Entscheidungsdatum: 10.01.2012
Traglaschenkette
1. Der Einholung eines Sachverständigenbeweises zur Klärung des Offenbarungsgehaltes einer Druckschrift in einem Nichtigkeitsverfahren vor dem BPatG bedarf es nicht, wenn der erkennende Senat seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet; diese Beurteilung liegt grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Senats, wobei es aus-reicht, wenn auch nur ein Mitglied hinreichende Sachkunde besitzt.
2. Auch eine abweichende Beurteilung des Offenbarungsgehalts im Prüfungsbescheid des DPMA kann die Sachkunde des Senats nicht in Zweifel ziehen und gibt nur Veranlassung, die Beurteilung durch den Fachmann - wie geschehen - in besonderem Maße zu hinterfragen.
In der Patentnichtigkeitssache
…
betreffend das europäische Patent EP 1 234 620 B1
(DE 502 09 563)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 10. Januar 2012unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Engels, des Richters Dr. agr. Huber, der Richterin Dr. Mittenberger-Huber und der Richter Dipl.-Ing. Univ. Rippel und Dr.-Ing. Dorfschmidt
für Recht erkannt:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 24. Januar 2002 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 10108418 angemeldeten, mit Wirkung auch für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents Nr. 1 234 620 B1 (Streitpatent), das eine Vorrichtung zur „Anordnung der, über Kuppeleinrichtungen mit Medienanschlüssen der Ständer von Walzgerüsten verbindbaren, Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen“ betrifft. Das in deutscher Verfahrenssprache abgefasste Streitpatent wird vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 502 09 563 geführt. Es umfasst 6 Patentansprüche, die sämtlich angegriffen sind. Patentanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
„Anordnung der, über Kuppeleinrichtungen mit Medienanschlüssen der Ständer von Walzgerüsten verbindbaren Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten, die Einzelständer (EST1; EST2) aufweisen, von denen der antriebsseitige Einzelständer (EST2) ortsfest und der andere Einzelständer (EST1), von diesem trennbar und in Walzenachsrichtung (S1; S2) verfahrbar angeordnet sind
dadurch gekennzeichnet,
dass die Medienzuleitungen eine, dem Verfahrabstand der beiden Einzelständer (EST1; EST2) entsprechende Länge aufweisen und während des Verfahrens mit den Medienanschlüssen der Einzelständer (EST1; EST2) gekuppelt verbleibend, in einer selbst-freitragenden Traglaschenkette (TLK) angeordnet sind, deren Enden (E1; E2) jeweils mit einem Einzelständer (EST1; EST2) bzw. mit einer, diesem zugeordneten, seitlich von dessen Bewegungsbahn, diese überbrückend angeordneten Zwischenbrücke (ZB) verbunden sind.“
Wegen der Patentansprüche 2 bis 6 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.
Dem Streitpatent liegt die Aufgabe zugrunde, bei Walzgerüsten mit verfahrbar angeordneten Einzelständern, die Notwendigkeit des Kuppelns und des Entkuppelns der Medienzuleitungen und den damit verbundenen Bedienungs- und Zeitaufwand zu minimieren.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei bereits nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Sie beruft sich hierzu auf folgende vorveröffentlichte Druckschriften:
D1 EP 0 857 522 B1
D2 JP-10-286 611 A (nebst Übersetzung Anlage LS 5a)
D3 DE 9 203 633 U
D4 DE 33 33 543 A1
D5 US 4 129 277 A
D6 DE 696 07 502 T2
D7 DE 32 41 924 A1
D8 GB 1 249 018 A
Nach Auffassung der Klägerin nimmt die Druckschrift D1 (EP 0 857 522 B1) das Streitpatent neuheitsschädlich vorweg, da der Fachmann insbesondere aus deren Figur 6 mitlese, dass die Versorgungsleitungen zwischen dem beweglichen Ständer des Walzgerüstes und einem Pfosten durch eine Traglaschenkette gesichert seien. Der Fachmann lege dabei keine unterschiedlichen Maßstäbe bei der Betrachtung des Offenbarungsgehalts von Streitpatent und Entgegenhaltungen an und mache hinsichtlich des Aussagegehalts einer Druckschrift keinen Unterschied in der Bewertung zwischen Beschreibung und Zeichnungen. Dies gelte auch für die Druckschrift D2.
Jedenfalls führten die Druckschriften D1 und D2 in Kombination in naheliegender Weise zum Streitpatentgegenstand, so dass es an der erfinderischen Tätigkeit fehle. Eine Veranlassung beide Druckschriften zu kombinieren bestehe für den Fachmann schon deshalb, da er jedenfalls mit der D2 Stand der Technik einbeziehe, bei dem nach Art der sich dort stellenden Probleme vom Prinzip her Lösungen zu erwarten sind, auch wenn die Anforderungen im Detail durchaus differieren können.
