Entscheidungsdatum: 13.02.2013
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 21. Dezember 2011 wird als unzulässig verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.
2. Über die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die im vorgenannten Urteil getroffene Entscheidung zur Entschädigung des Angeklagten hat das Oberlandesgericht Hamm zu entscheiden.
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Anklagevorwurf der - teils gewerbsmäßigen - Fälschung von Schecks u.a. in mehreren Fällen freigesprochen und ihm eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft zuerkannt. Die Staatsanwaltschaft greift mit der Revision den Freispruch an und wendet sich zugleich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Entschädigungsentscheidung der Strafkammer. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision ist mangels rechtzeitiger Rechtsmittelbegründung nicht zulässig.
I.
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unzulässig, da bei Eingang der Begründungsschrift der Beschwerdeführerin beim Landgericht am 26. April 2012 die Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO bereits abgelaufen war. Die am 3. Februar 2012 bewirkte Zustellung des angefochtenen Urteils an die Staatsanwaltschaft war wirksam mit der Folge, dass die hierdurch gemäß § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO in Lauf gesetzte Revisionsbegründungsfrist unter Berücksichtigung des § 43 Abs. 2 StPO mit Ablauf des 5. März 2012 endete.
1. Der Zustellung liegt folgender Verfahrensablauf zugrunde:
Die vom Vorsitzenden und den jeweils zur Protokollierung herangezogenen Urkundsbeamten unterzeichnete Sitzungsniederschrift wurde ausweislich des in das Teilprotokoll vom letzten Hauptverhandlungstag aufgenommenen Fertigstellungsvermerks am 21. Dezember 2011 fertiggestellt. Nachdem das schriftliche Urteil zu den Akten gelangt war, wurden die Verfahrensakten auf Anordnung des Vorsitzenden zum Zwecke der Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft übersandt, bei der sie am 3. Februar 2012 eingingen. Zu diesem Zeitpunkt war das Teilprotokoll des letzten Hauptverhandlungstags nicht in die Verfahrensakten eingeheftet. Mit Verfügung vom 22. Februar 2012 schickte die Staatsanwaltschaft die Verfahrensakten unter Hinweis auf das fehlende Teilprotokoll und die sich ihrer Auffassung nach daraus ergebende Unwirksamkeit der Zustellung an das Landgericht zurück und bat darum, das Urteil nach Fertigstellung des Protokolls erneut zuzustellen. Im Zuge der anschließenden Nachforschungen der Strafkammergeschäftsstelle wurde das Teilprotokoll vom letzten Hauptverhandlungstag im Retentheft zur Akte, das dem Rechtspfleger des Landgerichts zur Kostenbearbeitung vorlag, aufgefunden und nunmehr in die Verfahrensakten eingeheftet, die sodann formlos der Staatsanwaltschaft zugeleitet wurden und ihr am 1. März 2012 wieder vorlagen. Mit Verfügungen vom 2. und 16. März 2012 ersuchte die Staatsanwaltschaft jeweils unter Übersendung der Akten um nochmalige Zustellung des Urteils. Der Vorsitzende der Strafkammer ordnete schließlich am 22. März 2012 die neuerliche Zustellung des Urteils an, die durch Zuleitung der Verfahrensakten an die Staatsanwaltschaft am 26. März 2012 bewirkt wurde. Am 26. April 2012 ging die Revisionsbegründungsschrift der Staatsanwaltschaft beim Landgericht ein.
2. Die Urteilszustellung an die Staatsanwaltschaft am 3. Februar 2012 war entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht wegen Verstoßes gegen § 273 Abs. 4 StPO unwirksam.
