Entscheidungsdatum: 04.07.2013
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 8. Januar 2013 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der Angeklagte war seit Beginn des Jahres 2012 Geschäftsführer eines Bordellbetriebs, in dem das spätere Tatopfer v. L. als Tänzerin und Prostituierte arbeitete. Beide gingen in der Folgezeit eine Liebesbeziehung ein, die konfliktreich verlief und häufig zu wechselseitigen Provokationen sowie Tätlichkeiten führte.
v. L. konsumierte mehrmals täglich Amphetamin. Zudem sprach sie dem Alkohol in erheblichem Umfang zu. Insbesondere der permanente Amphetamingenuss führte bei ihr zu einer fast ständigen Enthemmung, Antriebssteigerung und Euphorie. Zugleich erhöhten sich ihre Erregbarkeit und Aggressivität. Sie war in manchen Situationen „mit Worten nicht mehr zu beruhigen“ und „kaum zu bremsen“ (UA S. 22). Mitunter schrie sie minutenlang auf den Angeklagten ein und machte ihn „für alles verantwortlich“. Im Verlauf der zahlreichen tätlichen Auseinandersetzungen bemerkte der Angeklagte, dass er v. L. durch einen kurzen Griff mit der rechten Hand an ihren Hals ruhigstellen konnte. In der Folgezeit wandte er diese Verteidigungstechnik mehrfach erfolgreich an.
In den frühen Morgenstunden des 26. Juni 2012 kam es erneut zu einem heftigen Streit zwischen dem Angeklagten und v. L. und zu wechselseitigen Tätlichkeiten. Dieser Vorfall veranlasste die Verantwortlichen des Bordellbetriebes, die Zusammenarbeit mit dem Angeklagten fristlos zu beenden. Die nachfolgenden Tage verbrachte der Angeklagte in verschiedenen Hotels. v. L. , die ohne ihn in dem Bordell nicht bleiben wollte, folgte ihm nach. Am 5. Juli 2012 bezogen sie ein gemeinsames Zimmer im Hotel „Stadt “, wobei das verfügbare Geld nur noch für zwei Übernachtungen ausreichte. Den Abend des 6. Juli 2012 verbrachten beide in der Innenstadt, wobei der Angeklagte einige Glas Bier trank, während v. L. Sekt, Cocktails und Bier zu sich nahm. Am frühen Morgen des 7. Juli 2012 kehrten beide gegen 02.00 Uhr in ihr Hotelzimmer zurück, wo es wieder zu einem heftigen Streit kam. Während dieser Auseinandersetzung schrie v. L. gegen 02.50 Uhr hysterisch über einen Zeitraum von fünf Minuten ununterbrochen auf den Angeklagten ein, machte ihm Vorhaltungen und verlangte von ihm, sie in Ruhe zu lassen und das Hotelzimmer zu verlassen. Als sie begann, ihn mit den Fäusten auf die Brust zu schlagen, stieß der Angeklagte sie weg, so dass sie zu Boden fiel. v. L. stand sofort wieder auf und trat den Angeklagten in den Unterleib. Der Angeklagte, der seine Freundin von weiteren Tritten abhalten wollte, umfasste daraufhin ihren Hals mit beiden Händen und würgte sie äußerst kräftig, so dass der Blutabfluss aus dem Kopf über einen Zeitraum von mindestens 30 Sekunden komplett unterbrochen war. v. L. geriet in Atemnot. Ihr Röcheln war im Nachbarzimmer deutlich vernehmbar. Dem Angeklagten war bewusst, dass v. L. durch die erhebliche Gewaltanwendung zu Tode kommen könnte. Gleichwohl hielt er den erheblichen Druck auf den Hals aufrecht. Auf Grund dieser Gewalteinwirkung brach die Geschädigte leblos zusammen und verstarb infolge Erstickung.
Eine dem Angeklagten um 05.13 Uhr entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 1,17 Promille auf. Im Blut von v. L. wurden ein Alkoholgehalt von 1,30 Promille und eine Amphetamin- Konzentration von 1.800 ng/ml festgestellt.
2. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Insbesondere hat das Schwurgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Rechtfertigung durch Notwehr gemäß § 32 StGB im Ergebnis zu Recht verneint.
Der Angeklagte befand sich, als ihn das spätere Tatopfer unter Steigerung der vorangegangenen Angriffshandlungen (Faustschläge gegen die Brust) in den Unterleib trat, zwar objektiv in einer Notwehrlage. Der Angriff dauerte auch noch fort, da v. L. , was der Angeklagte wusste, in solchen Situationen „mit Worten nicht zu bremsen“ war und mit weiteren Tätlichkeiten gerechnet werden musste.
Art und Maß der Verteidigungshandlung des Angeklagten waren aber zur Abwehr des drohenden Angriffs nicht erforderlich (vgl. Senatsurteile vom 27. September 2012 – 4 StR 197/12, NStZ-RR 2013, 139, 140; vom 25. April 2013 – 4 StR 551/12, Rn. 27). Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen war es dem Angeklagten vielmehr möglich, den gegen ihn geführten Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit schonender als geschehen zurückzuweisen. Denn es war ihm in der Vergangenheit stets gelungen, v. L. durch einen kurzen Griff an den Hals zur Räson zu bringen (UA S. 25). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass diese „übliche Abwehrhandlung“ in der konkreten Situation ungeeignet war, den Angriff effektiv und endgültig abzuwehren. Der Streit verlief nicht anders als vorangegangene Auseinandersetzungen. Dementsprechend hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung unter anderem mit dem Argument verteidigt, sich lediglich mit dem üblichen Verteidigungsgriff an den Hals zur Wehr gesetzt zu haben.