Die Klägerin beantragt,
das europäische Patent EP 1 234 620 B1 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland (DE 502 09 563) für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig. Die Beklagte ist der Auffassung, dass weder die Druckschrift D1 noch die Druckschrift D2 das Streitpatent neuheitsschädlich träfen, da die D1 keinerlei Aussagen zur Zufuhr von Medienleitungen treffe. Eine solche sei auch in Figur 6 nicht zu ersehen. Die Druckschrift D2 beschäftige sich dagegen - anders als das Streitpatent - mit anderen, kleineren Gerüsttypen, bei denen der Walzenwechsel nicht durch ein Auseinanderfahren von Einzelständern, sondern einen Komplettaustausch des Walzengehäuses erfolge. Für eine Kombination von D1 und D2 habe der Fachmann keine Veranlassung, da die D2 ein anderes Problem löse und dazu einen völlig anderen Lösungsweg als die D1 vorschlage.
I.
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet, denn der Senat hat nicht feststellen können, dass dem Gegenstand des Streitpatents in seiner erteilten Fassung der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG, Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ i. V. m. Art. 52 bis Art. 57 EPÜ) und zwar insbesondere fehlende Neuheit (Art. 54 i. V. m. Art. 52 Abs. 1 EPÜ) und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Art. 56 i. V. m. Art. 52 Abs. 1 EPÜ) entgegensteht.
II.
1. Der Streitpatentgegenstand betrifft nach seinem erteilten Patentanspruch 1 eine Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten.
Nach den Ausführungen im Absatz [0002] der Streitpatentschrift können bei Walzgerüsten, die zum leichteren Auswechseln der Walzensätze aus zwei Einzelständern bestehen, die Einzelständer für den Walzenwechsel quer zur Walzrichtung voneinander weg und anschließend wieder aufeinander zu verfahren werden. Bei herkömmlichen Walzgerüsten (beispielsweise der EP 0 857 522 B1) müssten jedoch vor dem Wegfahren eines Einzelständers von dem anderen ortsfest angeordneten Einzelständer die zahlreichen, für die Steuerung des Walzgerüstes erforderlichen Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen für den Betrieb der Hydraulik, der Elektrik, der Schmierung sowie der Wasser- und Luftversorgung, die mit entsprechenden Medienanschlüssen an den beiden Einzelständern gekuppelt sind, entkuppelt und nach dem Walzenwechsel für den Walzbetrieb wieder mit diesen Anschlüssen gekuppelt werden. Dies sei bedienungs- und zeitaufwändig und es bestehe für Kupplungen und Leitungen eine große Verschmutzungsgefahr.
Daher liegt dem Streitpatent gemäß den Ausführungen in Absatz [0005] der Streitpatentschrift die Aufgabe zu Grunde, die Notwendigkeit des Kuppelns und des Entkuppelns der Medienzuleitungen und den damit verbundenen Bedienungs- und Zeitaufwand zu vermeiden.
2. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent die im Patentanspruch 1 beanspruchte Lehre vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
1 Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten;
1.1 die Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen sind über Kuppeleinrichtungen mit Medienanschlüssen der Ständer von Walzgerüsten verbindbar;
2 die Walzgerüste weisen Einzelständer (EST1; EST2) auf,
2.1 von denen der antriebsseitige Einzelständer (EST2) ortsfest und
2.2 er andere Einzelständer (EST1), von diesem trennbar und in Walzenachsrichtung (S1; S2) verfahrbar angeordnet sind;
- Oberbegriff -
3 die Medienzuleitungen weisen eine, dem Verfahrabstand der beiden Einzelständer (EST1; EST2) entsprechende Länge auf;
4 die Medienzuleitungen verbleiben während des Verfahrens mit den Medienanschlüssen der Einzelständer (EST1; EST2) gekuppelt;
5 die Medienzuleitungen verbleiben während des Verfahrens in einer selbst-freitragenden Traglaschenkette (TLK) angeordnet;
5.1 die Enden (E1; E2) der Traglaschenkette (TLK) sind jeweils mit einem der Einzelständer (EST1; EST2) verbunden;
5.2 oder mit einer Zwischenbrücke (ZB) verbunden, wobei
5.2.1 die Zwischenbrücke (ZB) diesem (verfahrbaren Einzelständer) zugeordnet ist,
5.2.2 die Zwischenbrücke (ZB) seitlich von der Bewegungsbahn des zugeordneten Einzelständers angeordnet ist,
5.2.3 die Zwischenbrücke (ZB) die Bewegungsbahn des zugeordneten Einzelständers überbrückt.
- Kennzeichen -
3. Als zuständiger Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion von Walzstraßen für Stahl anzusehen.
4. Nach dessen maßgeblichen Verständnis und einer nach Art. 69 EPÜ am Gesamtzusammenhang orientierten Betrachtung (st. Rspr., vgl. BGH GRUR 2011, 129 - Fentanyl-TTS; GRUR 2004, 845 - Drehzahlermittlung, m. w. N.) ist zu beurteilen, welche technische Lehre Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist und welchen technischen Sinngehalt den Merkmalen des Patentanspruchs im Einzelnen und in ihrer Gesamtheit zukommt (BGH GRUR 2002, 515, 517 - Schneidmesser I; BGH GRUR 2001, 232, 233 - Brieflocher, jeweils m. w. N.). Die Patentschrift stellt deshalb im Hinblick auf die gebrauchten Begriffe auch ihr eigenes Lexikon dar (BGH GRUR 1999, 909, 912 - Spannschraube; BGH Mitt. 2000, 105, 106 - Extrusionskopf). Der Senat legt danach dem erteilten Patentanspruch 1 folgendes Verständnis zu Grunde:
Der Streitpatentgegenstand betrifft danach eine Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten. Dabei sind die Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen über Kuppeleinrichtungen mit Medienanschlüssen der Ständer von Walzgerüsten verbindbar.
