Entscheidungsdatum: 20.12.2012
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 3. April 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten A. C. und M. C. der Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung, gefährlicher Körperverletzung, gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr sowie unerlaubtem Entfernen vom Unfallort und Sachbeschädigung schuldig gesprochen, den Angeklagten A. C. darüber hinaus der tateinheitlich begangenen Körperverletzung. Es hat den Angeklagten A. C. zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und den Angeklagten M. C. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafen jeweils zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten H. C. hat es wegen Nötigung in Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 40 € verurteilt. Ferner hat das Landgericht einen sichergestellten Pkw eingezogen und hinsichtlich der Angeklagten A. und M. C. Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Die Revisionen, mit denen die Angeklagten jeweils die Verletzung materiellen Rechts rügen, haben Erfolg.
A.
Der Senat ist ordnungsgemäß besetzt.
Da der Eintritt des planmäßigen Vorsitzenden eines richterlichen Spruchkörpers in den Ruhestand der in § 21f GVG geregelten Verhinderung gleichsteht (BVerfGE 18, 423, 426; RGSt 56, 63; 62, 273), ist mit dem Eintritt des Vorsitzenden Richters am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann in den Ruhestand mit Wirkung zum 30. Juni 2012 im 4. Strafsenat ein Verhinderungsfall eingetreten. Gemäß § 21f Abs. 2 Satz 1 GVG nimmt daher von diesem Zeitpunkt an Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer, der mit Beschluss des Präsidiums vom 16. Juni 2010 zum stellvertretenden Vorsitzenden des 4. Strafsenats bestellt worden ist, die Aufgaben des Vorsitzenden wahr. Unter seinem Vorsitz entscheidet der Senat über die Rechtsmittel der Angeklagten gemäß der zum Beschlusszeitpunkt geltenden Fassung der senatsinternen Geschäftsverteilung in der für die Spruchgruppe II vorgesehenen Besetzung, wobei anstelle des mit Wirkung vom 15. September 2012 aus dem Senat ausgeschiedenen Richters am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt nunmehr Richter am Bundesgerichtshof Reiter planmäßiges Mitglied dieser Spruchgruppe ist.
Die von den Revisionen im Zusammenhang mit dem sogenannten Doppelvorsitz erhobenen, auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützten Bedenken gehen schon deshalb fehl, weil der Senat zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsmittel der Angeklagten von dem durch das Präsidium angeordneten sogenannten Doppelvorsitz nicht betroffen ist. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen den von den Beschwerdeführern insoweit aufgeworfenen Fragen und der vom Senat zu treffenden Entscheidung über deren Rechtsmittel ist im Übrigen weder dargetan noch ersichtlich.
B.
Die Revisionen haben jeweils mit der Sachrüge Erfolg, da die Schuldsprüche in mehrfacher Hinsicht rechtlicher Prüfung nicht standhalten.
I.
Die (tateinheitliche) Verurteilung der Angeklagten A. C. und M. C. jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Das Landgericht hat insoweit folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte A. C. war mit der Liebesbeziehung zwischen seiner Tochter, der Geschädigten Ha. C. (nunmehr verheiratete A. ) mit dem weiteren Geschädigten M. A. nicht einverstanden und verlangte von ihr, sich von diesem zu trennen. Nachdem alle Versuche von Familienangehörigen und Bekannten, Ha. A. den Wünschen ihres Vaters und der Familie gefügig zu machen, gescheitert waren, entschloss sich der Angeklagte A. C. , der das Verhalten seiner Tochter den hergebrachten Traditionen entsprechend als Verrat an der Familie ansah, diese nunmehr gewaltsam zu einer Trennung und zur Rückkehr nach Hause zu zwingen. Gemeinsam mit seinem Sohn, dem Mitangeklagten M. C. , lauerte er den Geschädigten mit dem Pkw des M. C. am Mittag des 11. Oktober 2011 in der Nähe ihrer Wohnung auf. Als