Entscheidungsdatum: 13.03.2018
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 29. September 2017 werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen; der Angeklagte M. trägt zudem die durch sein Rechtsmittel im Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers.
Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 12.000 Euro sowie weiterer 215 Euro Schadensersatz an den Neben- und Adhäsionskläger verurteilt. Die Angeklagte B. hat es wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und von einer Adhäsionsentscheidung gegen sie abgesehen. Gegen ihre Verurteilungen haben sowohl der Angeklagte M. als auch die Angeklagte B. Revision eingelegt. Beide Rechtsmittel sind unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
Die Rüge der Angeklagten B. , das Landgericht habe gegen § 265 Abs. 3 StPO verstoßen, weil es die Hauptverhandlung nicht auf ihren Antrag hin ausgesetzt habe, greift nicht durch.
1. Dem liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legte der Angeklagten B. Beihilfe zum schweren Raub (§ 250 Abs. 1 Nr. 1b, § 27 StGB) zur Last. Ihr wurde vorgeworfen, sie habe den zur Begehung eines Raubüberfalls auf den Nebenkläger entschlossenen Mitangeklagten M. - ihren damaligen Lebensgefährten - mit einem Pkw zu einer Wiese gefahren, wo sich dieser eine Holzlatte beschafft habe. Anschließend sei sie mit dem Mitangeklagten zum Tatort gefahren und habe dort gemeinsam mit ihm auf den Nebenkläger gewartet. Als dieser erschienen sei, soll er von dem Mitangeklagten mit der Holzlatte bewusstlos geschlagen und ihm die Geldbörse entwendet worden sein. Die „Raubabsicht des Mitangeklagten M. “ sei der Angeklagten „von Beginn an“ bekannt gewesen. Als Beleg hierfür wurden Angaben der Angeklagten im Ermittlungsverfahren angeführt. Der Mitangeklagte M. hatte sich bis dahin noch nicht zur Sache eingelassen.
Am ersten Hauptverhandlungstag machte der Mitangeklagte M. (erstmals) Angaben zur Sache. Am zweiten Hauptverhandlungstag wurde der Angeklagten B. der rechtliche Hinweis erteilt, dass auch eine Verurteilung wegen mittäterschaftlich begangenen besonders schweren Raubes gemäß § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht komme. Ihr Verteidiger beantragte daraufhin, die Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO auszusetzen. Zur Begründung führte er aus, der Mitangeklagte M. habe die Tat „maßgeblich anders geschildert“ als in der Anklageschrift dargelegt. Danach soll die Angeklagte „akustische Signale“ gegeben haben, als sich der Nebenkläger dem Tatort näherte, um dem in der Nähe lauernden Mitangeklagten eine bessere Vorbereitung auf den Überfall zu ermöglichen. Auch soll sie Kenntnis davon gehabt haben, dass die Holzlatte als Drohmittel eingesetzt werden sollte. „Eventuell“ solle sie sogar gewusst haben, dass auch ein Einsatz der Holzlatte als Schlagwerkzeug geplant gewesen sei. All dies werde von der Angeklagten bestritten. Die Strafkammer hat den Antrag mit der Begründung abgelehnt, die Angeklagte habe die veränderten Umstände bereits der Einlassung des Angeklagten im ersten Hauptverhandlungstermin entnehmen können. Auch habe der Vertreter der Staatsanwaltschaft schon in diesem Termin einen entsprechenden rechtlichen Hinweis angeregt.
2. Damit ist eine Verletzung von § 265 Abs. 3 StPO in der Fassung des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 (BGBl. I, 3202) nicht dargetan.
a) Nach dieser Vorschrift ist die Hauptverhandlung auf den entsprechenden Antrag eines Angeklagten auszusetzen, wenn neue Umstände hervorgetreten sind, die die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten zulassen oder die zu den in § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO bezeichneten (vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen) gehören und diese Umstände von dem Angeklagten unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, bestritten werden. Als neu hervorgetretene Umstände kommen dabei nur Tatsachen oder tatsächliche Verhältnisse in Betracht, die erst in der Hauptverhandlung zum Vorschein kommen (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2003 - 2 StR 215/02, BGHSt 48, 183, 184; Urteil vom 7. Dezember 1960 - 2 StR 325/60, S. 3; RG, Urteil vom 22. Mai 1906 - V 142/06, RGSt 39, 17, 18). Werden aus dem unverändert gebliebenen Tatsachenmaterial vom Tatrichter lediglich andere Schlussfolgerungen gezogen, handelt es sich nicht um neue Umstände im Sinne von § 265 Abs. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2006 - 1 StR 561/05, wistra 2006, 191). Dies gilt selbst dann, wenn das Gericht dadurch zu anderen Feststellungen gelangt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Dezember 1960 - 2 StR 325/60, S. 3; RG, Urteil vom 22. Mai 1906 - V 142/06, RGSt 39, 17, 18; Urteil vom 7. Juli 1885 - IV 1640/85, RG Rspr 7, 474, 475; Urteil vom 8. März 1881 - Rep 292/81, RGSt 3, 402). Auch neue Beweismittel sind für sich genommen noch keine neuen Umstände im Sinne dieser Vorschrift (vgl. RG, Urteil vom 12. Oktober 1918 - V 656/18, RGSt 52, 249, 251; Kuckein in: KK-StPO, 7. Aufl., § 265 Rn. 26; Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 265 Rn. 91; Meyer-Goßner, StPO, 61. Aufl., § 265 Rn. 36).