Der Merkmalskomplex 2 beschreibt Einzelheiten des Walzgerüsts für den die streitpatentgemäße Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen vorgesehen ist. Demnach handelt es sich um ein Walzgerüst, das zwei einzelne Walzenständer aufweist, einen ortsfesten Einzel(walzen)ständer, der auf der Seite des Antriebs des Walzgerüsts angeordnet ist, und einen verfahrbaren Einzel(walzen)ständer. Die Walzenständer eines Walzgerüsts sind die tragenden Seitenteile eines Walzgerüsts, die die Walzen oder den gesamten Walzensatz lagern und daher die beim Walzvorgang auftretenden Kräfte aufnehmen. Im vorliegenden Fall ist das Walzgerüst nach Merkmal 2.2 zum Walzenwechsel trennbar, indem zunächst der bewegliche Einzel(walzen)ständer nach dem Lösen entsprechender Zuganker und ggfls. gleichzeitig auch der Walzensatz in Walzenachsrichtung (S1; S2), weg von dem ortsfesten Einzel(walzen)ständer, verfahren wird, so dass anschließend der Walzensatz ausgetauscht und das Walzgerüst wieder montiert werden kann.
Nach Merkmal 3 haben die Medienzuleitungen eine Länge, die dem Verfahrabstand der beiden Einzelständer (EST1; EST2) entspricht. Aus dem folgenden Merkmal 4 erschließt sich dem Fachmann, dass die Länge der Medienzuleitungen derart bemessen ist, dass die Medienzuleitungen während des Verfahrens des (verfahrbaren) Einzelständers mit den Medienanschlüssen der Einzelständer (EST1; EST2) gekuppelt bleiben (können) und zwar auch bei maximalem Verfahrabstand.
Nach Merkmal 5 verbleiben die Medienzuleitungen während des Verfahrens des (verfahrbaren) Einzelständers in einer selbst-freitragenden Traglaschenkette (TLK) angeordnet. Unter selbst-freitragenden Traglaschenketten versteht der Fachmann an sich bekannte und nach DIN 8165 bzw. 8166 genormte Ketten, die in einer Querrichtung „tragen“, also sich nicht durchbiegen lassen, während sie in die andere Richtung wie herkömmliche Rollenketten biegsam sind. Die Merkmale 5.1 und der Merkmalskomplex 5.2 beschreiben, wie die Traglaschenkette im Walzgerüst angeordnet ist. Dabei sind diese Merkmale mit „bzw.“ verknüpft, was - isoliert betrachtet - verschieden gedeutet werden kann. Das Merkmal 5.1 vermittelt aber, dass es sich bei dieser Ausführungsvariante ausschließlich um die Anordnung und Ausgestaltung der Traglaschenkette zwischen dem ortsfesten Einzelständer und dem verfahrbaren Einzelständer handelt. Aus der Tatsache, dass bei der streitpatentgemäßen Anordnung gemäß dem Merkmal 5 bzw. 5.1 nur eine (einzige) Traglaschenkette vorliegt, erschließt sich dem Fachmann vom technischen Sinngehalt klar, dass das „bzw.“ im Sinne von „oder“ ausgelegt werden muss, weil eine Traglaschenkette schließlich nur zwei Enden aufweist, deren Anordnung mit Merkmal 5.1 beidseitig zunächst festgelegt ist. Demgegenüber vermittelt der Merkmalskomplex 5.2 eine dazu alternative (zweite) Ausführungsform für eines der beiden Enden der (einen) Traglaschenkette. Demnach kann das eine Ende der Traglaschenkette gemäß der zweiten Ausführungsform auch mit einer Zwischenbrücke (ZB) verbunden sein, während das andere Ende mit einem der Einzelständer (EST) verbunden bleibt, bei dem es sich aufgrund des in dem Merkmal enthaltenen Hinweises auf seine Bewegungsbahn zweifelsfrei um den verfahrbaren Einzelständer handelt. Nach Merkmal 5.2.3 „überbrückt“ die Zwischenbrücke die Bewegungsbahn des zugeordneten (verfahrbaren) Einzelständers, so dass der (verfahrbare) Einzelständer unter dieser Zwischenbrücke hindurch auf seiner Bewegungsbahn von Position 1 nach Position 3 - wie auch in Figur 3 des Streitpatents dargestellt - bewegt werden kann.
Das Merkmal 5.2.2, wonach die Zwischenbrücke seitlich von der Bewegungsbahn des zugeordneten Einzelständers angeordnet ist, betrifft unter fachgerechter Auslegung das Tragwerk der Zwischenbrücke (ZB), also beispielsweise Brückensäule(n), die ein Teil der Brücke sind und notwendigerweise neben der zu überbrückenden Bewegungsbahn des verfahrbaren Einzelständers angeordnet sein müssen.
