Entscheidungsdatum: 21.07.2015
In der Patentnichtigkeitssache
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betreffend das europäische Patent 1 938 765
(DE 698 41 759)
hat der 4. Senat (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juli 2015 durch den Vorsitzenden Richter Engels, die Richterin Kopacek sowie die Richter Dipl.- Phys. Brandt, Dipl.- Ing. Univ. Schmidt-Bilkenroth und Dipl.- Ing. Altvater für Recht erkannt:
I. Das europäische Patent EP 1 938 765 wird für das Hoheitsgebiet der
Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte, ausgenommen die
außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenientin zu 2., die diese selbst trägt.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Gegenstand des Nichtigkeitsverfahrens ist das auch mit Wirkung für Deutschland erteilte europäische Patent EP 1 938 765 (Streitpatent), das am 1. Juni 1998 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der US Patentanmeldungen 871 114 vom 9. Juni 1997, 911 805 vom 15. August 1997 und 911 827 vom 15. August 1997 angemeldet worden ist. Das Streitpatent ist in der Verfahrenssprache Englisch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 698 41 759 geführt. Es betrifft ein System(e) zur Behandlung gebrochener oder erkrankter Knochen mithilfe dehnbarer Elemente und umfasst 8 Ansprüche, welche sämtlich angegriffen sind.
Das Streitpatent bezieht sich auf ein System zur Behandlung von Wirbelkörpern. Zum Beispiel als Folge von Osteoporose, Knochennekrose oder Krebs kann die Spongiosa (schwammartig aufgebautes System aus feinen Knochenbälkchen im Innern der Knochen) befallen werden und die umgebende Kortikalis (äußere Schicht der Knochen) wird anfällig für Kompressionsbrüche oder Einbrüche. Dies ist eine Folge davon, dass die Spongiosa den sie umgebenden Knochen nicht mehr stützt.
Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Englisch
und in deutscher Übersetzung
Hinsichtlich der auf den Patentanspruch 1 unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift EP 1 938 765 B1 Bezug genommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei wegen mangelnder Patentfähigkeit aufgrund fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit für nichtig zu erklären (Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 54, 56 EPÜ). Die von der Beklagten gestellten Hilfsanträge 2 bis 4 erachtet sie als unzulässig erweitert (Art. 123 Abs. 2 EPÜ). Soweit die Klägerin sich den Angriff der Nebenintervenientin zu 2 der fehlenden Ausführbarkeit (Art. 138 Abs. 1 lit. b EPÜ, Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 2 IntPatÜG) zu Eigen gemacht hat, verfolgt sie diesen Nichtigkeitsgrund nicht weiter.
Im Verfahren befinden sich folgende Dokumente:
NK1 EP 1 938 765 B1 (Streitpatent)
NK2 Registerauszug des DPMA
NK3 Klageschrift vom 01.10.2013 der hiesigen Beklagten im Verletzungsverfahren 4a O 114/131 vor dem LG Düsseldorf
NK4 Merkmalsgliederung, von der Klägerin vorgelegt
NK5 US 5 480 400 A
NK5a - (deutsche Übersetzung der NK5)
NK6 US 5 108 404 A („continuation-in-part“ der US 4 969 888)
NK6a - (deutsche Übersetzung der NK6)
NK7 US 4 772 287
NK7a - (deutsche Übersetzung der NK7)
NK8 WO 96/39970 A1
NK8a DE 696 33 286 T2 (deutsche Übersetzung des EP-Patents EP 0 836 435 B1 zur NK8)
NK9 Galibert, P; Deramond, H.: La vertebroplastie acrylique percutanee comme traitement des angiomes vertebraux et des affections dolorigenes et fragilisantes du rachis. Chirurgie, 1990, Seiten 326 - 335
NK9a Galibert, P; Deramond, H.: … (engl. Übersetzung der NK9)
NK10 Debussche-Depriester, C.; Deramond, H.; Fardellone, P.; Heleg, A.; Sebert, J. L.; Cartz, L.; Galibert, P.: Percutaneous vertebroplasty with acrylic cement in the treatment of osteoporotic vertebral crush fracture syndrome. Neuroradiology, 1991, Seiten 149-152
NK11 EP 0 621 020 A1
NK12 Deramond, H.; Depriester, C.; Toussaint, P.; Galibert, P.: Percutaneous Vertebroplasty. Seminars in Musculoskeletal Radiology, Vol. 1, Nr. 2, 1997, Seiten 285 - 295
NK13 Gangi, A.; Kastler, B. A.; Dietemann, J.-L.: Percutaneous Vertebroplasty Guided by a Combination of CT and Fluoroscopy. American Journal on Neuroradiology, Jan. 1994, Seiten 83 - 86
NK14 Chiras, J.; Depriester, C.; Weill, A.; Sola-Martinez, M. T.; Deramond, H.: Vertebroplasties Percutanees. J. Neuroradiology, 1997, Seiten 45 - 59
NK14a Chiras, J.; Depriester, C. [et al.] : …(engl. Übersetzung der NK14)
NK15 Lapras, C.; Mottolese, C.; Deruty, R.: Injection Percutanee de Methyl-Metacrylate dans le Traitement de l’Osteoporose et Osteolyse Vertebrale Grave. Annales de Chirurgie, 1989, Vol. 43, Nr. 5, Seiten 371 - 376NK15a Lapras, C.; Mottolese, C. [et al.] : …(engl. Übersetzung der NK15)
NK16 WO 95/20362 A1
NK17 EP 0 453 393 A1
NK18 US 5 562 736 A
NK19 US 5 331 975 A
NK20 Auszug Wikipedia „Substantia spongiosa“
NK21 Auszug Wikipedia „Substantia compacta“
NK22 Replik vom 05.06.2014 der hiesigen Beklagten im Verletzungsverfahren 4a O 114/131 vor dem LG Düsseldorf
NK23 Cloft, H.J.; Jensen, M. E.: Kyphoplasty: An Assessment of a New Technology. American Journal Neuroradiology. , Febr. 2007, Seiten 200-203
NK24 Gutachten PD Dr. Disch
NK25 ZHOU; McCARTHY [et al.] : Geometrical dimensions of the lower lumbal vertebrae – analysis of data from digitised CT images. European Spine Journal, Springer-Verlag, 2000, Nr. 9, Seiten 242-248
NK26 US 4 943 275
NK27/NK27a Erklärung von Neil J. Sheehan in Sachen der US 6 623 505
NK28 US 4 422 447
NK29 US 4 402 307
NK30 US 3 867 945
NK31 US 3 460 541
NK32 US 4 299 226
NK33 EP 1 938 765 A1 (Offenlegungsschrift zum Streitpatent)
NJ2 Urteil im Verletzungsverfahren 4a O 114/131 LG Düsseldorf
(auch als NK22 von der Klägerin sowie von der Beklagten vorgelegt)
NJ3 EP 0 807 415 A2
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber der NK5 bis NK7 nicht neu und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, insbesondere gegenüber der NK8 in Verbindung mit dem Fachwissen des Fachmanns oder gegenüber der NK8 in Kombination mit einer der Schriften NK9 bis NK15 oder NJ3 oder NK5 bis NK7, NK18 oder NK19. Ferner beruhe der Gegenstand des Anspruchs 1 auch nicht auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber der NK6 in Verbindung mit dem Fachwissen oder gegenüber der NK6 in Kombination mit einer der Schriften NK5 bis NK7, NK9 bis NK15, NK18 oder NK19. Auch die gestellten Hilfsanträge führten nicht zum Bestand des Streitpatents. Hilfsantrag 1, der in geänderter Fassung in der mündlichen Verhandlung vom 21. Juli 2015 überreicht wurde, sei verspätet, zudem der danach maßgebliche Patentanspruch 1 unzulässig erweitert, da eine völlig neue Thematik in das Verfahren eingeführt werde. Es sei zu berücksichtigen, dass kein Verwendungs-, sondern ein Vorrichtungsanspruch vorliege, weshalb insbesondere die gleichzeitige Verwendung der Ballons nicht erheblich sei. Im Übrigen sei Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 auch nicht patentfähig. Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 sei unzulässig erweitert; außerdem sei sein Gegenstand nicht ausführbar und beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit gegenüber der Entgegenhaltung NK6 oder NK8 in Kombination mit der NK26 (vgl. hierzu auch die gutachterliche Stellungnahme in NK27, NK27a). Neben der Entgegenhaltung NK26 existierten eine ganze Reihe ähnlicher Dokumente, die ein inneres Versteifungselement, wie ihn Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 enthalte, zeigten (vgl. NK28, NK32). Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruhe ausgehend von einer der Entgegenhaltungen NK8 oder NK6 ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 sei unzulässig erweitert; ferner sei sein Gegenstand nicht erfinderisch gegenüber einer der Entgegenhaltungen NK8 oder NK6 in Kombination mit NK26, dem Fachwissen oder einer der Entgegenhaltungen NK7, NK9 bis NK15, NK18 und NK19.
Die der Klage mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2014 (Telefax Bl. 224, 225, Original Bl. 226, 227 d. A.) beigetretene Nebenintervenientin zu 1 ist von der Lizenznehmerin der Beklagten vor dem LG München I wegen Patentverletzung verklagt worden (dortiges AKZ 21 O 16081/14): Sie greift das Streitpatent vollumfänglich wegen fehlender Patentfähigkeit an.
Die Nebenintervenientin zu 2 ist ebenfalls auf Seiten der Klägerin dem Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2014 beigetreten (Telefax vom 16. Dezember 2014, Original vom 15.12.2014, Bl. 237 ff. d. A.) und hat das Streitpatent in vollem Umfang angegriffen. Mit Schriftsatz vom 2. Juli 2015, bei Gericht eingegangen am 3. Juli 2015, hat die Nebenintervenientin zu 2 ihre Nebenintervention zurückgenommen.
Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2015 hat die Nebenintervenientin zu 3 ihren Beitritt zum Verfahren auf Seiten der Klägerin erklärt. Sie trägt vor, sie sei von einer angeblich ausschließlichen Lizenznehmerin der Beklagten wegen vermeintlicher Patentverletzung vor dem Landgericht München I verklagt worden (dortiges AKZ 21 O 16101/14). Die Nebenintervenientin zu 3 hat keine eigenen Angriffsmittel in den Rechtsstreit eingeführt, sondern sich den bisherigen Vortrag der Klägerin zu Eigen gemacht.
Die Klägerin und die Nebenintervenientinnen zu 1 und 3 beantragen sinngemäß,
das europäische Patent EP 1 938 765 B1 vollumfänglich mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, hilfsweise die Klage abzuweisen, soweit das Streitpatent mit Hilfsantrag 1, eingereicht in der mündlichen Verhandlung sowie mit den Hilfsanträgen 2 bis 4, eingereicht mit Schriftsatz vom 27. April 2015, verteidigt wird.
Wegen des Wortlauts der Hilfsanträge wird auf die Akte verwiesen.
Die Beklagte tritt den Ausführungen der Klägerin und der Nebenintervenientinnen in allen Punkten entgegen und erachtet die Klage für unbegründet. Patentanspruch 1 sei in der erteilten Fassung, jedenfalls aber in einer der Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 4, patentfähig. Insbesondere seien NK6 und NK8 im Hinblick auf Anspruch 1 des Streitpatents weder neuheitsschädlich noch könnten sie den Gegenstand des Anspruchs 1 nahelegen. Hilfsantrag 1 sei nicht verspätet, da er aufgrund der vom Senat in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsansicht gestellt worden sei. Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 sei zulässig und auch patentfähig, da er sich gegenüber der Lehre der NK6 und NK8 abgrenze. Die Form der expandierbaren Körper könnte im Streitpatent im Gegensatz zu NK6 und NK8 den therapeutischen Zweck erfüllen. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 sei weder durch NK6 noch durch NK26 nahegelegt, da in keiner der beiden Schriften ein Versteifungselement gezeigt werde. Hilfsantrag 3 schaffe mit nur einem einzigen aufblasbaren Teil eine Abgrenzung zur NK8 und NK16, die mehrere Kammern aufwiesen. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 sei zulässig und unterscheide sich von den expandierbaren Körpern aus den Entgegenhaltungen NK6, NK8 und NK16.
Der Senat hat den Parteien einen frühen gerichtlichen Hinweis nach § 83 Abs. 1 PatG zugeleitet. Auf diesen Hinweis vom 26. Januar 2015 wird Bezug genommen (Bl.352 ff. d. A.).
Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und
auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 21. Juli 2015 Bezug genommen.
I.
Die auf den Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52, 56 a EPÜ) gestützte Klage ist zulässig. Sie erweist sich auch als begründet, da sich die erteilte Fassung des Streitpatents sowie die zulässigen Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 bis 3 als nicht patentfähig erweisen und demgegenüber die Fassung des Streitpatents nach Hilfsantrag 4 sich als unzulässig erweist, da der Patentgegenstand gegenüber dem Inhalt der ursprünglichen Offenbarung unzulässig erweitert ist und diese Fassung bereits deshalb keiner weiteren Sachprüfung bedarf. Daher ist das Streitpatent insgesamt für nichtig zu erklären.
Zur von der Klägerin gerügten Verspätung des Hilfsantrags 1, der in der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurde:
Der in der mündlichen Verhandlung von der Beklagten vorgelegte und den fristgerecht mit Schriftsatz vom 27. April 2015 eingereichten Hilfsantrag (Bl. 486 d. A.) ersetzende (neue) Hilfsantrag 1 war trotz der Rüge der Klägerin nicht als verspätet zurückzuweisen.
Die durch das 2009 in Kraft getretene Patentrechtsmodernisierungsgesetz (PatRModG) erfolgte Neufassung des § 83 PatG und die damit in das Nichtigkeitsverfahren eingeführten Präklusionsregeln sehen zwar grundsätzlich die Möglichkeit vor, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen. Hierfür ist es aber stets erforderlich, dass dieser Vortrag tatsächliche oder rechtliche Fragen aufkommen lässt, die in der mündlichen Verhandlung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu klären sind (vgl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts, BlPMZ 2009, 307, 315). Kann das an sich verspätete Vorbringen dagegen noch ohne weiteres in die mündliche Verhandlung einbezogen werden, ohne dass es zu einer Verfahrensverzögerung kommt, liegen die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach § 83 Abs. 4 PatG nicht vor. So liegt der Fall hier. Das Streitpatent ist auch in der durch Hilfsantrag 1 beschränkt verteidigten Anspruchsfassung auf Grundlage des von der Klägerin in das Verfahren eingeführten Standes der Technik für nichtig zu erklären, so dass bereits aus diesem Grunde eine Vertagung nicht erforderlich war.
II.
1. Das Streitpatent betrifft die Behandlung von Knochenzuständen in Menschen und anderen Lebewesen (siehe Streitpatent Abs. [0001]).
Nach der Beschreibungseinleitung des Streitpatents wird bei einer Erkrankung der Spongiosa das umgebende kortikale Knochengewebe zunehmend anfällig für Kompressionsbrüche oder einem Kollaps, da die Spongiosa nicht mehr für eine Stützung des kortikalen Knochengewebes von innen sorgt (siehe Streitpatent Abs. [0002]).
Die Patentschriften US 4 969 888 und US 5 108 404 (= NK6) offenbaren Vorrichtungen und Verfahren zur Fixierung von Brüchen oder anderen Knochenzuständen bei Menschen oder anderen Wirbeltieren. Dabei ist ein expandierbarer Körper vorgesehen, um die Spongiosa zu komprimieren und einen inneren Hohlraum zu schaffen. In den Hohlraum wird ein aushärtbares Material eingebracht, um für eine neuerliche innere Stützung des kortikalen Knochengewebes zu sorgen (siehe Streitpatent Abs. [0004]). Insbesondere wird ein Hohlraum in einem Wirbelkörper dadurch geschaffen, dass ein expandierbarer Körper durch einen perkutanen Zugang mittels einer Kanüle in das Innere des Wirbelkörpers eingeführt wird (siehe Streitpatent Abs. [0008]).
Die EP 0 621 020 A1 (= NK11) offenbart mehrere Zugangskanäle mittels Röhren. Der erste dieser Kanäle wird dazu genutzt, um einen Hohlraum schaffenden Hohlmeißel einzusetzen und ein elastisches Trageelement einzuführen. Der zweite Kanal wird zum Zuführen eines Beobachtungsinstruments zur Operationsstelle genutzt, um die Ausräum- und Implantierungsschritte verfolgen zu können (siehe Streitpatent Abs. [0009]).
2. Vor diesem Hintergrund stellt sich gemäß der Streitpatentschrift die Aufgabe, ein verbessertes System zum Herstellen und Einbringen eines expandierbaren Körpers in einen Knochen bereitzustellen, mit dem gegenüber dem Stand der Technik eine bessere und wirksamere Behandlung von Knochenkrankheiten verwirklicht werden kann (Abs. [0010]).
3. Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 eine Vorrichtung vor, deren Merkmale in Anlehnung an die Anlage NK4 gegliedert in der Verfahrenssprache Englisch lauten:
1. A system for treating a vertebral body having cortical bone surrounding an interior volume occupied, at least in part, by cancellous bone (32) comprising:
2. a first outer guide sheath (72A) for providing a first access path into the interior volume of the vertebral body,
3. a second outer guide sheath (72B) for providing a second access path into the interior volume of the same vertebral body,
3.1 the second access path being different than the first access path,
4. a first expandable body (56A)
4.1 (the first expandable body (56A) is) sized and configured to be introduced through one of the first and second guide sheaths into the interior volume
4.2 to be enlarged to form a first void (84A) in the cancellous bone, and
5. a second expandable body (56B)
5.1 (the second expandable body (56B) is) sized and configured to be introduced through the other of the first and second guide sheaths into the interior volume
5.2 to be enlarged to form a second void (84B) in the cancellous bone different than the first void.
Patentanspruch 1 lautet in der deutschen Übersetzung gemäß Streitpatentschrift:
1. System zum Behandeln eines Wirbelkörpers mit einer Knochenrinde (Kortikalis), die ein inneres Volumen umgibt, das zumindest teilweise von spongiösem Knochen (Spongiosa) (32) eingenommen wird, umfassend:
2. eine erste äußere Führungshülse (72A) zum Bereitstellen eines ersten Zugangspfades in das innere Volumen des Wirbelkörpers,
3. eine zweite äußere Führungshülse (72B) zum Bereitstellen eines zweiten Zugangspfades in das innere Volumen desselben Wirbelkörpers,
3.1 wobei sich der zweite Zugangspfad von dem ersten Zugangspfad unterscheidet,
4. einen ersten expandierbaren Körper (56A),
4.1 der so groß und derart gestaltet ist, dass er durch eine von der ersten und zweiten Führungshülse in das innere Volumen eingeführt wird,
4.2 das zu vergrößern ist, um einen ersten Hohlraum (84A) in dem spongiösen Knochen zu bilden, und
5. einen zweiten expandierbaren Körper (56B),
5.1 der so groß und derart gestaltet ist, dass er durch die andere von der ersten und zweiten Führungshülse in das innere Volumen eingeführt wird,
5.2 das zu vergrößern ist, um einen zweiten Hohlraum (84B) in dem spongiösen Knochen zu bilden, der sich von dem ersten Hohlraum unterscheidet.
