Entscheidungsdatum: 06.07.2016
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers N. gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 19. Oktober 2015 werden verworfen.
2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft sowie die dem Angeklagten dadurch und durch die Revision des Nebenklägers N. entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Der Nebenkläger N. trägt die Kosten seines Rechtsmittels. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und dieser Nebenkläger je zur Hälfte.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen das Urteil richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers N. . Beide Rechtsmittel sind unzulässig.
1. Die Revisionsführer haben gegen das am 19. Oktober 2015 in ihrer Anwesenheit verkündete Urteil am 21. bzw. 23. Oktober 2015 "Rechtsmittel" eingelegt. Der Nebenklägervertreterin wurde das Urteil aufgrund einer entsprechenden Anordnung des Vorsitzenden am 18. Dezember 2015 zugestellt. Bei der Staatsanwaltschaft erfolgte eine Zustellung am 22. Dezember 2015; das Urteil selbst weist einen von der Ersten Staatsanwältin unterschriebenen Vermerk "Zugestellt StA Verden am 28.12.2015" auf. Die Revisionsbegründungen sind am Montag, dem 25. Januar 2016 (Staatsanwaltschaft), bzw. am 12. Februar 2016 (Nebenkläger) beim Landgericht eingegangen. Wiedereinsetzungsanträge wurden nicht gestellt.
2. Beide Rechtsmittel sind – wie vom Generalbundesanwalts in den Antragsschriften vom 7. Juni 2016 dargelegt – unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO begründet wurden.
a) Dies ist – nach den oben mitgeteilten Daten – hinsichtlich des Rechtsmittels des Nebenklägers N. offensichtlich.
b) Aber auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist verspätet begründet.
aa) Zustellungen an die Staatsanwaltschaft bedürfen – wie jede Zustellung – einer Anordnung des Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO). Sie werden von der Geschäftsstelle veranlasst (§ 36 Abs. 1 Satz 2 StPO) und – sofern kein Fall von § 36 Abs. 2 StPO vorliegt – entweder nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung mit den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung oder nach § 41 StPO bewirkt.
bb) Hiervon ausgehend wurde die Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO am 22. Dezember 2015 ordnungsgemäß bewirkt.
(1.) Der Vorsitzende der Strafkammer hat die Urteilszustellung vor deren Durchführung angeordnet (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Dies und einen entsprechenden Zustellungswillen des Vorsitzenden belegt dessen Zustellungsanordnung (Bd. V Bl. 50 d.A.: "Urschriftlich mit Akten ... der Staatsanwaltschaft Verden gem. § 41 StPO ..."). Dass diese Anordnung – unabhängig von der Richtigkeit des dort angegebenen Datums (7. Dezember 2015) – vor deren Durchführung erfolgte, ergibt sich aus dem angebrachten Ausführungsvermerk vom 16. Dezember 2015 – dem Tag der Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls – sowie der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden vom 22. März 2016 (Bd. VI Bl. 15 d.A.) und wird zudem belegt durch die in derselben Verfügung angeordneten, am 18. und 21. Dezember 2015 erfolgten Zustellungen an die Nebenklägervertreter.
(2.) Die Zustellung an die Staatsanwaltschaft wurde am 22. Dezember 2015 bewirkt (Bd. V Bl. 207 R d.A.; Vermerke der Ersten Staatsanwältin vom 23. Februar 2016, Bd. VI Bl. 6 d.A., und vom 26. April 2016, Bd. VI Bl. 20 d.A.).
(a) Den Anforderungen an eine Zustellung gemäß § 41 StPO ist bereits dadurch genügt, dass die Staatsanwaltschaft aus der Übersendungsverfügung in Verbindung mit der aus den Akten zu ersehenden Verfahrenslage erkennen kann, mit der Übersendung an sie werde die Zustellung nach § 41 StPO bezweckt (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 – 4 StR 336/12, BGHSt 58, 243, 252; vgl. auch LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 41 Rn. 1).
