Entscheidungsdatum: 10.05.2012
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 28. Oktober 2011 aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 2. b der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen schwerer Vergewaltigung und unerlaubten Führens einer Schusswaffe in Tateinheit mit Bedrohung in Tateinheit mit Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen einer Zuwiderhandlung gegen eine bestimmte vollstreckbare Anordnung nach § 1 Abs. 1 S. 1 GewSchG kann nicht bestehen bleiben. Die getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass das Tatbestandsmerkmal einer „vollstreckbaren“ Anordnung erfüllt ist. Hierzu teilt das Landgericht lediglich mit, dass die Nebenklägerin einen Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Halle (Westfalen) vom 15. Oktober 2010 erwirkt habe, in welchem dem Angeklagten u.a. verboten worden sei, sich ihrer (genau bezeichneten) Wohnung näher als 20 Meter zu nähern; dem Angeklagten sei dieses Verbot bekannt gewesen.
Die Strafkammer stellt weder hier noch an anderer Stelle ihres Urteils fest, ob der Beschluss dem Angeklagten wirksam zugestellt worden ist. Nach dem Urteil des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 15. März 2007 (5 StR 536/06, BGHSt 51, 257; dem folgend BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2007 – 2 StR 431/07, vom 17. September 2008 – 1 StR 415/08 und vom 7. Oktober 2010 – 1 StR 404/10) ist indes die wirksame Zustellung Voraussetzung für die Strafbarkeit nach § 4 Satz 1 GewSchG; die bloße Kenntnis vom Inhalt der Anordnung steht dem nicht gleich (BGH, Urteil vom 15. März 2007, aaO S. 261). Allerdings betraf das Urteil des 5. Strafsenats eine einstweilige Verfügung im Sinne des § 935 ZPO. Gewaltschutzsachen nach den §§ 1 und 2 GewSchG sind gemäß § 111 Nr. 6, § 210 FamFG seit dem 1. September 2009 uneingeschränkt Familiensachen (Leis in: jurisPK-BGB, 5. Aufl., § 1 GewSchG Rn. 3). Beschlüsse werden jedoch grundsätzlich auch insoweit nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Zwangsvollstreckung vollzogen (§ 95 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 FamFG) und bedürfen der Zustellung (§ 87 Abs. 2 FamFG; vgl. Keidel/Giers, FamFG, 17. Aufl., § 53 Rn. 6; ebenso Leis, aaO, § 4 GewSchG Rn. 7). Zwar kann das Familiengericht sowohl für die Endentscheidung als auch für eine einstweilige Anordnung deren Vollstreckbarkeit vor Zustellung anordnen (§ 216 Abs. 2 S. 1 FamFG für Endentscheidungen; § 53 Abs. 2 S. 1 FamFG für einstweilige Anordnungen). Das Landgericht teilt jedoch schon nicht mit, ob der Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Oktober 2010 im Hauptsache- oder im einstweiligen Anordnungsverfahren (§ 214 FamFG) ergangen ist; damit fehlen auch jedwede Ausführungen dazu, ob das Amtsgericht – im Falle einer Endentscheidung neben der sofortigen Wirksamkeit gemäß § 216 Abs. 1 Satz 2 FamFG – die Zulässigkeit der Vollstreckung vor Zustellung der Anordnung an den Angeklagten bestimmt hat. Der Senat sieht daher keine Veranlassung, näher auf diese verfahrensrechtliche Besonderheit einzugehen (vgl. zur Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit von Entscheidungen in Gewaltschutzsachen OLG Hamm FPR 2011, 232).
Auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht prüfen, ob das Tatbestandsmerkmal einer „vollstreckbaren“ Anordnung in § 4 Satz 1 GewSchG erfüllt ist.
2. Konsequenz des aufgezeigten Rechtsfehlers ist die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 2. b der Urteilsgründe und der Gesamtfreiheitsstrafe:
a) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von acht Monaten auf der Verurteilung nach § 4 S. 1 GewSchG beruht. Denn das Landgericht hat strafschärfend ausdrücklich berücksichtigt, „dass der Angeklagte bei der zweiten Tat tateinheitlich drei Straftatbestände verwirklicht hat“ (UA 29).
Dies zieht die Aufhebung auch der Verurteilung wegen der zu dem Vergehen nach dem Gewaltschutzgesetz in Tateinheit stehenden – und für sich rechtsfehlerfrei angenommenen – Straftaten der Bedrohung und des unerlaubten Führens einer Schusswaffe nach sich (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 353 Rn. 7a).
Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II. 2. b entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage.
b) Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO); das Landgericht wird – soweit nicht ein Vorgehen nach § 154a Abs. 2 StPO erwogen wird – ergänzende Feststellungen zur Frage der Vollstreckbarkeit des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Halle (Westfalen) vom 15. Oktober 2010 zu treffen haben.
3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils anhand der Revisionsbegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Ernemann Cierniak Franke
Schmitt Quentin