Entscheidungsdatum: 20.09.2011
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 8. November 2010 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse
Von Rechts wegen
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Gegen diesen Freispruch wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
I.
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, während einer Kundgebung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der NPD durch Ausrufe während des Aufzuges sowie durch eine Rede in einer Weise, die geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufgestachelt zu haben (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 StGB in der Fassung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. Oktober 1994, BGBl. I S. 3186).
1. Die Strafkammer hat dazu Folgendes festgestellt:
Am 25. Oktober 2008 fand in Bochum der von dem Landesverband Nordrhein-Westfalen der NPD angemeldete Aufzug statt. Das zuvor auf dessen Homepage bekannt gegebene Motto lautete: „Deutsche wehrt Euch – Gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität!“ Der unter anderem wegen Volksverhetzung vorbestrafte Angeklagte, der seit ca. 1979 politisch im „rechten Spektrum“ aktiv ist und dem Bundesvorstand der NPD angehört, war als Gastredner eingeladen. Das Thema der Veranstaltung war ihm bekannt. Nicht festgestellt werden konnte, dass er in die Vorbereitung und Gestaltung der Veranstaltung eingebunden war.
Gegen 13.00 Uhr versammelten sich ca. 250 Teilnehmer einschließlich des Angeklagten. Auf einem mitgeführten Lkw waren eine Lautsprecheranlage sowie ein Transparent mit der Aufschrift „www.ausländerstopp.nrw.de“ angebracht. Während des Umzugs skandierte der Angeklagte über die Lautsprecheranlage wiederholt: „Hoch die nationale Solidarität!“. Weiterhin äußerte er: „Ist der Ali kriminell, in die Heimat, aber schnell!“ sowie „Multikulti ist kein Himmelsgesetz. Multikulti und Masseneinwanderung sind nicht vom deutschen Volk gewollt, …“. Daneben führte er sinngemäß unter anderem aus, die Deutschen hätten ein Recht darauf, sich gegen eine seines Erachtens fehlgeleitete Politik, die den Interessen der „Nochmehrheitsbevölkerung“ widerspreche, zu wenden. Während des Aufzugs kam es zu Protesten von Gegendemonstranten.
Gegen 14.00 Uhr erreichte der Aufzug den Kundgebungsplatz, wo sich zahlreiche Gegendemonstranten aufhielten. Dort hielt der Angeklagte gegen 15.00 Uhr im Anschluss an zwei andere Personen eine Rede. Hierbei stand er auf der Ladefläche des Lkw und nutzte die Lautsprecheranlage. Am Rednerpult war vom Veranstalter ein Plakat angebracht worden, welches drei Personen zeigte, die Kapuzen über den Kopf gezogen hatten und Sonnenbrillen trugen. Eine der abgebildeten Personen hielt einen Schlagstock in der Hand. Das Bild war überschrieben mit „Deutsche wehrt euch!“ Unter dem Bild stand „Gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität!“ Unten auf dem Plakat stand: „www.ausländerstopp.nrw.de“. Während der Rede des Angeklagten zeigten einige Teilnehmer Transparente mit den Aufschriften: „Gegen Islamisierung, Überfremdung und Ausländerkriminalität“ und „kriminelle Ausländer raus“.
Der Angeklagte hielt die Rede frei und sprach wegen des durch die Gegendemonstration verursachten Lärms zwar laut; von der Vortragsweise her waren aber keine Auffälligkeiten erkennbar. In Redepausen erfolgten Beifallskundgebungen, die jedoch im Vergleich zu den Reaktionen auf die weiteren Reden deutlich gemäßigter und moderater ausfielen. Während der Rede kam es nicht zu Zurufen mit ausländerfeindlichen Inhalten aus der Gruppe der Zuhörer.