(b) Dies steht aufgrund der – oben mitgeteilten – Zustellungsanordnung des Vorsitzenden außer Frage. Dabei ergaben sich berechtigte Zweifel der Staatsanwaltschaft daran, dass an sie eine Zustellung nach § 41 StPO bewirkt wird, auch nicht daraus, dass der Vorsitzende am 22. Dezember 2015 eine (weitere) Verfügung zur Zustellung der Akten an die Staatsanwaltschaft "gem. § 347 StPO" traf (Bd. V Bl. 207 R d.A.). Denn die aus den Akten zu ersehende Verfahrenslage war eindeutig. Diese enthielten nicht nur obige, auf die Zustellung des Urteils gerichtete Anordnung des Vorsitzenden sowie das Urteil, gegen das sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft richtete. Vielmehr war für die Staatsanwaltschaft auch ohne weiteres ersichtlich, dass die Übersendung "gem. § 347 StPO" infolge des Fehlens nicht nur ihrer Revisionsanträge und -begründung, sondern auch der der Nebenkläger, auf einem Irrtum des Vorsitzenden beruhen musste, und sie auch nicht nur der Erledigung der von der Staatsanwaltschaft am 17. Dezember 2015 erbetenen Rücksendung von Beiakten diente (Bd. V Bl. 207 und 219 d.A.; zur entsprechenden Verfügung des Vorsitzenden: Bd. V Bl. 219 R d.A.)
(c) Nicht anders als bei einem Eingang bei Gericht (vgl. hierzu etwa BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2011 – 2 StR 405/11, NStZ-RR 2012, 118 mwN) kommt es auch bei einer Zustellung an die Staatsanwaltschaft gemäß § 41 StPO allein auf den Eingang bei der Behörde, nicht aber auf den bei der zuständigen Abteilung oder gar dem das Verfahren bearbeitenden Staatsanwalt an.
Dabei bedarf keiner Entscheidung, wann und wie bei einer anderen Zustellungsart (nach § 37 Abs. 1 StPO in Verbindung den entsprechenden Regelungen der Zivilprozessordnung) die Anforderungen an eine wirksame Urteilszustellung erfüllt werden (vgl. etwa zur Zustellung gegen Empfangsbekenntnis: OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 28. Februar 1996 – 3 Ws 152-153/96, NStZ-RR 1996, 234; LG Marburg NStZ-RR 2014, 112; ferner KG, Beschluss vom 2. März 1994 – 4 Ws 264/93, NStE Nr. 3 zu § 41 StPO). Denn schon der Wortlaut von § 41 StPO ("Zustellungen an die Staatsanwaltschaft ...") belegt, dass maßgeblich für eine solche Zustellung der Eingang bei der Behörde ist. Auch hat dort die "Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft" den Tag des Urteilseingangs zu bescheinigen (Nr. 159 Satz 1 RiStBV), nicht aber die Geschäftsstelle des zuständigen Dezernats oder gar der das Verfahren bearbeitende Staatsanwalt. Denn die "Staatsanwaltschaft" im Sinne des § 41 StPO ist nicht die Person, die das Amt der Staatsanwaltschaft ausübt (vgl. § 142 GVG), sondern die Behörde, die auch die Beschwerdeführerin (§ 343 Abs. 2 StPO) ist (ebenso bereits RG, Beschluss vom 12. September 1938 – 3 D 596/38, RGSt 72, 317; ferner: OLG Braunschweig, Beschluss vom 2. März 1988 – Ws 14/88, NStZ 1988, 514; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 8. September 1993 – 1 Ws 169/93, NStE Nr. 2 zu § 41 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 41 Rn. 3; LR/Graalmann-Scheerer aaO § 41 Rn. 2; MüKoStPO/Valerius StPO § 41 Rn. 4; KK-StPO/Maul StPO § 41 Rn. 5; BeckOK StPO/Larcher StPO § 41 Rn. 4).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 – 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146 mwN, ferner Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 473 Rn. 11 a.E.).
Sost-Scheible Cierniak Mutzbauer
Bender Paul