Diese nach Überzeugung des Senats bereits aus dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 gebotene Auslegung des Patentanspruchs 1, insbesondere hinsichtlich dessen Merkmalskomplex 5 findet auch durchgängig ihren Niederschlag in den Beschreibungsunterlagen, vor allem auch in dem Ausführungsbeispiel nach Figur 3 sowie den diesbezüglich erläuternden Textstellen in dem Absatz [0017], 1. Satz, der Streitpatentschrift, in der die Zwischenbrücke (ZB) mit ihrer Galerie (GL) die Bewegungsbahn des zugeordneten Einzelständers überbrückt.
Nach den Ausführungen in Absatz [0010] der Streitpatentschrift können mit der streitpatentgemäßen Ausbildung und Anordnung der Traglaschenkette die Einzelständer über verhältnismäßig lange Distanzen voneinander weg gefahren und dabei ein Wechsel der Walzensätze ohne Einschränkung bspw. des Kran-Bewegungsbereichs durchgeführt werden.
5. Der Senat konnte nicht feststellen, dass die unstrittig gewerblich anwendbare streitpatentgemäße Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten gemäß den erteilten Patentansprüchen 1 bis 6 die Voraussetzungen eines in Art. 138 Absatz 1 EPÜ genannten Nichtigkeitsgrundes erfüllt.
5.1. Die streitpatentgemäße Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten nach dem Patentanspruch 1 ist unter Berücksichtigung des im Verfahren befindlichen Stands der Technik neu.
5.1.1. So zeigt auch die Druckschrift D1 eine Walzstraße, bestehend aus drei Walzgerüsten, wobei jedes der drei Walzgerüste bereits Einzelständer (2a, 3a, 4a, 2b, 3b. 4b) aufweist. Die antriebsseitigen Einzelständer (2a, 3a, 4a) sind - zumindest beim Wechsel der Walzen - jeweils ortsfest angeordnet. Demgegenüber sind die bedienungsseitigen Walzenständern (2b, 3b, 4b) der drei Walzgerüste (2, 3, 4) zum Walzenwechsel der ortsfesten Einzelständer (2a, 3a, 4a) trennbar und als Einheit gemeinsam mit den jeweiligen Walzensätzen aus der Walzlinie herausfahrbar (Merkmalkomplex 2 gemäß vorstehender Merkmalsgliederung).
Damit erschöpfen sich jedoch bereits die Gemeinsamkeiten zwischen der – nach Auffassung der Klägerin neuheitsschädlichen - Druckschrift D1 und dem Streitpatentgegenstand. Denn die D1 spricht an keiner einzigen Textstelle Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen bei Walzgerüsten an und demzufolge auch nicht die Anordnung derselben. Nach der BGH-Entscheidung „Olanzapin“ (GRUR 2009, 382, 384, Tz. 25 f.) ist für den Offenbarungsgehalt einer Schrift maßgeblich, was aus fachmännischer Sicht „unmittelbar und eindeutig“ zu entnehmen ist, wobei insbesondere eine Ergänzung der Offenbarung durch Fachwissen unzulässig ist. Dabei kann unmittelbar und eindeutig offenbart auch sein, was im Patentanspruch und in der Beschreibung, der auch die Zeichnungen zugehören, nicht ausdrücklich erwähnt ist, aus der Sicht des Fachmanns jedoch für die Ausführung der unter Schutz gestellten Lehre selbstverständlich ist und deshalb keiner besonderen Offenbarung bedarf, sondern „mitgelesen“ wird (BGH GRUR 2009, 382, 384, Tz. 26 - Olanzapin).
Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, die beiden in der Figur 6 der D1 oben dargestellten, etwas durchgebogenen, gestrichelten Doppellinie offenbarten Versorgungsleitungen zwischen dem beweglichen Ständer des Walzgerüstes und einem Pfosten, die durch eine Traglaschenkette gesichert seien, kann der Senat deshalb dieser Auffassung unter Beachtung der vorbeschriebenen Grundsätze nicht folgen.
Insoweit könnte allenfalls das Merkmal 1 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der D1 als offenbart diskutiert werden, obwohl es an keiner Stelle der Schrift wörtlich angesprochen ist und nur Figur 6 einen Diskussionsansatz bietet. Da eine Doppellinie aber beliebige Bedeutung haben kann, ist nach Auffassung des Senats ohne Ergänzung durch Fachwissen oder ohne Kenntnis der Erfindung alleine die Darstellung der Figur 6 nicht geeignet, dem Fachmann eindeutig und zweifelsfrei eine Versorgungsleitung zu offenbaren, zumal in den übrigen Unterlagen (Beschreibung, Patentansprüche) nichts zu der Bedeutung der durchgebogenen Doppellinie ausgeführt ist. Nicht ausreichend ist jedenfalls der Umstand, dass Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten selbstverständlich, daher dort auch angeordnet sind und der Fachmann dies weiß, denn die Einbeziehung von Selbstverständlichem erlaubt keine Ergänzung der Offenbarung durch das Fachwissen. Deshalb gehören auch Abwandlungen und Weiterentwicklungen der erhaltenen technischen Information ebenso wenig zum Offenbarten wie diejenigen Schlussfolgerungen, die der Fachmann kraft seines Fachwissens ziehen mag (BGH GRUR 2009, 382, 384, Tz. 26 - Olanzapin).