Hinsichtlich des Wortlauts der erteilten Unteransprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Hilfsweise wird das Streitpatent von der Beklagten mit den Hilfsanträgen 1 bis 4 beschränkt verteidigt.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 lautet in Englisch (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind kenntlich gemacht):
1.’ A system for treating compression fracture or collapse of a vertebral body having cortical bone surrounding an interior volume occupied, at least in part, by cancellous bone (32) comprising:
2.’ a first outer guide sheath (72A) for providing a first access path through a first pedicle into the interior volume of the vertebral body,
3.’ a second outer guide sheath (72B) for providing a second access path through a second pedicle into the interior volume of the same vertebral body,
3.1 the second access path being different than the first access path,
4. a first expandable body (56A)
4.1’(the first expandable body (56A) is) sized and configured to be introduced through one of the first and second guide sheaths through a first pedicle of said vertebral body into the interior volume
4.2 (the interior volume is) to be enlarged to form a first void (84A) in the cancellous bone, and
5. a second expandable body (56B)
5.1’(the second expandable body (56B) is) sized and configured to be introduced through the other of the first and second guide sheath s through the second pedicle of said vertebral body into the interior volume
5.2 to be enlarged to form a second void (84B) in the cancellous bone different than the first void,
I. wherein a compaction of cancellous bone by said first and second expandable bodies upon forming said first and second voids makes it possible to elevate or push broken and compressed bone back to or near its original prefracture position.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 lautet in Deutsch (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind kenntlich gemacht):
1.’ System zum Behandeln einer Kompressionsfraktur oder eines Kollabierens eines Wirbelkörpers mit einer Knochenrinde (Kortikalis), die ein inneres Volumen umgibt, das zumindest teilweise von spongiösem Knochen (Spongiosa) (32) eingenommen wird, umfassend:
2.‘ eine erste äußere Führungshülse (72A) zum Bereitstellen eines ersten Zugangspfades durch einen ersten Pedikel in das innere Volumen des Wirbelkörpers,
3.‘ eine zweite äußere Führungshülse (72B) zum Bereitstellen eines zweiten Zugangspfades durch einen zweiten Pedikel in das Innere desselben Wirbelkörpers,
3.1 wobei sich der zweite Zugangspfad von dem ersten Zugangspfad unterscheidet,
4. einen ersten expandierbaren Körper (56A),
4.1‘ der so groß und derart gestaltet ist, dass er um durch eine von der die ersten und zweiten Führungshülse durch den ersten Pedikel des Wirbelkörpers in das innere Volumen eingeführt zu werden wird,
4.2‘das zu vergrößern ist um vergrößert zu werden, um einen ersten Hohlraum (84A) in dem spongiösen Knochen zu bilden, und
5. einen zweiten expandierbaren Körper (56B),
5.1‘ der so groß und derart gestaltet ist, dass er um durch die andere von der ersten zweite Führungshülse durch den zweiten Pedikel des Wirbelkörpers in das innere Volumen eingeführt zu werden wird,
5.2‘ um vergrößert zu werden, um einen zweiten Hohlraum (84B) in dem spongiösen Knochen zu bilden, der sich von dem ersten Hohlraum unterscheidet,
I. wobei eine Kompaktierung von spongiösem Knochen durch den ersten und den zweiten expandierbaren Körper beim Bilden des ersten und des zweiten Hohlraums es ermöglicht, gebrochenen und komprimierten Knochen zurück in oder in die Nähe der Position vor der Fraktur anzuheben oder zu drücken.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet in Englisch (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind kenntlich gemacht):
1. A system for treating a vertebral body having cortical bone surrounding an interior volume occupied, at least in part, by cancellous bone (32) comprising:
2.’ a first outer guide sheath (72A) for providing a first access path through a first pedicle into the interior volume of the vertebral body,
3.’ a second outer guide sheath (72B) for providing a second access path through a second pedicle into the interior volume of the same vertebral body,
3.1 the second access path being different than the first access path,
4. a first expandable body (56A)
4.1’’ (the first expandable body (56A) is) sized and configured to be introduced through one of the first and a second guide sheaths through a first pedicle of said vertebral body into the interior volume
4.2 (the interior volume is) to be enlarged to form a first void (84A) in the cancellous bone, and
5. a second expandable body (56B)
5.1’(the second expandable body (56B) is) sized and configured to be introduced through the other of the first and second guide sheaths through the second pedicle of said vertebral body into the interior volume
5.2 (the interior volume is) to be enlarged to form a second void (84B) in the cancellous bone different than the first void,
II.1 wherein the first and second expandable bodies comprise an internal stiffening member extending within the body,
II.2 the stiffening member for keeping the body in a desired distally straightened position during passage through the respective guide sheath.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet in Deutsch (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung sind kenntlich gemacht):
1. System zum Behandeln eines Wirbelkörpers mit einer Knochenrinde (Kortikalis), die ein inneres Volumen umgibt, das zumindest teilweise von spongiösem Knochen (Spongiosa) (32) eingenommen wird, umfassend:
2.‘ eine erste äußere Führungshülse (72A) zum Bereitstellen eines ersten Zugangspfades durch einen ersten Pedikel in das innere Volumen des Wirbelkörpers,
3.‘ eine zweite äußere Führungshülse (72B) zum Bereitstellen eines zweiten Zugangspfades durch einen zweiten Pedikel in das Innere desselben Wirbelkörpers,
3.1 wobei sich der zweite Zugangspfad von dem ersten Zugangspfad unterscheidet,
4. einen ersten expandierbaren Körper (56A),
4.1‘ der so groß und derart gestaltet ist, dass er um durch eine von der die ersten Führungshülse durch den ersten Pedikel des Wirbelkörpers in das innere Volumen eingeführt zu werden wird,
4.2‘das zu vergrößern ist um vergrößert zu werden, um einen ersten Hohlraum (84A) in dem spongiösen Knochen zu bilden, und
5. einen zweiten expandierbaren Körper (56B),
5.1‘ der so groß und derart gestaltet ist, dass er um durch andere von der ersten und die zweiten Führungshülse durch den zweiten Pedikel des Wirbelkörpers in das innere Volumen eingeführt zu werden wird,
5.2‘ das zu vergrößern ist um vergrößert zu werden, um einen zweiten Hohlraum (84B) in dem spongiösen Knochen zu bilden, der sich von dem ersten Hohlraum unterscheidet,
II.1 wobei der erste und der zweite expandierbare Körper ein internes Versteifungselement umfassen, welches sich innerhalb des Körpers erstreckt,
II.2 wobei das Versteifungselement dazu bestimmt ist, den Körper während der Passage durch die jeweilige Führungshülse in einer erwünschten, in distale Richtung gerade ausgerichteten Position zu halten.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 weist in der Verfahrenssprache Englisch gegenüber Hilfsantrag 2 das folgende zusätzliche Merkmal auf:
III. and wherein said first and second expandable bodies have a single inflatable part only.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 weist in der deutschen Übersetzung gegenüber Hilfsantrag 2 das folgende zusätzliche Merkmal auf:
III. und wobei der erste und der zweite expandierbare Körper nur einen einzigen aufblasbaren Teil haben.
Schließlich weist der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 in der Verfahrenssprache Englisch gegenüber Hilfsantrag 3 folgende zusätzliche Merkmale auf:
IV.1 and wherein each expandable body has a predeterminded shape and size when expanded,
IV.2 said shape and size being designed such that the two expandable bodies in combination occupy between 30% and 99% of the cancellous bone volume of the vertebra to be treated.
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 weist in der deutschen Übersetzung gegenüber Hilfsantrag 3 folgende zusätzliche Merkmale auf:
IV.1 und wobei ein jeder expandierbarer Körper im expandierten Zustand eine vorbestimmte Form und Größe aufweist,
IV.2 wobei die Form und Größe so bemessen sind, dass die beiden expandierbaren Körper in Kombination zwischen 30 % und 99 % des Volumens des spongiösen Knochens des zu behandelnden Wirbelkörpers einnehmen.
Hinsichtlich des Wortlauts der jeweiligen Unteransprüche 2 bis 8 der Hilfsanträge 1 bis 4 wird auf den Akteninhalt verwiesen.
4. Als zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Ingenieur der Medizintechnik oder einen Maschinenbauingenieur an, der über eine mehrjährige Berufserfahrung in der Entwicklung von medizinischen Instrumenten für die orthopädische Chirurgie und der zugehörigen Behandlungs- und Operationsmethoden verfügt und dabei im Team mit einem speziell auf dem Gebiet der Wirbelsäulenchirurgie tätigen Chirurgen zusammenarbeitet.
III.
1. Maßgebliche Grundlage dafür, was durch das europäische Streitpatent unter Schutz gestellt ist, ist gem. Art. 69 Abs. 1 EPÜ der Inhalt der Patentansprüche in der jeweiligen Verfahrenssprache. Die Frage, ob eine bestimmte Anweisung zum Gegenstand eines Anspruchs des Patents gehört, entscheidet sich deshalb danach, ob sie in dem betreffenden Patentanspruch Ausdruck gefunden hat (st. Rspr., vgl. z. B. BGH GRUR 2007, 959 - Pumpeinrichtung). Dabei ist eine Auslegung unterhalb des Wortlauts (im Sinn einer Auslegung unterhalb des Sinngehalts) der Patentansprüche generell nicht zulässig: Dass sich die Beschreibung und die Ausführungsbeispiele des Patents ausschließlich auf bestimmte Ausführungsformen beziehen, schränkt einen weiter zu verstehenden Sinngehalt der Patentansprüche nicht auf diese Ausführungsformen ein (BGH GRUR 2007, 309 - Schussfädentransport).
Wegen des Rechtsnormcharakters der erteilten Patentansprüche ist die Rechtsfrage, was sich aus einem Patentanspruch als geschützter Gegenstand ergibt, zwingend der Beurteilung der Nichtigkeitsgründe voranzustellen (st. Rspr. zuletzt BGH GRUR 2015, 868 – Polymerschaum II; zum Verletzungsverfahren: GRUR 2009, 653 - Straßenbaumaschine). Dazu sind im Rahmen der Auslegung der Sinngehalt des Patentanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen, wobei Beschreibung und Zeichnungen des Streitpatents heranzuziehen sind, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen (BGH GRUR 2012, 1124 - Polymerschaum).
2. Die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 enthält:
- zwei voneinander unabhängige, äußere Führungshülsen 72A und 72B,
- zwei voneinander unabhängige, expandierbare Körper 56A und 56B,
wobei die expandierbaren Körper so groß und derart gestaltet sind, dass sie durch die Führungshülsen in das innere Volumen eingeführt werden und dort zwei getrennte und damit auch verschiedene Hohlräume 84A und 84B bilden können, beispielhaft dargestellt in nachfolgenden Figuren.