Zu Beginn seiner Rede verwies der Angeklagte darauf, dass sie als „nationale Opposition“ wieder Flagge gezeigt und die Medien gezwungen hätten zu berichten, dass es auch etwas anderes als den „multikulti Wahnsinn“ der etablierten „Einheitsparteien“ gebe. Sie hätten die Medien gezwungen, sich eindeutig klar hinzustellen, ob sie auf der Seite des Volkes stünden oder auf der Seite der „multikulturellen, multikriminellen Massenpsychose“, der sie „unser Volk“ aussetzten. Der gegen die Deutschen schlagende „multikulti Wahnsinn“ sei auch heute wieder darin erkennbar geworden, dass sie ein Transparent mit der Aufschrift: „Multikulti ist Völkermord“ nicht hätten zeigen dürfen. Dieses sei Unterdrückung der freien Meinungsäußerung. Der Angeklagte erinnerte dabei an den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten, der genau dies gesagt habe. Nach dessen Meinung sei „Multikulti“ Völkermord zum Nachteil des türkischen Volkes. Sodann äußerte der Angeklagte wörtlich: „Wir haben als Deutsche das Recht in die Öffentlichkeit zu gehen, Öffentlichkeit herzustellen, um damit zu dokumentieren, dass wir als Deutsche nicht bereit sind, widerspruchslos zur Minderheit im eigenen Lande zu werden.“
Ferner führte der Angeklagte aus, die „Einheitspolitiker, diese Multikultifanatiker“, gingen mit großem Aufwand, mit Pressekampagnen und mit der ganzen Macht der etablierten Parteien gegen sie vor. Sie würden jedoch das Spiel dieser Politiker als ein von oben aufgepfropftes, von oben aufgesetztes Spektakel entlarven, das meilenweit an den Interessen und an der Wirklichkeit des eigenen Volkes vorbeigehe; er behauptete, die schweigende Mehrheit der Deutschen denke inzwischen, „Multikulti“ sei gescheitert und zerstöre die gewachsenen Strukturen des Volkes.
Im Folgenden kritisierte der Angeklagte die für den Polizeieinsatz vor Ort sowie die für die akustischen Störungen während der Veranstaltung Verantwortlichen und führte davon abgrenzend in Bezug auf die Teilnehmer aus, sie dagegen seien Deutsche. Sie hätten und würden es nicht vergessen, was das ewige Recht „unseres Volkes“ sei, das Recht, sein Überleben zu sichern sowie es das Recht eines jeden anderen Volkes auf dieser Welt sei, und so sähen sie sich eins mit den nationalistischen Befreiungsbewegungen, mit nationalen, sozialen Bewegungen überall in der Welt. Nach seinen Ausführungen stünden „überall … die Völker auf gegen den amerikanischen ‚one World’-Traum und deren multikriminellen, internationalistischen Börsengaunern, die die Welt langsam aber sicher der internationalen Hochfinanz zum Fraße vorwerfen … und auch das letzte Volk in Unfreiheit führen wollen“.
Sodann führte der Angeklagte weiter zur weltwirtschaftlichen Situation aus, das „liberal-kapitalistische ‚Anti-Menschentum’“ gehe einem großen Exodus entgegen. Ein aufgepumptes Finanzsystem der internationalen Börsenspekulanten habe dafür gesorgt, das jetzt der Crash komme. Dieser habe gezeigt, dass all’ das, wofür diese Politiker, wofür diese „Börsengauner“ stünden, zusammenbreche. Es sei eine falsche Welt mit falschen Werten.
Daneben griff der Angeklagte das Thema „Soziale Gerechtigkeit“ auf und führte dazu aus, dass sie gerade erlebten, wie die „Links Partei“ versuche, mit sozialen Themen als „Bauernfänger“ die Menschen wieder einmal „für dumm zu verkaufen“. Die „Links Partei, die … für Multikulti, für Masseneinwanderung und somit auch für die Zerstörung des Sozialsystems unseres Volkes“ stehe, habe gefordert, eine sozial gerechte Globalisierung zu erkämpfen. Dies funktioniere aber nicht, weil sie als „nationale Kämpfer“ wüssten, dass sozial nur national gehe. Soziale Errungenschaften seien von den Franzosen, Engländern und Deutschen in Jahrhunderte langem Ringen erkämpft worden und nicht von irgendwelchen inhomogenen „Multikultimassen“. Soziale Gerechtigkeit sei Ausdruck einer Lebensform, ein kultureller Bestandteil eines Volkes und könne nur von einem gewachsenen Volk erkämpft werden. Ferner meinte er, dass sie in Deutschland in der Zukunft mit massiven Einbrüchen des Sozialsystems zu kämpfen hätten und es mit einer massiven Verelendung in Teilen des Volkes zu tun bekämen. Alles das, was jetzt noch „in Flitter und Glanz und Schein“ zu funktionieren scheine, werde langsam aber sicher zusammenbrechen.