diese auf einem von M. A. gelenkten Motorroller das Fahrzeug passierten, nahmen die beiden Angeklagten sofort die Verfolgung auf, was die Geschädigten ihrerseits bemerkten und sofort die Flucht ergriffen. Nachdem die Verfolgten ebenso wie die Verfolger trotz Rotlicht zeigender Ampel eine belebte Kreuzung überfahren hatten, fuhren die Angeklagten erstmals von hinten gezielt auf den Motorroller der Geschädigten auf. Nach kurzer Trennung beider Fahrzeuge beschleunigte der Angeklagte M. C. erneut den Pkw, fuhr wiederum gezielt auf ihn auf und schob ihn über die Fahrbahn sowie über eine Verkehrsinsel quer über den Gehsteig in ein sich daran anschließendes Gebüsch, wo der Motorroller neben einem Hinweisschild zum Stehen kam und umstürzte. Auch der Pkw der Angeklagten kam in unmittelbarer Nähe zum Stillstand. M. A. hatte durch die Anstöße die Kontrolle über den Motorroller verloren und fiel vom Fahrzeug herunter, ebenso die Geschädigte Ha. A. . M. A. , der sich beim Sturz Prellungen an der Hüfte zugezogen hatte, ergriff aus Angst vor einem befürchteten Angriff der Angeklagten die Flucht. A. C. lief zu seiner Tochter, zerrte diese auf die Rückbank des Pkws, woraufhin der Mitangeklagte M. C. sogleich hinter dem Steuer Platz nahm und in Richtung Stadtzentrum davonfuhr.
2. Die Annahme des Landgerichts, durch dieses Verhalten hätten sich beide Angeklagten einer gemeinschaftlichen Körperverletzung "mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs" im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht, wird von den dazu getroffenen Feststellungen nicht getragen.
a) Eine Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes gefährliches Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11, Tz. 5). Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein fahrendes Kraftfahrzeug, das zur Verletzung einer Person eingesetzt wird, in der Regel als ein solches gefährliches Werkzeug anzusehen (Senatsbeschluss aaO; Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 – 4 StR 524/06, NStZ 2007, 405). Wird eine Person durch ein gezieltes Anfahren zu Fall gebracht, kann darin eine gefährliche Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen, wenn bereits durch den Anstoß eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens und damit eine körperliche Misshandlung gemäß § 223 Abs. 1 StGB ausgelöst worden ist. Erst infolge des anschließenden Sturzes erlittene Verletzungen sind dagegen nicht auf den unmittelbaren Kontakt zwischen Kraftfahrzeug und Körper zurückzuführen, sodass eine Verurteilung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB allein darauf nicht gestützt werden kann (Senatsbeschlüsse vom 30. Juni 2011 sowie vom 16. Januar 2007, jeweils aaO).
b) Danach liegt es im vorliegenden Fall zwar nahe, dass bereits durch den mehrfachen, gezielten Anstoß des Pkws auf den Motorroller der Geschädigten schon für sich genommen eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens des Geschädigten M. A. hervorgerufen worden ist. Zwar reichen Angst- und Panikgefühle als rein psychische Empfindungen regelmäßig nicht aus, um eine Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB zu begründen. Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn diese psychischen Einwirkungen zu einem pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand geführt haben (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 36 f.; Senatsbeschluss vom 19. Oktober 1999 – 4 StR 467/99, NStZ-RR 2000, 106). Angesichts der Tatsache, dass sich die auf einem ungeschützten Motorroller fahrenden Geschädigten im belebten Stadtverkehr unversehens dem mit einem Pkw ausgeführten Angriff ausgesetzt sahen, ist es nicht ausgeschlossen, dass bereits das Auffahren auf den Roller unmittelbar Auswirkungen auf die körperliche Verfassung des Geschädigten M. A. hatte, die den Grad einer Gesundheitsbeschädigung im Sinne der §§ 223, 224 StGB erreichten. Ausreichende Feststellungen dazu sind dem angefochtenen Urteil indes nicht zu entnehmen.