a) Nach § 273 Abs. 4 StPO darf das Urteil nicht zugestellt werden, bevor das Protokoll fertiggestellt ist. Durch diese Regelung soll sichergestellt werden, dass mit dem Protokoll schon zu Beginn der regelmäßig mit der Urteilszustellung in Lauf gesetzten Revisionsbegründungsfrist eine abgeschlossene Grundlage für die Entscheidung über die Anbringung von Verfahrensrügen vorliegt, die dem Anfechtungsberechtigten während der gesamten Revisionsbegründungsfrist zur Einsichtnahme offensteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Januar 1991 - 3 StR 377/90, BGHSt 37, 287, 288; vom 24. Oktober 2001 - 1 StR 163/01, NStZ 2002, 160, 161; vom 17. Juli 1991 - 3 StR 4/91, NStZ 1991, 502 f.; Entwurf der Bundesregierung zum StPÄG 1964, BR-Drucks. 9/62, S. 41). § 273 Abs. 4 StPO ist eine zwingende Verfahrensvorschrift, deren Verletzung zur Unwirksamkeit der Zustellung führt (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1976 - 4 StR 614/76, BGHSt 27, 80 f.; Stuckenberg in Löwe/ Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 273 Rn. 65 mwN; BR-Drucks. 9/62 aaO). Gemäß § 271 Abs. 1 Satz 1 StPO ist die Niederschrift über die Hauptverhandlung vom Vorsitzenden und den mit der Protokollierung befassten Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu unterschreiben. Die Fertigstellung des Protokolls erfolgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Zeitpunkt, zu dem die letzte der für die Beurkundung des gesamten Protokollinhalts erforderlichen Unterschriften geleistet wurde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. April 2007 - GSSt 1/06, BGHSt 51, 298, 317; vom 4. Oktober 1991 - 1 StR 396/91, BGHR StPO § 271 Protokoll 1; vom 9. April 1991 - 4 StR 158/91, bei Kusch, NStZ 1992, 29; vom 11. Juli 1990 - 2 StR 312/90, BGHR StPO § 145a Unterrichtung 1; vom 3. Januar 1991 - 3 StR 377/90 aaO; vom 7. Oktober 1983 - 3 StR 358/83, NStZ 1984, 89; vom 15. September 1969 - AnwSt (B) 2/69, BGHSt 23, 115, 117; vgl. auch BR-Drucks. 9/62 aaO). Wie sich hier aus dem in das Teilprotokoll vom letzten Hauptverhandlungstag aufgenommenen Fertigstellungsvermerk ergibt, war die Sitzungsniederschrift mit den Unterschriften des Vorsitzenden und der jeweils zur Protokollierung herangezogenen Urkundsbeamten bereits am 21. Dezember 2011, mithin vor der Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft am 3. Februar 2012, fertiggestellt.
b) Die Wirksamkeit der Urteilszustellung wird durch das zum Zeitpunkt der Zustellung noch nicht erfolgte Einheften des letzten Teilprotokolls in die Verfahrensakten nicht in Frage gestellt. Weder für die Fertigstellung des Protokolls gemäß § 271 Abs. 1 StPO noch für die Wirksamkeit der Zustellung des Urteils nach § 273 Abs. 4 StPO ist es erforderlich, dass die von den Urkundspersonen unterschriebene Niederschrift in tatsächlicher Hinsicht zur Akte genommen wird. Beide Bestimmungen enthalten bezüglich des Protokolls keine mit der für das schriftliche Urteil geltenden Vorschrift des § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO vergleichbare Regelung, sondern stellen ihrem Wortlaut nach bei der Fertigstellung des Protokolls allein auf die nach § 271 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlichen Unterschriften der Urkundspersonen und für die Wirksamkeit der Zustellung des Urteils ausschließlich auf die Fertigstellung des Protokolls ab (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2007 - GSSt 1/06 aaO). Für die alleinige Maßgeblichkeit der Unterschriften für die Fertigstellung des Protokolls spricht zudem der systematische Zusammenhang, in welchem die in § 271 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO getroffenen Regelungen stehen. Der im Gesetz vorgesehene Vermerk über den Tag der Fertigstellung dient der Beurkundung des Fertigstellungszeitpunkts und soll eine spätere Prüfung der Wirksamkeit der Zustellung und damit regelmäßig des Laufs der Revisionsbegründungsfrist ermöglichen (vgl. BR-Drucks. 