Der Angeklagte kündigte an, „Parallelgesellschaften“ würden dazu übergehen, sich ihr Recht zu nehmen, wenn sie es denn nicht mehr bekämen; Auswüchse wie in den Vororten von Paris oder London würden auch Deutschland erreichen. Ganze Stadtteile in Berlin seien inzwischen von der Polizei für nicht mehr handhabbar erklärt worden. Die Polizei habe offen erklärt, dass man der Banden mit dem „multikulturellen Abgrund“ dort nicht mehr Herr werden könne. Wörtlich äußerte er: „Mafiastrukturen aus dem Ausland haben sich in unsere Gesellschaft hineingefressen. Es fängt ganz klein an in den Ortsämtern, bei den Sozialämtern, wo die Leute unter Druck gesetzt werden, wenn sie vielleicht einer Großfamilie nicht mehr das Geld zugestehen, welches diese Großfamilie beansprucht. Ganz klein fangen die Mafiastrukturen an, aber sie fressen sich seit Jahrzehnten in die Gesellschaft hinein, bis hoch in höchste politische Ämter. Wir müssen davon ausgehen, dass dieses System langsam aber sicher am Ende ist und krepiert.“
Abschließend führte er aus, dass sie die letzte Chance für „unser Volk“ seien. Sie, die „noch Deutsche sein wollten in Deutschland“, würden schon bald von den Deutschen in diesem Lande die Unterstützung erfahren in der Masse, für die sie seit Jahren auf die Straße gingen, denn der Untergang der „multikulturellen Gesellschaft“ sei vorprogrammiert. Dabei forderte er die Teilnehmer auf, ohne zu zögern und ohne Angst auch zukünftig gemeinschaftlich auf die Straße zu gehen, weil sie es nur als eine Einheit der Deutschen, als eine „Kampfgemeinschaft aller nationalen Kräfte“ schaffen würden, Veränderungen in diesem Lande herbeizuführen. Zugleich sprach er indirekt von innerparteilichen Schwierigkeiten, die „ihr großes Werk einer Gesamtbewegung“ zu zerreden oder zu zerstören drohten, und endete mit den Worten: „Es ist unsere Aufgabe als nationale, soziale Bewegung zusammenzustehen, nur gemeinsam werden wir den Sieg erringen.“
2. Das Landgericht meint, nach den getroffenen Feststellungen sei der objektive Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 StGB aF nicht erfüllt. Die auf der Grundlage der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze vorzunehmende Würdigung der Äußerungen des Angeklagten führe auch unter Berücksichtigung der festgestellten Begleitumstände nicht allein zu einer die Strafbarkeit begründenden Auslegung (UA 10).
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
Das Landgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1 StGB aF nicht vorliegen, weil der Angeklagte nicht zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufgestachelt hat. Die am 22. März 2011 in Kraft getretene Neufassung des § 130 Abs. 1 StGB durch Gesetz vom 16. März 2011 (BGBl. I S. 418) hat diese Tatvariante nicht geändert und ist daher kein milderes Gesetz im Sinne des § 2 Abs. 3 StGB.