Selbst wenn man insoweit der Auffassung der Klägerin folgen wollte, ist es jedenfalls nicht selbstverständlich und dem Offenbarungsgehalt der D1, insbesondere auch nicht der Figur 6, zu entnehmen, dass die Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen über Kuppeleinrichtungen mit Medienanschlüssen der Ständer von Walzgerüsten verbindbar sind. Denn dies setzt bereits eine besondere Ausgestaltung eines Walzgerüsts mit zumindest zwei Walzenständern voraus, die darüber hinaus eigene Medienanschlüsse sowie Kuppeleinrichtungen aufweisen müssen, damit sie überhaupt mit der streitpatentgemäßen Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen verbindbar sind. Aus diesem Grund bedarf es für das Merkmal 1.1 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents weiterer durch das Fachwissen getragener Überlegungen sowie einer fachmännischen Auswahl und kann schon deshalb keine Selbstverständlichkeit bilden, die „mitgelesen“ werden könnte (vgl. BGH GRUR 2011, 999, Tz. 33 - Memantin). Das gilt erst recht für die weitere Ausgestaltung gemäß der Merkmale 3 - 5.2.3 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents, in denen weitere Einzelheiten beschrieben sind, auf welche Art und Weise die Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen angeordnet und mit den einzelnen Bauteilen des Walzgerüsts verbunden sind. Letztlich fehlt es insoweit auch an jeglicher Offenbarung einer Traglaschenkette. Dies gilt insbesondere auch für Figur 6. Denn das typische Darstellungsmerkmal einer Traglaschenkette, wonach zumindest ein Ende U-förmig umgebogen sein muss, ist der Doppellinie in der Figur 6 ersichtlich nicht zu entnehmen. Vielmehr spricht besonders das Durchbiegen in der Mitte der Doppellinie sogar gegen das Vorhandensein einer Traglaschenkette, die ein Durchbiegen bekanntlich vermeiden soll. Zusammenfassend ist festzustellen, dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 daher neu ist gegenüber dem bekannten Gegenstand nach der D1.
Entgegen der von der Klägerin vorgetragenen Auffassung werden auch keine unterschiedlichen Maßstäbe bei der Betrachtung des Offenbarungsgehalts von Streitpatent und Entgegenhaltungen angewendet. Vielmehr wird zur Bewertung des Aussagegehalts einer jeden Druckschrift der gesamte Offenbarungsgehalt der jeweiligen Druckschrift, also Patentansprüche, Beschreibung und Zeichnungen herangezogen, ausgewertet und die gebotenen einheitlichen Maßstäbe des einheitlichen Offenbarungsbegriffs gewahrt (hierzu BGH GRUR 2009, 382, Tz. 25 - Olanzapin; GRUR 2011, 999, Tz. 33 - Memantin). Im vorliegenden Fall findet sich beim Streitpatent die Offenbarung der streitpatentgemäßen Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten entsprechend den einzelnen Merkmalen des Patentanspruchs 1 nicht nur in den Figuren, sondern wird vor allem auch in der erläuternden Beschreibung sowie den Patentansprüchen textlich gestützt. Die Gesamtoffenbarung des Streitpatents lässt so eine klare technische Lehre eindeutig und unmittelbar erkennen, während dies in der Entgegenhaltung nach der Druckschrift D1, wie vorstehend ausgeführt, hinsichtlich der Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten nicht der Fall ist.
5.1.2. Die von der Klägerin ebenfalls als neuheitsschädlich entgegengehaltene Druckschrift D2 zeigt eine Austauschvorrichtung für Walzengehäuse in einer Walzstrecke. Die einzelnen Walzengehäuse der Druckschrift D2 bestehen gemäß den Ausführungen in Absatz [0003] bzw. [0011] aus jeweils einem Gehäuse (1, 1A, 2, 2A), in dem die Walzen eingebaut sind und bilden daher ein Walzgerüst. Zum Austausch eines gesamten Walzgerüsts (Walzengehäuse 1, 1A, 2, 2A) einschließlich seiner Walzen, werden die nicht mehr verwendeten Walzgerüste aus der Walzstrecke herausgezogen, auf dem Transportwagen abgestellt (3) und durch neue, auf dem Transportwagen (3) befindliche Walzengehäuse (1, 1A, 2, 2A) ersetzt. Hierzu kann der Transportwagen (3) in Längsrichtung, also parallel zu der Walzstrecke, verfahren werden.
Gemäß den Ausführungen in Absatz [0012] der Druckschrift D2 haben die bekannten Walzgerüste (Walzengehäuse 1, 1A, 2, 2A) Schläuche und Kabel für die Ver- und Entsorgung mit Betriebsmedien wie Strom, Luft und Öl, so dass sich dem Fachmann eine Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten gemäß Merkmal 1 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents erschließt. Während des Austauschs bleibt jedes Walzgerüst mit dem jeweiligen an einem zugeordneten Stützpfosten (6) des Transportwagens angeordneten Medienanschluss verbunden, weshalb die Versorgungsleitungen eine dem Verfahrweg des jeweiligen Walzgerüsts entsprechende Länge aufweisen. Mittels eines Kabelträgers (11-14) werden die Versorgungsleitungen abgestützt, so dass sie beim Verfahren der Walzgerüste nicht durchhängen. Die Kabelträger (11-14) sind gemäß den Ausführungen in Absatz [0012] der D2 „mit zahlreichen winkelförmigen Links über Steckverschluss verbunden und besitzen die Besonderheit, dass sie in eine Richtung, aber nicht in die andere Richtung umgebogen werden können“, worunter der Fachmann unter fachgerechter Auslegung Traglaschenketten versteht.