Es kommt hinzu, dass bei Würgen oder Erdrosseln als Tötungshandlung bis zum Erfolgseintritt bei dem Opfer körperliche Reaktionen eintreten, die eine Verminderung von dessen Handlungsfähigkeit bewirken (insbesondere Atemnot, Bewusstlosigkeit, Erstickungskrämpfe) und einen Angriff auf den in Notwehr Würgenden durch fortschreitende äußere Anzeichen der Ermattung des Angreifers als sicher beendet und ein noch längeres Würgen als zweckverfehlend erscheinen lassen (BGH, Urteil vom 9. November 2011 – 5 StR 328/11, Rn. 27). So liegt der Fall hier. Spätestens zu dem Zeitpunkt, zu dem v. L. in akute Atemnot geriet und nur noch laut röchelte, war der von ihr ausgehende Angriff endgültig abgewehrt.
Auch die Voraussetzungen des § 33 StGB liegen nach den Urteilsfeststellungen – entgegen der Auffassung der Revision – nicht vor. Eine Entschuldigung wegen einer Überschreitung der Grenzen der Notwehr setzt voraus, dass der Täter in einer objektiv gegebenen Notwehrlage (§ 32 Abs. 2 StGB) bei der Angriffsabwehr die Grenzen des Erforderlichen aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschritten hat. Dafür fehlen jedwede Anhaltspunkte.
3. Dagegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben.
a) Bei der konkreten Strafzumessung hat das Schwurgericht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, dass die Tatausführung von massiver Gewalt geprägt sei und durch das heftige Würgen eine besondere Brutalität aufweise. Weitere straferschwerende Umstände führt das Urteil nicht an.
Diese Strafzumessungserwägungen verstoßen gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Ebenso wie der Tötungsvorsatz als solcher darf die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 1988 – 5 StR 657/87, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2; vom 28. September 1995 – 4 StR 561/95, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 6; vom 24. März 1998 – 4 StR 34/98, StV 1998, 657). Diese Grundsätze hat das Landgericht nicht beachtet. Denn der Angeklagte hat, indem er das Tatopfer über einen Zeitraum von mindestens 30 Sekunden heftig würgte, lediglich die Gewalt angewendet, die erforderlich war, um den tatbestandsmäßigen Erfolg herbeizuführen. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe kann nicht entnommen werden, dass er das zur Tötung seiner Lebensgefährtin erforderliche Maß an Gewalt überschritten hat.
Auf diesem Rechtsfehler beruht der Strafausspruch, da das Landgericht die massive Gewaltanwendung als erheblich ins Gewicht fallend gewertet hat (UA S. 25)
b) Darüber hinaus begegnet die Begründung, mit welcher das Schwurgericht einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 StGB abgelehnt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Es wird nicht deutlich, welche Alternative des § 213 StGB das Schwurgericht seiner Prüfung zugrunde gelegt hat. Das Landgericht hätte die erste Alternative des § 213 StGB ausdrücklich erörtern müssen, weil es auf Grund des festgestellten Geschehensablaufs nicht fernliegend war, dass der Angeklagte durch eine vom späteren Tatopfer verübte Misshandlung provoziert worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2002 – 5 StR 119/02, Rn. 3 f.; vom 24. Oktober 2012 – 5 StR 472/12, Rn. 5; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 213 Rn. 2 und 12). In diesem Zusammenhang hätte das Schwurgericht auch die Zuspitzung der Situation nach der fristlosen Kündigung des Angeklagten (Verlust des Arbeitsplatzes und der Unterkunft) in den Blick nehmen und prüfen müssen, ob hierdurch und die damit verbundenen Vorhaltungen und Tätlichkeiten des Tatopfers eine Situation herbeigeführt wurde, die das „Fass zum Überlaufen“ gebracht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340). Dabei wäre auch die Alkoholisierung des Tatopfers und des Angeklagten, deren Schweregrad das Schwurgericht zudem verkannt hat, in die Betrachtung einzubeziehen gewesen (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 213 Rn. 6). Die Wertung, der Angeklagte sei nur leicht enthemmt gewesen, geht von einem unzutreffenden Maß der Alkoholisierung (1,17 Promille um 05.13 Uhr) aus. Die zur Feststellung der Tatzeit-BAK erforderliche Rückrechnung ist unterblieben. Bei Zugrundelegung eines stündlichen Abbauwerts von 0,2 Promille und eines einmaligen Sicherheitszuschlags von 0,2 Promille ergibt sich zur Tatzeit (03.00 Uhr) ein Blutalkoholgehalt von mindestens 1,81 Promille (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 13).
bb) Die Urteilsgründe begründen ferner die Besorgnis, dass das Schwurgericht die zu Gunsten des Angeklagten objektiv gegebene Notwehrlage verkannt hat, die jedenfalls bei der Prüfung der zweiten Alternative des § 213 StGB in die Gesamtbewertung hätte einbezogen werden müssen (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2007 – 4 StR 581/06, NStZ-RR 2007, 194, 195).
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RiBGH Cierniak ist urlaubsabwesend |
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