Entscheidungsdatum: 22.05.2013
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 22. November 2012 im gesamten Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und in Höhe eines Betrages von 25.000 € den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
I.
Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 8. April 2013 im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, haben die vom Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen keinen Erfolg; auch hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
II.
Hingegen hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten bei den Erwägungen zur Wahl des Strafrahmens rechtsfehlerhaft sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet und die Reichweite des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit aus dem Blick verloren hat.
1. Im Fall II. 2 der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte nach den Feststellungen 500 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 20 % gewinnbringend an den Zeugen E.-M. für 22.000 € weiterverkaufte, hat das Landgericht ausgeführt, für die Annahme eines minder schweren Falles spreche zwar das teilweise Geständnis des Angeklagten; es könne allerdings nicht übersehen werden, dass dieser zugleich versucht habe, durch seine Einlassung die Folgen seiner Tat zu verharmlosen, indem er entgegen den späteren Feststellungen im angefochtenen Urteil behauptet habe, er hätte das Kokain wegen der (angeblich) schlechten Qualität wieder zurückerhalten. In Bezug auf alle festgestellten Taten hat das Landgericht ferner ausgeführt, gegen die Annahme minder schwerer Fälle spreche „letztlich“ der Umstand, dass der Angeklagte äußerst konspirativ vorgegangen sei. Die Strafkammer sei aufgrund einer Gesamtschau davon überzeugt, dass der Angeklagte offenbar von Anfang an beabsichtigt habe, die Ermittlungsmaßnahmen der Polizei in eine falsche Richtung zu lenken. Die polizeilichen Ermittlungen seien dadurch erheblich erschwert worden. Beispielsweise habe die wahre Identität des Angeklagten erst am 1. Februar 2012 durch die Polizei festgestellt werden können, nachdem der Telefonanschluss des Angeklagten für etwa 14 Tage überwacht und die Koordinaten seines Wohnsitzes unter Auswertung der Gesprächsinhalte aufwändig festgestellt worden seien. Beide Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
2. Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) folgt, dass der Beschuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern und an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03, BGHSt 49, 56, 59 f.). Dementsprechend darf ihm mangelnde Mitwirkung an der Sachaufklärung nicht strafschärfend angelastet werden (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 mwN). Darüber hinaus kann auch Prozessverhalten, mit dem der Angeklagte – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, da hierin – unbeschadet einer Verletzung des nemo-tenetur-Grundsatzes – eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge. Dies gilt nicht nur dann, wenn er eine unrichtige Einlassung unverändert aufrechterhält, sondern auch, wenn er dem Anklagevorwurf mit jedenfalls teilweise wahrheitswidrigem Vorbringen zu begegnen sucht (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 aaO).
Gemessen daran kann der Senat vor dem Hintergrund des Gesamtzusammenhangs der Strafzumessungserwägungen nicht ausschließen, dass die Strafrahmenwahl des Landgerichts im Hinblick auf beide Umstände maßgeblich durch eine unzulässige Bewertung des Verteidigungsverhaltens des Angeklagten beeinflusst ist. Dies gilt umso mehr, als die von der Strafkammer herangezogene Erwägung, durch die äußerst konspirative Vorgehensweise des Angeklagten seien die polizeilichen Ermittlungen erheblich erschwert worden, mit dem bloßen Hinweis auf eine zweiwöchige Telefonüberwachung und die darauf gestützte Bestimmung der Wohnsitz-Koordinaten nicht hinreichend mit Tatsachen belegt ist.
III.
Der Strafausspruch bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Angesichts der Höhe der verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe kann der Senat, auch vor dem Hintergrund der festgestellten schlechten Qualität der Betäubungsmittel, nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die Entscheidung über den in den einzelnen Fällen anzuwendenden Strafrahmen ohne die Wertungsfehler anders ausgefallen wäre. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes kann der Senat den Rechtsfolgenausspruch auch nicht als „angemessen“ im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO ansehen. Die zu Grunde liegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich um Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
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