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Der expandierbare Körper 56A (oder 56B) ist gemäß Streitpatent als Außenwand 58 am distalen Ende 54 einer Katheterröhre 50 ausgebildet (siehe Fig. 4, Abs. [0034] – [0036]) und kann über die Katheterröhre 50 mit einem am proximalen Ende bereitgestellten und unter Druck stehenden Fluid 82 aufgeblasen werden (siehe Abs. [0050] – [0051]).
3. Die Lehre nach Patentanspruch 1 betrifft danach eine Vorrichtung nach Merkmal 1., die räumlich-körperlich sehr allgemein ausgestaltet ist durch die Merkmalskomplexe 2 und 3 (zwei Führungshülsen) sowie 4 und 5 (zwei expandierbare Körper), wobei das System und die einzelnen körperlichen Merkmale durch funktionelle Angaben (Merkmale) näher beschrieben sind, insbesondere durch Zweck- und Verfahrensangaben, welche nach allgemeinen Grundsätzen nur Geeignetheitskriterien bilden und den Gegenstand deshalb nicht auf den genannten Zweck oder das Verfahren festlegen. So haben Zweckangaben in einem Sachanspruch im Nichtigkeitsverfahren wie im Verletzungsprozess regelmäßig die Aufgabe, den durch das Patent geschützten Gegenstand dahin zu definieren, dass er nicht nur die im Patentanspruch genannten räumlich-körperlichen Merkmale erfüllen, sondern auch so ausgebildet sein muss, dass er für den im Patentanspruch angegebenen Zweck verwendbar ist (BGH GRUR 2009, 837 – Bauschalungsstütze, Leitsatz).
3.1 Zweifelsohne liegt mit dem Patentanspruch 1 ein Sach- und kein Verfahrensanspruch vor, wobei auch die im Patentanspruch enthaltenen Verfahrensmerkmale nicht der Beschränkung des Patentierungsausschlusses nach Art. 53c EPÜ unterliegen, da sie nur zur funktionellen, mittelbaren Umschreibung der räumlich-körperlichen Ausgestaltung des Gegenstands des Patentanspruchs als reinen Sachanspruch dienen und dieser nicht als Kombination von Sach- und Verfahrensanspruch zu werten ist.
3.2 Soweit im Merkmal 1 ein System für einen bestimmten Verwendungszweck gelehrt wird, der die Merkmalskomplexe 2 und 3 (also zwei Führungshülsen) sowie 4 und 5 (also zwei expandierbare Körper) umfasst, kommt es für die Auslegung des Begriffs „System“ entscheidend darauf an, inwieweit sich einerseits zwischen den Merkmalskomplexen 2 und 3 und andererseits zwischen den Merkmalskomplexen 4 und 5 zwingend Abgrenzungskriterien ableiten lassen.
So versteht der Fachmann unter einem "Satz" nicht etwa eine Mehrheit von Einzelgegenständen, die in beliebiger Weise zu einem Gebinde zusammengestellt sind, sondern vielmehr eine Zusammenfassung unter technischen Gesichtspunkten, bei der gleichartige Gegenstände unterschiedlichen, aufeinander abgestimmten Ausmaßes zu einem Zweck funktionsbestimmt zusammengefügt werden, wobei in der funktionalen Abstimmung das entscheidende Kriterium zu sehen ist. Dagegen versteht er im Handel angebotene Einzelteile, auch wenn es sich um eine Mehrzahl handelt, ohne eine solche Abstimmung ebenso wenig als "Satz" wie ein Sortiment, das nach anderen als funktionalen Gesichtspunkten, etwa solchen eines vermuteten Bedarfs des Kunden oder anderen verkaufsorientierten Gesichtspunkten, im Handel zusammengestellt wird. Dabei gehören nach dem Verständnis des Fachmanns zu einem "Satz" mindestens drei Einzelteile, ein Paar von zwei Einzelteilen ist danach noch kein "Satz" (BGH, Urteil vom 12. November 2002 – X ZR 118/99).
Für die Annahme mangelnder Neuheit eines Gerätesatzes, dessen Bestandteile in ihren technischen Merkmalen zur Erreichung eines bestimmten Zwecks aufeinander abgestimmt sind, ist es danach nicht ausreichend, wenn im Stand der Technik eine Mehrzahl von Einzelteilen eines solchen Satzes oder ein Sortiment, etwa nach verkaufsorientierten Gesichtspunkten, aber ohne funktionale Abstimmung, bekannt sind (BGH GRUR 2011, 707ff. - Dentalgerätesatz; Senat GRUR 2015, 60 - System zur Umpositionierung von Zähnen).
Vor diesem Hintergrund sieht der Senat vorliegend in dem Begriff „System“ keinen Satz von zwei Führungshülsen und zwei expandierbaren Körpern derart, dass zumindest die Führungshülsen oder die expandierbaren Körper untereinander jeweils gleichartig, aber dennoch funktionell aufeinander abgestimmt sein sollten.
Denn sowohl die zwei Führungshülsen als auch die zwei expandierbaren Körper sind - wie im Folgenden noch näher ausgeführt wird - durch Zweckangaben und funktionelle Merkmale gekennzeichnet, durch die lediglich Geeignetheitskriterien aufgestellt werden, nicht aber raum-körperliche immanente Abgrenzungskriterien, die die beiden Führungshülsen oder die beiden expandierbaren Körper voneinander zwingend unterscheidbar machen würden. Damit können die zwei Führungshülsen und damit auch die zwei expandierbaren Körper jeweils nicht nur gleichartig, sondern sogar identisch ausgestaltet sein, so dass unter das System nach Patentanspruch 1 auch das doppelte Vorhandensein bzw. zur Verfügung stellen einer Führungshülse und eines expandierbaren Körpers fällt.
3.3 Insoweit kann insbesondere bei der Bewertung der technischen Lehre auch nicht eine bestimmte Anwendung der vom bereitgestellten System umfassten expandierbaren Körper unterstellt werden. Für die beiden Führungshülsen und die beiden expandierbaren Körper wird durch den Patentanspruch 1 nicht festgelegt, dass diese gemeinsam, insbesondere gleichzeitig oder sequentiell, d. h. nacheinander abfolgend für einen Wirbelkörper verwendet werden oder dass überhaupt beide Körper mit Führungshülsen zwingend zur Anwendung kommen: Körper und Führungshülsen werden lediglich als Teile des Patentgegenstands bereitgestellt.
3.4 Die Zweckangabe „zum Behandeln eines Wirbelkörpers mit einer Knochenrinde (Kortikalis), die ein inneres Volumen umgibt, das zumindest teilweise von spongiösem Knochen (Spongiosa) (32) eingenommen wird“ im Merkmal 1. schränkt im Weiteren das System nur insoweit ein, als es für die Behandlung eines Wirbelkörpers geeignet sein muss, so dass sich daraus Einschränkungen beispielsweise hinsichtlich der räumlichen Größe (z. B. Durchmesser der Führungshülsen) oder der Einsetzbarkeit (z. B. Sterilisierbarkeit) ergeben. Ebenso sind Systeme zur Behandlung von anderen Knochen von Wirbeltieren, bei denen spongiöses Knochengewebe von einer Knochenrinde umgeben ist, bei der Beurteilung der Patentfähigkeit nicht ausgeschlossen. Damit erfüllen auch Vorrichtungen zum Behandeln von Röhrenknochen wie etwa dem Oberschenkelknochen diese Zweckangabe.
3.5 Das System hat gemäß den Merkmalen 2, 3 und 3.1 zwei voneinander unabhängige äußere Führungshülsen, die zur Erfüllung der jeweiligen Zweckangaben „zum Bereitstellen eines ersten (zweiten) Zugangspfades in das innere Volumen des Wirbelkörpers“ als hohles, zylinderförmiges Rohr so gestaltet sind, dass sie jeweils ausreichende Festigkeit besitzen, um in die Wirbelfortsätze (oder allgemeiner: in die kortikuläre Außenrinde eines Knochens) eingeklopft zu werden (siehe Abs. [0045]: 'The distal end 74 of the outer guide sheath 72 is likewise tapped into the pedicle 42’). Als Zugangspfad ist dann das Lumen innerhalb der Führungshülse anzusehen.
Der Begriff “sheath“ (Hülse, Hülle, Hüllrohr) impliziert für den Fachmann, dass die äußeren Führungshülsen als hohle Rohre an beiden Seiten offen sind.
Die Führungshülsen müssen voneinander unabhängig sein, denn sie müssen grundsätzlich geeignet sein, je einen Zugangsweg bereitzustellen, die sich gemäß Merkmal 3.1 voneinander unterscheiden. Ob nun die zweite Führungshülse tatsächlich so eingesetzt wird, dass sie einen zweiten, anderen Zugangsweg herstellt, ist für das Merkmal 3.1 nicht relevant, solange sie nur hierfür geeignet ist.
Darüber hinaus sind die zwei Führungshülsen jedoch nicht weiter eingeschränkt. So könnten sie zwar gleichartig, aber dennoch unterschiedlich beispielsweise hinsichtlich Durchmesser, Wandstärke, Länge oder Querschnittsform sein. Ebenso können sie aber auch nicht nur gleichartig, sondern sogar wirklich „gleich“ im Sinne von „identisch“ ausgebildet sein.
3.6 Ferner hat das System gemäß den Merkmalen 4 und 5 zwei voneinander unabhängige expandierbare Körper, die geeignet (so gestaltet) sein müssen, dass sie durch eine der Führungshülsen in das innere Volumen des Wirbelkörpers (oder allgemeiner: in das innere Volumen eines Knochens) eingeführt zu werden. Die expandierbaren Körper können danach in beliebiger Form, Größe und Ausführung ausgestaltet sein, solange sie sich nur durch eine der Führungshülsen hindurch führen lassen; diesbezüglich bestimmt Patentanspruch 1 nur die Zuordnung der expandierbaren Körper zu einer der beiden Führungshülsen. Jedenfalls wird keine Aussage über eine unterschiedliche Ausgestaltung der expandierbaren Körper vorgegeben, so dass auch hier die beiden expandierbaren Körper nicht nur gleichartig, sondern sogar wirklich „gleich“ im Sinne von „identisch“ ausgebildet sein können.
