Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 24.10.2017


BGH 24.10.2017 - 4 StR 334/17

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Verkehrsfeindlicher Inneneingriff


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
24.10.2017
Aktenzeichen:
4 StR 334/17
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2017:241017B4STR334.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Görlitz, 28. März 2017, Az: 560 Js 17436/19 - 9 KLs
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz - Außenkammer Bautzen - vom 28. März 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) in den Aussprüchen über

aa) die Gesamtstrafe,

bb) die Maßregel.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur vorsätzlichen Brandstiftung sowie wegen vorsätzlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und die Entziehung seiner Fahrerlaubnis für die Dauer von einem Jahr angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner allgemein auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Der Schuldspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde.

3

a) Nach der Rechtsprechung des Senats setzt die Strafbarkeit nach § 315b Abs. 1 StGB bei einem sog. verkehrsfeindlichen Inneneingriff, von dessen Vorliegen das Landgericht hier ausgegangen ist, voraus, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass es der Täter mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht. Erst dann liegt eine über den Tatbestand des § 315c StGB hinausgehende und davon abzugrenzende verkehrsatypische „Pervertierung“ eines Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen „Eingriff“ in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB vor (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2003 - 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233; Beschlüsse vom 22. November 2011 - 4 StR 522/11, NStZ-RR 2012, 123; vom 16. März 2010 - 4 StR 82/10, StraFo 2010, 259; vom 9. Februar 2010 - 4 StR 556/09, NStZ 2010, 391, 392).

4

Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert zudem, dass durch eine der in den Nummern 1 bis 3 des § 315b Abs. 1 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert verdichtet hat. Dabei muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben, in der - was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiven nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. März 2017 - 4 StR 53/17, NStZ-RR 2017, 224; vom 10. Dezember 2009 - 4 StR 503/09, NStZ-RR 2010, 120 f.; vom 3. November 2009 - 4 StR 373/09, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff, erheblicher 6).

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b) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht diese Voraussetzungen bejaht hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

6

aa) Dies gilt zunächst mit Blick auf das Erfordernis eines zumindest bedingten Schädigungsvorsatzes des Täters. Zwar hat die Strafkammer angenommen, dass der Angeklagte beim Zufahren auf den Polizeibeamten L.    „eine nicht unerhebliche Verletzung des Zeugen zumindest billigend in Kauf nahm, wenn dieser nicht zur Seite springen würde“ (UA S. 8). Jedoch begegnen die dieser Annahme zugrundeliegenden Erwägungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Denn das Landgericht, das sachverständig beraten davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte mit einer Geschwindigkeit von mehr als 10 km/h bis höchstens 39 km/h auf den Zeugen L.    zufuhr, hat seine Annahme eines Schädigungsvorsatzes des Angeklagten maßgeblich damit begründet, dem Zeugen L.    - der zur Seite wich, als der Pkw noch etwa fünf bis acht Meter entfernt war - hätten „bei der Annahme der maximal zu erreichenden Beschleunigung“ des Fahrzeugs auf 39 km/h nur 0,4 bis 0,75 Sekunden zum Ausweichen zur Verfügung gestanden, womit er sich „im gerade noch beherrschbaren Grenzbereich einer erfolgreichen Ausweichbewegung“ befunden habe (UA S. 17). Damit hat die Strafkammer ihrer Berechnung der dem Zeugen zur Verfügung stehenden Ausweichzeit und ihrer hierauf gestützten Annahme eines Schädigungsvorsatzes - in Umkehrung des Zweifelsgrundsatzes - die für den Angeklagten ungünstigste der in Betracht kommenden Geschwindigkeiten zugrunde gelegt; dieses Vorgehen war unzulässig.

7

bb) Darüber hinaus kann den Feststellungen auch keine konkrete Gefahr für den Zeugen L.    entnommen werden. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte - nachdem der Zeuge, als der Pkw noch ca. fünf bis acht Meter entfernt war, zur Seite gewichen war und so den Fahrweg freigegeben hatte - in einer Entfernung von etwa „einer Armlänge“ an dem Zeugen vorbeifuhr (UA S. 8). Ein Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem „Beinahe-Unfall“ gekommen ist, also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen“, erschließt sich daraus nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. November 2011 - 4 StR 522/11, NStZ-RR 2012, 123, 124; vom 5. August 1986 - 4 StR 359/86, BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff, erheblicher 1).

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c) Die tateinheitliche Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung durch das Zufahren auf den Zeugen L.    hat ebenfalls keinen Bestand. Die vorstehend - mit Blick auf eine Strafbarkeit nach § 315b StGB - erörterten Bedenken gegen die Annahme eines Schädigungsvorsatzes stehen auch der Annahme eines Tatentschlusses des Angeklagten zur Begehung einer gefährlichen Körperverletzung entgegen.

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2. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 2 der Urteilsgründe und der zugehörigen Einzelstrafe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe sowie der Maßregel gemäß § 69 StGB nach sich.

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Das neu erkennende Tatgericht wird, sofern erneut eine Maßregel nach § 69 StGB anzuordnen ist, Gelegenheit haben, auch eine Entscheidung über die Einziehung des polnischen Führerscheins des Angeklagten zu treffen.

Sost-Scheible     

       

Bender     

       

Feilcke

       

Paul     

       

Grube