Anders als die streitpatentgemäße Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen ist die bekannte Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen nicht bei Walzgerüsten mit zwei Einzelständern vorgesehen, sondern bei einem Walzgerüst, das ein Gehäuse (Walzengehäuse 1, 1A, 2, 2A) aufweist. Aus diesem Grund ist bei der bekannten Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen nach der Druckschrift D2 bereits der gesamte Merkmalskomplex 2 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht verwirklicht, so dass der Gegenstand des erteilten Patentanspruch 1 des Streitpatents schon aus diesem Grund neu ist gegenüber dem Gegenstand nach der D2. Darüber hinaus weist die bekannte Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen nach der Druckschrift D2 auch nicht die Merkmale 3, 4 sowie 5.1 und den gesamten Merkmalskomplex 5.2 auf, weil diese jeweils Einzelständer bzw. eine die Bewegungsbahn überbrückende Zwischenbrücke beanspruchen, die beide der D2 nicht zu entnehmen sind.
5.2. Die Klägerin vermochte den Senat auch nicht davon zu überzeugen, dass die Anordnung der Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten nach dem Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung des Streitpatents nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
5.2.1. Den Ausgangspunkt des Standes der Technik, den der Fachmann bei seinem Bemühen um eine Problemlösung heranzog, bildet nach Überzeugung des Senats in Übereinstimmung mit den Ausführungen in Absatz [0003] der Streitpatentschrift die in der Beschreibungseinleitung genannte EP 0 857 522 B1 (D1). Wie vorstehend zur Beurteilung der Neuheit im Einzelnen begründet, weist diese Druckschrift selbst bei einem unterstellten fachmännischen „Mitlesen“ des Merkmals 1 zumindest keinerlei Offenbarungsgehalt hinsichtlich der Merkmale 1.1, 3 bis 5.2.3 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents auf. Der Offenbarungsgehalt der D1 kann deshalb dem Fachmann auch keinerlei Anregung zur Schaffung einer streitpatentgemäßen Anordnung gemäß Patentanspruch 1 als Problemlösung geben. Dies gilt selbst unter Berücksichtigung der in der Figur 6 der D1 gezeigten Doppellinie mit Pfosten und erst abzuleitenden Weiterentwicklungen der hierdurch erhaltenen technischen Information. Denn selbst wenn der Fachmann aufgrund seines Fachwissens aus der Darstellung in der Figur 6 der D1 entsprechende Schlussfolgerungen auf Versorgungsleitungen ziehen würde und möglicherweise angeregt wäre, Versorgungsleitung entsprechend der gezeigten Doppellinie zu einem offensichtlich neben der Bewegungsbahn des zugeordneten Einzelständers stehenden Pfosten zu verlegen, erhielte er - wie in Abschnitt 5.1.1. im Einzelnen begründet - zumindest keine Hinweise auf eine Traglaschenkette entsprechend Merkmal 4 und auch keine Hinweise auf eine technische Lösung gemäß der Merkmale 5 bis 5.2.3.
5.2.2. Auch die D2 kann als Ausgangspunkt der Problemlösung den Fachmann, selbst unter Berücksichtigung seines Fachwissens, nicht in naheliegender Weise zum Streitpatentgegenstand führen. Denn die D2 betrifft, wie vorstehend zur Neuheit im Einzelnen ausgeführt wurde, eine Anordnung von Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen einer völlig anderen Gattung eines Walzgerüsts. Das Walzgerüst der D2 hat keine Einzelständer und ist nicht derart trennbar ausgebildet, indem ein erster Einzelständer von einem ortsfesten zweiten Einzelständer entlang einer Bewegungsbahn verfahrbar ist. Aus diesem Grund weisen, anders als bei der streitpatentgemäßen Anordnung nach Merkmal 3 die bekannten Medienzuleitungen nach der D2 nicht eine dem Verfahrabstand der beiden Einzelständer entsprechende Länge auf, sondern sie haben eine Länge, die dem Verfahrabstand des gesamten Walzgerüsts von der Walzlinie bis zum Transportwagen entspricht. Auch das Merkmal 4 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist bei dem Gegenstand nach der Druckschrift D2 nicht verwirklicht. Denn die bekannte Anordnung der Medienzuleitungen verbleibt während des Verfahrens nicht entsprechend der streitpatentgemäßen Anordnung mit den Medienanschlüssen der Einzelständer gekuppelt, sondern sie bleibt mit dem gesamten Walzgerüst bzw. mit dem Stützpfosten des Transportwagens verbunden. Allenfalls das Merkmal 5, wonach die Medienzuleitungen während des Verfahrens in einer selbst-freitragenden Traglaschenkette angeordnet verbleiben, kann der Druckschrift D2 entnommen werden, nicht jedoch das Merkmal 5.1 oder die alternative Ausführungsform nach Merkmalskomplex 5.2. Denn die Enden der Traglaschenkette der bekannten Anordnung von Medienzuleitungen nach der D2 sind einerseits mit dem Gehäuse des Walzgerüsts und andererseits mit dem zugeordneten Stützpfosten des Transportwagens verbunden. Eine Zwischenbrücke im Sinne von Merkmalskomplex 5.2 ist in der Druckschrift D2 ebenso wenig vorhanden wie Einzelständer und daher auch keine Verbindung der Einzelständer mit der Traglaschenkette entsprechend Merkmal 5.1 bzw. 5.2. Aus diesem Grund kann die Druckschrift D2 für sich den Fachmann nicht dazu anregen, eine Anordnung von Medienzuleitungen und Verbindungsleitungen an Walzgerüsten mit Einzelständern entsprechend den Merkmalen des Patentanspruchs 1 des Streitpatents auszugestalten.