3.7 Soweit gemäß den Merkmalen 4.2 und 5.2 jeweils ein Hohlraum im Inneren des spongiösen Knochens gebildet werden kann, wird angemerkt, dass die Worte „to be enlarged“ in der englischen Fassung sich auf den Begriff „expandable body“ und nicht auf den Begriff „interior volume“ beziehen, wie sich aus Seite 11, Zeilen 31 bis 34 der Streitpatentschrift ergibt. Insofern ist die deutsche Übersetzung, wonach sich „das zu vergrößern ist“ auf „das innere Volumen“ bezieht, nicht korrekt, wie die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 27. April 2015 (siehe Seite 6) einräumt und dementsprechend in ihren Hilfsanträgen auch berücksichtigt. Hierauf kommt es aber nicht an, da der Fachmann ohnehin selbstverständlich davon ausgeht, dass der expandierbare Körper vergrößert wird und so den Hohlraum bildet.
3.8 Hierbei ist das Merkmal 5.2. nicht geeignet, mittelbar die weitere räumlich körperliche Ausgestaltung des Systems und der zugehörigen Vorrichtungselemente näher zu bestimmen bzw. als Geeignetheitskriterium deren Ausgestaltung weiter zu konkretisieren. Denn es ist nicht zu erkennen, worin das funktionelle Merkmal, einen zweiten Hohlraum in dem spongiösen Knochen zu bilden, der sich vom ersten Hohlraum unterscheidet, bei der Ausgestaltung beider expandierbaren Körper seinen Niederschlag findet. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass erster und zweiter Hohlraum nicht zwingend voneinander getrennt sein müssen, beispielsweise durch eine Region 110 von spongiösem Knochen wie in den Fig. 15 und 18 des Streitpatents (siehe auch Seite 11 Zeilen 48f und 57-59) gezeigt. Vielmehr können die beiden Hohlräume auch durch zwei direkt aneinander anliegende, expandierbare Körper gebildet werden, wie dies in den Fig. 12, 13, 14, 16, 17 und 19 des Streitpatents gezeigt ist, so dass auch die beiden Hohlräume aneinander angrenzen bzw. ineinander übergehen und so zu einem erweiterten gemeinsamen Hohlraum C werden (siehe Seite 11 Zeilen 47f und 55f.). Da mithin das Streitpatent selbst die Bildung zweier unterschiedlicher Hohlräume der Bildung eines erweiterten gemeinsamen Hohlraums mittels zweier (voneinander getrennter) Körper gleichrangig nebeneinander stellt, trägt auch das Merkmal 5.2 nichts dazu bei, weshalb erster und zweiter expandierbarer Körper als zur Erreichung eines bestimmten Zwecks aufeinander abgestimmt anzusehen sein müssten.
Allgemein beschränkt sich danach die Lehre nach Patentanspruch 1 auf eine Zusammenstellung von zwei äußeren Führungshülsen und von zwei expandierbaren Körpern, die jeweils nur auf die Führungshülsen, nicht aber gegeneinander abgestimmt sind, wobei die Lehre auch die Zusammenstellung zweier identischer Führungshülsen und zweier identischer expandierbarer Körper einschließt. Insofern lehrt Patentanspruch 1 nur die Bereitstellung einer Vielzahl von identischen Gegenständen im Sinne einer Bevorratung.
Dagegen hat die in der Beschreibung des Streitpatents angesprochene, gleichzeitige therapeutische Anwendung zweier durch getrennte Zugangswege in den Wirbelkörper eingeführter, expandierbarer Körper für die Beurteilung der Patentfähigkeit völlig außer Betracht zu bleiben, da dieses Behandlungskonzept zwar in die funktionellen Merkmale des Patentanspruchs Eingang gefunden haben mag, sich aber nicht, auch nicht mittelbar, in der räumlich-körperlichen Ausgestaltung der beanspruchten Vorrichtung niedergeschlagen hat.
IV.
Ausgehend von diesem Verständnis ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 sowohl in der mit Hauptantrag verteidigten erteilten Fassung, als auch in den Fassungen nach den Hilfsanträgen 1 bis 3 nicht patentfähig (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 52, 56 a EPÜ); in der Fassung nach Hilfsantrag 4 geht der Patentgegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜG i. V. m. Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ).
1. Patentanspruch 1 nach Hauptantrag:
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist gegenüber der NK6 nicht neu, jedenfalls nicht patentfähig.
1.1 Die Druckschrift NK6 schlägt (siehe Spalte 2 Zeilen 3 bis 21) ein Verfahren und eine Vorrichtung zur Fixierung von Knochenbrüchen, insbesondere von Kompressionsbrüchen von Wirbelkörpern, vor, wobei ein fließfähiges synthetisches Knochenmaterial in einen Hohlraum des Knochens eingebracht wird, um dort auszuhärten [= Merkmal 1.].
1.1.1 Das auch als „Kyphoplastie“ oder auch „ballon-unterstützte Vertebroplastie“ bezeichnete Verfahren der NK6 zeichnet sich dadurch aus,
1. dass ein perkutaner Zugangspfad mittels einer Kanüle 30 bis in das Innere des Wirbelkörpers hergestellt wird,
2. durch die Kanüle 30 ein Ballon 76 in das Wirbelkörperinnere eingeführt und aufgeblasen wird, um das Knochenmark zu verdichten und einen Hohlraum zu bilden,
3. nach Entfernung des Ballons 76 Knochenzement in den Hohlraum eingespritzt wird, wobei das Einspritzen unter Einsatz der bildgebenden Flouroskopie überwacht wird.
Im Unterschied zu der „Vertebroplastie“ wird nach dieser Lehre ein Hohlraum im Wirbelkörper geschaffen wird, bevor Knochenzement eingefüllt wird. Deshalb muss bei der Vertebroplastie der Knochenzement mit höheren Drücken eingepresst werden. Damit ist die Vertebroplastie insbesondere mit dem Komplikationsrisiko verbunden, dass es, beispielsweise durch Leckagen eines gebrochenen oder komprimierten Wirbels, während der Injektion zu einem Austritt von Knochenzement aus dem behandelten Wirbelkörper in Venen (in Einzelfällen mit Verschleppung des Materials), in die Umgebung um den behandelten Wirbel oder gar in den Spinalkanal kommt, weshalb in einem solchen Fall ein Einspritzen sofort abzubrechen ist (siehe NK9: Abstract, Seite 331 rechte Spalte; siehe NK10: Seite 149, Seite 151 linke Spalte unten; siehe NK12: Seite 285 linke Spalte, Seite 286 rechte Spalte, Seite 288 rechte Spalte, Seite 294 linke Spalte; siehe NK13: Seite 83 linke Spalte, Seite 84 rechte Spalte und Seite 85 linke Spalte; siehe NK14: Seite 46, Seite 49 rechte Spalte unten bis Seite 50 rechte Spalte oben, Seiten 51, 52; siehe NK15: Abstract).
Aus diesem Grunde kann mit der Vertebroplastie auch nur eine Verstärkung eines krankhaften Wirbelkörpers erreicht werden, beispielsweise um einen Kompressionsbruch bei Osteoporose zu verhindern; ein Wiederherstellen eines komprimierten Wirbels ist aber nicht möglich. Dem wirkt die NK6 durch Einsatz eines Ballons zur Bildung eines Hohlraums dadurch entgegen, dass beim Aufblasen des Ballons das Knochenmark gegen die innere Oberfläche der äußeren kortikalen Wand des Wirbelkörpers verdichtet (siehe Spalte 2 Zeilen 15-19) und so ein Damm gebildet wird, wodurch eine etwaige Fraktur des Wirbelkörpers blockiert und ein Ausfließen von Knochenzement durch die Fraktur verhindert wird (siehe Spalte 7 Zeilen 26-35).
Daher stellt die Kyphoplastie gemäß der Lehre der NK6 eine Weiterentwicklung der Vertebroplastie dar, so dass die Vertebroplastie, wie sie auch von den Druckschriften NK9, NK10 und NK12 bis NK15 belegt wird, als Fachwissen des einschlägigen Fachmanns anzusehen ist.
1.1.2 Im Einzelnen schlägt die Vorrichtung der NK6 eine Kanüle 30 („cannule 30“) vor, die (siehe Fig. 14 bis 17; Spalte 6 Zeilen 35 bis 46) durch das Weichgewebe vorgeschoben und dann unter Drehung und Anpressdruck in den Wirbelkörper eingetrieben wird. Dabei ist die Kanüle 30 hohl und auf beiden Seiten offen und somit geeignet, einen Zugangspfad in das innere Volumen des Wirbelkörpers bereitzustellen [= Merkmal 2.].
Nach einem Bohrungsschritt wird zunächst ein erster, elliptischer Ballon 65 ('elliptical balloon 65‘) durch die Kanüle 30 in das Innere des Wirbelkörpers eingebracht und aufgeblasen, um einen nachfolgend eingeführten zweiten Ballon dort zu zentrieren (siehe Fig. 20; Spalte 6 Zeile 57 bis 67).
Nachdem der erste, elliptische Ballon 65 abgelassen und wieder entfernt worden ist, wird direkt danach ein zweiter Ballon 76 ('second, checker-shaped inflatable device or balloon 76‘) [= Merkmal 4.] durch die Kanüle 30 in das Innere des Wirbelkörpers eingeführt [= Merkmal 4.1] (siehe Fig. 21, 24; Spalte 6 Zeile 65 bis Spalte 7 Zeile 3) und aufgeblasen, so dass (siehe Spalte 7 Zeilen 27 bis 31) das Mark 67 des Wirbelkörpers 66 nach außen an die Innenwand des Wirbelkörpers gedrückt wird und einen Hohlraum hinterlässt [= Merkmal 4.2].
In diesen so gebildeten Hohlraum kann gemäß der NK6 nach Entfernung des Ballons 76 und Spülung des Wirbelkörpers 66 mittels einer doppelläufigen Einspritzdüse ('double barrel injection gun nozzle’) im Sinne eines Füllwerkzeugs mit einer Düse gemäß Anspruch 2 des Streitpatents Knochenzement eingefüllt werden, wobei der Einspritzvorgang mittels bildgebender Fluoroskopie überwacht wird (siehe Spalte 7 Zeilen 42-53).