Für die erstmalige Einlassung eines Mitangeklagten - wie hier - kann grundsätzlich nichts anderes gelten. Eine Bedeutung im Sinne des § 265 Abs. 3 StPO kommt einer solchen Einlassung - wie auch neuen Beweismitteln - erst dann zu, wenn durch sie neue, bisher unbekannte Tatsachen in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Dabei ist es Sache des Antragstellers, die angeblich neu hervorgetretenen Tatsachen bestimmt zu bezeichnen und deren Richtigkeit unter der Behauptung, auf die Verteidigung insoweit nicht genügend vorbereitet zu sein, zu bestreiten (vgl. RG, Urteil vom 22. Mai 1906 - V 142/06, RGSt 39, 17, 19).
b) Dass in der Hauptverhandlung neue Umstände (Tatsachen) hervorgetreten sind, die einen Aussetzungsanspruch nach § 265 Abs. 3 StPO begründen, legt die Revision nicht dar.
aa) Bei den von dem Mitangeklagten M. erstmals geschilderten „akustischen Signalen“ der Angeklagten handelt es sich zwar um eine neue Tatsache und damit einen neuen Umstand im Sinne des § 265 Abs. 3 StPO. Dieser lässt hier aber weder die Anwendung eines (anderen) schwereren Strafgesetzes gegen sie zu, noch führt er zu einer Erhöhung der Strafbarkeit im Sinne von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO.
Denn durch diese neue Tatsache wurde lediglich eine weiter gehende Einbindung der Angeklagten in das eigentliche Tatgeschehen belegt. Dies war unter den hier gegebenen Umständen aber nur für die Frage von Bedeutung, ob sie an der Raubtat zum Nachteil des Nebenklägers - wie angeklagt - nur als Gehilfin oder - wie ausgeurteilt - als Mittäterin beteiligt war. Der Wechsel in den schwerer wiegenden Qualifikationstatbestand des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB, der zu einer Erhöhung der Strafbarkeit im Sinne von § 265 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 StPO führte, wurde durch diesen neuen Umstand nicht beeinflusst. Allein der mit dem Übergang von Beihilfe zur Mittäterschaft verbundene Wegfall der in § 27 Abs. 2 Satz 2 StGB vorgesehenen obligatorischen Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB steht dem Hervortreten eines gesetzlich besonders vorgesehenen rechtsfolgenverschärfenden Umstandes jedoch nicht gleich, sodass eine (entsprechende) Anwendung von § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2013 - 2 StR 517/12, NStZ 2013, 358 [zum Wegfall der fakultativen Strafmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB beim Übergang von Versuch zu Vollendung]; Urteil vom 30. Juni 1987 - 1 StR 242/87, NJW 1988, 501 [zu §§ 21, 49 Abs. 1 StGB]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 265 Rn. 36 [zur fakultativen Strafmilderung]; Stuckenberg in: Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 265 Rn. 40 mwN; a.A. Rosenau in: SSW-StPO, 3. Aufl., § 265 Rn. 34).
bb) Weitere neu hervorgetretene Umstände lassen sich dem Revisionsvorbringen nicht mit der gebotenen Bestimmtheit entnehmen.
Soweit in dem mitgeteilten Aussetzungsantrag davon die Rede ist, dass die Angeklagte B. nach den Angaben des Mitangeklagten M. auch von einem beabsichtigten Einsatz der Holzlatte als Drohmittel Kenntnis gehabt und „eventuell“ sogar gewusst haben soll, dass auch ein Gebrauch als Schlagwerkzeug geplant war, handelt es sich nur um die Wiedergabe von Schlussfolgerungen, die nach der Einlassung des Mitangeklagten M. in Betracht kamen. Welche Angaben der Mitangeklagte in diesem Zusammenhang konkret gemacht hat und ob dabei durch ihn bestimmte bisher unbekannte Tatsachen in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind, teilt die Revision nicht mit. Dies wäre aber erforderlich gewesen, um beurteilen zu können, ob der in Betracht gezogenen Neubewertung des inneren Tatbestandes nur Ableitungen aus bereits bekanntem Tatsachenmaterial zugrunde lagen, das durch die Angaben des Mitangeklagten lediglich bestätigt wurde, oder ob diese Bewertung (auch) auf neu hervorgetretenen Tatsachen beruhte, die in ihrer Richtigkeit (Existenz) von der Angeklagten dezidiert bestrittenen wurden. Nur im zuletzt genannten Fall bestünde gegebenenfalls ein Anspruch auf Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 3 StPO.
Sost-Scheible |
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Roggenbuck |
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Quentin |
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Feilcke |
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