Die in Deutschland lebenden Ausländer kommen als hinreichend abgrenzbarer und damit vom Tatbestand der Volksverhetzung geschützter Teil der Bevölkerung in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 1988 – 3 StR 561/87, BGHR StGB § 130 Nr. 1 Bevölkerungsteil 2; Urteil vom 8. August 2006 – 5 StR 405/05, BGHR StGB § 130 Abs. 1 Friedensstörung 1; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 368; OLG Brandenburg NJW 2002, 1440; OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Mai 2011 – 1 Ss 175/11; LK-Krauß, StGB, 12. Aufl., § 130 Rn. 28, 31; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 130 Rn. 3, 4). Unter Aufstachelung zum Hass ist ein Verhalten zu verstehen, welches auf die Gefühle oder den Intellekt eines anderen einwirkt und objektiv geeignet sowie subjektiv bestimmt ist, eine emotional gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende, feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil oder die betreffende Gruppe zu erzeugen oder zu verstärken (BGH, Urteile vom 15. März 1994 – 1 StR 179/93, BGHSt 40, 97, 102, vom 12. Dezember 2000 – 1 StR 184/00, BGHSt 46, 212, 217, vom 8. August 2006 – 5 StR 405/05, BGHR StGB § 130 Abs. 1 Friedensstörung 1 und vom 3. April 2008 – 3 StR 394/07, BGHR § 130 Nr. 1 Aufstacheln 2).
1. Die Annahme des Landgerichts, „eine (allein) zur Strafbarkeit führende Auslegung der Äußerungen des Angeklagten (sei) auch unter Berücksichtigung der … festgestellten Begleitumstände nicht möglich (UA 10), bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung (sei) kein Fall gegeben, bei dem die Äußerungen des Angeklagten nur so gedeutet werden können, dass er seine Angriffe auch unmittelbar gegen die in Deutschland lebenden Ausländer gerichtet“ habe (UA 11), hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Bei der Deutung des objektiven Sinns der Äußerungen des Angeklagten hat das Landgericht die Anforderungen beachtet, die sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ergeben:
Dieses Grundrecht gibt jedem das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten (BVerfGE 93, 266, 289). Jedermann hat insbesondere in der öffentlichen Auseinandersetzung, zumal im politischen Meinungskampf, das Recht, auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern (BVerfG NJW 1992, 2750). Meinungen genießen den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne dass es dabei auf deren Begründetheit, Werthaltigkeit oder Richtigkeit ankäme. Sie verlieren diesen Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf und überzogen geäußert werden (vgl. BVerfGE 61, 1, 7; 85, 1, 14 f.; 90, 241, 247). Geschützt sind damit grundsätzlich auch – in den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG – rechtsextremistische Meinungen (vgl. BVerfGK 7, 221, 227; 8, 159, 163; BVerfG EuGRZ 2008, 769, 772; 2011, 88; NJW 2010, 47, 49).
Das Grundrecht der Meinungsfreiheit findet gemäß Art. 5 Abs. 2 GG eine Schranke in den allgemeinen Gesetzen (vgl. näher BVerfGE 7, 198, 208 f.; BVerfGK 13, 1, 4 f.), zu denen auch § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB aF gehört.
Bei der Subsumtion unter diese Strafvorschrift ist Voraussetzung jeder rechtlichen Würdigung, dass der Sinn der Meinungsäußerung zutreffend erfasst wird. Ziel der Deutung ist die Ermittlung des objektiven Sinns einer Äußerung. Maßgeblich ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums objektiv hat. Dabei ist stets von dem Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und ihren Begleitumständen bestimmt, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind (vgl. BVerfGE 93, 266, 295; BVerfG NJW 2008, 2907, 2908). Es ist deshalb von Bedeutung, ob sich die Äußerungen an einen in irgendeiner Richtung voreingenommenen Zuhörerkreis richten und ob den Zuhörern die politische Einstellung des Angeklagten bekannt ist. Diese Umstände können Hinweise darauf geben, wie der durchschnittliche Zuhörer die Äußerungen auffassen wird (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 4 StR 283/05, NStZ-RR 2006, 305 mwN). Die Notwendigkeit der Berücksichtigung begleitender Umstände ergibt sich in besonderer Weise dann, wenn die betreffende Formulierung ersichtlich ein Anliegen nur in schlagwortartiger Form zusammenfasst (vgl. BVerfGK 13, 1, 5; BVerfG NJW 2009, 3503, 3504). Ein solcher Fall liegt typischerweise bei dem Motto einer Versammlung vor, das in der Regel nur den Kern eines Anliegens in knappen Worten zum Ausdruck bringen kann.