Damit zeigt die NK6 mit der Kanüle 30 und dem zweiten Ballon 76 also genau eine Führungshülse und einen expandierbaren Körper. Da Patentanspruch 1 so zu verstehen ist, dass er zwei identische Führungshülsen und zwei identische expandierbare Körper im Sinne einer Bevorratung bereitstellt, ohne dass sie zwingend bei der Behandlung eines einzigen Wirbelkörpers gleichzeitig verwendet werden müssen, kann das bloße Bereitstellen einer Vielzahl identischer Instrumente keine Abgrenzung zum Stand der Technik schaffen, so dass die NK6 als neuheitsschädlich anzusehen ist.
1.1.3 Unabhängig davon wäre zumindest das mehrfache Bereitstellen von Führungshülse und expandierbarem Körper, wie sie die NK6 zeigt, dem Fachmann nahegelegt. So ist es dem Fachmann selbstverständlich bekannt, dass chirurgische Instrumente bis zu ihrem Einsatz steril verpackt sind und in dieser Form im Operationssaal bevorratet werden. Demzufolge ist es naheliegend, dass auch die Kanüle 30 und der Ballon 76 gemeinsam in einem sterilen Beutel vorgehalten werden. Wenn nun bei einer bevorstehenden Wirbelsäulen-Operation aus Sicherheitsgründen oder sonstigen Gründen veranlasst - wie dem möglichen oder zu erwarteten Mehrfachgebrauch - und wie grundsätzlich bei chirurgischen Instrumenten auch üblich, mehrfach gleiche oder auch verschiedene derartige Beutel bereitgestellt werden, dann stellen zwei derartige Beutel mit je einer Kanüle und einem Ballon genau ein „System“ im Sinne einer Zusammenstellung und damit den Gegenstand des Patentanspruchs 1 dar. Anders ausgedrückt: werden in einem Beutel eine Kanüle und ein expandierbarer Körper steril verpackt, dann ist es naheliegend, diese Teile doppelt in einem Beutel zu konfektionieren und bevorratet oder als System in doppelter Anzahl bereitzustellen, zumal die Bereitstellung mehrerer Zugangspfade und Verwendung mehrerer expandierbarer Körper auch im weiteren Stand der Technik auch aus medizinischer Sicht dem Fachmann nahegelegt war.
1.2 Aber auch bei einem eingeschränkten Verständnis des Patentanspruchs 1 derart, dass beide expandierbaren Körper, die jeweils durch ihre Führungshülse separat in das Innere des Wirbelkörpers eingeführt werden, gemeinsam zur Anwendung kommen, ist dessen Gegenstand nicht patentfähig, denn er ist dem Fachmann ausgehend von der NK6 nahegelegt.
1.2.1 Zwar sieht die NK6 für ihre Lehre nur einen Zugangspfad für einen expandierbaren Körper vor, jedoch ist das Legen mehrerer Zugangspfade bei der Behandlung von Wirbelkörpern im Stand der Technik, wie insbesondere die NK9, NK10, NK12, NK13, NK14 und NK15 zeigen, bereits gelehrt und aus vielerlei Gründen, bspw. im Sinne einer Sicherstellung oder Verbesserung des Behandlungserfolgs bei für eine vollständige Knochenzementfüllung des Wirbelhohlkörpers ungünstigen Form des Wirbelhohlkörpers, auch angezeigt, auch wenn ein zweiter Zugang im Vergleich zu nur einem Zugang in gewissem Umfang ein höheres medizinisches Risiko darstellen mag.
So beschäftigen sich die NK9, NK10, NK12, NK13, NK14 und NK15 mit der Vertebroplastie, bei der ebenfalls ein perkutaner Zugangspfad mittels einer Kanüle, eines Trokars oder einer Nadel bis in das Innere des Wirbelkörpers hergestellt und anschließend durch diesen Zugangspfad Knochenzement aus einer Spritze direkt - und ohne vorherige Hohlraumbildung mittels eines Ballons - in den Wirbelkörper eingespritzt wird (siehe NK9: Seite 329 rechte Spalte bis Seite 330 linke Spalte; siehe NK10: Seite 149; siehe NK12: Seite 285 bis Seite 289; siehe NK13: Seite 83 rechte Spalte bis Seite 84 rechte Spalte; siehe NK14: Seite 48 rechte Spalte bis Seite 49 rechte Spalte; siehe NK15: Seite 371 bis 372 linke Spalte).
Zwar kann die Vertebroplastie zunächst mit einer Nadel auf einer Seite des Wirbelkörpers durchgeführt und sodann bei Bedarf mit einer zweiten Nadel von der anderen Seite her (kontralateral) wiederholt werden (siehe NK9: Seite 330 linke Spalte unten bis rechte Spalte oben; siehe NK10: Seite 149 rechte Spalte, Seite 151 linke Spalte unten; siehe NK12: Seite 286 rechte Spalte, Seite 288 linke Spalte, Fig. 5A, B auf Seite 292; siehe NK13: Seite 84 rechte Spalte; siehe NK14: Fig. 16 a, b auf Seite 58), so dass also nacheinander zwei Zugangspfade für den Knochenzement hergestellt werden. Jedoch ist aber auch vorgesehen, dass die Vertebroplastie mithilfe von zwei Nadeln auf zwei Seiten des Wirbelkörpers gleichzeitig durchgeführt wird (siehe NK9: Fig. 5 auf Seite 331; siehe NK10: Fig. 1a, b auf Seite 150; siehe NK12: „bilateral transpedicular approach“ gemäß Fig. 6C, D auf Seite 293; siehe NK14: Seite 48 rechte Spalte unten bis Seite 49 linke Spalte in Verb. mit „transpédiculaire bilatéral“, siehe Fig. 6 auf Seite 50 und Fig. 7c auf Seite 51, „bilateral transpedicular approach“ gemäß Fig. 10 auf Seite 53; siehe NK15: Seite 373 rechte Spalte unten).
Der Fachmann entnimmt damit den Druckschriften NK9, NK10, NK12, NK13, NK14 und NK15, dass bei einer Konzipierung eines Vertebroplastie-Bestecks in jedem Fall zwei Nadeln (und ebenso zwei Spritzen) vorzusehen sind, damit - abhängig von den anatomischen Gegebenheiten und den Begleitumständen der Operation gleichzeitig oder sequentiell - zwei Zugangspfade hergestellt werden können.
1.2.2 Der Fachmann, dem diese Verfahrensweise eines zweiten Zugangspfads bekannt war, war auch veranlasst dieses Verfahren ausgehend von der NK6 aufgreifen, denn auch hier ergeben sich durch einen zweiten Zugang mehrere für den Fachmann klar ersichtliche Vorteile.
So kann, da der minimale Innendurchmesser der Kanüle von der Größe des einzuführenden Ballons abhängig ist, der Ballon und damit der Durchmesser der Kanüle jeweils verringert werden, wenn zwei Ballons durch zwei Kanülen in den Wirbelkörper eingeführt werden, was je nach Art und Form des Knochens den Zugang zu dessen Inneren vereinfachen kann. Außerdem können bei nur einem Zugangspfad einzelne Bereiche im Wirbelkörper unzugänglich sein, so dass keine optimale Positionierung des Ballons möglich ist und auch der eingespritzte Knochenzement nur unzureichend verteilt wird; hier bietet ein zweiter Zugang sowohl eine erhebliche Verbesserung hinsichtlich der Positionierung zweier Ballons als auch einer verbesserten Knochenzementeinspritzung, insbesondere bei anatomisch ungünstigen Bedingungen hinsichtlich der Form des Hohlraums im Wirbelkörper.
Ferner lehrt die NK6, dass der Ballon Mühlestein-förmig ('checker-shaped‘) oder zylinderförmig ('cylindrically shaped') ist (siehe Fig. 21-23, Spalte 6 Zeile 67 bis Spalte 7 Zeile 3). Gleichzeitig soll aber seine äußere Ausbildung im Wesentlichen gleich sein der inneren Oberfläche der kortikalen Wand des Wirbelkörpers. Soweit die Endplatten des Wirbelkörpers annähend eben und parallel zueinander sind, kommt ein Mühlestein- oder zylinderförmiger Ballon mit seinen parallelen Grundflächen dieser Forderung nach. Jedoch entspricht ein derartiger Ballon mit seinem kreisförmigen Querschnitt nicht dem nierenförmigen Querschnitt des Wirbelkörpers. Um auch in dieser Hinsicht ein Ausfüllen des Innenraums des Wirbelkörpers zu verbessern, kann entweder unter Beibehaltung nur eines Zugangspfads der Ballon im Querschnitt auch nierenförmig ausgebildet werden oder es werden über zwei Zugangspfade je ein Mühlestein- oder zylinderförmiger Ballon eingeführt. Dabei erkennt der Fachmann, dass es schwierig ist, den Ballon aufgrund seiner Asymmetrie so in der gesamten Spongiosa des Wirbelkörpers auszurichten, dass im Wirbelkörper vollflächig ein Hohlraum gebildet werden kann, wenn ein nierenförmiger Ballon über einen einzigen Zugangspfad von hinten seitlich in den Wirbelkörper eingebracht wird. Er wird daher diese Lösung verwerfen und gelangt zum Ergebnis, für die Lehre der NK6 nun zwei Kanülen und zwei Ballons vorzusehen.
Diese Vorteile werden den Fachmann naheliegend dazu veranlassen, die Kanüle und den Ballon der NK6 jeweils für zwei Zugangspfade doppelt vorzusehen, womit er beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 angelangt ist.