3. Die Sache bedarf daher insoweit hinsichtlich beider Angeklagter insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
a) Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift vom 1. August 2012 zutreffend darauf hingewiesen, dass in der Erklärung des Angeklagten A. C. , der Schuldspruch werde nur teilweise angegriffen, eine förmliche Beschränkung seines Rechtsmittels nicht zu sehen ist.
b) Trotz der Beschränkung der Revision des Angeklagten M. C. auf den Rechtsfolgenausspruch ist die Aufhebung des Schuldspruchs auf ihn zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO). Der Angeklagte M. C. ist wegen derselben Tat verurteilt worden wie der Angeklagte A. C. . Der sachlich-rechtliche Fehler, der zur Aufhebung des Urteils gegen den Angeklagten A. C. führt, hat sich im Schuldspruch auch zum Nachteil des Angeklagten M. C. ausgewirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2008 – 3 StR 441/08, Tz. 12).
II.
Auch die Verurteilung der Angeklagten A. und H. C. wegen (tateinheitlicher) gemeinschaftlicher Nötigung kann nicht bestehen bleiben.
1. Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass die Angeklagten A. und M. C. , nachdem sie sich der Geschädigten Ha. A. bemächtigt hatten, diese in dem Pkw zur Werkstatt des Zeugen All. verbrachten. Dort beschimpfte zunächst der Mitangeklagte A. C. seine Tochter und machte ihr weitere Vorhalte wegen ihrer Beziehung zu M. A. , wobei er verlangte, sie solle sich von ihrem Freund trennen. Für den Fall, dass dies nicht geschehen würde, drohte er damit, ihren Freund vor ihren Augen umzubringen und auch sie selbst zu töten. Er schlug dabei unter anderem mit einem Schlüsselbund auf ihre Oberschenkel und ihre linke Hand. Während dieses Geschehens kam der Angeklagte H. C. hinzu, machte seiner Schwester wegen ihres Verhaltens in gleicher Weise Vorwürfe und beschimpfte sie als Schlampe, um dem Ansinnen seines Vaters Nachdruck zu verleihen und diesen zu unterstützen. Die Geschädigte begann zu weinen und schrie wegen der ihr zugefügten Schmerzen. Unter dem Eindruck der Drohungen und Schläge "sagte sie schließlich zu der Aufforderung ihres Vaters, sich von ihrem Freund zu trennen ja, ohne dies jedoch ernst zu meinen".
2. Mit diesen Feststellungen hat das Landgericht die Voraussetzungen einer vollendeten Nötigung im Sinne von § 240 Abs. 1 StGB nicht hinreichend belegt.
a) Da der Nötigungstatbestand als Erfolgsdelikt ausgestaltet ist, muss die tatbestandsmäßige Handlung kausal zu dem vom Täter geforderten Opferverhalten führen. Vollendet ist die Nötigung erst dann, wenn der Genötigte die verlangte Handlung vorgenommen oder zumindest mit ihrer Ausführung begonnen hat. Ein Teilerfolg, der mit Blick auf ein weiter gehendes Ziel jedenfalls vorbereitend wirkt, kann für die Annahme einer vollendeten Nötigung nur dann ausreichen, wenn die abgenötigte Handlung des Opfers nach der Vorstellung des Täters eine eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolges darstellt (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juni 2012 – 4 StR 139/12, Tz. 5 mwN).
b) Danach ist hier den Feststellungen nicht hinreichend zu entnehmen, ob die Angeklagten in der Erklärung der Geschädigten, sie werde sich von ihrem Freund trennen, eine eigenständig bedeutsame Vorstufe des gewollten Enderfolges erblickten. An anderer Stelle (UA 27) hat die Strafkammer insoweit ausdrücklich festgestellt, dass das Ziel der "Entführung" der Geschädigten deren (tatsächliche) Trennung von ihrem Freund und die dauerhafte Rückkehr in das Elternhaus waren und beide Ziele erst nach der Freilassung der Geschädigten erreicht werden sollten. Die Feststellungen lassen daher die Möglichkeit offen, dass eine von der Geschädigten abgegebene Erklärung von den Angeklagten gerade nicht als wesentliche Vorstufe des endgültigen Erfolges angesehen wurde.
Auch insoweit bedarf die Sache daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
Mutzbauer Cierniak Franke
Quentin Reiter