9/62 aaO). Da er nach der Regelung des § 271 Abs. 1 Satz 2 StPO in das Protokoll selbst aufgenommen werden soll, kann er sich sinnvollerweise nur auf die gemäß § 271 Abs. 1 Satz 1 StPO erforderlichen Unterschriften der Urkundspersonen, nicht aber auf nachfolgende Geschehnisse im Laufe des weiteren Geschäftsgangs beziehen. Auch der Gesetzeszweck des § 273 Abs. 4 StPO gebietet es nicht, die Wirksamkeit der Urteilszustellung von einem Einheften der Niederschrift in die Verfahrensakten abhängig zu machen. Denn mit der Fertigstellung des Protokolls wird die Niederschrift, ohne dass es auf eine äußerliche Verbindung mit den Verfahrensakten ankommt, zum Bestandteil der Akten und unterliegt dem Akteneinsichtsrecht der Verfahrensbeteiligten (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Oktober 1980 - StB 43/80, BGHSt 29, 394; Urteil vom 15. April 1975 - 5 StR 508/74, bei Dallinger, MDR 1975, 725). Sie steht damit als Grundlage für die Revisionsbegründung uneingeschränkt zur Einsichtnahme zur Verfügung. Schließlich ist selbst zu § 275 Abs. 1 Satz 1 StPO, der für das schriftliche Urteil das Bringen zur Akte ausdrücklich vorschreibt, in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Vorschrift nicht verlangt, dass das Urteil in tatsächlicher Hinsicht in die Sachakten eingelegt werden muss. Es genügt vielmehr, dass es fristgerecht auf den Weg zur Geschäftsstelle gebracht wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. November 2006 - 1 StR 388/06, NStZ-RR 2007, 53; vom 4. Oktober 1989 - 3 StR 155/89, BGHR StPO § 275 Abs. 1 Satz 1 Akten 1; Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, aaO, § 275 Rn. 6 mwN).
c) Durch die von der Beschwerdeführerin angeführte Entscheidung des 3. Strafsenats vom 7. Oktober 1983 - 3 StR 358/83 (NStZ 1984, 89) ist der Senat nicht gehindert, wie dargelegt zu entscheiden. Es ist schon zweifelhaft, ob dem genannten Beschluss des 3. Strafsenats überhaupt eine abweichende Rechtsansicht zu entnehmen ist, weil die Frage, ob die Fertigstellung des Protokolls eine äußerliche Verbindung der Niederschrift mit den Akten voraussetzt, für den damals zu entscheidenden Fall ersichtlich keine Rolle spielte. Jedenfalls wäre eine möglicherweise abweichende Rechtsauffassung für die Entscheidung des 3. Strafsenats nicht tragend gewesen und damit für den Senat nicht bindend.
3. Durch die wirksame erste Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft am 3. Februar 2012 wurde nach § 345 Abs. 1 Satz 2 StPO die Frist zur Begründung der Revision in Lauf gesetzt, die unter Berücksichtigung des § 43 Abs. 2 StPO mit Ablauf des 5. März 2012 endete. Die weitere am 22. März 2012 angeordnete Zustellung des Urteils an die Staatsanwaltschaft war demgegenüber für das Revisionsverfahren ohne Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1977 - 4 StR 326/77, NJW 1978, 60; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 37 Rn. 29). Der Eingang der Revisionsbegründungsschrift der Staatsanwaltschaft beim Landgericht am 26. April 2012 erfolgte daher verspätet.
Für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die versäumte Revisionsbegründungsfrist bezüglich der verfristet erhobenen Verfahrensrüge von Amts wegen besteht keine Veranlassung, weil das vollständige Protokoll der Staatsanwaltschaft noch innerhalb der laufenden Revisionsbegründungsfrist vorlag, so dass nach Aktenlage nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Staatsanwaltschaft ohne Verschulden an der rechtzeitigen Anbringung der Verfahrensbeanstandung gehindert war.
II.
Das Revisionsgericht ist für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Entschädigungsentscheidung der Strafkammer im Urteil gemäß § 8 Abs. 3 Satz 2 StrEG, § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO nur dann zuständig, wenn es zugleich über eine vom Beschwerdeführer eingelegte Revision in der Sache zu befinden hat, weil nur in diesem Fall der erforderliche enge Zusammenhang zwischen den Rechtsmitteln besteht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2012 - 4 StR 649/11; vom 25. November 2008 - 4 StR 418/08, NStZ-RR 2009, 96). Diese Voraussetzung ist wegen der Unzulässigkeit der Revision der Staatsanwaltschaft nicht gegeben.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Reiter