1.2.3 Im Übrigen gehört die Vertebroplastie, wie sie in den Druckschriften NK9, NK10, NK12, NK13, NK14 und NK15 beschrieben wird, nicht nur zu einem ähnlichen Fachgebiet wie die Lehre der NK6, sondern sie war auch im Prioritätszeitpunkt vielmehr dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns zuzuschreiben, wenn er sich mit der NK6 auseinandersetzte. Insofern war es für den Fachmann selbstverständlich, bei Bedarf zwei Zugangspfade bei Ausübung der Lehre der NK6 zu nutzen und dementsprechend zwei Kanülen und zwei Ballons vorzusehen. Eine Veranlassung zur Heranziehung dieses Wissens besteht deshalb bereits dann, wenn sich die Nutzung seiner Funktionalität in dem zu beurteilenden Zusammenhang als objektiv zweckmäßig darstellt und keine besonderen Umstände feststellbar sind, die eine Anwendung aus fachlicher Sicht als nicht möglich, mit Schwierigkeiten verbunden oder sonst untunlich erscheinen lassen (BGH, GRUR 2014, 647ff. - Farbversorgungssystem). So ist es auch hier.
2. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1:
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist nicht patentfähig.
2.1 Soweit die Klägerin den Patentanspruch 1 hinsichtlich des geänderten Merkmals 1.´ und des ergänzten Merkmals I. als unzulässig erweitert ansieht, kann dahinstehen, ob diese Änderungen in den Anmeldungsunterlagen (siehe Abs. [0036] und [0055] der NK33) ursprünglich als zur Erfindung gehörend offenbart sind, denn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist jedenfalls nicht patentfähig.
2.2 Soweit die Beklagte durch die Änderungen der Merkmale 1-5.1´ in Patentanspruch 1 versucht hat, den Patentgegenstand im Hinblick auf die therapeutische Vorgehensweise zu konkretisieren und so den beanspruchten Gegenstands mittelbar auch gegenständlich zu konkretisieren, sieht der Senat - anders als hinsichtlich des hinzugefügten Merkmals I. - hierdurch keine abweichende oder einschränkende Bestimmung des Patentgegenstands gegenüber der erteilten Fassung.
So führt die Hinzufügung des konkreten Therapiezwecks der Behandlung einer Kompressionsfraktur oder eines Kollabierens eines Wirbelkörpers im Merkmal 1.´ lediglich zu einer Konkretisierung der Zweckangabe „zum Behandeln eines Wirbelkörpers“, die aber keine erkennbare Auswirkung auf den beanspruchten Sachanspruch eines Systems hat, insbesondere den beanspruchten Gegenstand mittelbar in sein Ausgestaltung verändert würde, oder anders formuliert, die Einfluss auf dessen Eignung hat und den Gegenstand hierdurch einschränken könnte.
Durch die geänderten Merkmale 2’ und 3’ werden Zugangswege als durch den Pedikel verlaufend präzisiert. Dies führt aber zu keiner weiteren Einschränkung der gegenständlichen Ausbildung der Führungshülse, da für diese eine gewisse Mindestfestigkeit oder eine maximale Länge bereits dadurch bedingt ist, dass die Führungshülse in die Außenrinde des kortikalen Knochens eingeklopft werden muss.
Gemäß den Merkmalen 4.1’ und 5.1’ werden die expandierbaren Körper durch die Führungshülsen durch die Pedikel eingeführt. Bei dieser Änderung handelt es sich um eine Überbestimmung, welche der technischen Lehre nichts hinzufügt; denn es ist eine zwangsläufige Folge, dass dann, wenn die Führungshülsen gemäß 2’ und 3’ durch die Pedikel führen und die expandierbaren Körper durch die Führungshülsen hindurch eingeführt werden, auch die expandierbaren Körper durch die Pedikel eingeführt werden.
Einzig das Merkmal I. stellt durch die Angabe des Therapieziels ein einschränkendes funktionelles Merkmal für die expandierbaren Körper dar, da der der erste und zweite expandierbare Körper in der Lage sein müssen, beim Bilden der beiden Hohlräume den gebrochenen und komprimierten Knochen zurück in oder in die Nähe der Position vor der Fraktur anzuheben oder zu drücken, wodurch die an den expandierbaren Körper zu stellenden räumlich körperlichen Anforderungen konkretisiert werden.
2.3 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 ist nicht patentfähig, da er ausgehend von der Lehre der NK6 nahegelegt ist.
Wie bereits zum Hauptantrag unter 1.2 ausgeführt, ist es - ausgehend von der NK6 - zumindest nahegelegt, zwei expandierbare Körper über zwei Führungskanülen in einen Wirbelkörper einzuführen. Auch der Gegenstand des durch das zusätzliche Merkmal I. eingeschränkten Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag 1 beruht auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
Wie unter 1.1.1 ausgeführt, stellt die Kyphoplastie gemäß der Lehre der NK6 eine Weiterentwicklung der Vertebroplastie derart dar, dass beim Aufblasen des Ballons das Knochenmark gegen die innere Oberfläche der äußeren kortikalen Wand des Wirbelkörpers verdichtet (siehe Spalte 2 Zeilen 15-19) und so ein Damm gebildet wird, wodurch eine etwaige Fraktur des Wirbelkörpers blockiert und ein Ausfließen von Knochenzement durch die Fraktur verhindert wird (siehe Spalte 7 Zeilen 26-35). Dadurch kann nicht nur eine Verstärkung eines krankhaften Wirbelkörpers wie bei der Vertebroplastie erreicht werden, um beispielsweise einen Kompressionsbruch bei Osteoporose zu präventiv zu verhindern, sondern es ist auch ein Wiederherstellen eines komprimierten Wirbels möglich. So ist der NK6 in den Fig. 28A bis 28E in Verbindung mit Spalte 3 Zeile 53 bis Spalte 4 Zeile 3 eindeutig zu entnehmen, dass durch Aufblasen des Mühlestein-förmigen Ballons, gemeint ist der Ballon 76, der Wirbelkörper 66 annähernd parallele Endplatten hat und so in oder in die Nähe der Position vor der Fraktur angehoben wird im Sinne des Merkmals I. Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn - wie zum Hauptantrag ausgeführt - anstelle des einen Ballons gemäß der NK6 nun auf naheliegende Weise zwei Ballons über zwei Zugangspfade in den Wirbelkörper eingeführt werden.
Hinsichtlich des transpedikulären Zugangs, wie er in den Merkmalen 2.´ und 3.´ angesprochen wird (vgl. auch vorstehende Ausführungen unter 2.2), sei ergänzend noch auf die Druckschriften NK12 bis NK14 verwiesen, wonach für die Vertebroplastie auch ein transpedikulärer Zugangspfad zum Innern des Wirbelkörpers, insbesondere im Lendenwirbelbereich, vorgeschlagen wird (siehe NK12: Seite 286 linke Spalte, Fig. 2, Fig. 4A-4D, Fig. 6A, 6B; siehe NK13: Seite 83 rechte Spalte; siehe NK14: Abstract, Seite 48 rechte Spalte, Seite 50 rechte Spalte Mitte, Fig. 6, 7c, 9, 10, 12, 14, 16).
3. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2:
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ist nicht patentfähig.
3.1 Soweit die Klägerin den Patentanspruch 1 hinsichtlich der ergänzten Merkmale II.1 und II.2 als unzulässig erweitert ansieht, kann dahinstehen, ob diese Änderungen in den Anmeldungsunterlagen (siehe Abs. [0050], [0055] und [0094] der NK33) ursprünglich als zur Erfindung gehörend offenbart sind, denn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist jedenfalls nicht patentfähig.
3.2 Bezüglich der Änderungen in den Merkmalen 2’, 3’, 4.1’ und 5.1’ gelten die bereits zum Hilfsantrag 1 unter 2.2 gemachten Ausführungen in gleicher Weise. Diese Merkmale sind daher für die Beurteilung des beanspruchten Gegenstands ohne Belang.
3.3 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 2 ist ausgehend von der NK6 nahegelegt.
3.3.1 Wie bereits zum Hauptantrag unter 1.2 ausgeführt, ist es - ausgehend von der NK6 - zumindest nahegelegt, zwei expandierbare Körper über zwei Führungskanülen in einen Wirbelkörper einzuführen. Auch der Gegenstand des durch die zusätzlichen Merkmale II.1 und II.2 eingeschränkten Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag 2 beruht auf keiner erfinderischen Tätigkeit.
So lehrt die NK6, dass (siehe Spalte 6 Zeile 67 bis Spalte 7 Zeile 25) der Ballon 76 über einen Hals 77, der Fachmann versteht dies als einen Katheter, im abgelassenen Zustand durch die Kanüle 30 in das Innere des Wirbelkörpers eingeführt und dann aufgeblasen wird. In Anbetracht dessen, dass die Kanüle 30 etwa einen Innendurchmesser von ca. 4 mm hat (dies ergibt sich aus dem Außendurchmesser des Bohrers 72, der durch die Kanüle geführt wird; siehe NK6 Spalte 6 Zeilen 53-56 in Verb. mit Fig. 18, 19), der Ballon aber einen Durchmesser von 10 mm bis 35 mm und eine Höhe von 5 mm bis 40 mm haben kann (siehe NK6 Spalte 7 Zeilen 4-9), steht der Fachmann unweigerlich vor dem Problem, wie man den Ballon durch die Kanüle nach vorne schiebt, ohne dass dabei die Ballonwand an der Innenwand der Kanüle 30 hängen bleibt, sich verkeilt und so ein weiteres Vorschieben blockiert. Da gleichzeitig zum Aufblasen des Ballons 76 ein Medium durch den Hals 77 transportiert wird, muss der Hals 77 zwangsläufig hohl sein.
Damit drängt es sich für den Fachmann geradezu auf, dass er während des Vorschiebens des Ballons durch die Kanüle 30 einen Führungsstift im Inneren des Halses 77 bis zur Spitze des Ballons 76 im Sinne des Merkmals II.1 einführt, um so ein Hängenbleiben zu minimieren, zumindest aber ein sich Verkeilen auszuschließen, was dem Merkmal II.2 entspricht.