Ist eine Äußerung mehrdeutig, so haben die Gerichte, wollen sie die zur Anwendung sanktionierender Normen führende Deutung ihrer rechtlichen Würdigung zu Grunde legen, andere Auslegungsvarianten mit nachvollziehbaren und tragfähigen Gründen auszuschließen (vgl. BVerfGE 85, 1, 13 f.; 94, 1, 9; 114, 339, 349). Gründe dieser Art können sich auch aus den Umständen ergeben, unter denen die Äußerung gefallen ist (vgl. BVerfGE 82, 43, 52). Frühere eigene Kundgebungen kommen nur in Betracht, wenn zu ihnen ein eindeutiger Bezug hergestellt wird (vgl. BVerfG aaO S. 52 f.). Denn mit Art. 5 Abs. 1 GG wäre es nicht vereinbar, wenn Meinungsäußerungen mit dem Risiko verbunden wären, dass der Äußernde wegen einer nachfolgenden Deutung durch die Strafgerichte verurteilt wird, die dem objektiven Sinn seiner Äußerung nicht entspricht. Der Einzelne darf vielmehr in der Freiheit seiner Meinungsäußerung nicht aufgrund von Meinungen eingeengt werden, die er zwar hegen oder bei anderer Gelegenheit geäußert haben mag, im konkreten Fall aber nicht kundgegeben hat (BVerfG aaO S. 53).
Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen schließen zwar nicht aus, dass die Verurteilung auf ein Auseinanderfallen von sprachlicher Fassung und objektivem Sinn gestützt wird (vgl. BVerfGE 93, 266, 303), wie dies insbesondere auf in der Äußerung verdeckt enthaltene Aussagen zutrifft. Ein solches Verständnis muss aber unvermeidlich über die reine Wortinterpretation hinausgehen und bedarf daher der Heranziehung weiterer, dem Text nicht unmittelbar zu entnehmender Gesichtspunkte und Maßstäbe. Diese müssen mit Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar sein (vgl. BVerfGE 43, 130, 139; BVerfG NJW 2008, 2907, 2908). Auf eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen verdeckt enthaltene zusätzliche Aussage dürfen die Verurteilung zu einer Sanktion oder vergleichbar einschüchternd wirkende Rechtsfolgen daher nur gestützt werden, wenn sich die verdeckte Aussage dem angesprochenen Publikum als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängt (vgl. BVerfG NJW 2008, 1654, 1655; 2010, 2193). Hierfür müssen die Gerichte die Umstände benennen, aus denen sich ein solches am Wortlaut der Äußerung nicht erkennbares abweichendes Verständnis ergibt (BVerfG NJW 2008, 2907, 2908).
Bei der Abwägung ist von Bedeutung, ob es sich bei den beanstandeten Äußerungen um Werturteile oder Tatsachenbehauptungen handelt. Bei Tatsachenbehauptungen hängt die Abwägung vom Wahrheitsgehalt ab; wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl. BVerfGE 99, 185, 196). Bei tatsachenhaltigen Werturteilen spielt die Wahrheit der tatsächlichen Bestandteile eine Rolle. Eine mit erwiesen unwahren Annahmen vermengte Meinung ist weniger schutzwürdig als eine auf zutreffende Annahmen gestützte (vgl. BVerfGE 90, 241, 253).
b) An diesen Grundsätzen gemessen begegnet die Deutung des Landgerichts, die Erklärungen des Angeklagten ließen sich – ungeachtet einer ausländerfeindlichen Grundeinstellung – als Äußerung einer ablehnenden Haltung gegen eine bestimmte tatsächliche oder mutmaßlich praktizierte Einwanderungspolitik verstehen und könnten nicht nur so gedeutet werden, dass er seine Angriffe auch unmittelbar gegen die in Deutschland lebenden Ausländer gerichtet habe, keinen rechtlichen Bedenken. Nach dem Wortlaut, dem sprachlichen Kontext und den Begleitumständen, in denen die umstrittenen Äußerungen fielen, kam diese nicht dem Tatbestand des § 130 StGB unterfallende Auslegung in Betracht. Dem standen nachvollziehbare, tragfähige Gründe nicht entgegen.