Auch das Vorbringen der Klägerin mit Verweis auf die Figuren 7 und 8 der D2, in der sie Einzelständer erkennen will, trifft nicht zu. Denn Einzelständer im Sinne des Streitpatents sind, wie bereits unter Punkt 4 ausgeführt, die tragenden Seitenteile eines Walzgerüsts, die die Walzen oder den gesamten Walzensatz lagern und daher die beim Walzvorgang auftretenden Kräfte aufnehmen. Im Fall der D2 besteht das bekannte Walzgerüst aus einem geschlossenen Gehäuse in dem die Walzen gelagert sind, so dass dieses Walzgerüst weder ortsfeste noch verfahrbare Einzelwalzenständer im Sinne des Streitpatentgegenstandes aufweist. Vielmehr sind die in Figur 7 mit dem Bezugszeichen 6 und die in der Figur 8 mit dem Bezugszeichen 8 gekennzeichneten Bauteile keine Einzelständer, sondern Stützpfosten des Transportwagens (Absatz [0012] der D2).
Auch die auf der linken Seite des in der Walzstrecke L angeordneten Walzgerüsts (2) gezeigte Baugruppe (ohne Bezugszeichen) in der Figur 8 ist kein Einzelständer sondern allenfalls die Antriebseinrichtung des Walzgerüsts, weil diese Baugruppe ersichtlich nicht die Walzen lagert.
5.2.3. Auch eine Kombination der Druckschriften von D1 und D2 kann den Fachmann unter Einbeziehung seines Fachwissens nicht in naheliegender Weise zur streitpatentgemäßen Anordnung von Medienzuleitungen an Walzgerüsten führen. Denn ausgehend von der D1 gelangt der Fachmann selbst unter Berücksichtigung der D2 schon deshalb nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruches 1, weil, wie vorstehend begründet, bei der Druckschrift D1 zumindest nicht die Merkmale 3 bis 5.2.3 und bei der Druckschrift D2 zumindest sämtliche die beanspruchende Lehre kennzeichnenden Merkmale 3, 4, 5.1 bis 5.2.3 nicht verwirklicht sind. Daher kann selbst eine Kombination dieser Druckschriften den Fachmann nicht ohne erfinderischen Zutuns dazu anregen, eine Anordnung entsprechend der streitpatentgemäßen Anordnung von Medienzuleitungen an Walzgerüsten, insbesondere mit den Merkmalen 3, 4, 5.1 bis 5.2.3 zu gestalten. Vielmehr würde der Fachmann ausgehend von der D1, allenfalls das Konzept der D2 übernehmen, Walzgerüste nicht zu trennen, sondern im Ganzen auszutauschen, wobei er, bei entsprechender Größe der Walzgerüste möglicherweise auch die Anzahl der Gerüste auf dem Transportwagen verringern kann, wie es in Absatz [0021] der D2 angeregt ist.
5.2.4. Auch ausgehend von der D2 wird der Fachmann die von der D1 angeregte Trennung des Walzgerüsts als Voraussetzung für die streitpatentgemäße Anordnung von Medienzuleitungen nicht in Betracht ziehen, weil es dem gesamten Auswechselkonzept der D2 widersprechen würde. Denn die gesamte Lehre der D2 zielt darauf ab, jedes Walzgerüst vollständig, also unzerlegt aus der Walzlinie herauszuziehen und anschließend ein anderes, vollständiges Walzgerüst wieder einzuschieben, um auf diese Weise die Zeit für das Auswechseln der Walzen und somit Stillstandszeiten der Walzlinie weitgehend zu reduzieren (Absätze [0003] und [0004] der D2). Demgegenüber wird bei der D1 das Walzgerüst innerhalb der Walzlinie getrennt, der Walzensatz ausgetauscht und anschließend das Walzgerüst wieder zusammengefahren, wobei die Walzlinie währenddessen außer Betrieb ist. Aus diesem Grund wären trennbare Walzenständer nach der D1 für die Lehre der D2 ein klarer Rückschritt, den der Fachmann schon deshalb nicht in Betracht ziehen würde.
