. nicht bevorstand, hätte das Landgericht weiter feststellen müssen, welche Vorstellungen der Angeklagte K. C. im Tatzeitpunkt über das weitere Verhalten des Nebenklägers hatte. Hätte der Angeklagte nämlich mit einem unmittelbar bevorstehenden rechtswidrigen Angriff gerechnet und damit einen Sachverhalt angenommen, der ihn - falls er zuträfe - zur Nothilfe zu Gunsten des Mitangeklagten berechtigte, kämen gegebenenfalls die rechtlichen Grundsätze der Putativnotwehr in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2002 - 3 StR 503/01, NStZ-RR 2002, 203, 204; Beschluss vom 11. Dezember 1991 aaO).
3. Wegen des dynamischen Geschehens mit gegenläufigen Handlungssträngen von insgesamt vier Beteiligten kann der Senat nicht ausschließen, dass sich die durchgreifenden Feststellungsmängel nicht nur zum Nachteil des Angeklagten K. C. , sondern auch zum Nachteil des Mitangeklagten Ka. C. ausgewirkt haben. Aus diesem Grund hebt der Senat das Urteil des Landgerichts insgesamt mit den Feststellungen auf.
III.
Zur Abfassung der Urteilsgründe merkt der Senat ergänzend an, dass bei dem hier vorliegenden unübersichtlichen Tatgeschehen mit mehreren Beteiligten die von der Strafkammer vorgenommene Nummerierung der handelnden Personen, auch wenn diese teilweise übereinstimmende Vor- bzw. Familiennamen haben, dem Verständnis des festgestellten Geschehens schon für sich genommen nicht dienlich ist. Greift der Tatrichter gleichwohl zu dieser Methode, sollte er Bedacht darauf nehmen, dass die Bezeichnung der Beteiligten auch durchgehend zutrifft. Ist dies, wie hier, nicht durchgängig der Fall (vgl. nur UA 6 oben [Angeklagter statt Nebenkläger]; UA 7 Mitte, 3. Absatz, Zeilen 5 u. 6 [Angeklagter zu 2 statt Angeklagter zu 1]), wird die Verständlichkeit der Urteilsgründe nicht unerheblich erschwert.
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Feilcke |
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