aa) Der von der Revision erhobene Einwand, das Landgericht habe entgegen der vielfach verwendeten Formel einer Gesamtbetrachtung eine solche nicht vorgenommen, geht fehl. Die Strafkammer hat vielmehr ausgehend vom Wortlaut und der konkreten Ausdrucks- und Verhaltensweise des Angeklagten auch die sonstigen Begleitumstände in die Auslegung einbezogen. Insoweit hat sie die zu den einzelnen Themenbereichen jeweils geäußerte Kritik aufgegriffen und einer ausführlichen Bewertung unterzogen. Zudem hat sie sowohl dem Motto der Veranstaltung als auch dem Umstand Rechnung getragen, dass der Angeklagte als Mitglied und Funktionsträger der NPD seit vielen Jahren politisch im rechten Parteienspektrum aktiv und überdies bereits mehrfach wegen politischer Straftaten vorbelastet ist. Sie hat alle erheblichen Gesichtspunkte hinreichend zueinander in Beziehung gesetzt.
bb) Die gebotene Gesamtbetrachtung der konkreten Äußerungen einschließlich der Begleitumstände nötigt – entgegen der Auffassung der Revision – nicht zur Annahme, dass der Angeklagte sich unmittelbar gegen die hier lebenden Ausländer wenden wollte; jedenfalls drängt sich bei unbefangener Betrachtung diese Angriffsrichtung nicht sofort derartig auf, dass die vom Landgericht gefundene Auslegung fern liegend wäre (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2010, 453, 454).
(1) In seiner Rede grenzte der Angeklagte zwar das deutsche Volk von anderen Völkern ab, sprach vom deutschen Volk und im Gegensatz dazu von anderen Völkern, Ausländern, Fremden oder „Parallelgesellschaften“ und behauptete, das deutsche Volk sei durch „Überfremdung“ bedroht, weil „Parallelgesellschaften“ sich in Deutschland „breit“ gemacht hätten und die noch mehrheitlich deutsche Bevölkerung bedrohten. Auch äußerte er, das deutsche Volk habe – wie nationalistische Befreiungsbewegungen in aller Welt – das Recht, das Überleben im eigenen Land zu sichern und müsse nicht widerspruchslos hinnehmen, eine Minderheit im eigenen Land zu werden.
Diese Äußerungen des Angeklagten stehen jedoch der Deutung des Landgerichts nicht entgegen. Sie können zwanglos als Beschreibung der Folgen einer seiner Ansicht nach verfehlten Ausländerpolitik sowie als Aufruf verstanden werden, sich für eine andere Politik einzusetzen, zumal sie im Kontext mit der Kritik an politischen und gesellschaftlichen Kräften, namentlich den von ihm als „Einheitspolitiker“ und „Multikultifanatiker“ bezeichneten Entscheidungsträgern der „etablierten Parteien“ standen. Dafür spricht auch der Aufbau der Rede selbst. Denn der Angeklagte bezeichnete bereits zu Beginn der Rede die Teilnehmer als „nationale Opposition“ und nahm eine Abgrenzung zu den „etablierten Einheitsparteien“ vor. Dabei warf er diesen pauschal vor, den Interessen des eigenen Volkes zuwider zu handeln. Anschließend griff er – in überspitzter und polemischer Form – verschiedene Themenkomplexe (Störungen während der Veranstaltung, die Finanzkrise, Globalisierung und soziale Gerechtigkeit einschließlich einer Gefahr für das deutsche Sozialsystem) auf und kritisierte pauschal unterschiedliche Entscheidungsträger. Abschließend forderte er die Teilnehmer auf, durch gemeinsames Handeln Veränderungen herbeizuführen, wobei er insoweit lediglich auf gemeinsame Demonstrationen verwies. Vor diesem Hintergrund liegt jedenfalls nicht fern, dass sich der Angeklagte mit seiner Rede gegen die bisherige Politik wenden wollte und Änderungen in der Ausländerpolitik anstrebte, besonders weil er schon während des Aufzugs behauptete, in Deutschland werde eine fehlgeleitete Politik gegen die Interessen der „Nochmehrheitsbevölkerung“ geführt.
Gleiches gilt hinsichtlich der vom Angeklagten während des Umzugs gerufenen weiteren Parolen, zumal § 53 AufenthG die Abschiebung rechtskräftig verurteilter Ausländer ermöglicht, unter bestimmten Voraussetzungen sogar zwingend vorschreibt, und die Forderung des Angeklagten zwanglos hierauf bezogen werden kann.