5.2.5. Das von der Klägerin vorgenommene Herausgreifen einzelner Merkmale aus den Druckschriften D1 und D2 und ein entsprechendes Zusammenfügen zur Lehre des Patentanspruchs 1 unter Strapazierung des fachmännischen Wissens ist demgegenüber nach Überzeugung des Senats Resultat einer unzulässigen ex-post-Betrachtung in Kenntnis der Erfindung und berücksichtigt nicht, dass erfahrungsgemäß die technische Entwicklung nicht notwendigerweise diejenigen Wege geht, die sich bei nachträglicher Analyse der Ausgangsposition als sachlich plausibel oder gar mehr oder weniger zwangsläufig darstellen mag, auch wenn der Fachmann stets bestrebt ist, für einen bestimmten Zweck eine bessere - oder auch nur eine andere - Lösung zu finden, als sie der Stand der Technik zur Verfügung stellt (BGH GRUR 2009, 1039, Tz. 20 - Fischbissanzeiger). Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es - abgesehen von dem hier nicht vorliegenden Fall, in dem es für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist (vgl. BGH GRUR 2009, 936 Tz. 21 – Heizer; GRUR 2010, 814, Tz. 26 - Fugenglätter) in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen (BGH GRUR 2009, 746, Tz. 20 - Betrieb einer Sicherheitseinrichtung; GRUR 2010, 407, Tz. 17 - einteilige Öse).
5.2.6. Die übrigen im Zuge des Verfahrens in Betracht gezogenen Druckschriften, die von der Klägerin auch in der mündlichen Verhandlung nicht aufgegriffen worden sind, liegen weiter ab vom Streitpatentgegenstand und stehen deshalb dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 ebenfalls nicht patenthindernd entgegen. Die beanspruchte Lehre war auch nicht durch einfache fachübliche Erwägungen ohne weiteres auffindbar, sondern bedurfte darüber hinaus gehender Gedanken und Überlegungen, die auf erfinderische Tätigkeit schließen lassen. Der erteilte Patentanspruch 1 hat daher Bestand.
5.3. Die ebenfalls angegriffenen Unteransprüche 2 bis 6, die Ausgestaltungen der Erfindung nach Patentanspruch 1 enthalten, werden vom beständigen Hauptanspruch getragen, ohne dass es hierzu weiterer Feststellungen bedurfte (BPatGE 34, 215).
6. Dem vom Klägervertreter gestellten Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigenbeweises zur Klärung des Offenbarungsgehaltes einer Druckschrift - hier der D1 - war nicht zu folgen. Für die Anordnung des Sachverständigenbeweises bedarf es keines ausdrücklichen Antrags, da das Gericht gem. § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 144 ZPO die Begutachtung durch einen Sachverständigen anordnen kann. Der Antrag des Klägervertreters war daher eher als Anregung zu werten, der im konkreten Fall nicht nachzukommen war. Eine Begutachtung durch einen Sachverständigen ist im Übrigen nur dann anzuordnen, wenn die eigene Sachkunde des Gerichts nicht ausreicht, um aus feststehenden Tatsachen Wertungen und Schlussfolgerungen zu ziehen, die ein besonderes Fachwissen erfordern. Eigene Sachkunde des Richters macht die Einholung eines Gutachtens deshalb entbehrlich. Aufgrund des naturwissenschaftlichen Studiums der technischen Richter, das durch praktische Berufserfahrung vertiefte Spezialwissen und die langjährige Erfahrung als Patentprüfer wird diese Sachkunde beim technischen Richter vermutet. Ob das Gericht seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet, liegt dabei grundsätzlich in seinem pflichtgemäßen Ermessen, wobei es ausreicht, wenn auch nur ein Mitglied eines Kollegialgerichtes hinreichende Sachkunde besitzt (BGH MDR 2007, 538, 539 m. w. N.). Die danach bestehende Sachkunde der Senatsmitglieder ist vorliegend auch nicht substantiiert in Frage gestellt worden.
Soweit der Klägervertreter demgegenüber die Auffassung vertreten hat, dass im Hinblick auf eine abweichende Beurteilung des Offenbarungsgehalts der Figur 6 der D1 im Prüfungsbescheid des DPMA v. 22. Januar 2007 (vorgelegt als LS4) die Einholung eines Sachverständigengutachten notwendig sei, kann dem nicht gefolgt werden. Die bloße Tatsache einer abweichenden Beurteilung durch das DPMA kann die Sachkunde des Senats nicht in Zweifel ziehen und gibt deshalb allenfalls Veranlassung, die Beurteilung des Offenbarungsgehaltes einer Druckschrift durch den Fachmann - wie geschehen - in besonderem Maße zu hinterfragen (zu Entscheidungen des EPA als sachverständige Stellungnahme: BGH GRUR 2010, 950, Tz. 14 - Walzenformgebungsmaschine; GRUR 1998, 895, 896 - Regenbecken), nicht jedoch diese Beurteilung gutachterlich klären zu lassen, statt sie durch den Senat selbst fachkundig vorzunehmen. Nach Auffassung des Senats war daher ein Sachverständiger nicht zu beauftragen, noch hätte der - hier maßgebliche - Durchschnittsfachmann in einer der Entgegenhaltungen die Merkmale des Streitpatents neuheitsschädlich offenbart gesehen.
III.
Als Unterlegene hat die Klägerin die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.