Bundesgerichtshof

Entscheidungsdatum: 10.05.2016


BGH 10.05.2016 - 4 StR 185/16

Sicherungsverfahren: Anforderungen an die Gefährlichkeitsprognose vor der Anordnung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Ansehung eines Rücktritts von Gewalthandlungen und früherer Straftaten


Gericht:
Bundesgerichtshof
Spruchkörper:
4. Strafsenat
Entscheidungsdatum:
10.05.2016
Aktenzeichen:
4 StR 185/16
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2016:100516B4STR185.16.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend LG Dortmund, 3. November 2015, Az: 34 KLs 4/15
Zitierte Gesetze

Tenor

1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 3. November 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Seine hiergegen gerichtete Revision hat Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen leidet der Beschuldigte „seit mindestens zehn Jahren“ an einer psychischen Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis, die erstmals im Jahr 2005 diagnostiziert wurde. Seine Krankheit zeichnet sich durch Affektstörungen und einen Abstammungs- und Größenwahn aus. Hinzu kommen Allmachts- und Gewaltphantasien sowie ein paranoides Beeinträchtigungserleben.

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a) Am 25. März 2013 schlug der sich „in einem akut psychotischen Zustand“ befindende Beschuldigte dem Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes mit der Faust ins Gesicht, als dieser seine Personalien feststellen wollte. Am 17. Januar 2014 beschädigte er in der Wohnung des Zeugen T.     eine Holztür durch Tritte und Schläge. Nachdem er die Wohnung verlassen hatte, schlug er mit einem 1,25 Meter langen und drei Zentimeter breiten Holzstab auf den Rücken des an ihm mit seinem Fahrrad vorbeifahrenden Zeugen H.   . Dabei traf er jedoch lediglich dessen Rucksack, weshalb der Zeuge H.    weder Verletzungen erlitt noch Schmerzen verspürte. Als ihn der Zeuge zur Rede stellte, fuchtelte der Beschuldigte mit dem Stock herum und fragte, ob er noch mehr wolle. Der Zeuge H.    redete nun beschwichtigend auf den Beschuldigten ein, der daraufhin weiterging. Kurze Zeit später traf der Beschuldigte auf den Zeugen P.   , der seinen Hund ausführte und sich mit einem Freund unterhielt. Der Beschuldigte schubste beide Personen beiseite und ging zwischen ihnen hindurch. Als der Zeuge P.    ihn fragte, was er da mache, drehte sich der Beschuldigte um. Dabei schwang er den Holzstab in Richtung des Gesichts des Zeugen P.   . Der Holzstab traf den Zeugen – wie von dem Beschuldigten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen – an der Nase. Der Zeuge erlitt hierdurch eine Schürfwunde. Herbeigerufene Polizeibeamte konnten den Beschuldigten beruhigen. Ihrer Aufforderung, seinen Stock niederzulegen, kam er nach. Kurz darauf legte er sich auf die Motorhaube des Polizeifahrzeugs und schlug mit beiden Fäusten auf diese ein. Als der Beschuldigte daraufhin von einem Polizeibeamten mit einem Armhebel zu Boden gebracht wurde, löste er sich mit großem Kraftaufwand aus dem Griff und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen seine Festnahme. Dabei fasste er mit einer Hand an die Dienstwaffe des Beamten, riss an ihr und sagte sinngemäß, dass er ihm jetzt die Waffe wegnehmen werde. Der Polizeibeamte verhinderte dies durch einen gezielten Faustschlag. Der Einsatz von Reizstoff zeigte keine Wirkung. Schließlich konnte der Beschuldigte mit der Hilfe von Verstärkungskräften fixiert werden. Bei seiner anschließenden Einweisung in die LWL-Klinik D.      zeigte sich der Beschuldigte sehr aggressiv und erklärte, Kindermörder, Messerstecher und „einer in der Dusche“ hätten ihn angegriffen. Er werde von einer ausländischen Bande bedroht und verfolgt. Ein Bandenmitglied – ein Mann mit Hund – habe ihn angegriffen. Am 11. Januar 2015 schlug und trat der „akut psychotische“ Beschuldigte zusammen mit seinem Begleiter T.     auf den Zeugen S.     ein, der dadurch Prellungen und Hämatome erlitt. Bei seiner anschließenden Festnahme versuchte er einen der eingesetzten Polizeibeamten anzugreifen.

4

b) Das Landgericht hat die Vorfälle vom 17. Januar 2014 als versuchte gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Schlag auf den Rücken des Zeugen H.   ), gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Schlag gegen die Nase des Zeugen P.   ), Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Sachbeschädigung gemäß §§ 113, 303 StGB (Verhalten bei der Festnahme) sowie Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB (Beschädigung der Tür) gewertet und als Anlasstaten für die Maßregelanordnung herangezogen. Daran anknüpfend ist die sachverständig beratene Strafkammer zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschuldigte aufgrund seiner psychischen Erkrankung auch künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit diesen Delikten vergleichbare, wenn nicht gar schwerwiegendere Taten begehen werde. Dabei hat sie auch den Faustschlag des Beschuldigten zum Nachteil des Sicherheitsdienstmitarbeiters vom 25. März 2013 (Körperverletzung gemäß § 223 StGB), seine Schläge und Tritte zum Nachteil des Zeugen S.     am 11. Januar 2015 (gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) und den sich anschließenden Angriff auf die Polizeibeamten (§ 113 StGB) mit berücksichtigt.

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2. Die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan.

6

a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme. Sie setzt neben der sicheren Feststellung mindestens einer im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangenen Anlasstat voraus, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, die schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die dazu notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135, 136; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN).

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b) Das Landgericht hat mit der Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen P.   , den Sachbeschädigungen und dem Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte zwar mehrere im Zustand der Schuldunfähigkeit begangene rechtswidrige Taten ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt. Die Gefahrenprognose begegnet aber durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

8

Denn die Strafkammer hat bei der Erstellung der Gefahrenprognose auch den von ihr als versuchte gefährliche Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) bewerteten Schlag mit dem Holzstab zum Nachteil des Zeugen H.    als prognoseungünstigen Umstand herangezogen und darin eine erhebliche Tat gesehen. Dass der Beschuldigte bei der Ausführung des Schlages tatsächlich mit einem auf den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gerichteten Vorsatz gehandelt hat, wird durch die Urteilsgründe aber nicht ausreichend belegt. Auch fehlen Feststellungen dazu, ob der Beschuldigte gegebenenfalls von der weiteren Tatausführung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 1. Fall StGB strafbefreiend zurückgetreten ist, nachdem der Zeuge H.    auf ihn beschwichtigend eingeredet hatte. Sollte der Beschuldigte tatsächlich durch den Zuspruch des Zeugen dazu veranlasst worden sein, von als möglich erkannten weiteren Gewalthandlungen Abstand zu nehmen, hätte dies bei der Gefährlichkeitsbeurteilung Berücksichtigung finden müssen.

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Schließlich hat das Landgericht zur Stützung seiner Prognose auch auf einen Strafbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 1. Dezember 2011 verwiesen, mit dem der Beschuldigte unter anderem wegen Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden war. Zwar werden in den Urteilsgründen die dazu getroffenen Feststellungen mitgeteilt. Aus diesen ergibt sich aber nicht, dass diese Taten auf der Erkrankung des Beschuldigten beruhten, sodass deren Prognoserelevanz nicht beurteilt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 8. August 2007 – 2 StR 296/07, StraFo 2007, 468).

10

Die Sache bedarf danach erneuter Prüfung.

Sost-Scheible                       Franke                         Mutzbauer

                          Bender                     Quentin