Soweit die Revision demgegenüber der Rede den Sinn entnimmt, der Angeklagte habe den Begriff „Parallelgesellschaften“ als Synonym für die in Deutschland lebenden Ausländer verwendet und sich nicht auf eine Kritik an der Politik beschränkt, handelt es sich lediglich um eine von mehreren Deutungsmöglichkeiten. Denn die hierfür von der Revision aufgegriffenen Textpassagen (Ausländer hätten sich aktiv „breit“ gemacht und würden die deutsche Bevölkerung zurückdrängen; Ausländer würden das soziale System „unterwandern“, wodurch eine massive Verelendung in Teilen der deutschen Bevölkerung drohe; Parallelgesellschaften würden dazu übergehen, sich ihr Recht zu nehmen, wenn sie es denn nicht bekämen; Mafiastrukturen hätten sich in die deutsche Gesellschaft hineingefressen, es fange ganz klein an in den Ortsämtern…) können – auch unter Beachtung der Wortschöpfung „multikriminell“ und der Parolen: „Sozial geht nur national!“ und „Hoch die nationale Solidarität!“ – ebenfalls als überspitzte Beispiele für die Folgen einer seiner Ansicht nach verfehlten Politik gedeutet werden; sie stehen damit der vom Landgericht getroffenen Wertung nicht entgegen. Die Strafkammer hat zu Recht auch den Umstand in seine Würdigung einbezogen, dass der Angeklagte für eine nicht für verfassungswidrig erklärte Partei aufgetreten ist, der das Parteienprivileg des Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG zukommt (vgl. BVerfG NJW 1998, 3631).
(2) Die vom Landgericht festgestellten Begleitumstände schließen die von ihm gefundene Auslegung nicht aus.
Das Plakat mit dem Motto der Veranstaltung „Deutsche wehrt Euch – Gegen Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität!“, das drei vermummte Personen zeigte, wobei eine zudem einen Schlagstock in der Hand hielt, lässt – ungeachtet der aggressiven Form – infolge ihrer knappen Ausdrucksweise verschiedene Deutungen zu; das hat das Landgericht zutreffend erkannt. Der im Imperativ verwendete Begriff „wehren“ ist insoweit neutral, als er sich nicht unbedingt auf eine natürliche Person oder konkrete Personengruppe beziehen muss, sich vielmehr auch auf ein politisches System, auf bestehende politische Verhältnisse beziehen kann. Zwar spricht der Angeklagte selbst wiederholt von „Kampf“ bzw. „Kämpfer“ und bezeichnet die Teilnehmer als „nationale Befreiungsbewegung“. Gleichwohl kann damit unschwer auch der politische Meinungskampf oder ein Kampf mit politischen Mitteln zum Ausdruck gebracht werden. Dafür streiten auch der Hinweis des Angeklagten, „sie hätten das Recht, in die Öffentlichkeit zu gehen, Öffentlichkeit herzustellen“, und sein Aufruf zur Teilnahme an Demonstrationen, einem regelmäßig der politischen Meinungsbildung dienenden Mittel zur Erreichung von Veränderungen.
Gleiches gilt in Bezug auf die Begriffe „Überfremdung, Islamisierung und Ausländerkriminalität“ sowie die am Rednerpult angebrachte Internetadresse. Abgesehen davon, dass dem Angeklagten die Gestaltung der Veranstaltung ausweislich der Feststellungen nicht zugerechnet werden kann, handelt es sich um Schlagworte, die auch in der politischen Auseinandersetzung Verwendung finden und daher seinen Äußerungen insgesamt nicht zwingend einen anderen als den vom Landgericht angenommenen Sinn geben.