3.3.2 Sofern der Fachmann somit nicht schon in Verbindung mit seinem Fachwissen zu einer Weiterbildung im Sinne der Merkmale II.1 und II.2 gelangte, sah er sich zumindest durch die Problematik einer Blockade veranlasst, sich im Stand der Technik nach einer bekannten Lösung umzusehen. Hierbei zog er auch Schriften zu Rate, die sich allgemein mit dem Einführen eines Ballons in einen Hohlraum beschäftigen und bei denen sich ebenfalls bereits das Problem der Führung eines Ballons durch eine enge Röhre stellt, wie dies bei Ballonkathetern der Fall ist.
So zeigt die NK26 einen Ballonkatheter mit einem Versteifungselement (siehe Abstract, erster Satz). Wie aus den Fig. 2A und 2B ersichtlich, umfasst der Ballonkatheter einen expandierbaren Körper 120, der mittels des Aufblaskatheters 118 aufgeblasen werden kann, ein durch eine Röhre 115 gebildetes inneres Lumen und das Versteifungselement 131.
Dabei kann das Versteifungselement 131 durch das Lumen 115 bis innerhalb des expandierbaren Körpers 120 eingeführt werden [= Merkmal II.1]. Dabei erstreckt sich das Versteifungselement 131 im eingeführten Zustand bis an das distale Ende 102 des Ballons 120 und richtet ihn wie in Fig. 2B gezeigt aus [= Merkmal II.2].
Neben der NK26 zeigen auch die NK28 (siehe dort die Fig. 1 mit „expandierbarem Körper“ 12 und „Versteifungselement 30“) oder die NK29 (siehe dort Fig. 1 mit „expandierbarem Körper“ 26 und „Versteifungselement“ 37) Ballonkatheter mit einem innenliegenden Versteifungselement.
Wenn nun - wie zum Hauptantrag ausgeführt - anstelle des einen Ballons gemäß der NK6 auf naheliegende Weise zwei Ballons über zwei Zugangspfade in den Wirbelkörper eingeführt werden, wird der Fachmann selbstverständlich entsprechende Versteifungselemente auch für zwei expandierbare Körper vorsehen.
4. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3:
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 ist zulässig, aber nicht patentfähig.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 weicht gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 ausschließlich durch das zusätzliche Merkmal III. ab, so dass der beanspruchte Gegenstand darauf eingeschränkt wird, dass der erste und der zweite expandierbare Körper nur einen einzigen aufblasbaren Teil haben.
Da der NK6 ausschließlich ein Mühlestein- oder zylinderförmiger Ballon zu entnehmen ist (siehe insbesondere Fig. 22 und Spalte 6 Zeile 67 bis Spalte 7 Zeile 3), ist das zusätzliche Merkmal III. aus der NK6 bekannt, so dass auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 3 ausgehend von der NK6 nahegelegt und deshalb nicht patentfähig ist.
5. Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4:
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 ist unzulässig.
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 4 weist gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 die zusätzlichen Merkmale IV.1 und IV.2 auf. Zwar mag das Merkmal IV.1 zulässig sein, denn es entspricht dem ursprünglichen Patentanspruch 6 und dem erteilten Patentanspruch 4 gemäß Streitpatent. Jedoch ist das Merkmal IV.2 nicht ursprünglich zur Erfindung gehörig offenbart.
So gibt Absatz [0082] der Offenlegungsschrift NK33 an, dass ein aufblasbarer Körper 56 im nahezu expandierten Zustand so ausgelegt ist, dass er mindestens ca. 30% des Volumens des spongiösen Knochens im Wirbelkörperinneren ausfüllen kann. Vorzugsweise hat der Körper 56 eine im Wesentlichen aufgeblasene Größe im Bereich von ca. 40% bis ca. 99% des spongiösen Knochenvolumens. Dieser Absatz findet sich innerhalb des Kapitels „I. Treatment of Vertebral Bodies“ (vor Abs. [0031]) allerdings im Unterabschnitt „C. Selection of shape and size for the Expandable Body“, der sich ausschließlich mit der Form und Größe eines einzigen Ballons beschäftigt.
Dagegen schreibt das Merkmal IV.2 nun vor, dass zwei expandierbare Körper in Kombination zwischen 30% und 99% des Volumens des spongiösen Knochens einnehmen. Das Merkmal bezieht sich damit auf den Unterabschnitt „D. Deployment of Multiple Expandable Bodies“, in dem aber Angaben hinsichtlich eines Volumenanteils gänzlich fehlen. Daher ist der Volumenanteil zweier expandierbarer Körper in Kombination den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht zu entnehmen. Sofern man die Angabe für den Volumenanteil eines expandierbaren Körpers auf den Volumenanteil zweier expandierbarer Körper in Kombination übertragen wollte, bedarf es des Einsatzes des allgemeinen Fachwissens und der Abwandlung der offenbarten Lehre um zu dieser weitergehenden Erkenntnis zu gelangen. Denn Gegenstand der Offenbarung ist nur das, was den ursprünglich eingereichten Unterlagen "unmittelbar und eindeutig" zu entnehmen ist, nicht hingegen eine weitergehende Erkenntnis, zu der der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens oder durch Abwandlung der offenbarten Lehre gelangen kann (BGH GRUR 2010, 910 - Fälschungssicheres Dokument).
Auch der Absatz [0177] der Offenlegungsschrift NK33 kann die Offenbarung des Merkmals IV.2 nicht stützen. Dort ist nämlich ausgeführt, dass als generelle Richtschnur bei der Auswahl der Geometrie des expandierbaren Körpers zu berücksichtigen ist, dass zumindest 40% des spongiösen Knochenvolumens zu verdichten ist; bevorzugt ist ein Bereich von „30% bis 90%“ des spongiösen Knochenvolumens. Abgesehen davon, dass sich hier schon die Angaben widersprechen und dass das Merkmal IV.2 neben den Zahlenangaben auch inhaltlich abweicht und ferner im Absatz [0177] nur von einem expandierbaren Körper „the expandable body“ die Rede ist, findet sich der Absatz [0177] im Kapitel „III. Selection of Other Expandable Bodies (Further Overwiew)“, der sich nicht ausschließlich mit der Behandlung von Wirbelkörpern, sondern auch anderen Knochen beschäftigt.
Schließlich sieht der Senat auch die Offenbarung der beanspruchten Bereichsangabe „zwischen 30% und 99%“ als fragwürdig an, weil in der NK33 im Absatz [0082] für einen expandierbaren Körper nur die als bevorzugt angegebene Bereichsangabe „at least about 40% to about 99%“ sowie die offene Bereichsangabe „at least about 30%“ als generelle Richtschnur findet. Insoweit wird nicht nur nach der Rechtsprechung der Beschwerdesenate des Europäischen Patentamts (vgl. Rechtsprechungsübersicht 7. Aufl. 2013, S. 152ff „Auswahl aus Parameterbereichen“), sondern in neuerer Zeit auch nach nationaler Rechtsprechung eine unmittelbare und eindeutige und individualisierte Offenbarung gefordert (BGH GRUR 2009, 382 - Olanzapin; GRUR 2010, 123 - Escitalopram). Es ist deshalb nicht mehr davon auszugehen, dass mit der Offenbarung eines breiten Parameterbereichs (siehe auch BGH Urt. vom 17. April 2012, X ZR 54/09; dagegen BGH GRUR 1990, 510 – Crackkatalysator; GRUR 1992, 842 – Chrom-Nickel-Legierung) und insb. einer offenen Bereichsangabe alle innerhalb der angegebenen Grenzen möglichen Werte und ein daraus ausgewählter Bereich offenbart ist. Insoweit kann es vorliegend jedoch aufgrund der bereits vorerwähnten Mängel der ursprünglichen Offenbarung dahinstehen, ob unter Berücksichtigung danach maßgeblicher Beurteilungskriterien, wie sie entsprechend für die Neuheit gelten, von einer noch ausreichenden Offenbarung der Bereichsgrenzen unter dem Aspekt einer Kombination offenbarter einzelner Unter- und Obergrenze auszugehen ist. Denn hierauf kommt es nicht an.
6. Da die Beklagte das Streitpatent ausschließlich nach Hauptantrag und hilfsweise nach den Hilfsanträgen 1 bis 4 verteidigt, eine isolierte Verteidigung der weiteren Ansprüche nach Hilfsantrag 4 nicht begehrt, und das Streitpatent weder in der Fassung nach Hauptantrag, noch in der Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 4 rechtsbeständig ist, war das Streitpatent für nichtig zu erklären.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. §§ 91 Abs. 1, 101, 100 Abs. 2 ZPO. Der Nebenintervenientin zu 2 waren die außergerichtlichen Kosten in analoger Anwendung von § 269 Abs. 3 ZPO aufzuerlegen, da sie ihre Nebenintervention zurückgenommen hat (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl., § 66 Rn. 12).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
VI.
Da Richter am BPatG Schmidt-Bilkenroth als erkennender Richter des im Anschluss an die mündliche Verhandlung erlassenen und nach § 94 Abs. 1 Satz 1 PatG am 19. Juni 2015 verkündeten Urteils mit Wirkung zum 1. Oktober 2015 aufgrund seines Wechsels an das Deutsche Patent- und Markenamt aus dem Richterdienst als Richter am BPatG ausgeschieden ist, war er an der Unterschrift des zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig abgesetzten Urteils verhindert, so dass seine Unterschrift zu ersetzen war. Nach zutreffender Ansicht begründet das Ausscheiden eines Richters aus dem Richterdienst nach Verkündung des unter seiner Teilnahme gefällten Urteils i. S. v. § 309 ZPO (hierzu BGH NJW-RR 2015, 893; NJW-RR 2012, 508; BAG Beschl. v. 6.5.2015, 2 AZN 984/14) eine Verhinderung aus rechtlichen Gründen i. S. v. § 315 Abs. 1 Satz 2 (BGH NJW 2011, 1741 Tz. 22; BVerwG NJW 1991, 1192 zu § 117 Abs. 1 Satz 2 und 3 VwGO, m. w. N., auch bejahend für den Wechsel an ein anderes Gericht; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 315 Rn. 1, § 163 Rn. 8; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl., § 315 Rn. 1; a. A. Vollkommer NJW 1968, 1309), gleich aus welchem Grund das Ausscheiden erfolgt (BayObLG NJW 1967, 1578).