Soweit die Revision unter Hinweis auf das Urteil des 1. Strafsenats vom 15. März 1994 (1 StR 179/93, BGHSt 40, 97, 101) geltend macht, neben dem Plakat sei bei der Auslegung maßgeblich zu beachten, dass dem Angeklagten die politische Grundeinstellung der Zuhörer bekannt gewesen sei, die sich unter dem Motto zusammengefunden und sich in einer feindseligen Haltung gegen in Deutschland lebende Ausländer gewandt hätten, greift auch dieser Einwand nicht durch. Festgestellt werden konnte insoweit lediglich, dass Teilnehmer des Aufzugs schwarz-weiß-rote Fahnen bzw. eine Fahne in den Farben weiß und rot mit der Aufschrift NPD mit sich führten, Zuhörer Transparente zeigten und in Redepausen Beifall bekundeten, der jedoch im Vergleich zu den Reaktionen auf die anderen Reden deutlich gemäßigter und moderater ausfiel (vgl. in diesem Zusammenhang zur Bedeutung von Beifallskundgebungen BGH aaO). Da die Strafkammer zudem festgestellt hat, dass die Vortragsweise keine Auffälligkeiten erkennen ließ und aus der Gruppe der Zuhörer während der Rede – anders als bei den weiteren Reden – keine Zurufe mit ausländerfeindlichem Inhalt erfolgten, ist trotz einer zu unterstellenden ausländerfeindlichen Grundrichtung der Teilnehmer nicht fern liegend, dass diese die Äußerungen in dem vom Landgericht festgestellten Sinn verstanden. Das Landgericht hat neben den offenen Äußerungen weder für die Zuhörer erkennbare verdeckt enthaltene Aussagen noch Anhaltspunkte dafür festgestellt, dass sich der Angeklagte auf frühere, als Volksverhetzung gewertete eigene Äußerungen bezog.
2. Zudem kann das Verhalten des Angeklagten auch nicht als Aufstacheln zum Hass angesehen werden. Allerdings hat sich der Angeklagte dahingehend sinngemäß geäußert, Mafiastrukturen aus dem Ausland hätten sich in die deutsche Gesellschaft hineingefressen, bis in höchste politische Ämter, ausländische Großfamilien würden Mitarbeiter der Sozialämter unter Druck setzen, um Geld zu erlangen, das ihnen nicht zustehe, sowie Parallelgesellschaften würden dazu übergehen, sich ihr Recht zu nehmen, wenn sie es nicht mehr bekämen. Weiter hat er ausgeführt, es drohten massive Einbrüche unseres Sozialsystems und eine massive Verelendung in Teilen „unseres Volkes“. Selbst wenn man der Revisionsführerin im Ausgangspunkt darin folgen würde, dass diese Ausführungen und deren Begleitumstände geeignet wären, eine auf Ablehnung, ggf. auch auf Verachtung beruhende Haltung gegen in Deutschland lebende Ausländer herbeizuführen, so sind sie jedoch weder für sich noch in ihrer Gesamtheit objektiv geeignet, eine emotional gesteigerte feindselige Haltung gegen diese Personengruppe zu erzeugen oder zu verstärken. Den Äußerungen ist zwar eine ausgeprägte negative Grundrichtung gegenüber ausländischen Mitbürgern zu entnehmen, und sie widersprechen ohne Zweifel der für die freiheitliche demokratische Grundordnung grundlegenden Erwartung einer Toleranz der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern (vgl. BVerfG NJW 2010, 2193, 2196). Das Strafgesetzbuch stellt aber nicht schon ausländerfeindliche Äußerungen als solche unter Strafe (BVerfG NJW 2001, 2072, 2073). Da der Angeklagte darüber hinaus keine Bereitschaft zu Übergriffen oder Gewalttätigkeiten gegenüber Ausländern erkennen ließ, vielmehr als Mittel zur Herbeiführung von Veränderungen ausschließlich die Möglichkeit zu demonstrieren erwähnte, ist hier die für ein Aufstacheln zum Hass erforderliche besonders intensive Form der Einwirkung (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 – 3 StR 394/07, BGHR StGB § 130 Nr. 1 Aufstacheln 2; LK-Krauß, aaO, § 130 Rn. 34, 38, 40) auch unter Beachtung des zu berücksichtigenden Kontextes nicht gegeben. Dies bestätigt der Umstand, dass es während der Rede nicht zu Zurufen mit ausländerfeindlichen Inhalten kam.
Ernemann Cierniak Franke
Bender Quentin